Читать книгу Der letzte Moment - Jack Kerley - Страница 10
ОглавлениеKapitel Drei
Obwohl es noch taghell war, klapperten Harry und ich schon die umliegenden Straßen ab und redeten mit den so genannten Damen der Nacht. Das mit der Nacht ist eigentlich Unsinn, denn die meisten Frauen, die ihr Leben in Zehn-Minuten-Einheiten verkaufen, nehmen irgendeine chemische Substanz, um durchzuhalten, und süchtig ist man schließlich rund um die Uhr. Wir unterhielten uns mit einer ganzen Reihe von Frauen und einem Transvestiten. Die meisten warfen einen Blick auf das Foto und schüttelten den Kopf. Ein paar überlegten kurz, sagten dann aber »Nee, ist doch nicht die, an die ich dachte« oder – was noch populärer war – »Hab ich noch nie im Leben gesehen. Und wie wär’s, wenn ihr Jungs jetzt verduftet, damit ich arbeiten kann?«
Harry und ich liefen uns ein paar Stunden die Füße platt, ohne das Geringste zu erreichen. Als wir ins Präsidium zurückkehrten, fing Tom Mason uns vor dem Büro des Detectives ab.
»Der Chef sucht euch, Jungs. Wartet drüben in meinem Büro.«
Mehr sagte Tom nicht. Harry warf mir einen kurzen Blick zu, ehe wir zu Toms Büro hinüberschlurften. Plackett, der Polizeichef, wippte auf den Fußballen und schaute aus dem Fenster auf die Government Road, den schmalen, nadelgestreiften Rücken uns zugewandt. Eine rosa Hand strich das perfekt frisierte schwarze Haar zurück. An seinem Handgelenk funkelte eine Golduhr. Mit gerunzelter Stirn wirbelte er herum, doch als er die Halbdrehung vollendet hatte, lächelte er.
»Da sind Sie ja«, sagte der Chef und streckte mir die Hand entgegen, als ich über die Türschwelle trat. Wie ein Politiker schüttelte er meine Hand einmal lang, zweimal kurz und nahm sich dann Harrys Hand vor. »Meine Spezialisten.«
Harry stieß ein tiefes Grunzen aus, das nur ich hörte.
»Spezialisten?«, fragte ich.
»Die Spezialisten vom Psychopathologischen und Soziopathologischen Team. Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr Jungs einen schrägen Fall gekriegt habt – Prostituierte, Kerzen, ritueller Kram. Jetzt greift das PSET durch, nicht wahr? Und rottet diesen Wahnsinn gleich mit der Wurzel aus?«
Es gelang mir, keine Miene zu verziehen. Ursprünglich war das PSET, das nur aus Harry und mir bestand und im vergangenen Jahr ein einziges Mal zum Einsatz gekommen war, als Werbegag ins Leben gerufen worden. Obwohl fast alle gegen uns gewesen waren, hatten wir einen Erfolg erzielt. Jetzt dieses Team wieder einzusetzen, damit es »durchgriff«, war wesentlich komplizierter, als es sich anhörte, und schuf politische und logistische Probleme, die Harry und ich uns nur aufhalsen wollten, wenn es sich unter gar keinen Umständen vermeiden ließ.
»Ich denke nicht, dass das jetzt schon notwendig ist, Chief«, sagte ich.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Und warum nicht, Detective?«
»Es gibt Beweise, dass da ein verwirrter Geist sein Unwesen treibt. Doch man könnte auch argumentieren, dass jeder vorsätzliche Mord das Produkt eines verwirrten Geistes ist, denn niemand, der bei klarem Verstand ist, würde seine Freiheit oder sein Leben aufs Spiel setzen, was aber jede Ergreifung nach sich zieht. Jetzt, wo das geklärt wäre, will ich ja gern zugeben, dass der Tatort Aspekte aufgewiesen hat, die die normalen Erwartungen übertroffen ...«
Wie so oft, wenn ich ins Schwafeln komme, eilte Harry mir zu Hilfe. »Was Carson sagen möchte, ist, dass dieser Fall, so wie er sich jetzt präsentiert, alles andere als eindeutig ist, Boss, zumal noch eine ganze Menge Infos fehlen. Ein Grenzfall eben. Wir finden, fürs Erste sollten die Jungs vom dritten Distrikt den Fall bearbeiten.«
Plackett sah aus dem Fenster. »Ich erhalte Anrufe von Reportern, meine Herren.«
Wir warteten. Unser unausgesprochenes Und? hing in der Luft.
