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Kapitel Sechs

Wir verließen die Anwaltskanzlei und statteten Hakkam noch einen Besuch ab. Die Luft in seinem Büro war ganz blau vor lauter Rauch. Harry blätterte die Anmeldungen durch.

»Sieht ganz so aus, als würden vor allem die Smiths und die Jones ihre Familienfeiern in Ihrem Motel abhalten«, lautete sein Kommentar.

Hakkam zuckte mit den Achseln. »Habe kein Einfluss drauf, welchen Namen Gäste sagen.«

Harrys Zeigefinger fuhr über die Anmeldeformulare und tippte auf einen Eintrag. »Da haben wir’s ja. Rubin T. Coyle. War vor drei Wochen hier. Name, Adresse, Kennzeichen, alles richtig. Nichts verheimlicht. Wahrscheinlich der Einzige, der sich in den letzten zehn Jahren richtig eintragen hat. Mr Hakkam, hat er erwähnt, wieso er hier absteigt, zumal er von hier war. Sind vielleicht die Anstreicher bei ihm gewesen?«

Die älteste Entschuldigung der Welt, die einem die Leute auftischen, die in ihrer Heimatstadt im Motel absteigen: Die Maler sind gerade in meiner Wohnung. Ich kann den Gestank nicht ertragen. Und, ähm, meine Frau da draußen im Wagen auch nicht.

Hakkam überlegte kurz. »Sagte, es hätte was mit Arbeit zu tun. Recherche. Meinte, er will hier vielleicht Geschäft abschließen. Wollte wissen, wie lange vorher Reservierung nötig, wenn man sieben, acht Hütten braucht.«

»Und was haben Sie geantwortet?«

Hakkam nahm einen langen Zug von seiner Zigarette. »Zwanzig, dreißig Minuten.«

Wir gingen zum Wagen zurück. Ich rutschte auf den Rücksitz, Harry nahm vorn Platz. Als er losfuhr, machte ich mich lang, legte den Kopf auf die Arme, schaute in den blauen Himmel, beobachtete, wie die Baumwipfel vorbeirauschten. Als ich noch klein war und die Stimmung in meinem Elternhaus zunehmend düsterer wurde, kroch ich in unseren alten Kombi und versteckte mich auf der Rückbank. Bis zum heutigen Tag waren Rückbänke für mich so etwas wie ein Refugium, ein wunderbarer Ort, um nachzudenken. Dass ich Harrys Fahrstil nicht ertragen musste, war ein weiterer Vorteil. Er saß gern hinter dem Steuer, hatte aber – wie bei den Farben – nie ein Gespür dafür entwickelt. Auf diese Weise hatten wir Hunderte von Meilen zurückgelegt und irgendwann war es uns zur zweiten Natur geworden.

»Ich glaube nicht, dass Coyle unsere Unbekannte getroffen hat«, sagte Harry in den Rückspiegel. »Er war elf Tage, bevor sie auf der Bildfläche erschien, im Cozy Cabins. Hat seinen Besuch nicht vertuscht. Hatte vermutlich eine Frau im Wagen. Oder einen Typen. Coyle ist nicht gerade Feuer und Flamme für Ms Barstow. Sie betet ihn allerdings an. Was manch einer – und ich nehme mich da gar nicht aus – für naiv halten könnte. Vielleicht hatte unser Anwaltsbursche ja eine Midlifecrisis. Beispiele dafür gibt’s genug. Ganz spontan fällt mir da Dale Bryson ein.«

Dale Bryson war ein 38-jähriger, freudloser Bauingenieur, der vor ein paar Monaten als vermisst gemeldet worden war. Ein Kreditkartenbeleg hatte ihn mit einem Mann in Verbindung gebracht, der in einem Schnapsladen getötet worden war, und so war der Fall bei Harry und mir gelandet. Zwei Tage, nachdem wir uns auf Bryson gestürzt hatten, gestand ein anderer den Mord, aber da wir eh schon an der Sache dran waren, spürten wir Bryson in einem schicken Motel in der Nähe der I-10 auf. Vor seinem Zimmer parkte ein funkelnagelneuer BMW-Cabrio. Wir fanden Bryson nackt in der Wanne. Er badete in fünf Kartons Champagner – zu vierzig Dollar die Flasche. Auf dem Bett lagen Unmengen von Teddybären. Er versank vor Scham fast im Erdboden, konnte aber bis auf ›Ich musste das einfach tun‹ keine plausible Erklärung für sein Tun liefern.

