Читать книгу Der letzte Moment - Jack Kerley - Страница 9
ОглавлениеKapitel Zwei
Ein Foto, das beim Frühstück des Bürgermeisters aufgenommen worden war, machte tags darauf, also am Dienstag, die Runde. Ich bekam das Foto erst am Mittwoch zu Gesicht, als ich frühmorgens ins Büro kam, um den Papierberg abzuarbeiten. Ein Witzbold hatte das ausgeschnittene Foto an meinen Stuhl geklebt, zusammen mit einem gelben Haftnotizzettel, auf dem geschrieben stand: SUPERDETECTIVE EILT ZU HILFE.
Auf dem Foto hielten Harry und ich uns an unseren Medaillen fest und hatten den Bürgermeister in unsere Mitte genommen. Unter Harrys dickem Schnurrbart war ein Anflug von einem Lächeln zu erkennen. Meine Verbrechensbekämpferpose ließ mich wie eine Mischung aus Cotton Mather, dem amerikanischen Geistlichen und Schriftsteller, und einem selbstgerechten Idioten aussehen. Kopfschüttelnd schwor ich mir, niemals wieder eine Auszeichnung anzunehmen, und las den Text.
POLIZISTEN DES JAHRES GEEHRT – Bürgermeister Lyle Edmunds ernennt beim Frühstück anlässlich seiner jährlichen Preisverleihung die beiden Mobiler Polizisten Harry Nautilus (links) und Carson Ryder (rechts) zu Polizisten des Jahres. Nautilus und Ryder gehören dem brillanten Psycho- und Soziopathologischen Ermittlungsteams, auch PSET genannt, beim MPD an und werden als Experten auf dem Gebiet der Serienmörder und anderen psychisch gestörten ...«
»Was hältst du davon? Haben Sie deine vorteilhafte Seite erwischt?«, fragte eine Stimme, träge wie Molasse, hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Tom Mason grinste oder den Mund so weit verzog, wie sein zerknittertes Gesicht es ihm erlaubte. »Interessanten Gesichtsausdruck hast du da, Carson. Eindringlich, könnte man vielleicht sagen.«
Ich spürte, dass ich errötete wie ein Schuljunge, der mit einer Mädchenzeitschrift ertappt worden war, und knallte den Artikel auf den Schreibtisch. Tom sagte: »Wir haben gerade einen Notruf reingekriegt. Uns wurde eine Leiche in einem Motel gemeldet. Im Cozy Cabins. Ich denke, der Fall ist ein bisschen abgedreht, vielleicht sogar etwas mehr als nur ein bisschen. Harry habe ich vorhin schon informiert. Er ist bereits auf dem Weg dorthin.«
Ich stand auf und schnappte mir mein Sportsakko. »Inwiefern abgedreht, Tom?«
»Der Anrufer hat nicht gerade erstklassiges Englisch gesprochen. Wäre mir lieber, ihr verschafft euch selbst einen Eindruck. Der Leichenbeschauer ist schon vor Ort, die Gerichtsmediziner sind unterwegs. Ich habe allen gesagt, sie bräuchten sich nicht den Kopf zu zerbrechen, weil ich ihnen ja die Polizisten des Jahres schicke. Und wie du dir vorstellen kannst, hat ihnen das einen richtigen Kick gegeben.«
* * * * *
Das Cozy Cabins war ein heruntergekommenes Motel. Ein Dutzend kleiner Häuschen standen auf einem weitläufigen baumbestandenen Grundstück. In den Siebzigern mochte es mal ganz charmant gewesen sein, doch die Stadt war gewachsen, hatte sich ausgedehnt. Nun gab es in der näheren Umgebung kleine Einkaufszentren, Bars und zwielichtige Autohändler. Inzwischen vermietete das Cozy Cabins seine Unterkünfte hauptsächlich an Paare, die sich hier ein Stelldichein gaben, oder an Kunden, die ihre käuflichen Partner nicht auf den Autorücksitz, sondern an einen etwas netteren Ort einladen wollten. Ich fuhr auf die Auffahrt und sah, wie Harry in die erste Hütte ging. Im Fenster stand in Neonschrift BÜRO. Ich drückte auf die Hupe. Harry blieb im Türrahmen stehen und drehte sich um.
»Was liegt an?«, rief ich.
Harry schüttelte den Kopf, als reichten Worte in diesem Fall nicht aus, deutete auf die letzte Hütte und verschwand im Büro. Ich fuhr nach hinten zu dem Häuschen, vor dem die Fahrzeuge des Leichenbeschauers, der Gerichtsmedizin und ein Streifenwagen parkten. Officer Leighton Withrow lehnte am Kotflügel und wischte sich mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn. Ich parkte hinter Withrow und stieg aus. Die Hitze war unerträglich. Der erste Atemzug, den ich im Freien tat, zwang mich fast in die Knie.
