Читать книгу Einer von Hundert - Jack Kerley - Страница 15

KAPITEL 8

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»Koordiniert Piss-it jetzt den Fall oder nicht?«, fragte ich Lieutenant Tom Mason, als er am nächsten Morgen um 7:30 Uhr ins Präsidium kam. »Wir haben zwei kopflose Leichen. Wollen wir warten, bis der Seelenklempner des Mörders anruft? ,Ja, Cutter ist ein Irrer, Ihr ergebener Dr. Igor Hassenpfeffer.«‹

Ich setzte mich schwerfällig auf meinen Schreibtisch und warf einen Becher mit Stiften um.

»Hassenpfeffer? Ist das ein echter Name?«, fragte Tom und bückte sich, um die Stifte vom Boden aufzuheben. Tom ist der Leiter der Abteilung Tötungsdelikte und unsere wichtigste Verteidigungslinie gegen die hohen Tiere. Er ist ein spargeldürrer Fünfzigjähriger mit einem Gesicht wie ein selbstmordgefährdeter Bluthund und völlig frei von Niedertracht. Mir war gerade die Konfrontation der vergangenen Nacht noch einmal durch den Kopf gegangen, als Tom auftauchte. Kurz danach kam Harry, der soeben von einem Gerichtstermin zurückgekehrt war und sich nun aus seinem mönchischen Jackett pellte.

»Hör dir das an«, sagte ich, nahm die überarbeiteten Polizeirichtlinien von meinem Tisch und deklamierte die Passage über PSET mit dem Eifer eines Strafverteidigers.

Tom nickte. »Habe ich heute Morgen schon gelesen.«

»Ist das nur ein Witz oder ist das ernst gemeint?«

Harry nahm mit einem Becher Kaffee Platz und schenkte mir seinen nachsichtigen Blick. Tom sagte: »Harry, erinnerst du dich an diesen verrotteten alten Kahn, den die Wasserschutzpolizei früher hatte? Dieses schrottreife Boot?« Tom brauchte eine Ewigkeit für den Satz. Er war auf einer Wassermelonenfarm nahe der Grenze zu Mississippi aufgewachsen, im tiefsten Hinterland, wo die Einheimischen in etwa so schnell redeten, wie die Melonen wuchsen. Wenn Tom noch langsamer sprechen würde, würde er rückwärts reden.

Harry nickte. »Der lecke Pott mit der kaputten Pumpe im Kielraum.«

Tom stellte seinen Fuß auf einen Stuhl und verschränkte die Arme über dem Knie. »Carson, ’99 oder so hat man uns ein brandneues Boot von der Mabry-Werft gestiftet. Acht Meter lang. Hundertfünfzig-PS-Motor. Stabil wie Granit. Sogar mit Schwimmwesten ausgerüstet.«

Ich saß angespannt und ungeduldig da. Tom brauchte schon mindestens fünf Minuten, um einem Gesundheit zu wünschen, wenn man geniest hatte.

»Dann kam der Tag, an dem das Boot geweiht werden sollte, du weißt schon, Carson, die Schiffstaufe. Ein großes Theater. Die Politiker wurden eingeladen, die Medienfritzen. Nur dem Kaplan hatte keiner Bescheid gesagt. Die Kapelle spielte, die Politiker schwangen ihre Reden. Die Leute standen da und glotzten. Aber keine Taufe.«

Meine Aufmerksamkeit begann abzuschweifen. Harry gab mir einen Stups und zeigte auf Tom: Zuhören!

»In der darauf folgenden Nacht schippert irgend so ein Drogenkurier sein Unkraut durch den Nebel und rammt nördlich vom Damm einen Baumstamm. Regen. Schwere See. Riesige Wellen in der Bucht. Aber wir mussten die Drogenpakete aus dem Wasser fischen, bevor die Strömung sie wegtrieb. Weißt du, mit welchem Boot die Jungs rausgefahren sind?«

Harry stieß mich an und sagte: »Sie haben das alte Boot genommen, weil das neue noch nicht getauft worden war, Carson. Solange es noch nicht durch eine höhere Macht gesegnet war, wollten sie ihm ihre Ärsche nicht anvertrauen. PSET ist ernst gemeint, aber es ist im Grunde brandneu. Niemand will der Einheit vertrauen, solange sie nicht gesegnet worden ist.«

»Und wann erfahren wir, ob wir diese Weihen empfangen werden?«, fragte ich.

