Читать книгу Just One Night: Gute Mädchen gibt es schon zu viele ... - Jana Aston - Страница 9

5. Kapitel

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Violet

Das ist die schlechteste Idee, die Daisy jemals hatte. Und glaubt mir, über die Jahre hatte sie so einige schlechte Ideen. Als wir fünf waren, bestand sie darauf, dass wir die Erlaubnis hätten, uns allein die Nägel zu lackieren, was damit endete, dass unsere Eltern den Teppichboden in unserem Kinderzimmer erneuern mussten. Als wir zehn waren, erzählte sie mir, sie müsste nicht für einen Mathetest lernen, weil unsere Gehirne miteinander verbunden seien und sie die Antworten ebenfalls wüsste, da ich sie ja wüsste. Als wir dreizehn waren, hat sie mich davon überzeugt, mit ihr in der Mädchentoilette die Klamotten vor dem Nachmittagsunterricht zu tauschen – und ihren Test in Naturwissenschaften für sie zu schreiben. Uns ist das Ganze geglückt, aber ich war ein nervöses Wrack und dachte die ganze Zeit über, wir würden erwischt und dann in den Kinder-Knast gesteckt werden. Als wir sechzehn waren, hat sie sich als meine Person ausgegeben und mit einem Typen geflirtet, da ich zu schüchtern war, es selbst zu tun. Sie hat ihn dazu gebracht, sie, als sie sich als mich ausgab, um ein Date zu bitten. Technisch gesehen, hat er also mich gefragt. Glaube ich zumindest. Wie dem auch sei, ich war dann diejenige, die mit ihm auf das Date gegangen ist – und ich hatte meinen ersten Kuss mit dem Kerl, also nehme ich an, dass zumindest dieser Plan nicht ein kompletter Reinfall war.

Regeln zu befolgen, ist mein Ding. Regeln zu brechen, das von Daisy.

Also, warum habe ich mich darauf eingelassen?

Das hier ist doch absoluter Irrsinn.

Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt. Viel zu alt, um das durchzuziehen, was letzten Endes eine Zwillingsscharade ist. Ich hole mein Handy hervor und rufe Daisy an, während ich den Sutton-Travel-Tour-Bus beäuge, der vor dem Sheraton steht.

»Ich kann das hier nicht machen«, sage ich zu ihr, sobald sie abhebt.

Sie seufzt mir ins Ohr. »Ich hab deinen Bullshit so satt, Violet. Benimm dich wie ein großes Mädchen und mach es einfach.« Das ist meine Schwester, ihr Lieben.

»Danke, Daisy. Das ist wirklich nett.«

»Gern geschehen. Denk daran, dass dich niemand dazu zwingt, das zu tun. Wenn du lieber zurück zu mir nach Hause kommen und die nächsten sechs Monate weiter schmollen willst, dann bist du herzlich willkommen. Du kannst sogar mein Zimmer benutzen, ich bin ohnehin nicht zu Hause.«

Ich seufze in den Hörer.

»Genau, Vi. Was du brauchst, ist einen Tritt in den Hintern. Ein Abenteuer!« Ihre Stimme hebt sich bei dem Wort Abenteuer und ich weiß, dass sie gleich ihr Totschlagargument bringen wird. »Bist du nicht gelangweilt, Violet? Du solltest ein bisschen leben. Wirf die Vorsicht über Bord. Pack das Leben bei den Eiern!« So, wie ich meine Schwester kenne, fuchtelt sie bei diesen Worten wild mit den Armen herum. »Du bist immer die Verantwortungsbewusste, und wo hat dich das hingebracht? Nirgendwohin«, ergänzt sie unnötigerweise. Denn es stimmt. Ich war immer diejenige, die ihr Leben geplant hat, und trotzdem bin ich jetzt hier, ohne einen Job und auf ihrem Sofa lebend.