»Was steht an, Leighton?«, japste ich.
Er deutete mit dem Kinn auf die Hütte. »Gehst besser schnell rein, Ryder. Die fangen gleich an, ›Happy Birthday‹ zu singen.«
»Happy Birthday?«
Withrow drehte sich um und nahm den Verkehr auf der Autobahn in Augenschein, als würde ihm das Freude bereiten. Ich ging zu dem etwa zwanzig Quadratmeter großen Häuschen, das einen neuen Anstrich vertragen konnte. Wayne Hembree, der Leiter der Spurensicherung, stand mit dem Rücken zu mir im Türrahmen. Hembree war ein fünfunddreißigjähriger Schwarzer, dessen Haar sich lichtete und der weniger Fleisch auf den Knochen hatte als ein Rasse-Windhund. Als er Schritte hörte, drehte er sich um. Ein trauriges Lächeln blitzte in seinem Mondgesicht auf.
»So was wie das hier verdirbt mir die Lust auf ein Candlelight Dinner«, sagte er und machte mir Platz, damit ich einen Blick in den Raum werfen konnte.
Kerzen. Dutzende von Kerzen. Auf dem Boden, auf dem wackligen Mobiliar, auf dem festgeschraubten Fernseher. Runde Kerzen, quadratische Kerzen, achteckige Kerzen, Dreiecke. Einige waren Duftkerzen, die Luft war geschwängert von einer heftigen Geruchsmischung. Die kleineren Kerzen waren heruntergebrannt, doch die großen und dicken Kerzen brannten noch und ihre hellen Flammen flackerten in dem dunklen Raum.
Etwa vier Meter hinter der Eingangstür lag auf einem roten Bettüberwurf ein nackter Frauenkörper, der mit verwelkten Blumen bedeckt war. Die riesengroßen, weißen Augen der Frau mit den winzigen, wurmartigen Pupillen quollen aus den Höhlen.
»Jesus«, flüsterte ich und überlegte, ob sich ihre Augen wohl irgendwie verflüssigt hatten. Als ich näher trat, stellte sich heraus, dass dieser abscheuliche Effekt den weißen Kerzen zuzuschreiben war, die auf ihren Lidern heruntergebrannt waren. Aus den Augenhöhlen quoll Wachs; was wie Pupillen ausgesehen hatte, waren die abgebrannten Dochte. Die Dochte starrten mich an. Ihr Mund mit dem verschmierten Lippenstift stand offen und schien Warum zu fragen.
Hembree gab die Kamera einem Techniker der Spurensicherung, forderte mich mit einem Nicken auf, ihm zu folgen, und bahnte sich durch die Kerzen einen Weg zum Leichnam. Dabei bewegte er sich so vorsichtig wie ein Mann, der barfuß über Glasscherben ging.
Ihre Hände waren auf dem Brustbein gefaltet und unter all den Rosen, Lilien und anderen mir unbekannten Blumen kaum zu erkennen. An fast allen Fingern funkelten billige Ringe. Ihre dunkelbraunen Haare waren frisch gewaschen und sie trug einen konservativen Kurzhaarschnitt, was so gar nicht zu ihrer restlichen Erscheinung passte. Versteinerten Tränen gleich hingen Wachstropfen an ihren Haaren. Wundmale schmiegten sich wie ein roter Kragen um den Frauenhals und legten die Vermutung nahe, dass sie stranguliert worden war. Weitere Hinweise oder Anzeichen, dass ein Kampf stattgefunden hatte, gab es nicht. Trotz des süßlichen Blumenduftes roch ich die Verwesung. Wenn wir wieder zu Staub werden, ist die Verwandlung alles andere als schön.
