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Sechstes Kapitel Der Kapitän

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Dies kam nun wahrlich als Überraschung! Turnerstick war ein Mann, den ich schon lange Zeit kannte und dem ich an vielen Enden der Welt begegnet war – wie sollte es auch anders sein, ich als Reiseschriftsteller und er als Handelskapitän! Uns verbanden Abenteuer in der Südsee und in Südamerika, in China und auf Inseln des Westpazifik. Wir hatten auch auf den sozusagen heimatnahen Gewässern des mittelländischen Meeres gekreuzt und vor der französischen Küste die Kerkerinsel If besucht, welche Berühmtheit erlangt hat durch den Roman aus der Feder des fruchtbaren Erzählers Dumas des Älteren über den dort Gefangenen Edmond Dantès, welcher glücklich flieht und unter anderem Namen zu Wohlstand kommt und dessen Schicksal mich immer seltsam berührt hat.

Frick Turnerstick war nun nicht, wie man vermuten mochte, ein Amerikaner oder Angelsachse, sondern ein nördlicher Landsmann von mir, ein gebürtiger Friese, der seinen Namen verenglischt hatte, um gewissermaßen international wirken zu können. Meine Leser mögen sich erinnern, dass meine eigenen amerikanischen oder arabischen Namen mir allerdings stets von anderen verliehen wurden und ich sie nicht selbst wählte.

Jetzt stand ich also erneut diesem originellen Seebären gegenüber – wenngleich er dem unwissenden flüchtigen Blick alles andere als originell erschien, gekleidet wie er war. Er trug einen langen dunklen Gehrock, durchgehend geknöpft wie einen Mantel. Die Knöpfe jedoch bargen schon ein erstes Geheimnis. Während jeder andere sie für übliche runde Knöpfe mit maritimem Ankersymbol ansehen musste, so wusste ich doch, dass sich unter dem schwarzen Lack pures Gold befand: gewissermaßen die eiserne Barreserve des Kapitäns, der sich somit als äußerst kluger Kauffahrer zeigte. Unter dem Kragen des Mantels sah man einen schlichten, weißen, nicht allzu hohen Kragen, den man gemeinhin Vatermörder nennt, obgleich diese schreckliche Bezeichnung auf einer Missdeutung des französischen Originalausdrucks beruht, welcher allerdings nicht weniger unappetitlich ist. Doch diese Gedanken verflogen, kaum dass man sah, was sonst noch am Hals Turnersticks zu entdecken war, nämlich ein adrettes schwarzes Halstuch, zu einer akkuraten Schleife gebunden. So streng und nüchtern seine Kleidung war – so heiter und flatterhaft war der Mann selbst: Er zuckte und zögerte kurz, dann packte er mich mit seinen beiden riesigen Händen und drückte mich an seine Hünenbrust.

„Liewer Charley“, tönte er in seinem unnachahmlichen Akzent, den ich von nun an besser nicht akkurat wiedergebe. Frick Turnerstick ist ein gewaltiger Radebrecher und Sprachvermischer, und dass er glaubt, eine jegliche Sprache der Welt sei dadurch beherrschbar, indem man ein paar vermeintlich typische Lautanhängsel der eigenen Mutterzunge hinzufügt … nun, ich will mich in diesen Belangen nicht auslassen. Turnerstick ist ein kauziger, aber vortrefflicher Mensch: Es sei ihm verziehen.

Er trat in seinen riesigen geteerten Wasserstiefeln einen Schritt zurück und musterte mich mit seinem einen Auge, denn das andere hat er einst im Kampf gegen malaiische Piraten verloren und durch ein künstliches ersetzt. Er schniefte mit seiner kurzen Stülpnase, die ihm ein Faustschlag in der Jugend geschenkt hat, sodass seine Kneiferbrille verrutschte und sein ausladender Schnurrbart wackelte. Dann salutierte er mit der Hand am Schirm seiner schwarzen Lotsenmütze, die man nicht mit einer schlichten Schiffer- oder Seemannsmütze verwechseln sollte, denn sie hat einen breiten Steg, der ebenso wie der Schirm mit Eichenlaubstickerei verziert ist und zudem eine gedrehte Zierkordel besitzt. Diese Kopfbedeckung stand Turnerstick wesentlich besser als der monströse Sombrero, den er in Südamerika getragen hatte. Im gleichen Moment trat von hinten ein riesenhafter Friese heran, in welchem ich Hans Larsen erkannte. Ich nickte ihm freundlich zu.