»Ich bin der Ansicht, ihr Jungs sollt euch um den Fall kümmern. Falls dort draußen ein Irrer rumläuft, ist es besser, wenn wir sagen können, Sie sind von Anfang an an dieser Sache dran gewesen. Ich habe keine Lust, mit heruntergelassenen Hosen erwischt zu werden.«
Nach dem Leichenschauhaus-Fall hatten die hohen Tiere schwere Geschütze abwehren müssen, denn ein paar Personen hatten nicht ganz unbegründet angedeutet, das PSET hätte früher hinzugezogen werden müssen.
»Chef, das Problem zieht das Interesse der Medien auf sich«, sagte ich, »und daran kann uns doch nicht gelegen sein. Die werden uns auf Schritt und Tritt verfolgen.«
Plackett schaute skeptisch drein. Tom, der seit zwanzig Jahren Bürohengste beschwichtigte, klatschte in die Hände. »Ich sag Ihnen was, Chef. Falls es danach aussieht, dass wir die umfassenderen Möglichkeiten des PSET benötigen – mehr Freiheiten für Carson und Harry und die Umorganisation der Befehlsstruktur –, kann ich das bis dahin koordinieren. Aber fürs Erste könnte ich doch deren wichtigere Fälle anderen Kollegen übertragen, damit sie die Leitung dieses Falles übernehmen, oder?«
Tom warf Harry und mir einen Blick zu. Seine hochgezogene Augenbraue sagte Mehr kann ich nicht für euch tun. Plakett nickte halb zufrieden und verschwand durch die Tür. Nur der schwere Duft seines Eau de Cologne, das in der Luft hing, blieb zurück.
Harry und ich setzten uns an unsere Schreibtische. »Verdammt«, murrte er. »Gestern wurde noch nicht mal richtig zugegeben, dass es das PSET gibt, und heute können wir sie nicht davon abhalten, uns die Verantwortung aufzuhalsen. Woher, zum Teufel, dieser Sinneswandel?«
Das Foto von der Preisverleihung des Bürgermeisters stand auf meinem Schreibtisch. Ich hob es hoch und tippte mit dem Finger darauf.
»Bruder, wir sind jetzt amtlich.«
* * * * *
Obwohl die Luft heiß und stickig war, fuhr ich mit heruntergekurbelten Fenstern nach Hause und versuchte so, mir das Gehirn richtig durchblasen zu lassen. In der Dämmerung überquerte ich den Mississippi-Sund. Das dunkle Wasser unter der Brücke schimmerte und ein paar träge dahingleitende Ausflugsdampfer kehrten in den Hafen zurück.
Ich wohne auf Dauphin Island, einem schmalen, langen Sandstreifen, dreißig Meilen südlich von Mobile. Zu Hause bin ich in einer Kiste mit Blick auf den Golf, die in luftiger Höhe auf Pfählen über der Insel schwebt. Sie entspricht genau meiner Vorstellung von einem perfekten Refugium. Die Gegend übersteigt meine finanziellen Mittel bei weitem, doch als meine Mutter vor ein paar Jahren starb, erbte ich genug, um mir diesen Luxus leisten zu können. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mir einen Wohnwagen und ein billiges Stück Land zu kaufen und mit dem restlichen Geld ein einfaches Leben ohne Arbeit zu führen. Doch eines Tages – ich fischte gerade in der Dauphin-Brandung – erblickte ich mein zukünftiges Heim: Das Metalldach funkelte wie eine polierte Rüstung, es gab eine breite Veranda mit Blick aufs Meer und auf der Zufahrt stand ein Zu-verkaufen-Schild. In jener Nacht habe ich kaum ein Auge zugetan, und wenn ja, dann träumte ich wild: Das Haus war ein Boot und ich segelte durch ruhiges, sicheres Wasser. Zwei Wochen später schleppte ich Secondhandmöbel im Wert von ein paar hundert Dollar in ein Strandhaus, das vierhundert Tausend Dollar wert war.
Ich bog in eine zwanzig Meter lange Zufahrt aus Sand und zerbrochenen Muscheln, die zu meinem Heim führte, das mittlere von drei Häusern auf einer von dichtem Wald gesäumten Straße. John und Marge Amberly waren meine Nachbarn im Osten. Auf ihrer Zufahrt stand ein unbekanntes Fahrzeug, ein aufgemotzter feuerwehrroter Hummer mit überdimensionierten Reifen, Scheinwerfern auf dem Dach und Nevada-Nummernschild. Auf dem zwölf Meter breiten Sandstreifen zwischen den Häusern trieben sich ein paar Gestalten herum. Sie befanden sich auf meinem Grundstück, aber es gab keine Schilder und außerdem – wen kümmerte es? Die Frau fing etwas auf, das durch die Luft flog. Ich winkte kurz und rollte auf meine Zufahrt, während John Lee Hooker aus den Lautsprechern dröhnte.