»Das könnte schnell gehen«, antwortete Tom und klopfte auf das Glas seiner Armbanduhr. »Der Chief hat in zwanzig Minuten eine Besprechung angesetzt.«

Drei Worte kamen mir in den Sinn, wenn ich an Chief Hyrum dachte: Einhaltung des Dienstweges. Wenn ich in seiner Anwesenheit an einem Gummiball ersticken sollte, würde er in sein Büro gehen und einen seiner Stellvertreter anrufen. Der würde den Leiter der allgemeinen Kriminalabteilung informieren, der seinerseits den Dienst habenden Captain in Alarmbereitschaft versetzen würde. Der Captain würde sich an den Lieutenant der Abteilung Tötungsdelikte wenden, der einen Sergeant der Mordkommission losschicken würde, um meine Leiche zu bergen.

Die bürokratische Struktur war sein Schutz vor der Realität. Oder, freundlicher ausgedrückt, vor dem Treffen von Entscheidungen. Er war vor drei Jahren auf den Chefposten gehievt worden, als der damalige Polizeichef einen Herzinfarkt erlitten hatte und in den Ruhestand gegangen war. Hyrum hatte sich bei der Umstrukturierung der Mobiler Polizei mehrere gut gemeinte Fehlgriffe geleistet, die fast alle in der Öffentlichkeit zu negativer Presse und intern zu allgemeinen Bauchschmerzen geführt hatten. Durch diese Erfahrung vorsichtig geworden, hielt sich der Chief nun streng an die Vorschriften und neigte zum bewährten Gang der Dinge. Jüngsten Experimenten – wie beispielsweise PSET – begegnete er wie ein Blinder, der sich dem Klang einer unbekannten Maschine näherte.

Wir waren ein paar Minuten zu früh im Konferenzraum. Ich trank eine Tasse Kaffee, schenkte mir dann eine zweite ein und nahm Platz, während die anderen hereinmarschierten. Angeführt von Chief Hyrum trat ein unglaubliches Aufgebot von Dienstgraden an. Unter ihm war Deputy Chief Belvidere, und da Belvidere an der Versammlung teilnahm, war auch DC Plackett anwesend. Auf der nächsten Stufe standen Blasingame vom dritten Distrikt, Cantwell vom zweiten sowie Tom Mason. Dann folgten die Leute von den Distrikten, in denen die Morde stattgefunden hatten: Rose Blankenship vom zweiten und Sammy Walters vom dritten.

Der Chief und Squill waren in ein Gespräch vertieft, als sie eintraten, und Squill klopfte dem Chief auf die Schulter. Hyrum war fünfundfünfzig Jahre alt, ungefähr einen Meter achtzig groß und erweckte einen redlichen Eindruck, auch wenn sich sein Bauch etwas über den Gürtel wölbte. Nachdem er Platz genommen hatte, wurde es still im Raum, dann schaute er in die Runde der erwartungsvollen Gesichter.

Bei meinem hielt er an.

»Ich habe gehört, es hat gestern Nacht ein kleines Missverständnis gegeben, Detective Ryder. Würden Sie uns Ihre Version der Geschichte erzählen? Jetzt haben Sie die Gelegenheit dazu.«

Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen. »Was erzählen, Sir?«

Squill räusperte sich. »Chief, manchmal werden Fehler gemacht und man muss sich entschuldigen.«

Hyrum sagte: »Das kann ich akzeptieren, Captain.«

Alle starrten mich an. Ich kam mir vor wie der Hauptdarsteller in einem Stück, das abgesetzt wurde, bevor ich die Gelegenheit bekam, den Text zu lesen. Squill war vor dem Treffen beim Chief gewesen und hatte mich wegen des Vorfalls gestern Nacht angeschwärzt. Und ich sollte mich offensichtlich bei Squill entschuldigen.

»Was geht hier vor?«, wollte ich wissen.

Hyrum sagte: »Ich würde sagen, lassen wir die Vergangenheit ruhen, Detective. Am besten vergisst man die Fehler und ...«

Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Kaffee spritzte von den Tassen auf den Tisch. Allgemeines Gemurre.

»Nein, verdammt noch mal. Ich möchte wissen, was Ihnen über letzte Nacht erzählt worden ist.«

Neben mir stöhnte Harry so leise, dass nur ich ihn hören konnte. Während Chief Hyrum verschütteten Kaffee mit seiner Serviette aufwischte, warf er mir, um Beherrschung bemüht, einen finsteren Blick zu. »Captain Squill hat mir gesagt, dass Sie und Detective Nautilus die Ermittlungen am Tatort in ausgezeichneter Weise unter PSET-Direktive aufgenommen hätten, während der Captain fälschlicherweise das Kommando unter den Standardrichtlinien übernommen und damit zu einer gewissen Verwirrung beigetragen habe.«

Harry stöhnte erneut. Hyrum fuhr fort. »Captain Squill hat mir auch gesagt ...«

»Dass ich meine Fehler zutiefst bedauere«, warf Squill mit dem sanften Ton eines Bestattungsunternehmers ein. »I ch versichere allen in diesem Raum und besonders Detective Ryder, dass ich seither die Richtlinien gelesen habe. Zweimal. Nein, dreimal.«

Bei Squills Selbstherabsetzung konnten sich manche einen Lacher nicht verkneifen. Er machte einen auf mea culpa und ich machte mich zum Arschloch. Ich hatte von ihm erwartet, die Vorfälle der letzten Nacht zu verdrehen, und jetzt überrumpelte er mich damit, die Wahrheit zu erzählen.