„Ja, der blanke Hans ist noch immer mein Steuermann“, sagte Turnerstick und lachte, während der so doppelsinnig Bezeichnete ein wenig seufzte. Larsen hatte mittlerweile kein einziges Blondhaar mehr auf dem Scheitel, doch wie die sturmgezauste Nordsee sah sein Kopf nun wirklich nicht aus. Humor ist eben Geschmackssache. Dass Larsen aber eine gestrickte Mütze trug, sodass man seinen glänzenden Schädel gemeinhin gar nicht sehen konnte, und ihm wegen seines semmelgelben Bartes der Name „blonder Hans“ eigentlich besser und zudem noch wortwörtlich zu Gesicht gestanden hätte … nun, wer war ich, anderen Leuten Spitznamen zu verleihen!

Jetzt bemerkte Turnerstick auch Halef und schaute zu ihm hinunter. „Und das ist wohl Euer eigener Steuermann, Charley? Kein Friese, wie ich sehe, aber er muss sicher auch keine großen Steuerräder wuchten, sondern eher Kamelzügel halten. Aber so ein Wüstenschiff braucht gleichwohl seinen Mann, und da reicht auch ein kleiner.“

Turnerstick überlegte kurz, und ich sah es ihm an der Stülpnase an, dass er sich eine deutsche Begrüßung mit vermeintlich arabischen Endungen zurechtlegte. Bevor er aber „Gottallah zum Grussalem“ oder dergleichen von sich geben konnte, sagte Halef seinerseits: „Guten Tag, Herr Kapitän“ – und ich erkannte den vertrauten sächsischen Akzent des Lehrers Lohse, der auf meine Empfehlung bei den Haddedihn seinen Dienst tat.

Da staunte Turnerstick nicht schlecht, Hans Larsen nicht minder, und dann schallte ein zweifaches friesisches Lachen über die Korallenbucht von Dauha, das machtvoll genug war, eine Hallig zu versenken, und hier die Wellen bis zum Liegeplatz von Turnersticks Bark „The Courser“ schwappen ließ.

Wir begaben uns in eine Hafenschänke und nahmen einen Trunk. Jeder bekam eine Schale mit Qahwa helw, den man auch katarischen Kaffee nennt und der, wie vieles in der Küche Katars, von der vergleichsweisen Nähe Indiens zeugt. Der Araber versetzt seinen Kaffee ja gern mit allerlei Gewürz, wobei Kardamom das gebräuchlichste ist. Bei diesem lokalen Mixtum nun kommen noch Nelken und Rosenwasser hinzu, vor allem aber Safran, was dem Kaffee eine gelbe Farbnote verleiht, welche noch strahlender wird, wenn man Milch hinzugibt. Wobei man dann nur den Kaffee durch Tee ersetzen müsste, um sich beim Trank nicht wie ein arabischer Derwisch, sondern wie ein indischer Yogi zu fühlen.

Belebend ist dieser wie immer stets süße Kaffee also nicht allein wegen des innewohnenden Koffeins, sondern auch durch die Gewürzhaftigkeit, welche jeden, der wie Turnerstick aus dem friesisch-holländischen Küchenkulturkreis entstammt, stets milde stimmt. Ich gab diese Trunkrunde aus, denn ich hatte eine Bitte an Turnerstick. Zunächst aber plauderte ich und fragte, was ihn denn in den Golf von Persien geweht hatte.

