Читать книгу Ende einer Lesereise - Jan Spelunka - Страница 4

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Mona hatte den Mantel schon angezogen, als von der Theke her eine Frau mit einer bunten Plastiktüte unterm Arm zu ihr kam. Sie sagte, ihr habe die Lesung gefallen, sehr gut sogar, und fragte die Autorin, ob sie ihr Buch hier noch signieren würde. Mona folgte der Frau zum Tresen und kramte dabei in ihrer Umhängetasche nach einem Kugelschreiber. Zunächst tastete sie mehrmals ins Leere, dann hatte sie gleich zwei erwischt.

»Tolle Tasche.«

»Eine von vielen, muss ich gestehen. Dafür habe ich keinen Schuhtick – ist ja auch was!«

»Bei mir ist es genau umgekehrt – Schuhe ohne Ende! Schreiben Sie bitte: für Claudia.« Mona schrieb mehrere Zeilen ins Buch. Sie spürte, dass einige Gäste sie dabei beobachteten – ein angenehmes Gefühl. Die letzte Lesung, erzählte Claudia unterdessen, hätte sie vor Jahren in Köln besucht, inzwischen würde ihr meistens die Zeit für so etwas fehlen. Heute habe es sich ergeben, eine spontane Idee sei es gewesen. Eine nette Abwechslung nach dem Karnevalstrubel und dem Alkohol der letzten Tage. Sie blickte auf ihr Bierglas in der Hand und machte ein verlegenes Gesicht. Mona nickte und erkundigte sich bei Claudia, ob sie sich denn noch an die Lesung von damals erinnern könnte.

»Dass es ziemlich voll war, weiß ich noch. Und es war ein bekannter Autor, aber es ist lange her. Vielleicht, wenn ich ein Foto sehen würde … Es könnte Fitzek gewesen sein oder der Schätzing.«

»Ich erinnere mich an viele Dinge auch nicht mehr. Ein bisschen Alzheimer steckt wohl in jedem von uns. Und jetzt wohnen Sie hier in der Stadt?«

Claudia warf einen raschen Blick auf ihr Smartphone und verstaute es in der vorderen Tasche ihrer dunklen Stonewashed-Jeans. »Seit einigen Jahren schon, vor Kurzem bin ich noch einmal umgezogen. Ich wohne nun etwas oberhalb der Stadtmauer, fast fürs gleiche Geld.«

»Ist bestimmt nicht das Schlechteste.«

»Was?«, fragte Claudia. Das Weiß ihrer Augen sah entzündet aus.

»Na, hier zu wohnen. Zumindest wenn man es etwas ruhiger haben will.«

»Da ist was dran! Wenn du das nächste Mal hier bist, komme ich wieder zu deiner Lesung. Trinkst du noch ein Bier mit mir?«

»Warum nicht?«

Claudia drehte sich um. »Mathes, machst du uns noch zwei Kölsch?«

Zwanzig Minuten später verabschiedete sich Mona von ihr und den anderen Gästen, die zwischendurch immer ein Auge auf sie geworfen hatten. Sollten sie ruhig – die Frage nach einem Buch wäre ihr natürlich lieber gewesen. Draußen war es noch kälter geworden. Sie ging wenige Meter in Richtung ihres Hotels, der Wolfsschlucht. Aus deren Restaurant drangen gedämpfte Geräusche auf die Straße. Zwei Gäste standen ohne Jacke vor der Eingangstür. Sie redeten nicht miteinander, hatten ihre Pilsgläser in der Hand und rauchten. Beide machten auf Mona einen gelangweilten Eindruck, womöglich waren sie auch nur müde. Davon konnte bei ihr keine Rede sein, sie wollte sich noch etwas bewegen und den Abend irgendwo mit einem Absacker beschließen. Etwas Heißes wäre nicht schlecht, zur Not würde ein einfacher Glühwein reichen. Die andere Buchhandlung Bad Münstereifels wirkte mit ihren vielen Fenstern im Vorbeigehen geradezu friedlich. Am späten Nachmittag hatte Mona sie betreten und sich gewundert, dass der Verkäufer von ihrer Lesung nichts gewusst hatte. Seine blonden Haare standen ab, als hätte er in der Mittagspause versehentlich in die Steckdose gegriffen. Nach kurzem Nachdenken hatte er ihr schräg gegenüber den richtigen Laden gezeigt und das Missverständnis beendet. Etwa drei Dutzend Flyer und Lesezeichen hatte sie noch bei ihm auslegen dürfen. Jetzt sah sie ihr Werbematerial gut platziert auf einem Beistelltisch liegen. Es sollte sie wundern, wenn das zu keiner Bestellung führte. In einigen Jahren würden ihre Neuerscheinungen ohnehin in den Fenstern aller Buchhandlungen ausgestellt sein. Unter Umständen klappte es schon bei ihrem nächsten Buch, dem Fratzenseher, mit dem sie zuletzt so zügig vorangekommen war. Im Grunde war sie mit dem Manuskript fertig, demnächst würde sie es noch einmal lesen und korrigieren. Den Schluss bekam sie bestimmt noch überzeugender hin, aber sie spürte schon jetzt, dass sie sich diesmal selbst übertroffen hatte und fieberte der Veröffentlichung voller Vorfreude entgegen. Der Fratzenseher, sie wird das Buch so nennen. Das ziehst du jetzt durch, schwor sie sich.

