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II. Unrechtslehre „de lege lata“?

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Freilich scheint der gesetzgeberische Trend, zunehmend auf Verletzungs- bzw. Gefährdungserfolge[44] zu verzichten (bzw. aufgrund einer Abkehr von einem klassischen, individualrechtsgutschützenden Strafrecht zu einem Präventionsstrafrecht verzichten zu müssen) der monistischen Lehre faktisch Recht zu geben:[45] Der rechtliche Außenwelterfolg bleibt zwar dogmatisch von der schlichten Tätigkeit bzw. der Handlung zu trennen.[46] Da aber der Erfolg nur noch die Tatbestandsausgestaltung betrifft und nicht mehr als „Synonym für Rechtsgutsverletzung“ fungiert,[47] scheint das Erfolgsunrecht, wie man es als Vertreter eines dualistischen Konzepts verstehen sollte, in diesen Fällen auf den ersten Blick keine Rolle mehr zu spielen.[48]

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Indes wäre ein solcher Schluss von modernen gesetzgeberischen Entwicklungen in (und seien es auch zahlreiche) Sonderbereichen auf ein allgemeines Unrechtsverständnis vorschnell. Zum einen liegt im tatbestandlichen Außenwelterfolg eine gesetzgeberische Wertentscheidung,[49] die den Aussagegehalt hat, dass ein überindividuelles Rechtsgut ab dem Eintritt des Erfolgs qualitativ in einem höhheren Maße betroffen ist als im Falle eines sonstigen Handlungsvollzugs;[50] das spiegelt sich etwa in den auf eine Rechtsgutsverletzung verzichtenden Betrugsderivaten der §§ 264a, 265b und 265c StGB auch in dem gegenüber § 263 StGB verringerten Strafrahmen wider. Daneben darf nicht übersehen werden, dass der tatbestandliche Erfolg auch ohne Rechtsgutsbezug bewusstseinsbildende Wirkung hat,[51] weil er verhaltensnorm-konkretisierend wirkt. Samson präzisiert den Einfluss des Außenwelterfolgs auf das Handlungsunrecht von der Prämisse ausgehend, dass das menschliche Erkenntnisdefizit hinsichtlich der Tauglichkeit von Handlungen, Rechtsgüter zu gefährden (bzw. legitimen Interessen zu beeinträchtigen), eine Entscheidung ex post erforderlich mache, wofür der Erfolgseintritt das Indiz bilde.[52] Dass derartige Ansätze (insb. das Verständnis vom „Erfolgsunrecht“ als „bewusstseinsbildendem Außenwelterfolg ohne Rechtsgutsbezug“) mehr zweckorientiert als zielführend anmuten, ist weniger schlimm, wenn man sich vor Augen führt, dass die Verschleifung von „Handlungs- und Erfolgsunrecht“ bzw. der Verzicht auf ein Erfolgsunrecht bei einzelnen Tatbeständen de lege lata auch als eine legislatorische (Fehl-)Entscheidung verstanden werden könnte, über die auch an anderer Stelle (und mit anderem Vorzeichen) kritisch diskutiert wird.[53]

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Anders gewendet: Soweit man das Erfolgsunrecht auf die Verletzung von Individualrechtsgütern oder sonst irgendwie geartete manifestierte Gefährdungsakte in Abgrenzung zum Außenwelterfolg als begrenzendes Tatbestandsmerkmal beschränken will, heißt dies nicht, dass die Lehre vom konstitutiven Erfolgsunrecht überflüssig, weil vom Gesetzgeber ohnehin nicht beachtet wäre[54] (was umso mehr gilt, als der Gesetzgeber an die Verfassung und nicht an eine hiervon losgelöste Unrechtslehre gebunden ist). Vielmehr kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass der Gesetzgeber eben dort, wo er solch ein Erfolgsunrecht im engeren Sinne verlangt – also für die konkrete Deliktsbegehung und den damit einhergehenden Strafrahmen etc. das Erfolgsunrecht für konstitutiv erachtet (und insofern auch die Konsequenzen aus dessen Fehlen bzw. dessen Kompensation zu ziehen sind) – in einem engen Sinne „klassisch“ bzw. „typisch“ strafrechtliches Unrecht umschreibt, während dort, wo auf ihn verzichtet wird, immer darüber diskutiert werden kann, ob bzw. inwieweit dieser Verzicht auch legitim ist.[55] Dies verträgt sich auch insofern mit dem Charakter des Unrechts, als ein hinzutretendes Erfolgsunrecht dessen Umfang näher konkretisiert. Stellt man sich auf den Standpunkt, dass lediglich sichtbare Verletzungen bzw. Beeinträchtigungen von Rechtsgütern unter den Begriff des Erfolgsunrechts fallen, bleibt dies im Übrigen weitestgehend ohne Folgen, wenn man bedenkt, dass die dogmatischen Auswirkungen des zweibasigen Konzepts ohnehin überwiegend Delikte betreffen, welche Individualrechtsgüter schützen.

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