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Drittes Kapitel Schurken und Schmuck

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Wir hatten bereits die Küste des Golfs von Persien erreicht, jenes Binnenmeers, das manche auch als Grünes Meer bezeichnen möchten, um dem Roten Meer einen Begriff entgegenzustellen. Doch dies wird sich wohl kaum durchsetzen, da es doch nur ein Kopfgespinst von Kartografen ist, die ihre Werke recht farbig gestalten wollen. Man mag nun sagen, dass das Rote Meer ohnehin nicht rot ist – außer bei Sonnenuntergang –, und da Grün die Farbe des Islam ist, man das Wasser zwischen der Arabischen Halbinsel und eben Persien doch ohne Weiteres so bezeichnen könne … aber nein, dies ist doch allzu bunt.

Das Meer war blau und sein Anblick nach Sand, Felsen und den gelegentlichen Oasen sehr willkommen und erheiternd. Selbst Mevrouw Marijke konnte ihre holländische Herkunft und die somit gegebene Verbundenheit mit der See nicht verleugnen und legte eine milde Miene auf, wenngleich sich ihre allgemeine Härte und Unnahbarkeit nur wenig änderten. Es mochte auch sein, dass sie bei den schimmernden Gewässern und den hellen Segeln darauf eben nicht an ehrbare Kauffahrer dachte, sondern nur an Sklavenhändler und Piraten.

Auch ich empfand die Reise an den Gestaden hinab nach Süden nicht als fröhliche Partie. Doch sind Rachedurst und Wuthunger nur schlechte Begleiter, denn sie lassen sich nicht stillen so wie die Bedürfnisse des Leibes. Rasche Reise und künftiger Kampf verlangen Kraft und Ausdauer, und dazu sind ausreichende Mahlzeiten nötig, die mit Freude eingenommen werden sollten, denn dann mag der Körper sie gut verarbeiten.

Es war nun so, dass wir Männer den vom Meer bereiteten Gastmählern tüchtig zusprachen. Frischer Seefisch ist etwas, dem man kaum widerstehen kann, wenn man dergleichen sonst nur geräuchert oder gepökelt auf Tisch und Teller sieht. Dem Briten ist der Hering aus dem Rauch, der kipper, eine ebenso geläufige Frühstückskost, wie es ihm die Sardine im Öl zur Teestunde ist. Ich selbst schätze den Salzhering in allerlei Bereitungen, allen voran das sächsische Häckerle, wenngleich ich wohl weiß, dass dieses aus Schlesien herstammt. Doch nur der frische Fang des Tages enthält all die kräftigen Säfte, die so wohlschmeckend sind und daran gemahnen, dass wir alle einst dem Meer entstiegen sind. Dies mag manchen ein fremder Gedanke sein, doch ich empfehle hierzu die Lektüre gewisser naturwissenschaftlicher Schriften, die sensationell anmuten, doch im Grunde nur wenig der althergebrachten Meinung entgegensprechen: Denn Gott der Herr schuf zuerst das Getier der Gewässer – warum also sollte es dem Menschen als Krone der Schöpfung nicht eine gute Speise sein?

Dies also waren unsere Tischgespräche, mit denen ich unter anderem Halef den Fisch an sich schmackhaft machen wollte, denn dieser Sohn der Wüste fremdelt mit dergleichen allzugern, trotz unserer langen Bekanntschaft und meines steten Strebens, ihm die Leckerheiten des Lebens nahezubringen.

„Nein, Sihdi“, beharrte Halef, „seit ich die Geschichte von Junus kenne, jenem guten Mann, den ihr Ungläubigen Jona nennt und der von einem Fisch verschluckt wurde, mag ich schon gar nichts mehr aus dem Meer essen. Wer weiß, was die Fische alles gefressen haben. Ziegen und Hammel begnügen sich mit Strauch und Kraut, das ist mir sicherer.“

Gut denn. Der eine, Halef, mochte keinen Fisch, die andere, Mevrouw Marijke, begnügte sich mit kärglichem Imbiss, den sie abseits von uns zu sich nahm, den Tisch statt voller Teller und Becher mit Papieren übersät, auf denen sie wieder und wieder die Orte und Namen las, die sie gleichsam führten und verfolgten. Ich konnte der Holländerin nicht näherkommen. Stets suchte ich das Gespräch, um ihr Beistand zu leisten und Hoffnung zu machen, doch sie nahm nur immer knapp die Fakten zur Kenntnis und bedankte sich mit hohler Stimme und leerem Blick. Selbst Sir David bemerkte, dass seine Mrs. van B. sich mit dem Herannahen unseres Reisezielpunkts immer weiter verschloss und oft die Fäuste ballte, die Lippen presste und die Augen kniff, zumindest wenn sie glaubte, wir sähen es nicht.

