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KAPITEL 5

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In den Carports von Terri Losidors Wohnanlage parkten einige protzige Cabrios sowie weitere Jungmanagerkarossen. Das Gelände war mit Myrten, kleinen Palmen und Azaleen gesprenkelt, hier und da stand eine mächtige Kiefer. An einem Pool räkelten sich einige sonnengebräunte Körper. Kein Kind war in Sichtweite.

»Vom Trailerpark in die Yuppie-Singleoase«, sagte Harry. »Eine wahrhaft darwinistische Reise.«

Terri öffnete die Tür, ohne sie mit einer Kette abzusichern oder nach unseren Dienstausweisen zu fragen; entweder vertraute oder erwartete sie uns. Sie hatte ein breites, schlichtes Gesicht und grüne Augen, die ständig auf der Hut waren. Ihr leichtes Übergewicht trug sie mit Fassung, sie bewegte sich geschmeidig und bot uns Platz auf einem orangefarbenen Knautschsofa an, während sie sich eine Zigarette anzündete und sich uns gegenübersetzte. Per Fernbedienung brachte sie eine dieser Sendungen im Fernseher zum Verstummen, die Harry »Chromosomendefektshows« nannte. Trotz ihrer äußerlichen Ruhe bemerkte ich eine unterschwellige Nervosität, die bei einem Besuch der Polizei allerdings nicht überraschend war. Ihre Wohnung war aufgeräumt, mit nicht besonders teuren, aber zusammenpassenden Möbeln eingerichtet und roch unter dem Zigarettenrauch nach künstlichem Zitronenduft und einer kürzlichen Dusche. Und irgendwo musste es ein Katzenklo geben.

Sie sagte: »Es geht um Jerrold, nicht wahr?«

Harry nickte und Terri Losidor nahm ein Kissen und presste es vor ihre Brust. Harry begann mit einfachen Fragen, damit sie sich an das Antworten gewöhnen konnte. Sie war dreiunddreißig Jahre alt und arbeitete in der Buchhaltung einer lokalen Speditionsfirma. In den Bayou Verde Apartments wohnte sie seit drei Jahren. Haustiere waren kein Problem, aber Kinder waren nicht erlaubt. Sie verbrauchten zu viel Chlor im Pool. Das alles erzählte sie mit einem näselnden Tonfall, über den sich die Fahrer ihrer Firma mit Sicherheit lustig machten.

Harry kam auf Nelson zu sprechen. Während er behutsam ihre Erinnerungen wachrief, saß ich schweigend da und ermittelte mit der einjährigen Erfahrung eines Detective Katzenhaare auf dem Sofa. Lange, weiße Haare.

»Wie gut kannten Sie Mr Nelson?«, fragte Harry. »Ich meine seine Vergangenheit, seine Freunde, seine Familie, seine Hobbys und so weiter.«

»Diese Dinge waren für Jerrold und mich nicht wichtig, Detective Nautilus. Es gab nur uns und das, was wir gemeinsam hatten. Mehr musste ich nicht wissen.«

»Mussten Sie nicht mehr wissen oder wollte Jerrold Ihnen nicht mehr erzählen?« Harry lockerte seine Krawatte, streckte seinen Hals und entspannte sich. Seine Arbeitsmethode war genau andersherum als die der meisten Cops: Er beugte sich vor, um Wattebälle zu werfen, und lehnte sich zurück, wenn er Giftpfeile aussandte oder nachbohrte.

Losidor schaute weg. »Ich habe ein paarmal gefragt. Er meinte, er will über diese Dinge nicht sprechen. Es wäre zu schmerzhaft.«

»Wenn Sie seine Freunde nicht kannten, dann kannten Sie wahrscheinlich auch nicht seine Feinde.«

»Jerrold hatte keine Feinde. Er war so ... so freundlich. Er hat immer gelacht und Späße gemacht.« Ein trauriges Lächeln. »Eine meiner Freundinnen hat mal gesagt, ›Terri‹, hat sie gesagt, ›dieser Jerrold ist so lustig, da tut mir der Bauch weh vor lauter Lachen.‹ Niemand konnte böse auf Jerrold sein, Detective Nautilus.«