Brysons Fall war womöglich ein bisschen extrem, aber keineswegs ungewöhnlich: Heutzutage scheinen Männer der Mittel- und Oberschicht in gehobenen Berufen von Mitte dreißig bis Mitte vierzig kulturell auf solche Ereignisse programmiert zu sein. Wenn sie verschwinden, dann selten länger als eine Woche, und die größte Gefahr besteht darin, dass sie das Bankkonto leer räumen und ein Schnellboot oder einen Sportwagen kaufen. Die Chancen standen also gut, dass Rubin Coyle, wo immer er auch stecken mochte, in Sicherheit war. Und nichts mit unserem unbekannten Opfer zu tun hatte.

»Eins ist da aber noch, Harry«, meinte ich.

Ich spürte, wie der Wagen schlingerte, gegen den Bordstein knallte und wieder zurückscherte. »Was denn, Bruder?«

»Heute Morgen habe ich einen verrückten Anruf gekriegt. Von einem Kerl, der wissen wollte, ob bei unserer Unbekannten Kunst gefunden wurde. Klang schwer nach einem Spinner. Ich hab ihn auflaufen lassen.«

»Cars, in der Hütte wurde nichts gefunden, das man als Kunst bezeichnen könnte.«

»Aber ein Stück von etwas, das als Kunst durchgeht, ist Coyle zugeschickt worden.«

Harry tat das mit einer Handbewegung ab. »Ob es Kunst war, wissen wir nicht. Mann, meine erste Frau hat von Innendekorateuren andauernd irgendwelche Muster von Tapeten, Polsterbezügen und Vorhängen zugeschickt bekommen.«

»Erste Frau? Ich dachte, du wärst nur einmal verheiratet gewesen.«

Über seine Scheidung redete Harry kaum und ich hatte ihn nie danach gefragt. Er atmete langsam aus. Seine Miene verfinsterte sich, als er sich an alte Zeiten erinnerte. »Stimmt, aber manchmal fühlte es sich wie viel mehr an.«

Harry setzte mich beim Leichenschauhaus ab. Die Autopsie der Unbekannten war zwei Stunden zuvor von einem Beamten des dritten Distrikts veranlasst worden. Dann hatte man ihnen den Fall abgenommen und Harry und mir übertragen. Ich wollte so schnell wie möglich wissen, was bei der Voruntersuchung herauskam, und die Ergebnisse vielleicht sogar ein bisschen beeinflussen. Dr. Clair Peltier saß in ihrem spartanischen Büro am Schreibtisch. Ihr Mobiliar war kaum schicker als das im Büro der Detectives. Sie hatte sich die Unbekannte vorgenommen und war gerade dabei, den Bericht abzufassen. Ich steckte den Kopf in ihre Tür. Auf Claires Schreibtisch stand eine Vase mit Rosen, der einzige Farbtupfer in dem Zimmer.

»Die Voruntersuchung der Unbekannten, Clair?«

Alle anderen nannten Clair Dr. Peltier. Seit unserer ersten Begegnung nannte ich sie Clair und sie hatte mir diesen Fauxpas durchgehen lassen und damit gekontert, dass sie mich immer nur mit dem Nachnamen anredete. Clair war die Leiterin der Mobiler Abteilung des Forensischen Instituts von Alabama und sich meiner Stimme für »Beste Augen« sicher, denn ihr entging nichts. Clair war Mitte vierzig, hatte kurze, anthrazitgraue Haare und bemerkenswert blaue Augen, die gern mal kalt wirkten, einen aber gelegentlich mit einem warmherzigen Blick überraschten. Ich begab mich auf den einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Clair setzte die Brille auf, die an einer Kette um ihren Hals hing, und warf einen mürrischen Blick auf ein Blatt Papier. Der Duft der Rosen war so betörend, dass er einem die Sinne verwirrte. Ein rotes Duftkissen.

»Ich habe Postmortem-Hautabschürfungen entdeckt, die offenbar von Schaufelschlägen stammen. Zudem livor mortis-Male, die nicht da wären, hätte sie nur in einem Motelbett gelegen. Zieht man dann noch die Lehmspuren an und in ihrem Körper in Betracht, kommt man zu dem ziemlich eindeutigen Schluss ...«

Ich nickte. »Dass sie begraben und wieder ausgegraben wurde, ich weiß.«

»Selbstverständlich habe ich mir den Bericht der Spurensicherung angesehen – Blumen, Kerzen. Was halten Sie davon, Ryder?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Kerzen und Blumen lassen mehrere symbolische Deutungen zu. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob dies das Werk eines Durchgedrehten ist.«