„Perlen“, sagte Turnerstick knapp. „Drüben in Abu Dhabi sind sie schon teuer, weil der Handel zu blühen beginnt. Hier gibt es sie noch wohlfeiler, sodass ich Profit machen kann.“

„Dann bin ich aber froh“, gab ich zurück, „dass Ihr Euch nicht auf ein kleineres Schiff verlegt habt, denn …“

„Aber nicht doch! Ich bin mit reicher Fracht aus China und Indien gekommen: Seide, Lackarbeiten, Silberschmuck und Schnitzereien. Auch Kleidung und Stiefel von dort, die hier ja exotisch wirken und dort zudem so überaus günstig gefertigt werden. Alles also, was die Herren Scheiks und Beduinen begehren, abgesehen von fremden Frauen …“ Er verzog das Gesicht, leerte seine Schale und stellte sie hart auf die rohe Tischplatte. Dann forderte er eine neue und der Kaffeeschenk kam eilig heran.

„Genau das ist mein Anliegen“, sagte ich. „Ich will einem gewissen Sklavenhändler das abjagen, was dieser despektierlich Ware nennt, obwohl es versklavte Unschuldige sind. Aber es ist nicht angeraten …“

„… die dann wieder freien Frauen mit Kamelen aus der Stadt zu bringen. Oder mit Pferden. Da müssten es schon Seepferde sein.“ Turnerstick lachte.

Larsen wechselte einen Blick mit Halef und winkte ab. Halef lächelte in sich hinein.

Turnerstick lehnte sich zurück. „Ihr braucht meine ‚Courser‘ …“ Jetzt kam sein Qahwa, und als der Schenk sich abgewandt hatte, zog Turnerstick eine flache Metallflasche aus der Rocktasche und goss einen Schluck Genever in die Schale. Ich konnte den Wacholder riechen, der sich kühl und nordisch mit den heißen Gewürzen des Südostens maß.

„Wir verstehen uns“, nickte ich und meinte damit das Schiff, nicht den Schnaps. „Ich hoffe, Ihr sagt zu. Schließlich haben wir schon einmal Menschen aus Unglück befreit. Ihr erinnert Euch an Potomba und Pareyma in Papeete.“

Halef grunzte amüsiert, als er diese Namen hörte. Sie schienen ihm verständlicherweise fremd und seltsam.

Turnerstick hingegen schüttelte den Kopf. „Das ist nicht vergleichbar. Aber es braucht auch keine Vergleiche, uns zu überzeugen, Euch zu helfen. Schließlich habt Ihr wiederum uns selbst befreit, als wir in Uruguay von dem Schurken Carderas gefangen waren. Ach, da hatte ich auch noch mein schönes erstes Schiff, die ‚Wind‘ …“

„Was ist mit ihr geschehen?“

„Ach, fragt nicht, fragt nicht“, murmelte Turnerstick und tupfte sich mit einem Ende seiner schwarzen Halsschleife eine Träne vom gesunden Auge fort. Larsen schaute betreten. Dann aber fing sich Turnerstick wieder.

„Also denn, mein Liewer! Wann kann die Fracht verladen … ach, Schande, was sag ich! Wann kommen die Passagiere an Bord?“

„Ich weiß noch nicht.“

„Einerlei, wir liegen noch zwei Tage hier. Wie viele werden es sein?“

„Ich weiß noch nicht.“

Turnerstick musterte mich mit seinem Auge und zwirbelte den Schnurrbart. „Aber Ihr wisst schon, wo Ihr die Sklavinnen befreien werdet?“

„Wir forschen noch.“

Turnerstick schaute sich in der Schenke um. „Nun, hier forscht es sich recht schlecht, wenn mir diese Meinung erlaubt ist.“

„Wir haben Gefährten, die sich in der Stadt umhören und umschauen.“

„Na, dann ist ja gut. Ich bin leider zum ersten Mal hier in Dauha und wüsste nicht, wo Sklavinnen gehandelt werden. Ich bin ja in Perlen unterwegs. Aber ich kann gerne Nachricht geben, wenn ich etwas mitbekomme. Sagt mir doch, wo ich Euer Quartier finde.“

Dies tat ich und dann verabschiedeten wir uns bis auf Weiteres.

