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I. Das Unrecht als zentraler Begriff der allgemeinen Verbrechenslehre

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Als Kern der Verbrechenslehre hat der – nach heutigem Verständnis praktisch unstreitig autarke[2] – Unrechtsbegriff das Potential, viele Fragen des Strafrechts in sich zu vereinen, beginnend beim Sinn und Zweck des Strafens über die Kriminalpolitik hin zur Dogmatik des Verbrechens. Dieser „Metacharakter“ ist zugleich sein Manko, da der schillernde Unrechtsbegriff stets „systemisch eingefärbt“ ist, also in Relation zu einem bestimmten Konzept des Strafens steht.[3] Eine losgelöste, spezifische Lehre des Unrechts kann es damit nicht geben. Zwar könnte man sich auf einen Begriff verständigen, wonach (strafrechtliches) Unrecht das sei, „was der Gesetzgeber mit Kriminalstrafe bewehrt“;[4] denn ein solcher positiver Begriff läuft zumindest nicht Gefahr, von der gesetzgeberischen Wirklichkeit überlagert oder gar überholt zu werden. Soweit der Unrechtsbegriff aber materiellen Gehalt haben,[5] mithin „tonangebend“, strafrechtslegitimierend oder gar „systemkritisch“ fungieren soll, gilt es, ihn durch bestimmte Legitimationsmodelle auszufüllen (was eine Nähe des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs zu demjenigen der Rechtsgutsverletzung zeigt). Dieser Akt wird über die grundsätzlich anerkannte Differenzierung zwischen den zwei potentiellen Hauptbestandteilen, nämlich dem Erfolgs- und dem Handlungsunrecht vollzogen.[6] Dabei steht das Erfolgsunrecht als Synonym für „Rechtsgutsbeeinträchtigung“,[7] „Normdesavouierung“[8], „Übergriff des Täters in die Freiheitssphäre anderer“[9] oder „Normübertretung“;[10] das Handlungsunrecht spiegelt sich zum einen (beim Vorsatzdelikt) im subjektiven Tatbestand, zum anderen in Verstößen gegen sowohl in den Straftatbeständen des Besonderen Teils näher spezifizierten als auch in der Dogmatik des Allgemeinen Teils verankerten Verhaltensanforderungen (vgl. dazu unten Rn. 26 ff.) wider.

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Ist dieser Schritt vollzogen, also ein bestimmtes Konzept zugrunde gelegt, lässt sich das Unrecht durchaus als Inbegriff aller Voraussetzungen definieren, „die das Urteil begründen, der Täter habe sich in strafrechtlich erheblicher Weise rechtswidrig verhalten“.[11] Der Unrechtsbegriff fungiert dann als Verbindungsglied zwischen jenen abstrakten Legitimationsmodellen und der Strafrechtsdogmatik überhaupt, gilt doch bereits der Tatbestand – sprich: die erste Stufe der Deliktsverwirklichung – als „vertyptes Unrecht“. Der Unrechtsbegriff wird damit samt seiner Komponenten zum Anknüpfungspunkt der verschiedenen Erscheinungsformen der Straftat und zum „Skelett“ einer jeden Deliktsverwirklichung, welcher dank seiner zwei „variablen Bausteine“[12] die Strukturierung des Unrechtkerns eines Deliktstatbestands erleichtert und damit als Argumentationsgrundlage strafrechtsdogmatischer Streitfragen dienen kann.[13] Nicht selten geht damit in Abweichung vom herrschenden dreistufigen Deliktsaufbau – zumindest in der Argumentation – eine „Rückkehr“ zur Dichotomie von „Unrecht und Schuld“ einher;[14] dies kommt deutlich zum Vorschein, soweit Erlaubnissätze als „umgekehrte Unrechtsmerkmale“ kompensierende Wirkung entfalten sollen.[15] So können Fragen „an den Rändern“ der allgemeinen Verbrechenslehre auf die abstraktere Ebene des Unrechts transferiert und dort gelöst werden (so etwa beim Erlaubnistatbestandsirrtum, beim Fehlen eines subjektiven Rechtfertigungselements, vgl. Rn. 17, aber auch bei der hypothetischen Einwilligung). Gewisse Unrechtskomponenten (insb. das Erfolgsunrecht, soweit man dieses mit der überzeugenden h.M. als „unrechtskonstitutiv“ erachtet[16]) dienen als Auslegungsstütze für „analoge“ Tatbestände (so beim Computerbetrug gem. § 263a StGB), können aber auch zur Begründung von Auslegungsspielarten (etwa bei den Brandstiftungsdelikten) herangezogen werden. Während der Begriff des „Unrechts“ in der Lehre ganz unterschiedliche Ausprägungen erfährt und damit auch in abweichendem Kontext aufgegriffen wird, spielt er in der Rechtsprechung überwiegend im Bereich der Strafzumessung eine Rolle (vgl. Rn. 45 ff.).

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