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Das Gefühl in meinem Herzen

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In meinem letzten Buch Keine Macht den Psychopathen beschrieb ich am Ende ein „beklemmendes Gefühl in meinem Herzen“. Es war nicht unangenehm oder stechend, nur ein Empfinden permanenter Gefühllosigkeit und Enge. Es begann unmittelbar nach dem Ende meiner ersten Beziehung und ich spürte es fünf Jahre in Folge. Den ganzen Tag lang, jeden Tag, von dem Moment an, in dem ich aufwachte, bis zu dem Moment, in dem ich einschlief.

Weder Therapie noch Medikamente halfen dagegen. Ich ließ nichts unversucht: Gesprächstherapie, kognitive Verhaltenstherapie (KVT), Hypnose, gelenkte Augenbewegungen (EMDR), Antidepressiva, Benzodiazepine, Sport, Kardiologen, tiefe Atmung, Akupunktur, Schilddrüsentests, Endokrinologie, spezielle Ernährung, Vitamine, Kräuter, Gentests, Verzicht auf Kaffee und Alkohol. Ich versuchte, mir das Gefühl als einen kleinen Jungen vorzustellen und bat ihn, mich nicht so fest zu umarmen. Manchmal erlebte ich kurze Erregungsepisoden und es zeigten sich Funken der Hoffnung, aber nichts dauerte an.

Es nervte mich wirklich, dass ich das Gefühl nicht begreifen konnte. Meine erste Beziehung hatte ich längst hinter mir gelassen, wo also lag das Problem? Es gefiel mir gar nicht, dass meine erste romantische Liebesbeziehung einen bleibenden Schaden hinterlassen sollte. Deshalb strengte ich mich besonders an, unbeschädigt zu wirken. Ich bestand meine Hochschulkurse mit Bravour, fand einen guten Job, erstellte eine Website, gründete eine gemeinnützige Organisation und veröffentlichte mein erstes Buch.

Das Gefühl blieb.

Ich stürzte mich in meine Arbeit und die Website. Ich schrieb zwei weitere Bücher. Ich wachte jeden Morgen um sechs Uhr auf, um voller Energie und Enthusiasmus zu schreiben und mich der Welt zu beweisen. Ich nahm Verabredungen wahr und gab im Zuge dessen eine Auflistung meiner Erfolge als bescheidene Beschreibung meiner Person zum Besten. Wenn mir andere zu meinem Erfolg gratulierten, errötete ich und empfand ein Gefühl der Anerkennung. Auf diese Weise brachte ich eine Menge anderer Dinge zustande. Wie besessen überarbeitete ich monatelang die gesamte Website meiner Organisation und passte sie an die Bedürfnisse der Mitglieder und Angestellten an. Als die Änderungen freigeschaltet waren, erhielt ich von allen Seiten positive Rückmeldungen. Ich empfand dies als ein Zeichen der Anerkennung, doch die Freude hielt nicht lange an.

Das Gefühl blieb.

Ich verbrachte zunehmend mehr Zeit mit mir selbst und zog mich absichtlich in die Isolation zurück, um mich ganz meiner Fantasie hinzugeben. Während des Sommers verbrachte ich fast jeden Abend am Wasser, trank alleine meinen Wein, beobachtete den Sonnenuntergang und machte mir Gedanken über mein neues Buch. Ich stellte mir die Charaktere vor und plante Handlungsabläufe, woraus sich immer großartigere Fantasien entwickelten. Ich sah mich einen entscheidenden Kampf ausfechten zwischen bösen Menschen (Psychopathen) und guten Menschen (solche wie ich natürlich). Ich stellte mir vor, wie eines Tages ein perfekter Partner auftauchen würde, um mich zu retten und zu lieben.

Das Gefühl blieb.

Mach dir keine Sorgen, sagten die Leute, die Zeit heilt alle Wunden. Doch das passierte eindeutig nicht. Tatsächlich wurde es, gemessen an den Standards eines gesunden Menschen, sogar noch weitaus schlimmer. Aber ich bemerkte das nicht. Ich war zu beschäftigt damit zu beweisen, dass ich glücklich war. Mein Therapeut diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sowie eine vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung (SUP), doch ich maß dem keine Bedeutung bei. Ich war völlig in Ordnung, bis auf dieses Gefühl in meinem Herzen. Ich hatte meine erste Beziehung bereits analysiert und alles begriffen. Das Problem lag außen, nicht innen.