Ein Großteil meiner Nachbarn waren Zugvögel, die in die entgegengesetzte Richtung ausflogen: Während der heißen Sommermonate flohen sie nach Norden, wo es kühler war, und vermieteten die Häuser an Urlauber, um so ihre Unterhaltskosten zu reduzieren. Von Mai bis September habe ich ständig neue Nachbarn, von denen manche nur eine Woche, andere einen Monat oder länger bleiben. Die Amberlys, die den Sommer irgendwo im Norden verbrachten, vermieteten ihr elegantes zweistöckiges Heim beispielsweise nicht unter einem Monat. Es war ungefähr dreimal so groß wie mein Haus und ging für zwei Riesen die Woche weg. Meine Nachbarn auf Zeit waren größtenteils nette Menschen und die Mietpreise viel zu hoch für Studenten oder Trottel, die den Grill im Wohnzimmer anfeuern, weil dort die Klimaanlage am besten funktioniert.
Als ich ausstieg, hörte ich eine Stimme hinter mir. »Arschloch, wieso machst du beim Fahren nicht die Augen auf?«
Ich hob den Blick und sah eine Frau, vermutlich Mitte dreißig. Sie war auf jene Art attraktiv, die eine Menge Aufwand erfordert: gesträhntes, modisch geschnittenes Haar, das in gepflegten Locken herabfiel, Haut, die vom vielen Eincremen glatt und samtig war, gleichmäßige, wie mit der Spraydose aufgetragene Bräune. Das gelbe Sommerkleid kam ganz sicher nicht von der Stange, sondern war maßgeschneidert, um ihre überdimensionierten Brüste – nach der Symmetrie zu urteilen Modell Dow Cornings aus der Revuegirl-Serie – zu betonen. Äußerlich negativ ins Gewicht fielen nur die krummen Beine und der wütend zusammengekniffene Mund. Sie schwankte ein bisschen, als hätte sie schon ein paar Drinks intus.
»Wie bitte?«, fragte ich.
»Sie haben unser Frisbee überfahren«, sagte die Frau. »Ich habe ›Aufpassen‹ gerufen, doch Sie sind einfach weitergefahren. Habe gesehen, wie Sie extra darauf zugefahren sind, Blödhammel.«
Mein Blick fiel auf ein verbogenes, plattes Etwas, das ein Stück weiter den Weg hoch lag. »Nein, Ma’am. Ich versichere Ihnen, ich bin nicht absichtlich darüber gefahren. Ich wollte mir schon vor Ewigkeiten den Stoßstangenaufkleber ›Ich bremse für Frisbees‹ besorgen, bin aber leider noch nicht dazu gekommen.«
»He, Kumpel, verarsch ja nicht meine Frau«, meldete sich eine Männerstimme zu Wort. »Das geht mir auf den Zeiger.«
Auf einmal war ein neuer Spieler auf der Bildfläche aufgetaucht, den identischen Eheringen nach zu urteilen der Göttergatte. Er war knapp eins neunzig groß, wog ungefähr 120 Kilo und zog, während er den harten Typen markierte, die Wampe ein, was bei der Größe alles andere als ein Kinderspiel war. Er trug eine von diesen grauen Ponyfrisuren, die Hollywood gern römischen Imperatoren andichtet. Wie seine Frau war auch er perfekt gebräunt, ein mit der Sprühflasche aufgetragener Eichenton, der bis in die faltigen Winkel seiner kleinen Augen reichte.
Die Frau hob das platte Frisbee auf und warf es in meine Richtung. Das Ding knallte mir gegen die Knie.
»Sechs Mäuse«, sagte sie, drehte die Hand um und tippte mit rot lackierten Nägeln darauf.
