Читать книгу Ende einer Lesereise - Jan Spelunka - Страница 12
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ОглавлениеDie Buchhändlerin brauchte Passwort Hurensohn nicht zu bestellen. Von der Lesung vor fast drei Wochen waren noch fünf Exemplare übrig geblieben, die sich schlecht zurückschicken ließen, weil Mona de la Mare zum Schluss alle Bücher unaufgefordert signiert hatte. Doch selbst der Mord, bestenfalls hundert Meter von der Buchhandlung entfernt, weckte in Bad Münstereifel kein Interesse am aktuellen Titel der früh verstorbenen Autorin. Teilweise waren die Bücher noch mit Widmungen wie Don’t dream your life, live your dream oder Be yourself versehen. Nicht gerade originell für eine Schriftstellerin, fand Andreas, aber Raritäten waren sie jetzt auf jeden Fall! Deshalb wollte er die restlichen Exemplare kaufen. Die Buchhändlerin verkaufte ihm nur vier. Ein Buch wollte sie behalten und unbedingt lesen, nun, wo sich alles langsam beruhigte.
Draußen kam Mücke ein weiterer Gedanke. Er drehte am Rathaus um und ging noch einmal in die Leserei. Nein, hieß es im Laden, Bücher von Jens Kulik hätten sie nicht vorrätig. Die Verkäuferin sagte, dass der gute Mann zwar in vielerlei Hinsicht herausragend, aber beim Leser kein bisschen angesagt sei. Trotz zahlreicher Auszeichnungen seien seine Werke absolute Ladenhüter. Gegebenenfalls bekäme er in dreißig Jahren aus dem Nichts den Literaturnobelpreis verliehen. Dann stünden die Leute überall Schlange und die Verlage kämen mit dem Drucken nicht nach, auch das kenne man.
Er stand schon in der Tür, als ihm Walter de la Mare in den Sinn kam. Von dem hatte die Buchhändlerin allerdings noch nie gehört. Sie fragte, ob man den kennen muss, ob das ein Verwandter von Mona de la Mare wäre. Mücke hatte keine Lust zu einer langen Erklärung und tat so, als wüsste er es selbst nicht. Es wäre nicht wichtig, antwortete er lapidar, tippte sich an die Stirn und verschwand. Irritiert schaute die Buchverkäuferin dem merkwürdigen Kunden hinterher.
Zu Hause legte er die Tüte mit den Büchern neben der Feststation des Telefons auf der Kommode ab. Die rote Anzeige des Anrufbeantworters leuchtete. Schmidtke aus Viersen hatte sich auf seine Nachricht gemeldet. Andreas wollte zuerst frühstücken. Als er die Brötchen auspackte, wurde ihm klar, dass er für die kommenden Tage auch Brot hätte kaufen sollen. Ohne Kaffee sollte er morgens besser nicht die Wohnung verlassen. Das förderte bloß seine Vergesslichkeit. Jeder Fußweg in den mittelalterlichen Ort dauerte zehn Minuten, mit dem Auto ging es bei den engen verwinkelten Gassen und knappen Parkplätzen auch nicht schneller. Das ist halt der Nachteil, dort zu leben, wo die historische Stadtmauer vollständig erhalten und der Ortskern komplett unter Denkmalschutz gestellt worden ist.
Ulrich Schmidtke kam Mückes Rückruf zuvor, der gerade die letzten Reste seines Marmeladenbrötchens kaute. Für Schmidtke war Mona eine gute Freundin, mit der er sich in den letzten Monaten häufig getroffen hatte. Das letzte Mal an einem Samstag vor über vier Wochen, da war er bei ihr in Neukirchen gewesen. Ohne Nachfrage notierte Mücke den 7. Februar, am 14. war Mona de la Mare in Mainz gewesen. Sie hätten oft gemeinsamen Sex gehabt, aber zu mehr hatte sie es nicht kommen lassen. Das hätte sie ihm von Anfang an deutlich gemacht. Er habe sich trotzdem darauf eingelassen, obwohl er eigentlich auf der Suche nach einer festen Beziehung war. Mona wäre für ihn als Partnerin durchaus infrage gekommen, aber es bestand nie berechtigte Hoffnung, dass sie ihren Standpunkt änderte. Zuerst habe er darauf spekuliert, zuletzt betrachtete er Mona nur noch als Übergangslösung. Nicht gerade schmeichelhaft, fügte er hinzu. Na ja, dachte Mücke. Aber ihr Tod hätte ihm dennoch Schmerzen bereitet und selbstverständlich wollte er, dass der Mord schnell aufgeklärt würde. Wenn er dazu beitragen könne, würde er dies gerne tun. Schmidtke machte am Telefon einen ruhigen, bedächtigen Eindruck und war bereit, Mücke auf der Autobahn ein Stück entgegenzukommen. Sie verabredeten sich für den übernächsten Morgen um elf Uhr im Café Del Sol in Mönchengladbach-Wickrath. Andreas Mücke wäre eine spätere Uhrzeit lieber gewesen, aber Schmidtke war bis einschließlich Sonntag im Krankenhaus zum Spätdienst eingeteilt. Das Café lag dafür direkt an der Autobahnausfahrt.
