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In der langen Nacht zu Montag beschäftigte sich Mücke mit dem mitgebrachten Computer. Dr. Töpfer hatte ihn nach dem Gottesdienst am Morgen angerufen und gesagt, dass er der Polizei nach dem Mord versehentlich einen anderen PC aus der Praxis mitgegeben habe, an dem Mona zwar auch, aber nicht so häufig gearbeitet hatte. Er begründete das mit der Aufregung. Auch hätte er von Monas privatem Benutzerprofil nichts gewusst, obwohl er sich das hätte denken können. Andreas beruhigte ihn und meinte, Dr. Töpfer müsse nicht über alle Rechner in der Praxis auf dem Laufenden sein. Ein Arzt hätte schließlich Wichtigeres zu tun.

Andreas startete den PC in dem Augenblick, als im tief gegenüber gelegenen, über hundert Meter entfernten Burg-Restaurant die Lichter ausgingen. Sein Ex-Schwiegervater hatte dort bis vor wenigen Jahren die Weihnachtsfeiern stattfinden lassen. Das hatte Ralf regelmäßig eine ordentliche Stange Geld gekostet, unter 10.000 Euro war er selten davon gekommen.

Der Verlauf beim Internet Explorer war so eingestellt, dass inzwischen alle besuchten Seiten gelöscht waren, das war schade. Dafür landete er bei Facebook auf Monas Seite, indem er nur die automatisch angezeigten Punkte als Passwort bestätigen musste. Im Profil gab es außer weiteren, überwiegend entsetzten Kommentaren zu ihrem Tod nichts Neues – einer glaubte an einen gelungenen Werbegag und machte sich damit viele Feinde. Mücke überflog den Blödsinn. In der blauen Leiste wurden eine dreistellige Zahl an Neuigkeiten, zwei Dutzend Freundschaftsanfragen sowie zwanzig ungelesene persönliche Nachrichten angezeigt. Mücke las sie, aber sie waren mehr oder weniger belanglos. Unter anderem waren drei Buchbestellungen mit Widmungswünschen dabei und Kommentare zu den Lesungen in Frankfurt, Mainz und Bad Münstereifel. Jemand bedauerte, die Bahn in Rheinbach und somit eine großartige Veranstaltung verpasst zu haben. Eine Claudia bedankte sich für die Lesung und das nette Gespräch im Amadeus. Weiter unten zeigte sich Sa Bienchen 95 empört über eine vernichtende Buchkritik. Immer daran denken, liebe Mona: Auch Neid muss man sich erarbeiten! Sie habe daraufhin spontan eine 5-Sterne-Rezi geschrieben, auch wenn sie erst gerade mit dem Hurensohn angefangen habe und sich mit dem Anfang des Romans noch schwer tue. Außerdem wolle sie in ihrem Blog demnächst eine Leserunde starten.

Andy scrollte zu weiteren Meldungen hinunter, die Mona noch gelesen und zum Teil beantwortet hatte. Ein User fand sie sehr hübsch und hatte wiederholt gefragt, ob sie einen Freund habe. Monas genervter Kommentar lautete irgendwann: Und einen wie dich hatte ich schon. Der Typ hatte den Knall nicht gehört – Mücke hätte an ihrer Stelle nicht anders reagiert. Es fanden sich weitere Bewerber in den persönlichen Nachrichten. In der Regel wurden diese von Mona ignoriert oder mit ironischen Bemerkungen abserviert. Mal war Mona glücklich verheiratet oder lesbisch oder sie schrieb, dass sie wie eine Wasserpflanze keine sexuellen Bedürfnisse habe, und nur darum würde es ja wohl gehen. Andy notierte die Namen von zwei Männern, mit denen sie sich unabhängig voneinander getroffen hatte. Einer wohnte in Ratingen, der andere kam aus Viersen. Der Nachrichtenaustausch war umfangreich, Mücke überflog auch hier das meiste. Mona betonte immer wieder, dass sie nicht der Typ für eine Beziehung wäre. Einmal wurde sie deutlicher: Wer sagt denn, dass ich überhaupt eine will? Manche Bemerkungen erinnerten ihn an Jessica, die oft von einem noch nicht sprach, wenn er Andeutungen auf eine gemeinsame Zukunft machte.