Hembree sah mich an. »Auf wie alt schätzt du sie, Carson?«
»Ende dreißig, Anfang vierzig, würde ich sagen.«
Der Techniker von der Spurensicherung drückte auf einen unsichtbaren Knopf in der Luft und ahmte den Klingelton in einer Ratesendung nach. »Bzzzt. Falsche Antwort. Versuchen Sie’s mal mit fünfzig. Minimum.« Er beugte sich über den Leichnam und tastete den Bizeps ab. »Gute physische Verfassung, der Muskeltonus gleicht das Alter aus. Jedenfalls bis vor kurzem. Wie viele fünfzigjährige Huren mit solch einem Muskeltonus laufen einem über den Weg?«
Mit Daumen und Zeigefinger formte ich eine Null. Die meisten Prostituierten erreichen die Fünfzig nicht, und falls doch, dann sahen sie aus wie achtzig. Ich kniete mich neben das Bett. Hembree gab mir die Hand der Frau. »Arbeiterhände«, fiel mir auf. Hornhaut an Handflächen und Fingern. »Arbeitet draußen. Und damit meine ich nicht, dass sie Straßen asphaltiert. Sehen Sie sich die Ringe an.«
Ich zog Metall und Glas im Wert von ein paar Dollar vom Finger des Opfers. »Aus dem Kaugummiautomaten«, meinte ich. »Wenn sie den Schmuck länger getragen hätte, wären Verfärbungen zu sehen.«
»Eigenartiges Design«, fand Hembree, während er sich die Ringe genauer ansah. »Der eine hat so eine Art Knoten, auf dem anderen ist ein Schwert. Und da drüben ein Mond.«
»Sie trägt auch einen Zehenring«, sagte ich. »Mit einem Pentagramm.«
»Satanistin? Goth?« Hembree griff hinter das Ohr des Opfers und hob eine Haarsträhne. »Carson, ich habe hier kurz vor Ihrem Eintreffen etwas gefunden, das uns vielleicht hilft, sie zu identifizieren.«
Am Halsansatz entdeckte ich ein Muttermal, ein hellroter Fleck auf der Haut, etwa so groß wie ein Zehn-Cent-Stück. Hembree schaltete eine kleine Taschenlampe ein und untersuchte die Falten im Nacken der Frau. Da waren rötliche Linien zu erkennen, die an rostfarbene Kreidestriche erinnerten.
»Schauen Sie mal, hier unten«, sagte er und richtete das Licht auf eine Armbeuge.
»Da also auch«, sagte ich. »Woher stammt die Tinte?«
»Nichts Genaues weiß man nicht. Jedenfalls bis wir das Zeug ins Labor gebracht haben.« Hembree spekulierte nicht gern und mochte es gar nicht, wenn er später eine Behauptung zurücknehmen musste. Andererseits war er ein extrem akribischer Mensch, weshalb er nur selten etwas revidieren musste. Den Ton, den er jetzt anschlug, kannte ich. Er hatte eine Vermutung.
»Los, Bree, spucken Sie es schon aus«, drängte ich und deutete spaßeshalber einen Schlag auf seinen Mini-Bizeps an. »Ich werde Sie auf nichts festnageln. Was denken Sie?«
Noch immer studierte er den Arm der Frau im Licht der Taschenlampe. »Ich denke, der perfekte Polizist des Jahres wäre nicht so eine Nervensäge.«
* * * * *
»Putzfrau findet Leiche«, erzählte Saleem Hakkam, der Manager vom Cozy Cabins, Harry gerade, als ich die Tür zu dem kleinen, verrauchten Büro öffnete. »Putzfrau kommt kreischend in Büro, ich lasse Kaffee fallen und rufe Polizei. Putzfrau kreischt weiter.«
Hakkam, der hinter einer abgeplatzten Resopaltheke stand, zog an einer Zigarette, die wie brennende Schuhputzlappen stank, und schnippte die Asche gelegentlich in eine Dr.-Pepper-Dose auf der Theke. Der beleibte Hakkam hielt die Zigarette mit drei Fingern fest, als fürchtete er, sie würde ihm entwischen.
»Können wir mit ihr reden?«, fragte Harry.
Hakkam nahm einen tiefen Zug. »Putzfrau kreischt. Springt in den Wagen und fährt weg. Kreischt noch hundert Meter weiter.« Rauchwölkchen untermauerten seine Worte.
»Wann kommt sie wieder?«
Hakkam schüttelte traurig den Kopf. »Wer so aufregt, nicht wiederkommt.«
»Wer hat das Zimmer gemietet, Mr Hakkam?«, fragte Harry. »Sind die Gäste hier gewesen und haben sich eingetragen?«
Hakkam wandte den Blick ab. Harry, der kapierte, was Sache war, stieß einen Seufzer aus. »Mr Hakkam, Sie kriegen keine Schwierigkeiten. Es sei denn, Sie lügen mich an.«
Hakkam, dem der Rauch in die Augen stieg, blinzelte argwöhnisch. »Lüge Polizei nicht an. Anruf kommen gestern Morgen, sehr früh. Will Zimmer mieten für Dienstagnacht.«
Diese Geschichte hörten wir beide nicht zum ersten Mal. »Und Sie wissen nicht, wer die Hütte gemietet hat?«
»Niemand gesehen. Gäste spät.«
»Und was war mit der Bezahlung?«, fragte Harry.