„Ein seltsamer Mensch“, befand Halef, als wir vom Hafen fortgingen. „Sind alle Seeleute so, wenn sie nicht nur ein oder zwei Meere bereist haben, sondern all die anderen auch?“

„Das mag sein, Halef, aber ich kenne ja nicht allzu viele. Ich denke aber, dass Kapitän Turnerstick ein ganz besonderer Seemann ist.“

„Mir scheint immer mehr, Sihdi“, meine Halef, „dass du nur sehr wenige nicht-besondere Menschen kennst …“

„Zählst du dich dazu, mein lieber Halef?“

„Na, aber sicher, Sihdi! Und deshalb möchte ich auch zu gerne diesem Abu Kurbatsch die Peitsche entreißen, damit ich allein der Mann mit dem Nilpferdziemer bleibe!“

Wir trafen uns mit unseren Gefährten – und der Gefährtin. Für Außenstehende mochte es wie die Konjunktion von üblichen Reisenden oder Geschäftsleuten wirken: ein britisches Paar, ein arabischer Scheik und – nun, auch mich mochte man für einen Orientalen mit seinem Begleiter halten. Die Schotten und die Beduinen waren zur Wache und für Informationsdienste eingeteilt. Wobei das eigentliche Übermitteln von Nachrichten mit ein wenig Bakschisch von örtlichen Straßenburschen übernommen wurde. Denn abgesehen davon, dass die stolzen Krieger der so unterschiedlichen Stämme es unter ihrer Würde erachteten, durch die Gassen zu hasten, so wäre es doch vielleicht allzu aufmerksamkeitserregend gewesen. Wir wollten jedoch alles vermeiden, was uns verraten konnte – denn wir hatten ja nun keinen wirklichen Geschäften nachzugehen, und Touristen waren wir noch weniger. Marijke van Beverningh war ungehalten. Es brauchte lange, eindringliche und geduldige Erklärungen von Haschim und mir, dass es unmöglich sei, ihrem Wunsch, ja ihrem Drang zu entsprechen, das Lagerhaus, in dem die Sklavinnen gefangen gehalten wurden, sogleich zu stürmen und die Frauen zu befreien.

„Mevrouw Marijke“, sagte ich geduldig. „Wir sind, was die Wächter der Sklavenhändler betrifft, nicht sehr in der Unterzahl, was wir zudem durch unsere Kampfeskraft wettmachen können. Aber ein Angriff verbietet sich, wegen zu großer Gefahr für die Frauen. Und zu vielem Aufsehen durch den Lärm, wenn es zu einem Schussgefecht käme. Wir müssen vor allem auf Heimlichkeit und List setzen, denn wir sind auf uns allein gestellt!“

„Mijnheer Kara“, sagte die Holländerin etwas weniger geduldig, „ich weiß sehr wohl, dass wir nicht auf die örtlichen Behörden und Büttel zählen können. Und leider, nach dem, was wir erfahren haben, ist es uns auch nicht gegeben, ein britisches Schiff vom Golf in den Hafen zu rufen.“ Sie warf einen strengen Blick zu Sir David, der wie gescholten dastand.

„Da habe ich gute Kunde“, sagte ich besänftigend. „Ich hatte ein glückhaftes Zusammentreffen mit einem befreundeten friesischen Kapitän. Wir können sein Schiff nutzen.“

„Dann handeln wir sogleich!“, rief die Holländerin energisch.

„Ich muss darauf hinweisen, dass auch mein Freund Turnerstick seine geplanten Geschäfte zu erledigen hat. Und seine Hilfe ist auch an die üblichen Bedingungen der Seefahrt geknüpft, wie Windrichtung und Wassertiefe, die Gezeiten also, und Papiere und Erlaubnisse …“

„Das lasse ich nicht gelten!“, blaffte sie mit blau flammendem Blick. „Der friesische Pfeffersack soll nicht auf seinen Profit bedacht sein, sondern seiner Menschlichkeit nachkommen!“

Ich musste etwas streng antworten, obgleich ich sicher war, dass Turnerstick diesen despektierlichen Ausdruck, der aber gleichsam nur den wohlhabenden, also erfolgreichen Kaufmann bezeichnete, gar nicht als verletzend empfunden hätte. Nun, vielleicht ein wenig, weil man gemeinhin die Hamburger Hanseaten so bezeichnete, Turnerstick aber eben Friese war.