»Konnten Sie nachweisen, ob sie eine Prostituierte war?«

»Sie war nackt in einem Motel, das wahrscheinlich die Hälfte seines Umsatzes mit Gästen bestreitet, die nur eine Stunde bleiben.«

Clair tippte mit dem Fingernagel auf das Papier. »Das ist nicht der Unterleib einer Hure, Ryder. Keine Verletzungen, keine Narben, keine Anzeichen dafür, dass es jetzt oder früher Geschlechtskrankheiten gab. Keine Blutergüsse, keine Abschürfungen. In Anbetracht ihres Alters sehen ihre Genitalien aus, als wäre die Gewährleistungsgarantie noch nicht abgelaufen. Und es gibt keinerlei Anzeichen, dass sie in der betreffenden Nacht sexuell aktiv war.«

Ich legte die Fingerspitzen zusammen und führte sie an die Lippen. »Da ist noch was, was komisch ist, Clair – ihre Fingerabdrücke sind nicht im Computer. Vielleicht neu im Geschäft. Drogen könnten für so was der Auslöser sein.«

Clair blätterte die Unterlagen durch. »Dann will ich Ihnen mal die ungefähre Todeszeit nennen, die wir ermittelt haben. Tod durch Ersticken zwischen Samstag null Uhr und Sonntagmittag ...«

»Mir sind die Abdrücke rund um ihren Hals aufgefallen.«

»Was Sie nicht gesehen haben, sind die inneren Verletzungen. Die Schnur, mit der sie erdrosselt wurde, wurde mehrmals zugezogen und wieder gelöst.«

»Folter.« Ich spürte, wie mir flau im Magen wurde. So etwas machten nur Leute, die Spaß daran hatten. Clair las weiter.

»Das Opfer wurde wahrscheinlich am Sonntag beerdigt. Und Montagnacht wieder ausgebuddelt. Gewaschen.«

Ich spann den Faden weiter. »Sie wurde in ein Motelzimmer gebracht, das Stunden vorher angemietet worden war. Jemand hat eine Menge Kerzen angezündet und sie mit Blumen bedeckt.«

»Das Zimmer hat nichts hergegeben?«, fragte Clair.

»Bree überprüft Unmengen von Abdrücken. Auf den Kerzen und den Blumen war nichts zu finden. Die Oberflächen in der Nähe sind abgewischt worden! Ein vorsichtiger Täter. Ich bin mehr als skeptisch, dass wir etwas finden werden. Die Spurensicherung hat den Teppichboden abgesaugt auf der Suche nach winzigen Beweisstücken. Na, mir würde es keinen Spaß machen, den Dreck aus dem Beutel zu untersuchen.«

Clair hob eine geschwungene, dunkle Augenbraue. »Hört sich nach einer harten Nuss an, Ryder.«

Ich musste daran denken, dass der Boss sich wegen der Medien sorgte. Er wollte, dass wir einen guten Eindruck machten, und ich wollte, dass wir von deren Radar nicht erfasst wurden. Aber die Kompetenzen waren intern auf mehrere Personen verteilt, irgendetwas gelangte da immer durch die Hintertür an die Medien.

»Was werden Sie in Ihrem Bericht hervorheben, Clair?«

»Dass das Opfer erdrosselt wurde. Und die Ergebnisse der Standarduntersuchung.«

»Was ist mit den Kerzen auf den Augen, der Beerdigung und Exhumierung? Dem Folteraspekt?«

Sie warf mir einen kurzen Blick zu. »Sie möchten nicht, dass das verbreitet wird?«

»Könnte später für uns von Vorteil sein, wenn wir es jetzt nicht erwähnen.«

»Bislang handelt es sich nur um Spekulationen. Ich werde so viel wie möglich auslassen.«

»Danke, Clair.«

»Aber für ewig kann ich es nicht unter den Teppich kehren, Ryder. Eine Woche, höchstens zwei. Danach gelangt der komplette Bericht an die Öffentlichkeit. Könnte eine nette kleine Episode am Rande werden.«

Ich stützte die Hände auf die Knie und erhob mich. Ich war schon in der Tür, als Clair sich noch mal zu Wort meldete.

