Читать книгу Sklavin und Königin - Jacqueline Montemurri - Страница 11

Viertes Kapitel Eine Karawane

Оглавление

Wir ritten also weiter, nach Süden, zur Halbinsel von Katar.

Ich fragte mich nun, warum die Nachforschungen Marijke van Beverninghs ausgerechnet einen Hinweis auf Katar ergeben hatten. Ich selbst wusste, wie die schreckliche Maschinerie des Sklavenhandels rund um Arabien ihre Räder und Achsen gesetzt hatte. Im Osten des mittelländischen Meeres, der levantinischen Küste, kreuzten die Piratenschiffe, um dort, wie es der Holländerin widerfahren war, europäische Frauen mit weißer Haut zu entführen. Gewiss war dies eine heikle Jagd für die Verbrecher, denn wo europäische Frauen waren, waren auch europäische Männer und auch Soldaten der Kriegsmarine, vorrangig der britischen, welche die Handelswege schützten. Doch wenn erst die bedauernswerten Opfer gefangen waren, hatten die Sklavenhändler leichtes Spiel: Die Frauen wurden wie Ware auf Karawanen verteilt, welche sich dann auf geheimen Routen zwischen den Meeresküsten bewegten und dabei das nördliche Arabien durchmaßen. Wir hatten den gleichen Weg genommen, waren aber niemandem begegnet – welch ungerechtes Glück für die Menschenschinder. Aber sie konnten sich leider auf solches verlassen. Denn gemeinhin begegneten sie auf ihren Wegen ohnehin nur Türken oder Arabern, die, ich muss es leider erwähnen, dem Sklavenhandel gleichgültig gegenüberstanden, sei es aus jahrhundertelanger Gewohnheit oder weil es ihnen nun von den europäischen Mächten verboten war. Und warum sollten sie auch fremde Frauen befreien? Es mochte auch eine Rache dafür sein, dass sich die Abendländer als Herren der orientalischen Lande aufspielten.

Am wahrscheinlichsten aber herrschten nur schlichter Geschäftssinn und Gier nach Gold. Dies wird nun befördert, wenn man keine Strafe befürchtet. Und derart sicher fühlten sich die Scheiks und Emire, welche vom Sklavenhandel profitierten. Der Westen und das Innere Arabiens gehörten zum Osmanischen Reich, die Emire der Ostküste waren frei von Istanbul und der Hohen Pforte, und London und das Empire ließen sie gewähren. Das Nichteingreifen in innere Angelegenheiten ist ein hohes Gut und jeder großen Macht gegenüber Schwächeren angeraten – doch wenn es um Verbrechen und Versklavung geht, sollte Menschenrecht herrschen, welches über dem Willen von kleinen Fürsten und Königen zu stehen hat.

Jene Emire regierten also am südwestlichen Rand des Golfs von Persien. Warum reisten wir dann nicht nach Oman, nach Dubai? Aber nun, was wusste ich schon von den Handelsgepflogenheiten der Verbrecher? Vielleicht stammten die Sklavinnen, die nun verkauft werden sollten, aus einem Beutezug nahe Persien oder gar Indien. Auch dort mochten sich die begehrten weißen Frauen finden lassen, und einem arabischen Herrn würden Europäerinnen und Inderinnen gleichermaßen exotisch und begehrenswert sein, nicht weniger als Frauen aus Afrika. Mir waren die Unterschiede ein Gleiches, so wie das Unrecht stets gleich schwer wog. Ich wollte ein jedes vereiteln oder rächen, so es mir denn gegeben war.

Kurz vor Sonnenaufgang sahen wir vor uns eine Karawane, die von Osten herkam, während wir aus Westen ritten. Wir hatten wie zuvor nur eine kurze Nachtruhe eingelegt und waren zeitig wieder aufgebrochen. Als die Linie der Kamele zu erkennen war, verspürte ich leise Enttäuschung. Es wäre mir lieber gewesen, wenn wir die Karawane entdeckt hätten, als sie noch im Nachtlager gerastet hatte. Dann hätte ich mich heranschleichen und spähen und vor allem lauschen können, um zu erfahren, um wen es sich handelte. Nun blieb nur der Blick aus der sicheren Ferne mit dem Teleskop. Ich zog also mein Fernrohr aus und schaute hindurch. Haschim war neben mir und tat es mir gleich.