„Mevrouw! Ich darf daran erinnern, dass wir auf die Gefälligkeit Turnersticks angewiesen sind. Alles Geld des Lords mag uns wohl ein Schiff und eine Mannschaft kaufen können, doch ob wir damit auch Vertrauen erwerben, ist zu bezweifeln.“

Es schmerzte mich, die Holländerin so auf ihr eigenes Schicksal hinweisen zu müssen, auf den betrügerischen Kapitän, der sich als Pirat entpuppt hatte. Allzuleicht mochte ein rasch mit Barmitteln überzeugter Schiffsführer sich angesichts der Sklavinnen versucht fühlen, diese selbst zu noch mehr Geld zu machen. Denn eines war sicher: Es wäre uns allen – der Holländerin, den Briten und Schotten, Scheiks und Beduinen, auch Halef und mir – nicht gegeben, die befreiten Frauen auf ihrer Flucht übers Meer zu begleiten. Deshalb war ein vertrauenswürdiger, ja befreundeter Kapitän die beste, die einzige Lösung.

Die Holländerin verschränkte die Arme, atmete tief. Ihre Augen schimmerten, doch sie wandte den Blick nicht ab, sondern nickte knapp. „Gut denn. Dann der Friese. Wann immer er bereit ist. Wir aber planen jetzt die Befreiung. Und setzen den Plan in die Tat um.“

Dies war also geklärt, doch es gab ja noch ein anderes Problem. Haschim und ich konnten Marijke van Beverningh kaum enthüllen, dass wir die Sklavinnen gar nicht befreien konnten, solange diese in jene magischen Bande geschlagen blieben, sondern damit warten mussten, bis sie verkauft waren und der Zauberer der Sklavenhändler den Bann aufgehoben hatte, um die Frauen ihren neuen Besitzern zu übergeben. Und wenn wir es dennoch wagten, dieses Mysterium zu beschreiben – würde man uns glauben?

Ja, doch: Man würde uns glauben! Halef nahm sowieso alles Übernatürliche als gottgegeben an und Sir David hatte so seine Erfahrungen gemacht. Aber Marijke van Beverningh hielte es wohl nicht nur für Aberglauben, so wie ich noch vor Jahresfrist alles Magische bezweifelt hatte, nein, sie sähe es sicher als Ausrede an, als Zeichen von Abneigung und Widerwillen, als Zeugnis dafür, dass wir uns nicht mit ganzem Herzen der guten Sache hingeben wollten. Dies hätte ich persönlich als ungerecht empfunden, aber schlimmer noch, es hätte den Zusammenhalt unserer Gruppe gefährdet.

Niemand werfe mir vor, ich würde nun die Dame jener Sache zeihen, die gewisse Männer – welche der Franzose chauvinist nennt und der Spanier macho – rasch und gern ins Felde führen, wenn sie die Seelenlage, Gefühlswelt und Entscheidungskraft der Frauen despektierlich aburteilen wollen, namentlich die Hysterie.

Ich fürchtete nicht, dass Marijke van Beverningh hysterisch würde und Unbedachtes spräche oder gar täte. Nein, hier ging es allein um Schmerz und Weltsicht, beides mächtige Einflüsse auf einen jeden Menschen. Und es war nicht die Zeit und nicht der Ort, um die Holländerin mit der Tatsache von Magie und Zauberei vertraut zu machen. Es war wohl auch nicht nötig. Wir würden die Sklavinnen dann befreien, wenn sie nur noch von irdischen Ketten gebunden waren.

Das wäre also der Zeitpunkt. So blieb allein der Ort, der fraglich war.

Wir konnten nun kaum in Dauha herumfragen, wo denn demnächst Sklavinnen feilgeboten würden. Noch dazu hätten wir uns auf widerwärtige Weise nach ungläubigem weißen Fleisch erkundigen müssen, wenn wir uns nicht hätten verdächtig machen wollen. Dies widerstrebte mir. Und zudem war der Sklavenhandel der Reichen wohl ein sehr diskretes und verborgenes Geschäft. Da konnte kaum irgendjemand mitbieten, der nicht geladen war und somit ohnehin von geheimen Orten und Zeiten, ja gewiss auch geheimen Zeichen wusste.

Haschim nahm mich beiseite.