»Können wir fortfahren, Detective Ryder?«, fragte Hyrum und warf mir erneut einen bösen Blick zu.

Ich nickte. Bitte. Schnell. Ich schaute verstohlen zu Squill hinüber; er strich über sein Kinn und lächelte aus dem Fenster. Der Chief wandte sich an Harry. »Sie waren an beiden Tatorten, Detective Nautilus. Was ist Ihre Meinung?«

»Ich war vor allem damit beschäftigt, die Schaulustigen zu befragen, Chief, deswegen würde ich mich an Ihrer Stelle an Detective Ryder halten.«

Das war Harrys Art, mich wieder in den Sattel zu heben. Angemessen nüchtern und ohne einen Tropfen Kaffee zu verschütten, hakte ich eine Liste von Fakten ab.

»Kaltblütig«, sagte Rose Blankenship, nachdem ich fertig war. »Irgendeine Idee, was die Botschaften bedeuten?«

Ich fuhr mit einer schnellen Zusammenfassung der Erklärungsversuche fort, die Harry und ich durchgespielt hatten: Anagramme, astrologische Zeichen, mythische Symbole, wesentliche Buchstabenkodes. Nichts von alledem schien zu passen, es blieb nur das Gefühl, dass sich der Mörder sicher fühlte und die Situation zu kontrollieren glaubte.

»Setzen Sie doch mal die einzelnen Ereignisse zusammen, die Ihrer Meinung nach zu dem Mord geführt haben, Detective Ryder«, bat der Chief.

Ich nickte und legte meine Rekonstruktion der zeitlichen Abläufe dar, wobei ich versuchte, so professionell und überzeugt zu klingen wie ein Nachrichtensprecher. »Der Täter erschien zu einem Termin um 20 Uhr, der meines Erachtens telefonisch vereinbart worden war. Er überwältigte Mr Deschamps und tötete ihn. Auf welche Weise der Mord ausgeführt worden ist, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig festgestellt werden. Mittels eines äußerst scharfen Werkzeuges enthauptete er Mr Deschamps, ein Prozess, der, wie mir die Gerichtmediziner gesagt haben, weniger als eine Minute in Anspruch nehmen kann. Vor der Enthauptung verbrachte der Täter ungefähr zehn Minuten damit, seine Botschaft auf die Leiche zu schreiben, und zwar mithilfe ...«

Squill schaltete sich ein. »Vor der Enthauptung? Sind Sie sicher?« Er brachte Redner gerne mit wahllos eingestreuten Fragen aus dem Konzept. Hatte der Redner allerdings einen höheren Rang inne als Squill, lauschte er verzückt und schweigend jedem Wort.

Ich versuchte, mir meine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. »Die Gerichtsmediziner haben entdeckt, dass die Schreibnadel die Kapillaren an mehreren Stellen durchstochen hat. Die geringe Hämorrhagie lässt auf Herzstillstand schließen.«

»Sie sagten, das Schreiben der Botschaft dauerte zehn Minuten. Wie kommen Sie auf diesen Wert? Durch die Gerichtsmedizin?«

»Nicht ganz, Captain. Durch ein unabhängiges Experiment sozusagen, eine Art ...«

Squill nickte triumphierend, als hätte er mich bei einer dreisten Lüge ertappt. Aus Harrys Richtung hörte ich ein weiteres leises Stöhnen. »Detective Ryder, mir ist klar, dass wir hier noch ins Blaue hinein spekulieren, aber wir bemessen Taten erst nach einem qualifizierten Urteil der Gerichtsmedizin mit exakten Zeitangaben.«

»Ich glaube, meine Bemessung der Zeitangabe ist qualifiziert, Sir«, sagte ich. »Auf jeden Fall ist sie empirisch belegt.« Ich hatte noch keine Zeit gehabt, Harry zu unterrichten, weil er im Gericht war.

Chief Hyrum runzelte die Stirn. »W ovon sprechen Sie, Detective Ryder?«

»Wie ich schon sagte, es ist eine Art Experiment, Chief.«

»Klären Sie uns bitte auf.«

Ich stand auf und ließ meine Hose herunter.

Harry klang, als wäre gerade sein Blinddarm geplatzt.

Einer von Hundert

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