Harry verschränkte seine Hände hinter dem Kopf und lehnte sich noch weiter zurück. »Im Mai waren Sie böse genug, um ihm mit Gefängnis zu drohen. An die elftausend Dollar sind von Ihrer Tasche in seine gewandert.«

Losidor schloss ihre Augen, seufzte und öffnete sie wieder. »Verstehen Sie, er hat mir erzählt, er hätte die einmalige Chance, in ein Geschäft einzusteigen – man würde nur vierzehntausend Dollar brauchen und mindestens siebzigtausend im Jahr verdienen. Ich hatte nur elftausend, aber Jerry meinte, es würde trotzdem funktionieren.«

»Welche Sorte Geschäft?«

Aus einem anderen Zimmer der Wohnung war ein Klappern zu hören, als wäre etwas zu Boden gefallen. Terry sprang hoch.

Harry richtete sich misstrauisch auf. »Sind wir hier allein?«

»Ja, ja. Nur wir«, sagte Losidor und griff nach einer Zigarette. »Das ist Mr Puff, mein Kater. Er ist ein bisschen tollpatschig und stößt ständig Sachen von den Fensterbänken und Regalen.«

Harry und ich horchten eine Weile. Nichts. Harry ließ sich wieder in das Sofa fallen.

»Für welche Art von Geschäft wollte Jerrold Ihr Geld haben?«

»Hatte irgendwas mit Computern zu tun und wie man sie verkoppeln kann. Er hat mir erklärt, dass es in manchen Büros die eine Sorte Computer gibt und in manchen eine andere Sorte und die Computer sich untereinander nicht verstehen können. Ein Freund von ihm hatte etwas erfunden, mit dem man sie besser koordinieren kann. Härte sich irgendwie plausibel an, in meinem Büro haben wir auch immer diese Probleme mit den Computern.«

»Haben Sie seinen Freund kennen gelernt? Oder seinen Namen erfahren?«

»Ich habe Jerry einfach vertraut, wissen Sie.«

Harry war zwei Jahre im Betrugsdezernat gewesen, daher war ihm dieses Thema nicht fremd. »Nachdem Sie Jerrold das Geld gegeben haben, kam er nicht mehr so oft vorbei, richtig?«

»Ich weiß nicht ... er war beschäftigt ...« Sie senkte ihren Blick auf den Teppich. »Ja.«

»Und dann ging das Geschäft schief.«

Terri seufzte. »Er hat gesagt, eine andere Firma wäre mit der gleichen Sache schon früher auf den Markt gekommen. Intel. Ich habe den Mann, der in unserem Büro die Computer wartet, danach gefragt. Er hatte nie davon gehört, dass Intel so etwas verkauft, die machen ganz andere Dinge. Da habe ich ihn angezeigt.« Terri schniefte und zog ein rosa Tuch aus ihrer Tasche, mit dem sie ihre Augen tupfte.

»Aber eine Woche später haben Sie die Anzeige zurückgezogen.«

»Er hat mir schließlich die Wahrheit erzählt«, sagte Terri schniefend.

»Und die lautete?«

»Er brauchte das Geld, um Anteile an einer Lieferung Kokain zu kaufen, die ins County geflogen wurde – das ist wie ein Aktiengeschäft. Man kauft Anteile. Jerry hatte es mir nicht erzählt, weil er wusste, dass ich es nie gutheißen würde. Und er ist nicht mehr gekommen, weil er sich schämte.«

»Ein ... Aktiengeschäft?«

»Erinnern Sie sich an das kleine Flugzeug, das in der Nähe von Saraland abgestürzt ist? Das war das Flugzeug – das ganze Kokain ist verbrannt und wir haben unser Geld verloren.«

Ich erinnerte mich an den Unfall: Ein Mercedeshändler in einer Cessna 180 hatte sich um eine halbe Gallone mit seinem Sprit verrechnet und war in die Bäume gestürzt. Drogen waren dabei nicht im Spiel gewesen. Entweder war Nelson ein Weltklasselügner oder Losidor war die geborene Weihnachtsgans, die immer wieder ausgenommen wurde. Oder beides.

Es sei denn, Terri tischte uns eine Lügengeschichte auf.

