Читать книгу 4467 Tage oder Der Rache langer Atem - J. U. Gowski - Страница 18
10.
ОглавлениеIm Besprechungsraum der 2. Mordkommission waren die anderen sechs Kollegen schon versammelt, als Meyerbrinck eintraf. Er grüßte kurz und schaute sich um, konnte Koslowski aber nirgendwo entdecken. Die hohen Fenster waren weit geöffnet, brachten Frühlingsdüfte und etwas Kühle in den Raum. Wahrscheinlich ist er noch bei van Bergen, dachte Meyerbrinck und ging kurz in sein Büro, um sein Jackett anzuhängen. Als er zurückkam, sah er die Pinnwand, die von vier Kollegen mit Kaffeebechern in den Händen belagert wurde. Koslowski musste sie wohl schon heute Morgen aus ihrem Büro geholt und im Besprechungsraum aufgestellt haben. Es war eine leichte Aufgeregtheit zu spüren. Die Wanduhr zeigte acht. Wenige Minuten später betraten van Bergen und Koslowski den Raum. Sofort trat eine erwartungsvolle Stille ein.
Van Bergen ging nach vorn und räusperte sich. Mit seinen 1,96 Meter hatte er die Aura einer geborenen Führungspersönlichkeit, die Koslowski vollkommen abging. Der grauhaarige Bürstenschnitt und sein kantiges Kinn ließen an einen Drill Sergeant der Armee denken. Die Stimme war leise, aber kräftig. Alles an ihm wirkte akkurat, doch nicht langweilig. Die graue Tuchhose mit dem schmalen schwarzen Ledergürtel hatte messerscharfe Bügelfalten, die selbst an den Knien wie mit dem Lineal gezogen wirkten. Es sah aus, als ob er nie sitzen würde.
»Ich hoffe, sie hatten ein schönes Wochenende. Wie sie sehen, hatte es nicht jeder. Kriminalhauptkommissar Koslowski wird ihnen Punkt 8.30 Uhr eine Einweisung geben. Wenn also noch jemand auf die Toilette muss, um die zwei Liter Kaffee zu entsorgen, möge er das bitte jetzt tun. Nachher erwarte ich volle Konzentration und keine Unterbrechungen. Der Fall hat oberste Priorität. Alles klar?«
Es erhob sich zustimmendes Gemurmel.
»Dann benötige ich noch eine Information. Wer war gestern der diensthabende Beamte?«
Koslowski schaute van Bergen etwas irritiert an.
»Der dicke Schulz.«, kam es von Tschillner aus dem hinteren Teil des Raumes, was leises Gekicher auslöste.
»Wer?« , fragte der erste Kriminalhauptkommissar betont ernst nach.
Das Gelächter erstarb. Tschillner sonst vor Selbstbewusstsein strotzendes Gesicht errötete. »Polizeiobermeister Schulz, Herr Hauptkommissar.«
»Wann ist er wieder im Dienst?«
»Wahrscheinlich erst am Dienstag früh. Montag dürfte sein freier Tag sein, da er dieses Wochenende Dienst hatte.«, sprang Grabowski dem immer noch verlegen dreinschauenden Tschillner bei.
»Gut. Lassen sie auf dem Dienstplan vermerken, dass er am Dienstag um 12.15 Uhr einen Termin bei mir hat.«
Meyerbrinck sah Koslowski bedeutungsvoll an. Der bemerkte es nicht. Dann drehte sich Hauptkommissar van Bergen um und verließ den Raum. Koslowski, der erst noch kurz zögerte, ging hinterher.
»Warum willst du den Schulz sprechen?«, fragte Koslowski van Bergen.
Wenn sie allein waren, duzten sie sich. Sie kannten sich schon lange, hatten ein fast freundschaftliches Verhältnis, auch wenn wegen der unterschiedlichen Dienststellung ein respektvoller Abstand gewahrt wurde. Anders konnte es Koslowski nicht nennen. Van Bergen hatte schon öfter Koslowskis Hintern aus der Schusslinie genommen. Er schätzte die Unvoreingenommenheit Koslowskis, wenn es um Geschlecht, Rasse und Neigungen ging. Es gab im Polizeicorp nicht viele von der Sorte, weswegen van Bergen auch sein Privatleben abschottete. Zu dem war Koslowski in seinen Augen ein verdammt guter Ermittler.