„Sie scheint mir immer mehr wie eine Auster, so hermetisch gibt sie sich“, sagte Sir David. „Doch in ihr wächst keine schimmernde Perle, sondern eine lodernde Kohle. Und ich fürchte, dass bald die Schale oder eben die Kesselwand gesprengt wird, wenn nicht … beg your pardon, das ist ein unfeiner Vergleich. Doch Ihr wisst, was ich meine.“

Ja, das wusste ich. Und ich hoffte auf eine eigentümlich hilflose Weise, dass Scheik Haschim mit seiner Güte und Weisheit vielleicht etwas dazu beitragen konnte, diese arme, geschundene weibliche Seele, die innerlich so zürnte, etwas zu besänftigen. Ich fürchtete in der Tat die Stunde, an der wir auf die Sklavenhändler treffen würden. Ich wusste ja, dass Frau Marijke ihre Waffen trug, und wann und wo auch immer der Konflikt ausgetragen würde, es würde furchtbar sein. Ich hatte versucht, ihr klarzumachen, was stets meine Ansicht ist, nämlich, dass die Verbrecher nicht zu töten seien, sondern ihrer gerechten Strafe zugeführt werden müssten. Schließlich war der Sklavenhandel im Reich der Osmanen seit zwei Jahrzehnten verboten, und auch wenn Istanbul und die Hohe Pforte fern waren, so trug ich doch meinen Ferman bei mir, meinen Ermächtigungsbrief, durch den ich gegenüber den örtlichen Richtern und Bütteln und Offizieren mit einigem Nachdruck auftreten konnte. Selbst wenn wir die Verbrecher bis nach London treiben müssten, in ihrer höchsteigenen Sklavenkarawane, so würden wir ihnen ein Lebensende bescheren, das nicht aus dem raschen Tod bestand, sondern aus Jahrzehnten im Kerker.

Mancher könnte nun vielleicht fragen, wie dies denn angehen sollte, wo doch die Briten Verträge mit den Emiraten entlang der Golfküste geschlossen hatten, damit deren Piraten nicht mehr den Seeweg nach Indien, der Perle des Empire, unsicher machten? Was ja bedeutete, dass Britannien nur die Wellen des Persischen Meers beherrschte, sich aber an Land nicht in Angelegenheiten einzumischen hatte – wie könnte also England da helfen? Nun, nicht England, aber ein Engländer! Ich hatte den Plan, die gefangenen Verbrecher schlicht auf ein Schiff zu verladen, gechartert durch Barmittel aus der unergründlich tiefen und reich gefüllten Börse Sir David Lindsays, und mit diesem – dann sozusagen britischen – Schiff weiterzufahren. Vielleicht ließ sich auch ein wirklich britisches Schiff finden und als Transporter nutzen. Ich vertraute auf den Einfluss des Lords, ob nun aus Geld- oder Adelsgründen.

Wie ich also über die Schurken und das Meer nachdachte, kam mir ein Gedanke, den wohl Halef angestoßen hatte, mit seiner Erwähnung des Jona oder Junus. Ich wusste nun, dass von einem sehr alten Friedhof im persischen Isfahan die Legende geht, auf ihm sei Josua, der Sohn des Nun begraben. Der eine oder andere bibelfeste Zeitgenosse mag sich nun empören, wie ich denn hier vom einen zum anderen käme, denn Junus und Josua Ben Nun seien wohl allesamt in der Schrift erwähnt, hätten doch aber gar nichts miteinander zu schaffen und seien zudem durch Jahrhunderte getrennt. Ich würde entgegnen, dass ich beileibe nicht fahrlässig mit heiligen Schriften oder deren Personal umginge, seien es Bibel, Koran oder Torah. Aber da ich nun ein literarischer und auch musikalischer Mensch bin, seien mir auch rein lautliche Assoziationen erlaubt, zumal ich ja im biblischen Namensbereich bleibe. Ich hätte auch noch eine klangliche Volte zu Noah schlagen können, der im arabischen Nu heißt – aber nun, ich will die Anklänge und Gleichlaute nicht überstrapazieren. Doch jene Eingebung mag als Beleg dienen, dass Namen doch mehr sind als Schall und Rauch, wenngleich Schall und Rauch offensichtlich Zutaten eines Abenteuers sind. Also: Was nutzte mir mein klanglicher Gedankenweg zum Friedhof von Isfahan? Dieser Friedhof hieß aus mir unbekannten Gründen Tacht-e-Fulad, was „Thron aus Eisen“ bedeutet. Ich fragte mich, ob jener oberste Sklavenhändler und Verbrecher, Youssef al-Fuladhy, sich vielleicht auf dergleichen bezog und möglicherweise Perser wäre. Dies weckte schlimme Erinnerungen, denn die beiden Feinde, die ich jüngst besiegt hatte, Ahmar Al-Kadir und sein Bruder Kara Nirwan, genannt der Schut, waren ebenfalls Perser gewesen.