Ich erkannte zunächst die schwere Bewachung. Große Männer mit schwarzen Gesichtern und langen Säbeln schritten neben Dromedaren einher, die schlank und kräftig waren, gezüchtet zum schnellen und ausdauernden Laufen, mit leichten Sätteln. Als ich mich fragte, warum diese afrikanischen Hünen zur Reiterei eingeteilt waren, wo sie doch mit ihrem Gewicht jenen Vorteil der Renndromedare zunichte machen würden, erkannte ich kleinere, arabische Männer, über deren Schultern Gewehre ragten. Ob sie nicht im Sattel saßen, um die Kamele frisch zu halten, oder sich nur die Beine vertreten wollten, vermochte ich nur zu ahnen. Ich sah auch einige Pferde von nicht übler Zucht, und auf ihnen ritten wohl die Führer der Karawane und die Händler. Ich will nun nicht urteilen, dass diese Männer nicht wie Sklavenhändler ausschauten – der Anschein trügt oft, wie ein jeder weiß, zumal sich Verbrecher nur allzu gern als ehrliche Geschäftsleute ausgeben. Und Äußerlichkeiten täuschen ebenso: Wer glaubt, dass alle Schurken hässlich und narbenbedeckt wären, wie in schundhaften Sensationsromanen geschildert, der kennt die Wirklichkeit nicht, wie ich sie kenne. Und auch ein anständiger Kaufmann mag Blessuren tragen und von schlechten Geschäften gebeutelt sein und dementsprechend finster dreinblicken.

Deutlicher aber als die Menschen zeugten wohl die Waren davon, um welche Art Karawane es sich hier handelte. Etliche Lastkamele, schwer beladen mit Ballen und Kisten, schritten schwankend einher, und es war keine weibliche Fracht zu sehen, die doch in Sätteln oder Sänften hätte sitzen müssen. Die Güter dieser Karawane waren wertvoll, wovon die Wachen zeugten, doch waren es wohl Tuche, Spezereien oder sonstiges, aber keine Menschen. Ich erinnerte mich an die Perlenschätze des persischen Golfs und an die mutigen Männer, die in den flachen Gewässern vor den Küsten Omans und Abu Dhabis nach Austern tauchten, um mit jenen die im Innern verborgenen kleinen Perlmuttgebilde emporzuholen. Es mochten sich also auch Beutel mit schimmerndem Inhalt an den Gürteln der Kaufleute befinden, welcher allein die abschreckende Bewachung rechtfertigte. Ob diese allerdings nicht erst die Räuber anzog, war etwas, das nicht ich zu bewerten hatte, sondern die Händler. Ich wusste nur, dass dies nicht die Männer waren, die wir suchten, nein, jagten. Vielleicht würden wir jenen noch auf dem Weg nach Dauha begegnen, der Hauptstadt Katars an der Ostküste der Halbinsel, jene Stadt, die manche modern auch Doha nennen. Die Chance, sie in der Wüste zu stellen, wäre mir recht lieb gewesen, denn erst einmal in der Stadt angelangt, am Ort des Sklavenhandels, hätten wir nicht allein die Schurken gegen uns, sondern gewiss auch die örtlichen Büttel und Soldaten. Wir waren Fremde, gar Europäer. Wir durften auf keine Hilfe hoffen, zumal wir ja auch die Erlöse gewisser Profiteure schmälern würden.

Doch der Weg nach Dauha war noch lang, vielleicht war uns das Schicksal gnädig, oder mehr noch: den gefangenen Frauen. Den Schurken weniger.

Ich ließ das Fernrohr sinken. Haschim spähte noch immer.

„Nun“, sagte ich, „wir werden weiter reisen und suchen müssen. Es wäre auch zu trefflich gewesen, bei unserer ersten Begegnung die Gesuchten zu finden.“

„Das Schicksal ist stets gnädig, Kara Ben Nemsi. Die Frage ist, für wen.“

Ich nickte, dem konnte ich zustimmen, in aller Allgemeinheit.

„Dann lassen wir diese Karawane ziehen“, meinte ich. „Sie mag hilfreich sein, denn die Sklavenhändler werden sie wohl meiden, nicht aus Gefahr der Entdeckung, sondern aus Gründen der Rivalität.“

Haschim wandte den Kopf und blickte mich an. „Ihr habt nicht verstanden, Kara Ben Nemsi. Schaut noch einmal. Und nutzt den Musaddas!“

Haschims Forderung verwunderte mich, und mehr noch der etwas ungehaltene Klang seiner Stimme. Ich war ein wenig verstimmt, wollte aber glauben, es läge daran, dass wir eben zwei Männer mit starkem Willen und Eigensinn waren, und nun einige Monate getrennt gewesen, sodass sich eine gewisse Fremdheit ausgebildet hatte. Zudem waren wir ja auch noch nicht allzu lange Zeit Gefährten gewesen, da konnte so etwas schon geschehen, anders als zwischen mir und Halef oder Sir David, wenngleich Letzterer ja ohnehin seine charakterlichen Besonderheiten hatte, die manch anderer seltsam, zumindest aber überspannt nennen mochte – oder eben: britisch.