»Eine Frage noch, Miss Losidor«, sagte Harry. »Wie haben Sie und Nelson sich kennen gelernt?«

Sie hielt einen Moment inne. »I m Game Club, am Flughafen.«

Der Game Club ist eine Bar für Singles, die im Stile der Fuchsjagd eingerichtet ist: Signalhörner und englische Sättel an den Wänden, Kellner in Livreen und mit Melonen. Ich musste an eine Reihe verwirrter Tage denken, die im Game Club begonnen hatten. Aber das war Monate, bevor ich vernünftig geworden war.

Harry bemerkte ihr Zögern. »Sind Sie sicher?«

»Ich vergesse immer den Namen der Bar.«

»Wer hat die Initiative zu dem Kontakt ergriffen?«

»Wer hat was?«

»Wer hat wen angesprochen?«

»Ich war mit ein paar Freundinnen dort. Jerry stand an der Theke. Ich habe zu ihm rübergeschaut und er hat gezwinkert.«

Harry beendete seine Befragung, und wir standen auf, um zu gehen. Sie folgte uns zur Tür. »Vor der Sache mit dem Geld standen wir uns sehr nahe«, erklärte sie und tupfte eine Träne mit dem Taschentuch ab. »Wir waren verliebt. Je-Jerrold hat gesagt, bei mir würde er sich fühlen, wie er sich noch nie gefühlt hatte.«

Flüchtige Bilder zogen an meinem inneren Auge vorbei: Nelson auf Terri Losidor, ackernd, als würde er ein Feld umpflügen, während sie glaubt, ihren Liebhaber in schwindelerregende Dimensionen der Potenz zu treiben. Nelson ist von allem gelangweilt, außer der Chance auf Geld. Er pumpt sich müde, um sich dann, vom Fliegen träumend, freudlos zu entleeren und schließlich auf einer schweißgetränkten Matratze einzuschlafen, die zu riechen beginnt.

Wir wendeten gerade am anderen Ende des Parkplatzes, als Harry auf die Bremse trat.

»Sieh mal da, Carson«, sagte er und zeigte auf eine Katze, die an Terri Losidors Tür kratzte, eine flauschige Katze mit langem, weißem Fell und einem rosa Halsband. Die Tür öffnete sich einen Spalt, die Katze schlug mit ihrem Schwanz und trabte dann flink in die Wohnung.

Ich schaute Harry an. »Mr Puff, nehme ich an.«

»Und welches tollpatschige Vieh ist auf ihr Fensterbrett gesprungen?«, fragte er.

Harry ließ mich am Präsidium raus. Später wollten wir uns im Flanagan’s zu Futter und Brainstorming treffen. Er fuhr weiter, um Kopien von einigen den Fall betreffenden Befragungen einzusammeln, und ich machte mich auf den Weg in die Gerichtsmedizin, um nachzusehen, ob der vorläufige Bericht fertig war.

Der Bericht lag auf dem Empfangstisch, ein paar Seiten, auf denen die grundlegenden und inoffiziellen Ergebnisse aufgeführt waren. Zu diesem Zeitpunkt erwartete ich noch keine Offenbarungen. Da ich schon einmal dort gewesen war, dachte ich mir, ich könnte Clairs Tag aufheitern, indem ich sie störte. Außerdem fragte ich mich, ob die chronisch mürrische Dr. Davanelle gepetzt und Clair vielleicht erzählt hatte, dass ich bei der Autopsie wie ein Auktionator gequasselt und schmutzige Seemannslieder gesungen hatte. Selbst Clair Peltier, die Hohepriesterin der Disziplin, erlaubte kleine, unverfängliche Gespräche bei einer Autopsie.

Ich ging durch den breiten Flur zu Clairs Büro. Die Tür war nur angelehnt und ich konnte sie sprechen hören. Ich wollte meinen Kopf durch die Tür stecken und Hallo sagen, aber als ich den Ton ihrer Stimme vernahm, erstarrte meine Hand.

»Das ist lächerlich und völlig inakzeptabel«, sagte sie gerade. Ihre Worte waren scharf wie Dornen, jede einzelne Silbe vergiftet. »Ich kann Ihre Schrift auf diesen Berichten nicht einmal lesen. Das sieht ja aus, als hätte es ein Schimpanse hingekritzelt.«

Ich hörte eine leise Entgegnung, hingehauchte Entschuldigungen.