»Ryder? Haben Sie was von Ava gehört?«

Ava Davanelle war früher die stellvertretende Gerichtsmedizinerin im Leichenschauhaus gewesen. Sie war letztes Jahr ohne Eigenverschulden in einen Fall reingezogen worden und dabei fast ums Leben gekommen – und das in einer Phase, wo sie gerade versuchte, vom Alkohol loszukommen. Hinterher waren wir ein paar Monate ein Paar gewesen – für mich vielleicht die glücklichste Zeit in meinem Leben. Und – wie ich hoffte – für sie auch. Vor vier Wochen hatte sie mich dann ohne Vorankündigung wissen lassen, dass sie Mobile und ihre Freunde hier unten verlassen, ihren Job und alles andere aufgeben wollte.

Und plötzlich war ich Teil ihrer Vergangenheit.

Ava kehrte nach Fort Wayne in Indiana zurück, wo sie aufgewachsen war. Sie hatte vor, nun Kurse in klinischer Pathologie statt in forensischer Pathologie zu belegen, um »mit den Lebenden zu arbeiten statt mit den Toten«.

Dreimal hatten wir telefoniert, seit sie weggegangen war. Unsere Gespräche waren gestelzt gewesen, gespielt geschwätzig, ohne Tiefgang – wie eine Unterhaltung zwischen Barbie und Ken.

Die hatten sich auch getrennt, oder?

»Ryder? Sind Sie noch da?«, riss Clairs Stimme mich aus meinen Gedanken.

»Ich habe seit einer Woche nichts von Ava gehört, Clair. Keine Silbe. Hoffentlich ist sie glücklich. Sie hat es verdient.«

Clairs Blick wurde weicher, als sie über den Brillenrand spähte. »Und Sie, Carson? Kommen Sie ... darüber hinweg?«

Das Zimmer wurde gleißend hell. Meine Knie fühlten sich eigenartig weich an. Ich drehte mich um, winkte über meine Schulter und verließ das Büro so schnell, wie die Höflichkeit es zuließ. Ein Stück den Flur hinunter stürmte ich in die Toilette. Wusch mein Gesicht. Starrte zwei, drei Sekunden mein Spiegelbild an, bis mich der Anblick ermüdete. Atmete tief durch und ging zur Tür. Zu meiner Überraschung stand Harry am Empfangspult. Er hatte gerade mit Vera Braden, der Frau am Empfang, gescherzt, drehte sich um und zeigte mit dem Daumen in Richtung Eingangstür.

»Die Bussarde sind draußen, Bruder. Dachte, ich warne dich lieber.«

Wir hielten auf die Tür zu. Draußen hatten sich mehrere Reporter versammelt. Das Paar von Channel 14 war erstaunlicherweise nicht zu sehen. Harry legte von hinten seine schwere Hand auf meine Schulter. »Was Neues in der Post, Bruder?«

»Schlimme Sache«, sagte ich. »Folter.«

Ich spähte durch die Tür. Die Medienleute pressten ihre verzerrten Mienen ans Glas. Sklaven der neusten Neuigkeiten, die immer hofften, dass sie so schlimm waren, dass man mehr Zeitungen an den Mann brachte, bessere Einschaltquoten erzielte, mit denen man dann mehr Werbezeit verkaufen konnte. Mit einem Mal hatte ich alles satt: das Leichenschauhaus, Frauen, die sich ohne Vorwarnung aus dem Staub machten, Menschen, die den Tod einer Frau in einen Zirkus verwandelten.

Und vielleicht auch mich, weil ich für Ava Davanelle nicht Grund genug war, in Mobile zu bleiben. Ich sagte: »Scheiß auf diese Typen, Harry. Wir gehen jetzt da raus.«

Und dann traten wir gemeinsam in die feuchte Hitze, so undurchdringlich wie eine Wand. Alle redeten gleichzeitig, als hätte jemand den Hauptschalter umgelegt. Die laut gerufenen Fragen vermischten sich zu einem unverständlichen Kauderwelsch.

Wie finden ist Mord Art für Waffe? Glauben Sie waren Umstände? Falls Sie gibt es einen Täter? Wie viel der Gerichtsmediziner können Sie den Zeitpunkt der Beweise Hinweise liefern? Wird als Nächstes Angehörige benachrichtigen?

Nach ein paar Schritten hatten wir sie abgehängt. Harry und ich joggten die dreißig Meter zum Wagen. Neben uns wurde eine Tür aufgestoßen. Danbury und Funt sprangen aus einem schwarzen Geländewagen. Sie hielt uns das Mikro entgegen. Der winzige, ganz in Jeansstoff gehüllte Funt stand neben ihr und richtete das gläserne Auge der Kamera mal auf mich, mal auf Harry, als könnte er sich nicht entscheiden.

»Na, sieh mal einer an«, sagte Danbury. »Die Pogobos.«

»Pogobos?«, fragte ich.