»Anrufer sagt, Geld ist im Briefkasten. Ich sehe nach. Geld da. Anrufer sagt, ich soll Tür offen lassen und Schlüssel auf den Tisch legen. Und warum nicht? Betrag stimmt.«
»Haben Sie das Fahrzeug gesehen?«
»Nein.«
»Haben Sie den Umschlag, in dem das Geld war?«
»Mit Abfall verbrannt.«
»Der Anrufer, war das ein Mann oder eine Frau?«
Hakkam schüttelte den Kopf und hob die Hand auf Stirnhöhe. »Stimme war nicht hier oben wie bei einer Frau ...« Dann senkte er die Hand auf Schritthöhe. »Und auch nicht hier unten wie bei einem Mann. Irgendwas in der Mitte.« Er zuckte mit den Achseln. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte der Anrufer oder die Anruferin die Stimme verstellt.
Harry sagte: »Wie viel Geld haben Sie erhalten, Mr Hakkam?«
»Fünfhundert Dollar.«
»Ungefähr das Zehnfache des Normalpreises. Sie dachten wohl, es handelt sich um ein Drogengeschäft, oder? Stoff?«
Hakkam senkte den Blick und nahm wieder einen tiefen Zug von der schmierigen Zigarette. In meiner Vorstellung sahen seine Lungen aus wie Schlammbeutel.
»Job ist es, Zimmer zu vermieten und sich um eigene Angelegenheiten kümmern.«
Er runzelte die Stirn, nahm einen letzten Zug und ließ die teergetränkte Kippe in die Dose fallen, wo sie zischend verglühte. Bräunlicher Rauch stieg aus der Öffnung. Das verdammte Ding wollte einfach nicht ausgehen.
Unter hohen Sumpfkiefern, deren Schatten diese Hitze nicht lindern konnten, kehrten wir zur Hütte zurück. Eine Unterhaltung wie die, die wir gerade mit Hakkam geführt hatten, war in dieser einkommensschwachen Gegend nichts Besonderes. Da die Geschäfte schlecht gingen, hatte er nur allzu gern an jemanden vermietet, der tief in die Tasche griff, damit man ihn in Ruhe ließ. Drogendealer, die ihre Ware umpackten oder verteilten, Typen aus dem Pornogeschäft, die drittklassige Filme drehten. Hakkam tat genau, was man von ihm verlangte, und hoffte darauf, dass die Gäste wiederkamen.
Als wir um die Ecke bogen und zur Vorderseite der Hütte gehen wollten, blieb Harry abrupt stehen, krallte sich von hinten meine Jacke und hielt mich fest.
»Bussarde«, sagte er und zeigte um die Ecke. »Sabbernde und geifernde Garde.«
Harry hatte die Angewohnheit, in Reimen zu sprechen, was ich manchmal als Heimsuchung empfand. Im Laufe unserer fünf Jahre währenden Freundschaft hatte ich immerhin gelernt, die Hälfte dessen, was er sagte, zu entschlüsseln. Diese Bussarde waren allerdings auch mir nicht fremd. Zur Sicherheit spähte ich noch einmal um die Ecke.
Reporter.
Da Leighton Withrow sie von der Hütte fern hielt, warteten sie in der Nähe des Eingangs. Entweder hatten sie Polizeifunk gehört, oder ein verkümmerter Instinkt lockte sie wie Maikäfer, die gegen Fliegengitter donnerten, von Tragödie zu Tragödie. Fernseh- und Radioreporter und eine Hand voll Printjournalisten hatten Lunte gerochen.
Harry nickte schwermütig. »Wie ich sehe, sind da vorn Fotze und Funt von Channel 14.«
Seinen Ausspruch kommentierte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue. Obwohl Harry nicht gerade für seine political correctness bekannt war, hielt er normalerweise nichts von abfälligen Bemerkungen. »Ähm, wer?«, fragte ich.