Dann trat die Hypervigilanz in Erscheinung. Auf den Straßen nahm ich wahr, wenn Menschen zu dicht hinter mir liefen. Selbst wenn sie weit genug entfernt waren, blieb ich stehen und ging beiseite, damit sie an mir vorbeigehen konnten. Im Supermarkt hatte ich das Gefühl, die Welt stürzte auf mich ein. Warum musste jeder mit seinem blöden Einkaufswagen in meinem Weg stehen? Und erst die Polizeisirenen – mussten die so laut sein? Warum konnte sich nicht einfach jeder in Luft auflösen und mich meiner Fantasie überlassen?

Es folgten Ängste und Depressionen. Schlaflosigkeit riss mich früh am Morgen aus wiederholten Albträumen von einem maskierten Mann, der Jagd auf mich machte. Schon bald konnte ich nicht einmal mehr richtig atmen. Meine Fantasie wurde geflutet von meinen schlimmsten Ängsten, einem unnachgiebigen Trommelfeuer erschreckender Gedanken und Bilder.

Ich erinnere mich, wie ich in einem extrem depressiven Moment zu meiner Mom sagte: „Ich fühle mich nicht mehr wie ein Mensch.“ Sie gab mir ein Buch über Achtsamkeit von Tara Brach mit dem Titel Nach Hause kommen zu sich selbst. Schon früher hatte sie mir ähnliche Bücher empfohlen, doch ich wusste, dass Achtsamkeit und Meditation mir nicht helfen würden. Das war etwas für Menschen mit psychischen Problemen. Aber mein Problem war ein physisches Gefühl. Mit Achtsamkeit ließ sich sicher kaum ein physisches Problem lösen.

Mom hatte eine Seite markiert, also beschloss ich, nur diese eine Seite zu lesen. Und da stand es, schwarz auf weiß: Die Geschichte über eine Frau, die ein dauerhaft beklemmendes Gefühl in ihrem Herzen beschrieb. Nachdem ich unzählige ratlos blickende Ärzte und Therapeuten konsultiert hatte, die mutmaßliche Diagnosen stellten, beschrieb dieses Buch im Detail mein Gefühl. Ich verschlang das ganze Buch in nur wenigen Tagen und bestellte weitere Bücher zu demselben Thema.

Das war der Beginn einer jahrelangen, äußerst steinigen Reise. In den Büchern berichteten mehrere Menschen davon, dass Vergebung der Schlüssel zum Herzen sei, also beschloss ich, damit anzufangen. Ich befand mich in fieberhafter Aufregung – endlich eine neue Hoffnung, das Gefühl in meinem Herzen loszuwerden! Überschwänglich stellte ich alle meine Fehler fest und bedachte meinen Ex mit gutmütigen Eigenschaften, die es nicht wirklich gab. Ich versuchte, ihn in meinem Herzen aufzunehmen und war ziemlich enttäuscht, als mir das nicht gelang.

Mein Motto der Vergebung lautete: „Sieh nur, auch ich bin schlecht.“ Je mehr Energie ich in diese Art von Liebe und Vergebung steckte, desto stärker spürte ich, wie dieses furchtbare Gefühl mein Herz zerriss. Es war unsagbar schmerzhaft. Es weckte mich mitten in der Nacht auf – ein unbarmherziges Gefühl, das sagte: „Du bist schlecht. Du musst zugeben, dass du schlecht bist. Alles, was du tust, ist schlecht.“

Was um alles in der Welt geschah hier? Ich dachte, Vergebung bedeutete, mich von dem Gefühl in meinem Herzen zu befreien und nicht, es schlimmer zu machen. Ich nahm an, dieses furchteinflößende „du-bist-schlecht“-Empfinden sei die Wahrheit, weil es dermaßen stark war. Es überzeugte mich mit aller Macht, dass es die letzte Wahrheit sei und ich nur darauf hören müsse. Es überzeugte mich, dass alles andere mich nur zum Narren hielt. An dieser Stelle sehnte ich mich tatsächlich verzweifelt zurück nach dem altvertrauten beklemmenden Gefühl der Enge in meinem Herzen. Beklemmung war besser als das hier.

Doch es war zu spät. Das Gefühl geriet außer Kontrolle und zehrte an meinen Kräften. Ohne meinen Hass auf die Person, die mich verletzt hatte, zerbröckelten alle meine Grenzen. Selbstzweifel und Angst erfüllten mich. Ich hatte keine Ahnung, wer ich war. Ich wusste nur, dass ich im Unrecht und schlecht war und es zugeben musste. Ich fühlte mich unzulänglich, schämte mich und hatte Angst.