Clair sagte: »Nein! Es interessiert mich nicht, wie wenig Zeit Sie dafür hatten. In meiner ersten Anstellung musste ich drei Autopsien pro Tag durchführen und hatte trotzdem genug Zeit, um meine Berichte leserlich zu verfassen.«

Eine weitere gedämpfte Reaktion.

»Mit Ihren Entschuldigungen wird es auch nicht besser. Diese Arbeit ist einfach inakzeptabel. Ich möchte endlich Fortschritte sehen.«

Ich fühlte mich immer unbehaglich, wenn ich Zeuge war, wie jemand heruntergeputzt wurde; zu viele Kindheitserinnerungen kamen dabei hoch. Ich litt, als wären die Worte für mich bestimmt. Während ich mich langsam von der Tür entfernte, fuhr Clairs Stimme fort.

»Und dann ist da die Sache mit den Fehltagen wegen Krankheit. Wie viel wollen Sie dieses Jahr noch nehmen? Sechs? Acht? Zwei Dutzend? Ein unglaublich rücksichtsloses Verhalten. Wenn Sie nicht hier sind – oder wenn Sie zu spät kommen, was scheinbar meistens passiert –, wirft das meinen Zeitplan völlig über den Haufen. Nein, ich will keine faulen Ausreden mehr hören, ich möchte nur, dass Sie ...«

Ich hörte die Abweisung in Clairs Stimme. Von innen näherten sich Schritte der Tür. Ich schlich ein paar Meter den Flur hinab. Das einzige Versteck war Willet Lindys Büro, das Licht war ausgeschaltet, und ich mutmaßte, dass er schon Feierabend gemacht hatte. Häufig kam er morgens bereits um sechs Uhr und ging nachmittags gegen drei. Ich stürzte in das Büro.

Zum Flur hinaus hatte Lindys Büro ein breites Fenster, die Jalousien waren zu drei Vierteln geöffnet. Ich drückte mich an die Wand und hörte, wie Schritte näher kamen. Dann sah ich Ava Davanelle vor dem Fenster stehen bleiben und sich mit zitternden Händen Tränen aus den Augen reiben. Ihr Gesicht war grau. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß wurden, und hielt sie an ihre Schläfen. Ihr Körper begann zu beben, als würde ihre Seele mit einer glühenden Kneifzange traktiert werden. Starr vor Entsetzen angesichts der Tiefe ihres Schmerzes beobachtete ich sie. Sie zitterte am ganzen Leib, bis sich ein heftiger Schluchzer aus ihrer Kehle löste und sie an ihren Bauch fasste und auf die Damentoilette lief.

Die Tür schlug zu wie ein knallender Schuss.

Ava Davanelles Leid ließ mich atemlos zurück. Ein paar Herzschläge lang starrte ich in den leeren Flur, als hätte der Schmerz die Luft verfärbt und ich könnte die Intensität der Farben nicht glauben. Außer Atem verließ ich mein Versteck, flüchtete in Richtung Haupteingang und ging an Clairs halb geöffneter Tür vorbei.

»Ryder? Sind Sie das?«, rief sie. Ich drehte mich um, setzte eine nonchalante Miene auf und steckte meinen Kopf durch ihre Tür, wie ich es in der Vergangenheit schon ein Dutzend Mal getan hatte.

»Was machen Sie denn hier?«, fragte sie. Es lag keine Bosheit in ihrer Stimme, nur ihr üblicher, keinen Unsinn duldender Ton. Ich lächelte verlegen und hielt den Bericht hoch.

Sie nickte. »Die vorläufigen Ergebnisse. Ich vergaß. Manchmal gibt es Tage ...« Clair hielt inne und überlegte. »War das Ihre erste Autopsie mit Dr. Davanelle?«

Ich nickte. »Meine Jungfernfahrt.«

Sie setzte ihre an einer Kordel hängende Lesebrille auf, schielte in eine Akte auf ihrem Schreibtisch und runzelte über irgendeine falsche Information die Stirn. »Davanelle ist gut«, sagte Clair und nickte gedankenverloren. »Es gibt ein paar Dinge, die besser werden müssen. Aber sie kennt sich auf ihrem Gebiet aus. Schönen Tag noch, Ryder. Sehen Sie zu, dass Sie Ärger vermeiden.«

Einer von Hundert

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