»DeeDee Danbury von Channel 14. Sie ist die F-Wort-Lady. Meist hat sie einen putzigen kleinen Kameramann im Schlepptau. Das ist Funt. So heißen sie jedenfalls drüben im Rathaus. Zumindest bei dem einen oder anderen.«
»Funt? Heißt der Kameramann tatsächlich so?«
Wieder spähte Harry um die Ecke. »Es gab mal eine Fernsehsendung namens Candid Camera. Die Leute steckten ihre Post in den Briefkasten und plötzlich kam da eine Hand raus und packte sie, war so ein billiger Trick. Und die ganze Zeit lief eine versteckte Kamera mit und filmte die Szene. Der Typ, der sich die Sendung ausgedacht hat, hieß Funt.«
»Der Kerl von Channel 14 versteckt sich in Briefkästen?«
»Nein, aber die beiden arbeiten so. Fo ... ich meine, Danbury bombardiert die Leute mit Fragen in der Hoffnung, sie auf diese Weise zu überrumpeln, und Funt filmt dann, wie sie verlegen aus der Wäsche gucken.«
»Woher kennst du diese Danbury so gut? Siehst du neuerdings fern?« Harry war ein waschechter Musikfan. Überall in seinem Haus stapelten sich alte Blues- und Jazzschallplatten. Erst kürzlich hatte er äußerst widerwillig angefangen, CDs zu sammeln. Das letzte Mal, dass ich Harrys alten Schwarzweißfernseher gesehen hatte, fungierte er als Türstopper.
»Sie hat mich vor drei, vier Jahren in die Pfanne gehauen. Ich hatte mich verplappert und ihr erzählt, dass der Tote ein Drogenschwergewicht war. Ich hab noch versucht, es sofort zurückzunehmen. ›Kein Problem‹, hat sie gesagt. Und dann höre ich später am Abend den Namen in den Nachrichten.«
»Und?«
»Was ich nicht wusste, war, dass die Drogenfahndung den Typen im Visier hatte und eine Lieferung aus Kolumbien verfolgte, die zu ihm unterwegs war. Als öffentlich wurde, dass der Junge abgenippelt war, sind die Schmuggler untergetaucht. Ohne den Bericht wäre die Lieferung dem FBI ins Netz gegangen.«
Ich verzog das Gesicht. »Autsch.«
»Hat nicht viel gefehlt und ich hätte fortan Verkehrskontrollen durchgeführt und Traktoren stillgelegt«, sagte Harry und spähte um die Ecke. »Ich werde noch immer stinksauer, wenn ich sie sehe. Na schön, Carson, dann mal los. Und gib Gas.«
Wir rannten im Affenzahn um die Ecke. Kaum hatten die Reporter uns im Visier, stürzten sie sich auf uns.
»Wer ist da drinnen?«
»Kein Kommentar.«
»War es ein Raubüberfall?«
»Kein Kommentar.«
»Schon eine Ahnung, was das Motiv war?«
»Kein Kommentar.«
Mit eingezogenen Köpfen nahmen wir den Spießrutenlauf auf uns. Blickkontakt übte auf Reporter dieselbe Wirkung aus wie Blut auf Haie. Fragen zu beantworten war eh nicht unser Bier. Die Abteilung hatte Pressesprecher, deren Aufgabe es war, am laufenden Meter irgendwelchen Mist zu erfinden. Wir hatten alle Hände voll zu tun, uns mit der Wahrheit herumzuschlagen.
»Ist das ein PSET-Fall, Detective Ryder? Ist das der Grund, weshalb Sie und Detective Nautilus hier sind?«
Die letzte Frage überraschte mich. Ich drehte mich zu dem runden, mit Schaumstoff bezogenen Mikrofon um, das einen halben Meter weiter in der Luft schwebte. Dahinter stand DeeDee Danbury, die Reporterin von Channel 14. Die riesigen, grauen Augen waren der Blickfang in ihrem länglichen, aber durchaus ansprechenden Gesicht, das von aschblonden Haaren eingerahmt wurde.
»Um Himmels willen, sag nein«, flüsterte Harry.
»Nein«, plapperte ich wie ein Papagei nach.
Sie hob eine Augenbraue. »Aber sind Sie beide hier nicht außerhalb des Verantwortungsbereichs Ihres Reviers?«
Harry schob mich in die Hütte. Hembree schaute zu, wie die Jungs von der Spurensicherung die Kerzen aus den Augen der Frau fischten. Er hielt eine durchsichtige Plastiktüte mit mehreren roten Partikeln hoch. »Hab ich in den Haaren des Opfers gefunden. Gleicht der Substanz am Hals und in den Armbeugen. War auch unter ihren Fingernägeln und im Bauchnabel zu finden.«
Hembree hatte heute einen eigenartigen Tonfall drauf. Ich schaute mich um, doch außer mir und Harry war niemand in Hörweite. »Kommen Sie, Bree, keiner kriegt was mit. Was geht Ihnen durch den Kopf?«
»Zombies«, flüsterte er mit einem rätselhaften Lächeln auf den Lippen.