Dass Haschim aber zum zweiten Mal den Sechseckring ansprach, war mir nachgerade unangenehm. Als würde er diesen und mich als eine Einheit ansehen oder mich nur als vollständig begreifen, wenn ich den güldenen Tand nutzte. Ich spürte einen Druck im Magen, den ich nicht als Zorn begreifen wollte, eher als ein Unwohlsein aus Enttäuschung heraus. Aber diese Gefühle kannte ich allzu gut, und um sie handelte es sich nicht. Es war auch kein Hunger oder dergleichen, dennoch kam mir dieses Brennen auf ungute Weise vertraut vor. Ich hatte es damals oft verspürt, bei unseren gemeinsamen Abenteuern, immer wenn es hieß, dass jemand – Magie wirkte. Oder ein Zauber herrschte. All dies, was ich in den arbeitsamen, aber auch ruhigen Stunden in der Heimat abgetan, bezweifelt, fast verdrängt hatte und was mir nur auf den beschriebenen Seiten wahrhaftig vorkam, jedoch nicht mehr gegenwärtig war. Ich hatte Traum und Wirklichkeit geschieden – oder zumindest geglaubt, dies zu tun oder zu vermögen.

Kaum aber, dass ich wieder im Orient war, an der Seite Haschims, begann ich erneut diese seltsame Macht zu fühlen, die ich zum ersten Mal verspürt hatte, als wir Al-Kadir begegnet waren und ich ihn in einem Duell besiegt hatte. In einem Duell mit einem magischen Schachspiel. Denn Al-Kadir war ein Zauberer gewesen. Und auch Haschim war nicht nur ein Prinz und ein Gelehrter, auch er sollte ein Magier sein.

Ich lachte leise in mich hinein. Ich wurde wohl wunderlich, in meinen durchaus noch jungen Jahren. Aber noch seltsamer: Ich schien mich vom wahrhaftigen Reiseschriftsteller, der nur wiedergibt, was er erlebt hat, zum wahnhaften Märchenerzähler zu wandeln.

Nun, gegen Vermutungen gibt es ein probates Mittel: den Versuch. Um sich und andere zu überzeugen. Also griff ich in meine Westentasche und holte den Musaddas hervor, den ich aus einer Laune heraus bereits vor einiger Zeit von der Uhrkette gelöst hatte. Als hätte ich dergleichen geahnt … Nein, es hatte andere Gründe gehabt, doch sie waren mir entfallen.

Ich wollte den Musaddas nicht wie ein Monokel vor die Augenhöhle klemmen und dann durch das Perspektiv spähen, und so schob ich den Ring flugs über das Okular des Fernrohrs, wohin er erstaunlicherweise gut passte, und schaute durch dieses jetzt so golden bewehrte Teleskop.

Unfassbar, was ich nun sah!

Die schwarzen Wachen und die kleinen Reiter waren unverändert, ebenso die Männer auf den Pferden, doch auf den Lastkamelen zeigte sich – die wahre Natur der Fracht! Ich sah dort keine Kisten und Ballen mehr, keine Säcke und Bündel. Stattdessen schwankten auf den Höckern der Dromedare zierlich gezimmerte Plattformen mit erhöhten Rändern, voller Kissen und mit aufragenden Stangen daran, die Baldachine zum Sonnenschutz trugen, von denen auch zur Seite gebundene schleierdünne Vorhänge hinabhingen. Und sanft auf diesen bequemen Lagern ruhend, sah ich – Frauen! Sie schliefen wohl. Die Gesichter waren verhüllt, doch erkannte ich hier eine Hand, einen Arm eine Schulter, und deren Haut war hell und weiß.