Ich will nun nicht alles Böse in Persien verorten; nichts läge mir ferner, als diese große alte Kulturnation und ihre Menschen derart zu schmähen. Der große Kant aus Königsberg hatte ja einst vermerkt, dass die Araber die Spanier des Orients seien, die Perser jedoch die Franzosen Asiens. Wenn ich als Deutscher also, trotz aller historischen und jüngsten Probleme, nichts gegen Franzosen habe, wieso dann gegen Perser?

Aber ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier und jetzt vielleicht aller schlechten Dinge drei sein mochten …

Als wir am Golf von Bahrain entlangritten, die namensgebende Insel vor der Küste im Blick, kamen vom Landesinnern drei Reiter heran. Sir David und die Schotten waren alarmiert, doch ich erkannte, nein, ich spürte, dass hier keine Gefahr nahte, sondern der langersehnte Freund.

Scheik Haschim zügelte sein Ross und grüßte.

„Salaam, Kara Ben Nemsi.“

„Salaam, Haschim.“

Wir musterten einander. Haschim zeigte das milde und weise Lächeln, das ich vermisst hatte, ohne dass es mir bewusst gewesen war.

„Ihr seid ohne Rih“, bemerkte Haschim.

„Und Ihr ohne Risha“, gab ich zurück.

„Wohl aus den gleichen Gründen“, nickte Haschim, und er hatte Recht. So wie ich meinen schwarzen Hengst, hatte er seine weiße Stute in guter Obhut belassen, wenngleich ich nicht wusste, wo dies sein mochte. Denn Haschim war als Reisender noch unsteter, als ich es war. Ich kehrte ja, wie jüngst, regelmäßig in meine Heimat und meine Schreibstube zurück. Von Haschim wusste ich jedoch nicht, ob er überhaupt noch ein Domizil in seiner Heimat besaß. Er entstammte dem Königsgeschlecht der Haschemiten, welche über den Hedschas herrschen, wie der westliche Teil der Arabischen Halbinsel genannt wird, und somit über die heiligen Stätten von Mekka und Medina. Haschim nun, obgleich Prinz, hatte seinen Thronanspruch zugunsten seines jüngeren Bruders abgegeben, um sich dem Studium der Wissenschaften und allerlei anderer Künste zu verschreiben und zum Erlangen von Kenntnis und Erfahrung nun durch den Orient zu reisen, wo ich ihm im vergangenen Jahr begegnet war. Es war nun an jenen anderen Künsten, die Haschim erlernt hatte und noch immer erlernte, etwas Besonderes. Sie mochten von abergläubischen Menschen auch die okkulten oder arkanen genannt werden, doch ich für meinen Teil glaubte daran nicht. In meiner jüngsten Zeit im Abendland hatte ich ein wenig darüber nachgedacht und war zur Ansicht gelangt, dass alles, was ich bislang in diesen Belangen erlebt hatte, wohl doch auf den Einfluss des Morgenlands zurückzuführen war, das die Sinne, wenn nicht betäubt, so doch empfänglich und schwärmerisch macht – so wie wir alle es aus den Märchen, ja, Märchen, aus Tausendundeiner Nacht kennen. Und von jenem Traum umfangen gebiert der Geist der Vernunft die Geister der Phantasie, die manchen gar zu weit von der Wahrheit forttragen.