»Sal du weißt, ich werde solche Stammtischmeinungen bei mir in den Abteilungen nicht dulden.«
»Er wird sie nicht ändern, nur weil du ihm einen Einlauf machst«, erwiderte Koslowski. »Er wird in unserem Beisein einfach nur schön politisch korrekt die Klappe halten.«
»Na damit hätten wir doch schon viel gewonnen«, erwiderte van Bergen und lächelte trocken.
Koslowski war klar, dass van Bergen bei seinem Entschluss bleiben würde. Dem Polizeiobermeister Schulz stand ein verdammt unangenehmes Gespräch bevor.
Die Kollegen der 2. Mordkommission waren wieder komplett im Besprechungsraum versammelt. Die Fenster hatte inzwischen jemand geschlossen. Koslowski winkte Meyerbrinck zu und trat nach vorn an die Pinnwand. Van Bergen stellte sich neben die Tür.
»So, es ist jetzt 8.30 Uhr.«, stellte Koslowski fest. »Fangen wir an. Gestern Morgen wurde eine Mädchenleiche von einem Mann entdeckt, der mit seinem Hund spazieren ging. Es handelt sich um die achtjährige Luise Ankert. Nach vorläufigen Erkenntnissen starb sie durch Genickbruch.«
»Kann es ein Unfall gewesen sein?«, kam gleich die erste Zwischenfrage von Lorenz, dem ältesten in der Runde. Er trug wieder eines seiner grell bunt gestreiften Hemden, die während seiner Jugend vor vierzig Jahren groß in Mode gewesen waren. Damals hatte er volles braunes Haar, das ihm bis auf die Schulter fiel. Jetzt eine Halbglatze, die gesäumt wurde von nicht mehr ganz so langem, dafür dünnem Haar. Aus braun war grau geworden und er ein Kleingärtner mit einer Vorliebe für englische Rosen.
»Ja könnte, aber das Mädchen ist nicht dort gestorben, wo sie gefunden wurde. Weswegen wir von einem Tötungsdelikt ausgehen. Nach bisherigen Erkenntnissen hat man sie noch bis kurz vor 19.30 Uhr lebend gesehen. Genaueres erwarte ich nach der Obduktion. Auch ob möglicherweise ein Sexualdelikt vorliegt, was auf den ersten Blick nicht so aussah. Weiterhin ist bekannt, dass sie sich mit einem bisher unbekannten Mann unterhielt. Die alleinerziehende Mutter, Christien Ankert, war nicht zu Hause, als es passierte. Sie hat die Nacht woanders verbracht.«
Ein leises Gemurmel erhob sich.
»Ist ihr Alibi schon überprüft worden?«, kam es von dem kleinen rundlichen Türken Ibrahim Bulut.
»Ja, sie war bei ihrem Liebhaber, der es bestätigt hat.«
»Kann aber auch abgesprochen sein. Sie deckt ihn oder er sie. Vielleicht stand das Kind der Romanze im Wege.«, erwiderte Bulut.
Koslowski schaute zu Meyerbrinck und sagte: »Ist sicher eine Option, der wir auch nachgehen werden. Jetzt konzentrieren wir uns aber erst einmal auf den unbekannten Mann. Wir haben keine genaue Beschreibung von ihm.«
Frank Grabowski meldete sich. »Ein Sexualdelikt ist aber noch nicht ausgeschlossen?«
»Nein.«
»Dann sollten wir uns auch an das LKA 13 wenden. Vielleicht können sie uns eine Liste mit pädophilen Tätern geben, die gerade frei rumlaufen. Zur Überprüfung. Das kann ich erledigen.«
»Keine schlechte Idee. Mach das. Dann müssen wir die Leute in der näheren und weitläufigeren Umgebung befragen.«, fuhr Koslowski fort. »Vielleicht ist irgend jemandem etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Das betrifft die Häuser im Thälmannpark und die Häuser, die dem Thälmannpark gegenüberliegen. Also die Danziger Straße zwischen Greifswalder und Winsstraße und die Greifswalder Straße, zwischen Danziger Straße und dem S-Bahnhof Greifswalder. Die Teams wird Oberkommissar Meyerbrinck einteilen. Er leitet die Aktion. Bei ihm laufen die Fäden zusammen. Wir bekommen Unterstützung von den Kollegen von Abschnitt 15. Das Foto von Luise Ankert ist vervielfältigt worden. Jedes Team bekommt eins mit. Konzentriert euch bei der Befragung auf die Zeit zwischen 19.30 und 20.15 Uhr. Um 17.30 Uhr erwarte ich die ersten Berichte. Noch Fragen?«
»Wir haben Montag, da werden viele arbeiten und nicht zu Hause sein«, wandte Tschillner ein.