Solchen Typen begegnete ich nicht zum ersten Mal. Zumindest kannte ich Leute von ihrer Sorte, eine unangenehme Mischung aus reichlich Geld und schlechter Erziehung. Und es hatte leider den Anschein, als würden sich Menschen ihres Schlages auch noch vermehren. Sie krochen vor jedem, der mehr hatte, zu Kreuze und trampelten auf allen herum, die weniger besaßen. Sie waren der beste Beweis, dass vor der Bezeichnung weißer Abschaum nicht unbedingt noch das Adjektiv arm stehen musste. Ihr Hobby war es, Dinge zu besitzen, was unbewusst auch unsere kleine Auseinandersetzung hier ausgelöst hatte. Obwohl das Paar wahrscheinlich mehrere Millionen besaß, sollte ich sechs Dollar für ihr Plastikspielzeug abdrücken. Auf diese Weise wollten sie klar machen, wer hier das Sagen hatte, wer psychologisch wessen Eigentum war. Hier ging es nicht um sechs Dollar, sondern um Unterwerfung.
Der Göttergatte schmunzelte. »Hol mal lieber die Scheinchen aus der Brieftasche, Kumpel.«
Grinsend ließ er die Hände fallen, schloss und öffnete die Fäuste.
Ich hatte weder Grund noch Lust, mich mit diesen Leuten anzulegen. Dazu war das Leben zu kurz und dieser Tag schon viel zu lang. Ich überlegte kurz, bückte mich und hob das kaputte Frisbee auf. Dann betrachtete ich es ganz genau, hielt es an mein Ohr und neigte den Kopf.
»Was soll das?«, fragte der Göttergatte.
Ich legte den Finger auf den Mund. »Psst. Ich höre zu.«
»Hä!«, grunzte der Göttergatte und kniff verwirrt die kleinen Augen zu.
»Es lebt noch«, erzählte ich ihnen kopfschüttelnd und mit trauriger Miene. »Es hat Schmerzen. Hören Sie’s nicht?«
»Wovon, verflucht noch mal, quatschen Sie da?«, krächzte die Frau.
Ich bückte mich und legte das Frisbee auf den Boden. Und dann zog ich blitzschnell die Glock aus meiner Tasche, entsicherte sie und zog den Schlitten nach hinten.
»Du liebe Zeit«, sagte die Frau und wurde ganz blass. Der Göttergatte trat mit weit aufgerissenen Augen den Rückzug an. Ich kniete mich neben das Frisbee und tätschelte es sanft.
»Ich werde dich von deinem Leid erlösen«, sagte ich und zielte auf die Plastikscheibe. »Halten Sie sich die Ohren zu.«
Als ich wieder aufschaute, suchten die beiden immer noch das Weite, obwohl sie schon ein gutes Stück weg waren.
* * * * *
Zwei Nachrichten, sagte das blinkende Lämpchen auf meinem Anrufbeantworter. Ich legte Jacke und Waffe ab, hängte sie über einen Stuhl, zog Laufschuhe und ein T-Shirt an. Ich wollte gerade die Nachrichten abhören, als es an der Tür klopfte. Jimmy Gentry von der Dauphin Island Police stand auf der Treppe. Der schlanke, rothaarige Jimmy war ein paar Jahre älter als ich, er musste so um die zweiunddreißig sein. Er war auf dem Land aufgewachsen und Baptist und arbeitete seit fünf Jahren bei der hiesigen Polizei. Dass Leute mit Geld Gott nicht öfter dafür dankten, dass er sie auf die Champagnerseite des Lebens bugsiert hatte, verwunderte Jimmy immer wieder. Ich winkte ihn herein.
»Setz dich, Jimmy. Willst du was trinken?«
»Dann muss ich später nur rechts ranfahren, um zu pinkeln. Ich habe einen Anruf gekriegt und erfahren, dass du die Waffe auf die Blovines gerichtet hast.«
»Die wer?«
»Die Mieter nebenan. Die Frau hat ein ziemliches Mundwerk, was?«
Ich erklärte ihm, was vorgefallen war. Jimmy brach in Gelächter aus und wischte sich mit dem Ärmel die Augen trocken. »Na, dann werde ich ihnen mal raten, dich besser in Ruhe zu lassen. Wann kommen John und Marge zurück?«
»Nicht schnell genug. Mitte Oktober, denke ich.«
»Sind die Martins auch weg?« Die Martins waren meine Nachbarn auf der westlichen Seite.
»Besuchen die Enkel. North Dakota, glaube ich. Oder South Dakota?«
Jimmy grinste. »Vielleicht West Dakota. Hat sich jemand bei ihnen eingemietet?«
Ich zuckte mit den Achseln und trat ans Fenster. Das Heim der Martins war ein schlichtes einstöckiges Haus mit glänzendem Metalldach. Eigentlich war es eine Kopie von meinem mit dem kleinen Unterschied, dass ihres korallenrot und das Holzwerk grau und meins weiß und grün gestrichen war. Drüben brannte kein Licht. Die Jalousien waren heruntergezogen. Kein Wagen auf der Auffahrt.