»Po-lice Go-lden Bo-ys. Pogobos. Wie wäre es mit einem Exklusivinterview der Eliteeinheit? Was hat die Autopsie ergeben? Ist das ein Fall für PSET?«

»Kein Kommentar«, knurrte ich und hatte nun auch Menschen satt, die mir Mikrofone, Kameras und ihre Gesichter vor die Nase hielten. Danbury rückte näher; das Mikro war nur noch ein paar Zentimeter von meiner Nase entfernt. »Detective Ryder, weist das Opfer Merkmale auf, wegen denen es in den Zuständigkeitsbereich des PSET fällt? Verstümmelung? Seltsame Flecken? Ein Muster --«

Ich schlug das Mikro so heftig beiseite, dass es ihr aus der Hand fiel und auf dem Gehweg landete.

Sie machte große Augen. Ich sagte: »Scheren Sie sich zum Teufel. Und nehmen Sie Ihren Kameraschimpansen gleich mit.«

»Carson«, warnte Harry.

Der Kameramann grinste in den Sucher. »Ziemlich gereizt heute, was?«

Ich ging auf die andere Seite des Fahrzeugs. Danbury sagte: »Können Sie mir verraten, wieso Sie und nicht jemand vom dritten Distrikt hier ist?«

Ich starrte sie wütend an. »Konnten Sie keinen normalen Job kriegen? Wie viel verdienen Sie als Maklerin des Kummers?«

»Sie haben ein Problem, Ihre Wut im Zaum zu halten, Detective«, sagte der Kameramann mit noch breiterem Grinsen. Ich verspürte den Wunsch, ihm die Kamera in den Hals zu stopfen. Stattdessen stieg ich ein und bombardierte ihn mit finsterten Blicken. Er grinste immer noch und zwinkerte. Harry schaltete den Motor ein. Als er aufs Gaspedal trat, machte der Wagen einen Satz. Und dann hörten wir ein Geräusch – wie eine Lederflagge, die im Wind flatterte.

»Uhu«, sagte Harry, bremste, öffnete die Tür und begutachtete die Reifen. »Alles okay hier. Sieh mal bei dir drüben nach, Bruder.«

Ich sprang raus. Das Vorderrad hatte einen Platten.

Harry holte sein Handy heraus. »Steig ein, Carson. Ich rufe die Werkstatt an, die sollen sich darum kümmern. Wird nicht lange dauern.«

Wir waren etwa achtzehn, zwanzig Meter von Danbury und dem Schimpansen entfernt. »He, Detective«, rief er und schob mir die Kameralinse vors Gesicht. »Ein strahlendes Lächeln vom Bullen des Jahres für unsere Zuschauer. Ist gute Werbung für die Mordkommission.«

»Hauen Sie ab«, sagte ich. In meinem Magen regte sich etwas, das weniger Ausdruck eines Gefühls als einer erklingenden Saite war.

»Steig in den Wagen, Carson«, forderte Harry lauter.

Danbury kam näher. »Borg«, rief sie ihrem Kollegen zu. »Schluss jetzt. Lass das.«

»Los, Mister Ryder«, flüsterte der Kameramann so leise, dass nur er und ich es hörten. »Zeigen Sie mir doch diese Harte-Typen-Fresse wie in der Zeitung. Hat Ihrer Mami das Foto gefallen? Und wie steht’s mit der Freundin? Oh, fick mich, Baby, aber vorher will ich diesen harten Blick sehen ...«

»Carson. Verdammt noch mal, steig endlich in den Wagen«, bellte Harry.

Da war es jedoch schon zu spät. Ich schnappte mir die Hemdbrust des Kameramannes, hob ihn hoch, bis unsere Gesichter auf gleicher Höhe waren, und erläuterte, was ich alles mit seiner Kamera anstellen würde, wenn wir uns mal irgendwo allein über den Weg liefen.

Nicht mal für eine Sekunde verschwand das Grinsen aus seinem verkniffenen Affengesicht.

Als ich an diesem Abend nach Hause kam, blinkte das rote Licht an meinem Anrufbeantworter. Ich ahnte, dass das Jeremy war – vielleicht weil es einer von diesen Tagen gewesen war. Ich drückte die Play-Taste und wurde mit der Erkenntnis belohnt, dass ich Recht gehabt hatte.

Carson, Mami wartet noch auf ihr neues Aufladegerät, waren die einzigen Worte, die er sagen musste. Und er sang sie, als könnte ihm nichts auf dieser Welt Sorgen bereiten.

Der letzte Moment

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