Koslowski runzelte die Stirn und blickte ihn an. Nicklas Tschillner war noch nicht lange bei der Mordkommission. Dunkelbraune kurze Haare, kein Gramm Fett am durchtrainierten Körper und braun gebrannt. Einer von der Sorte, die wahrscheinlich fünfundreißig war, aber wie fünfundzwanzig aussah und auch weiterhin so aussehen würde, bis die fünfundvierzig sie eiskalt erwischte. Koslowski vermutete, Tschillners bester Freund war das Fitnesscenter. Er gestand sich ein, dass er auf den Körperbau von Tschillner neidisch war. Doch andererseits waren ihm seine eigenen Freizeitbeschäftigungen lieber.
»Ja, deswegen sollten sie sich die notieren, die sie nicht angetroffen haben, um später noch einmal nachzufragen. Gehört doch wohl zur Routine, oder?«
»Klugscheißer!«, kam leise die Antwort.
Koslowski tat, als ob er es nicht gehört hatte.
»Wenn es keine weiteren Fragen gibt, übergebe ich die Leitung an Kriminaloberkommissar Meyerbrinck.«, wurde Koslowski wieder förmlich.
Meyerbrinck blieb nichts anderes übrig als nach vorn zu treten. Im Vorbeigehen zischte er zu Koslowski: »Eine kurze Vorabinfo wäre nett gewesen«.
Koslowski sah ihn unschuldig an und verließ den Besprechungsraum, um sich einen Kaffee zu holen. Das Aufgabendelegieren in einem Rahmen mit mehr als vier Beteiligten war nicht sein Ding und er wusste, Meyerbrinck würde alles in die richtigen Wege leiten. Im Gegensatz zu ihm war er ein Organisationstalent. Van Bergen hatte schon kurz vor Koslowski, auf sein Handy schauend, den Raum verlassen. Der Kaffeeautomat stand am Ende des Flurs. Er warf die Münzen passend ein und drückte auf Schwarz. Mit dem heißen Becher in der Hand ging er zurück in Richtung Büro. Bevor er es betrat, lauschte er noch kurz auf das leise Gemurmel, das aus dem Besprechungsraum drang. Wenig später hörte er den großen Aufbruch. Einen Moment danach betrat Meyerbrinck das Büro.
»Du siehst immer noch angepisst aus«, begrüßte ihn Koslowski lakonisch.
Meyerbrinck reagierte nicht.
»Ich wollte einfach keine Diskussion. Du hast manchmal die Angewohnheit dich zu zieren. Und ich wollte den besten Mann dafür.«
»Du brauchst mir jetzt keinen Honig ums Maul zu schmieren.«
Und nach kurzem Schweigen: »Wie geht es jetzt weiter?«
»Ich fahre in die Turmstraße zur Rechtsmedizin. Und du fährst am besten zu dem Kaisers, wo die Ankert arbeitet, hol ein paar Hintergrundinformationen über sie ein. Danach wäre es schön, wenn du auch nochmal den Andre Lange abklopfst. Hat ihn jemand zu Haus gesehen zu der fraglichen Zeit? Hat jemand die Ankert dort gesehen? Du weißt schon.«
»Ja ich weiß schon« Meyerbrinck starrte Koslowski an. Entschied sich dann schweigend sein Jackett vom Haken an der Wand zu nehmen und grußlos davon zu stapfen.
»Mimose«, grummelte Koslowski etwas schuldbewusst hinterher. Dann griff er zum Telefon.