»Niemand da«, meldete ich.
»Dann musst du dich nur mit diesen Nachbarn rumschlagen«, meinte Jimmy auf dem Weg zur Tür. »Mach’s gut, Carson. Und versuch, die Blovines nicht zu erschießen. Auf den Papierkrieg bin ich echt nicht scharf.«
* * * * *
Jimmy schaute noch bei den Nachbarn vorbei und redete mit ihnen. Dass ich nicht in Ketten abgeführt wurde, erfreute sie gar nicht. Jimmys Sirene heulte zweimal auf, als er auf die Straße rollte. Auf die Art ließ er mich wissen, wie prächtig er sich amüsierte. Kichernd ging ich zum Anrufbeantworter und drückte auf Start.
Guten Abend, Detective Ryder. DeeDee Danbury von den Channel 14 Nachrichten. Hören Sie, das Opfer im Motel heute? Sie und Nautilus waren außerhalb Ihres Zuständigkeitsbereiches, richtig? Falls das hier ein Fall für das PSET ist, wüsste ich gern mehr. Vielleicht könnte ich von Ihnen ja ein Statement kriegen. Übrigens, ich habe Ihr Foto in der Zeitung gesehen, interessanter Gesichtsausdruck ...
Ich drückte auf die Löschtaste und DeeDee Danbury war verschwunden. Und dann ertönte die zweite Nachricht.
Carson? Mein Sohn, hier spricht deine Mom, ich rufe aus dem Himmel an. Mein Handy, das kleine Ding, das ich vor einer Weile gefunden habe? Das hat nicht mehr viel Saft, Sohn. Und ich musste gerade feststellen, dass es im Himmel keine Aufladegeräte für Handys gibt. Nun, Carson, was soll eine Frau davon halten, wenn sie nicht hin und wieder mit ihrem Lieblingssohn reden kann? Ich habe natürlich noch einen Sohn, aber der ist EIN ZIMPERLICHER KLEINER MISTKERL, DER HOFFENTLICH IN DER HÖLLE SCHMORT ...
Ich ließ mich in den Sessel neben dem Telefon fallen. Das war mein Bruder Jeremy. Einer der vielen Jeremys. Die Stimme meiner Mutter hörte nicht auf zu sprechen.
Ich erinnere mich an Zeiten, wo ich meine ganze Kraft brauchte, um schöne Kleider zu nähen, und DIESER KLEINE BENGEL JEREMY ANDAUERND BRÜLLTE: ›HILF MIR, MOM, DADDY VERSUCHT MICH ZU TÖTEN – HILF MIR, MOM.‹ Also, ich weiß nicht, Carson, wie soll eine Frau etwas geschafft kriegen mit einem so EGOISTISCHEN KLEINEN MONSTER im Nacken? O je, was ich durchgemacht habe. Im Himmel ist es wunderbar, Carson, auf jeder kleinen Wolke eine Nähmaschine. Und du könntest das Leben deiner Mutter im Himmel noch schöner machen, wenn du mich auf diesem göttlichen Telefon anrufst, sobald du die Nachricht abgehört hast, und ihr sagst, wie sie an ein eigenes Ladegerät kommt. Und das braucht Mommy wirklich sehr schnell. Vielen Dank. Und Gott schütze uns alle, natürlich mit Ausnahme VON DIESEM KLEINEN IDIOTEN JEREMY, DEN DU ZUM TEUFEL JAGEN KANNST. Bitte, ruf mich heute Abend an, mein lieber Carson. Und bestell deiner Freundin, Miss Ava, schöne Grüße von mir. Bye.
Die Verbindung brach ab.
Mit dem Anruf verstieß mein Bruder gegen die Regeln, denn er durfte kein Telefon besitzen. Das galt für alle Personen, die an diesem seltsamen Ort untergebracht waren. Aber seine Hände waren so flink wie seine Worte trügerisch; er hatte das Telefon einem Wärter aus der Tasche gezogen. Ich hatte die zuständigen Behörden nie über Jeremys Errungenschaft informiert und auch nie begriffen, wieso ich das nicht getan hatte.
Ich löschte die Nachricht meines Bruders. Auf einmal war ich gar nicht mehr hungrig. Ich ging nach draußen, legte mich auf die Veranda und versuchte, mich auf das einlullende Rauschen des Golfs zu konzentrieren und abzuschalten.