Ich nehme mir einen Moment, um selbstgefällig in Erinnerungen an den geheimen One-Night-Stand von letzter Nacht zu schwelgen. Daisy weiß davon nichts. Das war auch ungeplant. Es war ein spontaner Home Run, wenn ich das so sagen darf, und wenn ich daran zurückdenke, muss ich wie eine Idiotin grinsen. Zwar habe ich keinen anderen One-Night-Stand, mit dem ich ihn vergleichen könnte, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er außergewöhnlich war. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich das wirklich durchgezogen habe, denn es ist so was von untypisch für mich, mit einem Fremden anzubandeln. Niemals zuvor bin ich auch nur in die Nähe davon gekommen, mit einem Fremden ins Bett zu gehen. Das mit dem One-Night-Stand habe ich super hingekriegt.

Ich frage mich, ob ich ihm heute Abend wieder in der Hotelbar begegne oder er bereits ausgecheckt hat. Natürlich wäre es rein rechnerisch kein One-Night-Stand mehr, wenn ich noch mal mit ihm schlafe, oder?

»Hallo, Violet? Hörst du mir zu?«, unterbricht Daisy meine schmutzige Rückblende und ich konzentriere mich wieder auf sie.

»Ja, ich höre dir zu.« Ich habe mich in den letzten vierundzwanzig Stunden echt zu einer Lügnerin gemausert.

»Es ist also keine große Sache, Vi. Tu es oder lass es. Bleib oder geh hin.«

»Es ist keine große Sache? Du wirst gefeuert, wenn ich nach Hause gehe, Daisy. Denn diese Tour startet in fünf Minuten und du bist nicht hier. Wo bist du überhaupt? An einem Flughafen? Es klingt danach. Und wie kannst du bitte so gleichgültig sein, wenn es darum geht, dass du gefeuert werden könntest? Seinen Job zu verlieren, ist definitiv eine große Sache. Ich weiß das.«

»Gefeuert zu werden, ist keine große Sache. Das sag ich dir immer wieder. Alles eine Frage der Perspektive, Vi. Du bist nicht wohnungslos und leidest keinen Hunger. Gefeuert zu werden, ist nicht das Ende, es ist ein Anfang. Ein Anfang von etwas Größerem und Besserem«, sagt sie in einem so verträumten Tonfall, wie es nur meine Schwester kann. »Das Leben verändert sich jeden Tag. Du wirst nie wissen, was der morgige Tag bringt, glaub mir. Nutze den verdammten Tag.«

»Was ist überhaupt so dringend, dass du deinen Job dafür in Gefahr bringst? Es ist schließlich eine ziemlich nette Sache für dich.« Daisys Hauptaugenmerk liegt auf dem Schreiben von Beiträgen ihres Reiseblogs, aber dieser Job erlaubt es ihr, zwei Sachen zu verbinden. Sie wird für die Sightseeing-Touren bezahlt und in ihrer freien Zeit fotografiert sie und sucht nach versteckten Schätzen, die eine größere Tourgruppe nicht bewältigen könnte, ihr aber das perfekte Material für ihren Blog liefern. Sie hat ihren Blog aus dem Nichts aufgebaut und erhält mittlerweile dank Werbung und Affiliate-Links ein gutes Einkommen. Zudem arbeitet sie auf selbstständiger Basis, was es leicht für sie macht, das mit ihren Verpflichtungen Sutton Travel gegenüber zu vereinbaren. Es ist ideal und sie wäre verrückt, das aufzugeben.

»Ich muss etwas erledigen«, sagt sie leichtfertig.

Etwas. Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt wissen will, worum es sich dabei handelt.