Monas Desktophintergrund zeigte den ekelhaft dicken und roten Bauch eines Mannes in knapper Badehose. Ein Begrüßungsfenster ging nach dem anderen auf – das nervte. In einem ihrer Ordner gab es das Dokument Money, Money, Money – angelegt bereits vor gut fünf Jahren. Der Hit von Abba war zeitlos, das Thema sowieso. In der Datei tauchten pro Zeile ein Begriff oder eine Abkürzung sowie ein Geldbetrag auf. ETF-Sparplan kam mit Abstand am häufigsten vor, zuletzt mit der regelmäßigen Summe von 250 Euro. Leider war das Dokument extrem unsauber. Eine halbwegs vernünftige Tabelle anzulegen, dürfte doch für eine junge Buchhalterin kein Problem gewesen sein. Sie hatte den Einträgen auch nie ein Datum zugefügt. Andy fand keine Erklärung dafür, warum sie sich zwar die Mühe mit dem Auflisten der Beträge gemacht hatte, dies aber wiederum so schlampig, dass es selbst für sie schwierig gewesen sein musste, die Übersicht zu behalten. Im Ordner sah er, dass Einträge der vergangenen Monate komplett fehlten. Die letzte Speicherung lag ungefähr ein halbes Jahr zurück. Wenn er es dennoch richtig deutete, hatte Mona Ersparnisse von fast 67.000 Euro angesammelt. Hinter Mama standen 24.640 Euro, das Erbe. Str dürfte Steuerrückzahlung heißen und kam viermal vor. Die 385 hinter Tan TB waren dem Anschein nach die Tantiemen ihrer Taschenbuchverkäufe. Das Kürzel F. T. stand mit Sicherheit für Frank Töpfer. Die 18.000 Euro passten. Mücke stutzte und scrollte zurück, als dieser Betrag erneut auftauchte. Gleiche Summe, gleiches Kürzel! Also doch, sie hatte zweimal bei ihm kassiert, und wer weiß, ob sie es dabei belassen hätte. Zweifel an Töpfer kamen auf. Andreas würde ihn zur Rede stellen müssen; er konnte den Töpfers nur helfen, wenn sie ihm nichts vorenthielten. Dem Alten würde er vorerst nichts sagen.
Er rief ihn dennoch an und erkundigte sich, ob er eine Übersicht davon habe, wie viel Geld seine Tochter hinterlassen hatte. Dr. Töpfer sprach von fast 70.000 Euro, was die Familie doch gewundert habe. Die Summe kam hin, wenn man Bargeld und Geld vom Girokonto dazu rechnete. Da Mona, mit Ausnahme von PayPal, dem Online-Banking scheinbar misstraute, wollte Andy gern auf andere Weise die Kontoauszüge sichten und fragte den Doc, ob darüber hinaus auch die Möglichkeit für ihn bestände, sich in Ramonas Wohnung umzuschauen. Er hoffe, dort eventuelle Anhaltspunkte für die Tat oder deren Motiv zu finden. Jedenfalls wolle er diese Chance nicht ungenutzt lassen. Sobald die Polizei sie freigegeben habe, sagte der Doktor zögerlich, könne er den Schlüssel haben. Es sei aber klar, dass Ramona kein Testament gemacht habe und dass die gesetzliche Erbfolge gelte. Darauf hatte Andreas gar nicht hinaus gewollt, fragte dann aber trotzdem, was das konkret bedeute. Die eine Hälfte für den Bruder, die andere für den Vater. Sein Sohn hätte bereits angeregt, einen Teil des Geldes zu spenden. Wie wohltätig – Mücke schüttelte den Kopf.
Er hätte Frank Töpfer besser später angerufen. Oder auch nicht! Es meldete sich seine Frau Michaela, die unbedingt wissen wollte, um was es denn ging. Warum er sich mit ihrem Mann noch einmal treffen wollte – sie hätten vor einigen Tagen doch schon über alles geredet. Von einem Treffen hatte Mücke gar nicht gesprochen, aber ihm war schnell klar geworden, dass diese Frau bei einem vertraulichen Gespräch nicht in der Nähe sein sollte.