Читать книгу Wahrheit und Verschwörung. Wie wir erkennen, was echt und wirklich ist - Jan Skudlarek - Страница 10

Das Truman-Show-Problem9

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Erinnern Sie sich an den Film The Truman Show (1998)? Er erzählt die Geschichte von Truman Burbank; ein Durchschnittsbürger, der in der harmonischen Kleinstadt Seahaven ein ganz normales Leben führt. Zumindest so lange, bis Truman nach einigen Zwischenfällen skeptisch wird. Nach und nach erfährt der Zuschauer die ungeheuerliche Wahrheit: Truman Burbank wurde als Kind von einer Firma adoptiert, die ihn in der künstlichen Stadt Seahaven aufwachsen ließ; umgeben von Schauspielern und nonstop gefilmt. Das Drama seines täglichen Lebens hat ihn ohne sein Wissen zu einem Serienhelden für Millionen von Zuschauern gemacht – vom ersten Wort über den ersten Kuss bis zum ersten Job. Jede Episode seines Lebens wurde live und natürlich ohne Probe mitgeschnitten und gesendet. Sein ganzes Dasein: Inszenierte Unterhaltung. Unecht. The Truman Show.

Das wussten auch alle.

Nur einer nicht.

Truman.

Diese bitterböse schwarze Komödie zeigt echte existenzielle Dramatik. Wie wäre es für Sie, wenn Sie herausfinden würden, dass Sie nicht nur einmal belogen wurden, sondern immer und von allen? Dass niemand der ist, der er zu sein scheint? Und alle nur so tun, als ob.

Machen wir ein philosophisches Gedankenexperiment. Denken wir uns zwei Trumans. Der erste ist der Truman-Show-Truman. Er wächst tatsächlich in einer inszenierten Wirklichkeit auf. Nichts Wesentliches ist im engeren Sinne echt. Nichts Wesentliches. Das bedeutet: Wir können davon ausgehen, dass Truman vermutlich »echte Spaghetti« gegessen und »echte Jeans« getragen hat. Die wesentlichen Dinge, das Existenzielle – Freundschaften, Liebe: alles nicht echt. Nach und nach kommt er dahinter und wird vollkommen zu Recht von existenziellem Horror ergriffen. Er erfährt eine Wahrheit, die seine Welt erschüttert. Nennen wir diesen Truman den echten Truman.

Stellen wir uns nun einen zweiten Truman vor. Dieser Truman wächst in der ganz normalen Wirklichkeit auf. Hat normale Freunde, eine normale Vergangenheit, alles ist stinknormal und so echt, wie unser aller Leben echt ist. Keine Kameras. Allerdings ergreift ihn eines Tages eine Angst. Er fühlt sich beobachtet. Er zweifelt an seinen Mitmenschen. Was, wenn die alle nur schauspielern? Nicht echt sind? Wo, um Gottes willen, sind die Kameras?

Den zweiten Truman nennen wir den paranoiden Truman.

Beide Trumans teilen die Überzeugung, dass die Welt sich gegen sie verschworen hat.

Aber nur einer hat recht.

Es reicht nämlich nicht aus, dass wir bloß der Überzeugung sind, recht zu haben. Der paranoide Truman denkt auch, dass er recht hat. Das ist ja die Quelle seiner Angst. Recht hat allerdings nur der echte Truman. Warum? Weil seine Vorstellungen der Wirklichkeit entsprechen. Er wird wirklich beobachtet. Seine Freunde sind wirklich ausschließlich Schauspieler. Es ist wirklich alles inszeniert, und jeder hat sich gegen ihn verschworen.

Deswegen ist der echte Truman zu Recht ergriffen von einer existenziellen Angst. Der paranoide Truman ist zwar auch ergriffen von Panik, aber zu Unrecht. Es gibt keine Kameras, keine Schauspieler, keine Inszenierung.

Das ist das Problem mit gefühlten Wahrheiten.

Echtheit und Unechtheit muss man nicht nur erkennen, um sie zu unterscheiden – man muss sie richtig erkennen.

Schlimmstenfalls geht das schief.

Was für Gemälde, Champagner und Polizisten gilt, gilt auch ganz allgemein: Was echt ist und was nicht, ist keine reine Kopfsache. Echtheit zu erkennen heißt vor allem: die äußere Welt richtig zu erkennen.

Das Kriterium, ob unser Glaube an eine Verschwörung richtigliegt oder nicht, kann nicht allein im Kopf sein. Immerhin denken beide Trumans ja exakt dasselbe: »Alles um mich herum ist nicht echt.«

Ob du dich irrst, ist Frage der Wirklichkeit!

Klar, die Überzeugung ist in deinem Kopf. Das Kriterium der Richtigkeit für deine Überzeugung liegt allerdings in der Außenwelt. Soll heißen: Es liegt nur dann eine Verschwörung gegen dich vor, wenn tatsächlich eine Verschwörung gegen dich angezettelt wurde.

Es geht also auch und immer darum, Vorstellung und Wirklichkeit bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen. Die Welt sinnvoll und nachvollziehbar zu beschreiben.

Weil das leichter gesagt als getan ist, scheitern viele Menschen hieran. Nicht nur Verschwörungstheoretiker. Aber die besonders. Verschwörungstheorien haben nämlich eine gewisse intellektuelle Sexyness. Weil sie an diese grundlegende menschliche Sehnsucht nach Wahrheit und Echtheit anknüpfen. Sie machen attraktive Vorschläge zur Erklärung der Wirklichkeit. Vorschläge, die oft nicht viel mit der Realität zu tun haben, die sich aber ziemlich wahr anfühlen.

Der paranoide Truman lehrt uns: Gefühlte Wahrheiten sind keine. Wirklichkeit (und Wahrheit) liegt nicht im Kopf, sondern in der Außenwelt, in der sich der Kopf befindet. Genauer gesagt: Wahrheit ist eine Beziehung zwischen deinem Kopf und der Welt. Dabei ist es egal, ob es um Gold geht oder einen Menschen in Polizeiuniform. Was richtig und was falsch ist, was echt und was unecht ist – davon haben wir Überzeugungen. Überzeugungen, deren Richtigkeit sich an der Wirklichkeit messen lassen müssen. Schlimmstenfalls ist dein Diamantring aus Glas und dein Psychiater ein Hochstapler.

Wahrheit und Verschwörung. Wie wir erkennen, was echt und wirklich ist

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