Der Körper ist auf Überleben programmiert.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich erkannte, dass es sich bei diesem furchtbaren, unerträglichen Empfinden des „schlechten Selbst“ nicht um meine Beklemmung handelte, die sich verschlimmerte. Es war eine alte emotionale Wunde, die sich selbst aus der Beklemmung befreite. Diese Empfindung war mir nicht neu. Ich kannte sie aus der Zeit vor fünf Jahren, unmittelbar nach dem Ende meiner Beziehung. Und je mehr Zeit ich mit dieser Empfindung verbrachte, desto besser verstand ich, wie sich die Beklemmung überhaupt erst entwickeln konnte. Dieses Gefühl verhielt sich völlig selbstzerstörerisch. Der Körper ist auf Überleben programmiert – und deshalb macht es Sinn, dass mein Körper dieses Gefühl ausschaltete, da ich keine emotionalen Instrumente besaß, es zu heilen.

Ich wollte nicht vor dem Gefühl davonlaufen oder vorgeben, es sei gut oder mich ablenken, also beschloss ich, mich damit auseinanderzusetzen. Das tat ich sechs Monate lang. Ich hörte auf zu schreiben, ließ meine Website ruhen und nahm keine neuen Projekte an. Stattdessen widmete ich jeden Morgen und jeden Abend der Meditation und Andacht. Meine Einstellung wechselte von „Wie werde ich dieses Gefühl los“ hin zu „Was ist dieses Gefühl?“

Anstatt das Gefühl in meinem Herzen zu hassen, ertappte ich mich dabei, die Hand auf mein Herz zu legen, wenn ich morgens zur Arbeit ging. Ich veränderte die Beziehung zu mir selbst, zu meinen Gefühlen und meinem Körper. Dieser nährende Prozess lehrte mich langsam wieder Zuwendung und Liebe. Vergebung war ein natürliches Nebenprodukt dieses Prozesses.

Heute gibt es in meinem Herzen ein neues Gefühl.

Wir alle sind es wert, geliebt zu werden und sind fähig zu lieben.

Es ist kein Gefühl der Empfindungslosigkeit oder Enge und es ist kein unerträglicher Schmerz. Es ist ein Strom leichter, prickelnder Energie, die sich wie ein Fluss durch meinen Körper windet und alles beruhigt. Meine alte Wahrheit des „schlechten Selbst“ wurde ersetzt durch eine neue Wahrheit: Wir alle sind es wert, geliebt zu werden und sind fähig zu lieben, auch wenn wir es noch nicht empfinden können. Meine innere Quelle der Freude und des Friedens ist wiederhergestellt und alle anderen seltsamen Persönlichkeitstransformationen sind zerronnen. Mein Sinn für Humor ist zurückgekehrt, das Essen schmeckt mir wieder, ich kann ungehindert weinen, ich lächle auf Bildern und bin gerne mit anderen zusammen. Ich versuche nicht, irgendein perfekter freundlicher Mensch zu sein, sondern bin einfach mein normales altes nerviges Selbst.

Ich kann förmlich spüren, wie mein Herz tanzt und mir zuruft: „Endlich haben wir zueinander gefunden. Danke, danke, danke, danke.“

Ich habe dieses Buch für jeden geschrieben, der sich mit Perfektionismus, Ko-Abhängigkeit, Beziehungsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Trauma oder den Folgen von Missbrauch in einer Beziehung herumschlägt. In den vergangenen Jahren unterhielt ich mich in Wort und Ton per Video-Chat mit Menschen, die unter diesen Zuständen litten. Alle paar Monate nahm ich erneut Kontakt auf und stellte Fragen, um ihre Fortschritte zu verfolgen. Meine Gesprächspartner erlaubten mir, ihre Geschichten in diesem Buch zu erzählen (unter anderem Namen mit geänderten spezifischen Details zur Wahrung der Privatsphäre). Ich hoffe, mit den Erlebnissen dieser Personen Einblicke zu gewähren und Hoffnung zu bieten.

Ich weiß, wie schwer es ist, den bewährten Zyklus zu verlassen. Die Schuld liegt nicht bei uns, dennoch können nur wir selbst den unbequemen Weg gehen und eine Änderung herbeiführen. Es gibt einen Weg zurück zu uns selbst – zu der angestrebten Freiheit – und wir werden diesen Weg gemeinsam finden.

Ganz ich!

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