Doch waren diese Frauen die Opfer von Sklavenfängern oder der Harem eines reichen Mannes? Ich will damit nicht aussagen, dass eine Frau im Besitz eines Haremshalters nun keine Sklavin war. Es galt hier nicht, moralisch zu denken, sondern rein faktisch über das, was ich sah. Würde eine Sklavenkarawane ihre menschliche Fracht so gänzlich frei mit sich führen? Ich sah keine Fesseln oder gar Ketten, selbst wenn es nur die feinsten gewesen wären. Und solcherlei Sicherheitsmaßnahmen müsste es doch geben, auch bei all der Bewachung. Denn wenn eine Sklavenkarawane überfallen würde, etwa von rechtschaffenen Menschen, und die Sklavinnen wollten fliehen – würden die Bewacher diese wohl erschießen? Dann – man verzeihe meine Worte, ich versetze mich nur in die Gedanken von Schurken – wären ihre Waren doch dahin, noch bevor sie die Angreifer vielleicht besiegt hätten.

Ich wollte nun keine allzu einfache Rechnung aufmachen, nach der es ohne Ketten keine Sklavinnen gäbe. Aber ich wollte auch keine Männer angreifen, die so lebten, wie es ihre Tradition vorschrieb, nur weil die meine eine andere war.

„Ich sehe Euch grübeln“, flüsterte Haschim. „Aber ich ahne, dass Ihr über das nachdenkt, was Ihr nun seht, und nicht, warum Ihr es zuvor nicht gesehen habt!“

Nun ja, ich hatte die Sänften für Frachtballen gehalten, was ein unverzeihlicher Fehler war, aber vielleicht erklärbar mit …

„Magie, Kara Ben Nemsi“, sagte Haschim. „Die Sklavenkarawane führt nicht nur Bewaffnete, sondern auch einen Zauberer zum Schutz mit sich. Er hat den Anblick der Fracht für das Auge der Uneingeweihten verwandelt. Ihr aber seht das wahre Wesen der Dinge durch den Musaddas. Und weil Euch eine weitere Gabe zuteil wurde, könnt Ihr auch anderes schauen. Blickt noch einmal hindurch und öffnet Euren Geist.“

Ich wunderte mich, dass ich Haschims Wunsch folgte – doch nicht, weil ich diesem entsprechen und Haschim zu Gefallen sein wollte, sondern weil ich selbst etwas verspürte, eine Ahnung, die ich früher als Zeichen von Gefahr begriffen hatte, etwa wenn Feinde nahten. Nun war dies etwas anders … aber einerlei. Ich schaute durch das Teleskop mit dem Musaddas erneut auf die schlafenden Frauen und sah nun tatsächlich das, was mir zuvor verborgen war: Um Hälse und Handgelenke, auch um die Fußknöchel der weiblichen Wesen sah ich dünne, schimmernde Linien gewunden wie schwach leuchtende Schnüre. Und all diese führten von ihnen fort, von den Dromedaren, nein, durch die Dromedare nach vorn, wo die Führer der Karawane auf ihren Pferden ritten, bis hin zu einem dünnen Mann im Sattel mit glattem Gesicht und kralligen Händen, in deren Fingern er die Enden jener Fesselleinen hielt. Dies sollte also der Zauberer sein, und er hielt mit magischen Banden die Frauen – und diese waren somit Gefangene, Sklavinnen, und die Karawane eine von Sklavenhändlern!

Ich blickte Haschim entsetzt an. Magie! Und ich konnte sie kaum leugnen, denn was ich da sah, war keine Fata Morgana oder Sinnestäuschung meinerseits, die ich irgendwie hätte erklären können. Meine Nüchternheit, die ich mir in den Monaten am heimatlichen Schreibtisch erarbeitet hatte, war mit einem Schlag von mir gewichen. So war es also, im magischen Orient. Kaum war ich wieder zugegen, irrlichterte der Zauber um mich her. Aber ich wollte mich nicht allzu weit auf diesen fremden Pfad begeben, sei es gedanklich oder tatsächlich. Mochten die Männer der Karawane sich eben übernatürlicher Werkzeuge bedienen! Ob die Ketten nun aus Magie oder aus Eisen bestanden – man würde sie zerbrechen können! Und die Sklavenhändler mochten einen Zauberer unter sich haben – sie selbst waren dies wohl kaum und noch weniger Dschinne oder Dämonen, sondern schlichte Menschen!

Ich spähte erneut durch das Fernrohr und nahm die beiden Anführer ins Visier, deren Gesichter ich jedoch nicht ausmachen konnte. Der eine trug Turban und Gesichtstuch, er war groß und beleibt, doch muskulös. An seiner Seite erkannte ich einen großen Säbel, dessen Scheide und Griff golden glänzten und von denen grün blitzende Reflexe ausgingen. Ich nahm das Auge vom Okular – dies war kein Zauberwerk, sondern es waren Edelsteine, Smaragde wohl, in denen sich das Licht der Morgensonne brach. Vielleicht war es aber auch nur buntes Glas.