In ein paar Jahren gäbe es auch keinen Clinch mehr mit solch vernebelten Gestalten wie ihrem Ex, dieser Vollkatastrophe. Sie hatte ihm unglaubliche zweihundert Euro dafür zahlen müssen, dass sie eines seiner Fotos als Buchcover verwenden durfte. Der scheinheilige Schleimer sprach von einem Freundschaftspreis, das klang gerade so, als hätte sich je einer für seine Bilder interessiert. Was hatte sie bloß damals an diesem ewig abgebrannten Typen gefunden, der ihr zeigen wollte, wie Leben geht? Wie man den Groove des pulsierenden Lebens spürt! Der blöde Waldapotheker war nicht cool, der hatte auch nichts Spirituelles an sich, wie er gerne tat – der Bursche hatte einfach nur sein Leben verpfuscht. Das reinste Sanierungsprojekt! Eine Kopie, von all den Losern, die sie schon gehabt hatte. So sah es aus. Wie hatte dieser Trottel überhaupt das Abitur geschafft?

Wäre es nicht so eilig gewesen mit dem Cover, hätte sie sich nie mit ihm verabredet und auf den Deal eingelassen. Einen Hingucker, einen Eyecatcher hatte er versprochen – lächerlich, im Gegensatz zum Inhalt war der Buchumschlag bestenfalls Mittelmaß. Sie hätte wissen müssen, dass man mit ihm besser keine Geschäfte machte. Und als Dank wollte dieser verlogene kleine Mistkerl nun erneut Kohle sehen – für die angeblich unerlaubte Verwendung seines Fotos zu Werbezwecken im Internet und in Print-Medien. Als könnte man für ein Buch werben, ohne das Cover zu zeigen! Wie erbärmlich, am Ende müsste sie sich wieder an ihren coolen Anwalt wenden. Aber vielleicht hatte er inzwischen in einem seiner wenigen, nicht zugekifften Augenblicke ihren Hinweis auf die Pflanzen in seinem Garten verstanden, die der Idiot ihr damals sogar detailliert erklärt hatte. Drohst du mir, droh ich dir! So einfach war das! Zahlen würde sie jedenfalls nicht, niemals, auch wenn ihr das nicht schwerfallen würde. Eher würde sie ihm die verdammte Hütte anzünden! Peinlich genug, dass sie so einen so lange an sich herangelassen hatte. Wenn sie daran dachte, musste sie würgen. Die Trennung vor über einem Jahr war so was von überfällig gewesen. Nicht zu verstehen, was es da zu überlegen gegeben hatte. Monas Vokabular reichte mittlerweile nicht mehr aus, um ihren Ekel und Hass auszudrücken.

Da war die Sache mit ihrem Bruder geradezu harmlos. Irgendetwas sagte ihr schon die ganze Zeit, dass sie ihm verzeihen und es dabei belassen sollte. Er hatte den Fehler eingesehen und sich mehr als großzügig gezeigt. Der Reiz, ihn weiter auszunehmen, bestand eigentlich nur darin, sich an seiner bescheuerten Alten zu rächen. Warum musste sich Frank damals ausgerechnet in dieses arrogante Miststück vergucken?

Wenige Meter vor Mona begann eine Getränkedose im Wind zu rollen. Ein Sommerurlaub würde sie auf andere Gedanken bringen, würde sie inspirieren. Mallorca, eventuell sollte sie doch nicht darauf verzichten. Mona de la Mare auf den Spuren von George Sand! Jens hatte ihr bei einem der letzten Frühen Dialoge erzählt, dass der berühmten Autorin in jungen Jahren viele Affären nachgesagt wurden. Mit Chopin hatte sie es immerhin neun Jahre ausgehalten. Die Frau muss einen starken eigenen Willen gehabt haben, so wie Mona ihn auch hatte oder haben würde. Nur waren die Zeiten damals schwieriger gewesen, das musste sie zugeben. Ohne etwas von ihr gelesen zu haben, war ihr George Sand sofort sympathisch gewesen.

Trotz des wieder stärker gewordenen Windes hörte sie das Plätschern des mickrigen Flusses, der sich durch den Ort schlängelte. Wieder fiel ihr ein Name nicht ein, aber bei diesem Flüsschen war das wohl egal.

Ende einer Lesereise

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