Aber genug der Träumereien – ein klar denkender Mensch fragt nun, wie ich denn Haschim einen Brief hatte zukommen lassen können, wo er doch scheinbar rast- und wohnsitzlos durch den Orient reiste und heute hier, morgen dort zugegen war. Nun, Haschim hatte aufgrund seiner Herkunft die nötigen Mittel und auch seine Vertrauten, und so hatte ich von ihm bei unserem Abschied im vergangenen Jahr eine Adresse erhalten, die eines Mannes in Medina, der stets über den Aufenthalt Haschims unterrichtet war. Dieser Mann, Abu Ben Agar, vormalig aus Aleppo stammend, hatte seine Wege, wiederum Haschim an allen Orten des Orients rasch zu erreichen. Ich vermutete durch Brieftauben oder dergleichen, denn Haschims edler weißer Falke Manakir hatte mir zwar auch dann und wann eine Botschaft überbracht, als wir auf dem Balkan und in Kurdistan Abenteuer erlebten, aber Manakir befand sich stets bei Haschim und eben nicht in Medina.

Haschim war nun – wie er beiläufig erzählte – von Riad hergekommen, welches im Naschd liegt und somit unter Herrschaft des Hauses Saud. Dort hatte er in den Ruinen der alten Stadt Hadschar al-Yamama und auch in Al-Chardsch nach Dingen gesucht, die Musailima Ibn Habib betrafen, den sogenannten falschen Propheten, der vor zwölfeinhalb Jahrhunderten lebte und wirkte, in jener Zeit, als noch nicht alle Araber Muslime waren.

Ich fragte nicht weiter, was Haschim dort zu finden gehofft hatte. Mir war nicht nach Mystischem.

„Tragt Ihr noch den Musaddas?“, fragte Haschim.

„Ach, den Sechseckring?“, gab ich zurück. Das war jener Goldreif aus dem Besitz Al-Kadirs, den ich während unseres ersten gemeinsamen Abenteuers und dem Kampf gegen Al-Kadir und den Schut mit mir geführt hatte. Im Kampf gegen den Schut war das hübsche Ding ein wenig verbogen worden, doch Schimin, der Schmied hatte es wieder in seine eigentümliche Form gebracht. Und ja, ich trug ihn bei mir, an meiner Uhrenkette, als kleines Schmuckstück, wenngleich ich nicht eitel bin. Es mag etwas Nostalgie dabei sein. Dass ich die Uhr überhaupt trug, gegen meine Gewohnheit, wenn ich im Orient weile, hatte mit der jüngsten Passage per Schiff zu tun. Im Morgenland mag die Zeit wenig gelten, im Abendland umso mehr. Ich klopfte auf meine Westentasche und bejahte Haschims Frage.

„Dann mag es gut sein“, sagte er geheimnisvoll und lächelte. Damit wandte er sich den anderen zu und begrüßte sie. Halef und Sir David kannte er gut, und so erbot er der fremden Dame besondere Höflichkeit.

„Salaam, Sayadina Maryam. Kara Ben Nemsi schrieb mir von Euch, als er mich rief. Ihr erlaubt, dass ich Euch in Ehrerbietung diesen Namen gebe, um nicht den Euren zu unschönen Lauten aus meinem Munde werden zu lassen, denn meiner arabischen Zunge fällt es schwer, den Wohllaut des Holländischen gerecht nachzuahmen.“

„Danke, Scheik“, sagte Marijke van Beverningh. „Ich nehme die Ehre an, denn alle diese Namen rühren ja von Maria her, der Mutter Gottes.“ Sie schaute streng, als erwarte sie eine Reaktion des Scheiks.

Doch Haschim verneigte sich. „So steht es geschrieben und so sei es“, sprach er.

„Gut denn, reiten wir weiter“, befahl Frau Marijke. „Dank Euch, Scheik, dass Ihr weitere Krieger mitgebracht habt.“

Die beiden erwähnten Reiter waren Beduinen, zwischen deren Turban und Gesichtstuch nur die harten Augen hervorschauten. Sie waren schwer bewaffnet, mit Gewehren, Pistolen, Dolch und Säbel, und wirkten in ihrer Haltung tatsächlich wie die Leibgarde eines Prinzen, jedoch ohne allen Prunk. Ich sah, wie sich die Blicke kreuzten, zwischen ihnen selbst und den Schotten Sir Davids. Doch es lag keine Rivalität darin, sondern ein Erkennen von Männern gleicher Seele, selbst wenn sie von Blut und Herkunft tausend Meilen getrennt waren.

Ich glaubte, dass wir mit diesen vier Kämpfern gut gewappnet waren, wenn wir auf die Sklavenhändler trafen. Womit ich aber meinen alten Gefährten Halef und Sir David nichts absprechen wollte. Ebensowenig Haschim. Und noch weniger mir selbst.

Sklavin und Königin

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