Mit diesem Ulrich aus Viersen hatte sich Mona ab Ende September letzten Jahres bis Januar mindestens einmal im Monat getroffen. Möglicherweise auch häufiger. Die beiden dürften irgendwann ihre Handynummern ausgetauscht haben. Persönliche Nachrichten über ein soziales Netzwerk wurden dadurch überflüssig und zu lästig.

Interessant wurde es bei Jens Kulik. Die erste Nachricht von Mona an ihn lag schon fast zwei Jahre zurück. Der Kontakt wurde zuletzt einseitig. Es kam immer seltener vor, dass Mona ihm antwortete, und wenn, dann nur knapp, meist unfreundlich. Er schien ihr lästig geworden zu sein. Bis vor einem Jahr hatte das ganz anders ausgesehen, da waren Monas Nachrichten deutlich länger als seine. Kulik, das musste der Typ aus Bonn sein, den die Kripo vernommen hatte.

Nun holte sich Mücke doch ein Bier aus dem Kühlschrank. Leider nicht gewonnen stand im Kronkorken. Er hatte mit nichts anderem gerechnet – der abgebildete Audi A3 ließ weiter auf sich warten. Reine Verarschung, dachte er auf dem Weg zurück zum PC.

Danke, Herr Kommissar! Erfreulichen Geistesblitz bei der Tatort-Wiederholung gehabt: Ex-Lover für immer blockieren. Ich verwette meinen süßen Arsch, dass der Waldapotheker zu bekifft ist, sich ein Schnüffelprofil zuzulegen. Ein typisches, nach Beifall haschendes Mona-Posting mit unzähligen Likes. Andy fand es dennoch ganz witzig und likte es ebenfalls. Sekunden später bemerkte er, dass der toten Mona de la Mare damit nachträglich und offiziell ihr eigener Beitrag gefiel. Glücklicherweise ließ sich die unbedachte Aktion wieder rückgängig machen.

Mit dem Waldapotheker könnte der Ratinger gemeint sein. Aber der stand noch in ihrer Freundesliste. Mücke schaute nach, wen Mona alles blockiert hatte, und staunte nicht schlecht: Das waren einige Hundert – die Liste nahm überhaupt kein Ende, den Waldapotheker hatte sie ganz sicher schon lange vor dem Tatort entfernt. Offenbar hatte jede kritische Bemerkung dazu geführt, von ihr blockiert zu werden. Mücke druckte die Liste der Blockierten aus, das machte er auch mit den wichtigsten Korrespondenzen in den persönlichen Nachrichten. Sein Papiervorrat schmolz dahin.

Andy kehrte noch einmal zu ihrem Profil zurück. Neben ihrer nervigen Buchwerbung gab es durchaus unterhaltsame Beiträge. Mona de la Mare konnte sogar richtig wütend werden – oder war das nur eine weitere Form von Werbung? In echt jetzt: Ich jage den Laden in Grevenbroich demnächst in die Luft! Schwer bepackt mit zehn Büchersendungen laufe ich für euch extra dorthin und die Pfeifen haben geschlossen. Wegen einer Betriebsversammlung! Habt ihr das schon mal gehört?

Ihre Freunde schimpften prompt über Bahn- und Pilotenstreiks, wobei Mücke den Zusammenhang mit der genannten Betriebsversammlung nicht verstand. Er packte den Schokoriegel aus, der die ganze Zeit vor ihm gelegen hatte, und biss hinein. Dann trank er noch einen Schluck aus der Flasche und scrollte weiter nach unten ins alte Jahr hinein. Kurz vor Silvester hatte Mona einen schwarzen Tag gehabt: Auf umgeknicktem Ohr geschlafen, mit nackten Zehen gegen die Türkante gerast, drei Stunden geschrieben und alles aus Versehen gelöscht. Ich habe keine Kracher im Haus, bin mir aber sicher, dass sie mir gleich um die Ohren fliegen.

Ende einer Lesereise

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