Der zweite Mann, klein und drahtig, wie mir aus seiner Haltung vermittelt wurde, da er in eine dunkle Dschellaba mit Kapuze gehüllt war, trug an der Seite eine Peitsche, neben der die Nilpferdgerte meines Halef wie ein Spielzeug wirkte. Mit einer solchen Kurbatsch würde sich wohl ein Mann schmücken, der sich selbst Abu Kurbatsch nannte.

Wieder schaute ich zu Haschim. Er nickte. Dies waren die Gesuchten!

Wir tauschten Blicke aus, denn die Namen konnten wir nicht laut ausrufen, weil unsere Gefährten in unserem Rücken sie hätten hören können. Und wenn sie erführen, dass Abu Kurbatsch und wohl auch Youssef al-Fuladhy sich direkt vor uns befanden – was würde wohl geschehen? Ich fürchtete, dass Marijke van Beverningh in ihrem Schmerz und ihrer Wut etwas Unbedachtes tun könnte. Ich hoffte, sie würde nicht töricht und lebensmüde handeln – aber konnte ich mir sicher sein? Eine gequälte Seele und brennender Zorn mochten eine Reaktion ergeben wie Karbid, das man mit Wasser versetzt: Wehe dem, der in der Nähe des verschlossenen Gefäßes weilte!

Aber was war mit uns selbst? Sollten wir angreifen? Rasch und ungeplant, nur weil sich die Gelegenheit ergab? Ich war stets darauf bedacht, mit Besonnenheit und Planung solcherlei Dinge anzugehen, wusste aber wohl, dass auch das Unvermittelte zum Erfolg führen konnte, wenn es Erfahrung und Instinkt gab, auf die man bauen konnte.

Haschim erkannte meine Gedanken – nein, gewiss las er sie nicht, denn ihm waren Einfühlungsvermögen und Auffassungsgabe geschenkt.

„Nein“, flüsterte er. „Wir könnten sie überwältigen, gewiss. Doch nur, wenn es Sklavenhändler wären, wie es sie gemeinhin gibt.“

Mir fuhr es brennend durch den Leib – waren die Männer doch …?

Haschim deutete auf den dünnen Mann bei den Anführern.

„Er hält, wie man so sagt, die Fäden in der Hand. Doch kann man sie ihm nicht entreißen. Dieser Mann der Schwarzen Künste ist mit den Seelenfasern der Sklavinnen verbunden. Ein Ruck, ein Gedanke, und die armen Geschöpfe …“

„… sterben?“

„Nein, ihre Seelen würden ihnen entrissen und sie selbst lebten weiter, willenlos und verdammt.“

„Das mag manchen Sklavenhalter nicht stören. Aber wir können sie nicht dieser Gefahr aussetzen. Was nützte ihnen ein freies Leben, wenn sie ihrer Seele bar wären.“

„Und ich vermag diesen Zauber nicht zu bannen. Der Nigromant hat seine eigene Seele verflochten – ja, Kara Ben Nemsi, er besitzt noch eine solche. Aber er ist selbst ein Sklave und muss stets neue Frauen in die leuchtenden Bande schlagen, denn er zehrt auch ein wenig von deren Kraft. Das ist sein Lohn und sein Leben. Würden wir ihn töten oder bedrohen …“

„Ich habe verstanden. Wir können erst eingreifen, wenn er die Fesseln selbst gelöst hat. Am Zielort der Karawane.“

„In Dauha. Auf dem Sklavenmarkt.“

„Und dieser wird nicht unter freiem Himmel stattfinden, sondern heimlich, in einer Behausung …“

„Ich sehe, es schmerzt Euch. Und Sayida Maryam wird es noch tiefer schmerzen. Wir müssen den Männern still folgen.“

Ich nickte und schob das Teleskop ineinander. Wir würden den anderen die Lage erläutern und uns den Notwendigkeiten beugen. Ich sah bereits unseren Vorteil – in der Stadt würden wir eine größere Chance haben, rasch mit den Befreiten zu fliehen. Und dies auch – jene, die mich kennen, verwundert es nicht –, ohne die Schurken zu überfallen oder töten zu müssen. Ich hatte ja andere Pläne mit ihnen.

Sklavin und Königin

Подняться наверх