„Ich habe in den Gassen nach gewissen Zeichen und Markierungen Ausschau gehalten, aber nichts dergleichen entdecken können.“

„Magische Symbole?“

„Keine Symbole, die magisch sind. Sie sind offen sichtbar, doch nur für Menschen mit Kenntnis bedeutsam.“

„Gewissermaßen Zauberzinken“, sagte ich unbedacht und entschuldigte mich mit einer Erklärung, dass ich Gauner und Zauberer nicht in einen Hut werfen wollte.

Haschim lächelte. „Zauberer tragen doch keine Hüte, Kara Ben Nemsi. Nur auf den Bühnen Europas und Amerikas.“

„Und diese Zauberer sind gar keine, das weiß ich wohl.“

Wieder ernst wandte ich mich an die Runde.

„Es gibt anscheinend keine Anzeichen, keine Geheimzeichen, durch die Youssef al-Fuladhy mit Gleichgesinnten zu kommunizieren vermag.“

Marijke van Beverningh schüttelte verächtlich den Kopf. „So einfach ist es wohl kaum. Sklavenhändler plakatieren nicht. Hierzulande tut das niemand. Alle rufen laut und preisen ihre Waren an. Doch die Sklavenhändler flüstern nicht einmal.“

Ich stimmte selbstverständlich zu, in diesem Sinne hatte die Dame sehr Recht. Für alle anderen Geschäfte wurde allüberall und auf alle Arten geworben, nur eben für die offiziell verbotene Sache nicht. Wer einmal auf einem orientalischen Basar zu Gast war, weiß, dass das Anpreisen noch lauter und eindringlicher vonstatten geht als auf dem Markt einer deutschen Stadt, wo der eine oder andere Händler mit kräftiger Stimme seine Würste oder Fische bewirbt und dem Passanten manchmal gar aufdringlich aufschwatzt, oft mit anzüglicher Anrede. Da ist der Orientale doch höflicher und geschäftstüchtiger, denn statt derber Worte wählt er die Schmeichelei.

Sir David nickte. „Allerdings! Mir oder vielmehr der vermeintlichen Mrs. Lindsay …“ – er wagte es nicht, die Holländerin mit einem ironischen Seitenblick zu bedenken – „… sind die Stoffe und Schals und anderen schönen Dinge so blumig anempfohlen worden, dass ich beinahe nicht hätte widerstehen können, obgleich mir doch der Sinn noch immer eher nach Altertümern aus Stein und Metall steht. Wie auch immer, diese Händler verstehen ihr Werbehandwerk.“

Da ich zuvor erwähnt hatte, dass auch Kapitän Turnerstick mit allerlei Waren handelte, sich aber vor Ort besonders für Perlen aus dem persischen Golf interessierte, ergänzte Haschim kurz, dass ihm ebenfalls solche angeboten worden waren. Da Perlen natürlich nicht auf offenen Marktständen gehandelt wurden und es verständlicherweise keine Auslagen der wertvollen Schätze gab, hatte man ihn im Gewühl diskret angesprochen: Ein hoher Herr mit zwei Leibwächtern suche doch sicher etwas Exquisites. Solcherlei könne er bei Interesse erwerben, es gäbe Perlen in vorzüglicher Qualität, schöner Form und in den Tönungen weiß und schwarz und rosenfarben. Haschim hatte jedoch höflich abgelehnt, worauf der respektabel aussehende Mann mit verständnisvoller Geste verschwunden war.

Sir David hob die Brauen. „Wer hätte gedacht, dass ein Händler oder Mittelsmann so dezent reagiert, wenn man kein Interesse zeigt. Das muss wohl an der Ware liegen: Edles Gut bedingt edle Manieren.“

Halef hingegen meinte: „Sihdi, das wäre wohl etwas für den Kapitän!“

Ich aber wechselte einen Blick mit Haschim, und in diesem Moment begriffen wir beide: Die Perlen, die dieser Mann angeboten hatte, waren keineswegs den Muschelschalen entstiegen wie die schaumgeborene Venus. Sie kamen wohl auch vom Meer her, aber nur, weil man sie jenseits dessen gefangen hatte. Diese Perlen waren Menschen, genauer: die gesuchten Sklavinnen!

Sklavin und Königin

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