»Ich leg jetzt auf«, sagt sie. »Steig einfach in den Bus, Violet. Du kannst dich durch die Tour mogeln. Du hast mir dabei schon mal zugeschaut und es ist nicht so schwer. Außerdem habe ich dir eine Schritt-für-Schritt-Anleitung gegeben.«

»Ich werde es verbocken.« Ich schlucke trocken. »Wie kann ich nur eine Reise leiten, die ich selbst erst ein Mal mitgemacht habe?« Letzten Monat habe ich genau die gleiche Tour mitgemacht, als sie nicht ausverkauft war und sie noch ein paar freie Plätze im Bus hatte. Ich war jedoch nicht besonders aufmerksam, sondern habe fast die ganze Zeit dazu genutzt, um auf Marks Facebook-Seite herumzuspionieren, was idiotisch war. Aber zu der Zeit hatte ich das Gefühl, es wäre notwendig.

»Das wissen sie nicht, Violet. Darüber haben wir doch schon gesprochen. Keiner auf dieser Tour wird wissen, dass du keine Ahnung hast, was du da tust. Keiner von denen ist überhaupt Amerikaner. Du kannst denen erzählen, was auch immer du willst. Lächle einfach und achte darauf, dass dir keiner während einer Pinkelpause abhandenkommt, und schon ist alles im grünen Bereich.«

»Nimmst du ernsthaft an, dass nur Amerikaner die amerikanische Geschichte kennen?«, frage ich sie zum zehnten Mal. Diese Vorstellung ist einfach bekloppt.

»Ich nehme an, dass du, da du keinen Job hast, das Geld, was mir Sutton Travel für die Tour bezahlt, gut gebrauchen kannst. Denn ich werde es dir überweisen.«

Touché.

Aber es stimmt und ich habe für diese Woche keinerlei Vorstellungstermine. Null. Seit sechs Monaten verschicke ich nun schon meine Bewerbungsunterlagen und habe nichts anderes gemacht, als zu Vorstellungsgesprächen für Jobs zu gehen, die ich einerseits sowieso nicht haben will und mir andererseits auch gar nicht gegeben werden. Dadurch fühle ich mich scheiße, denn ich kann nicht mal etwas ablehnen, an dem ich gar nicht interessiert bin.

»Außerdem weiß ich, dass du das Skript, das ich dir geschrieben habe, gut genug befolgen kannst, um dich vor ein paar Touristen aus anderen Ländern durchzumogeln«, fügt sie hinzu. »Schließlich bist du keine Idiotin, die das Weiße Haus mit dem Kapitol verwechseln wird. Folge einfach dem Spickzettel, den ich dir gemacht habe.«

»Folge einfach dem Spickzettel«, wiederhole ich, was pure Ironie ist, da Spicken und Schummeln das ist, was Daisy hauptsächlich durch die Highschool gebracht hat.

»Der Busfahrer kennt die Route und alle Zwischenhalte sind bereits arrangiert. In Washington und Gettysburg übergibst du die Gruppe an lokale Experten. Da lädst du sie praktisch nur ab und sammelst sie dann wieder ein. Du schaffst das.«

»Okay.« Ich stoße den Atem aus und beäuge wieder den Bus. »Und du hast noch keine Tour mit diesem Busfahrer gemacht? Tom? Er erwartet nicht, dass ich ihn kenne?«

»Nein. Ich hab dir schon gesagt, dass es mindestens ein paar Hundert Fahrer gibt. Selten habe ich überhaupt einen von ihnen ein zweites Mal gesehen und diesen kenne ich definitiv nicht. Alles ist gut.«

»Okay«, murmle ich. »Das ist trotzdem eine schreckliche Idee.«

»Es ist eine geniale Idee«, antwortet sie voller Selbstbewusstsein. »Außerdem würden all die Touristen auf dem Trockenen sitzen, wenn du nicht auftauchst.«

»Das stimmt nicht«, erwidere ich langsam und rolle mit den Augen, auch wenn sie mich natürlich nicht sehen kann.

»Es stimmt schon irgendwie. Deine erste Flughafenabholung ist in weniger als einer Stunde. Die Firma wäre nicht in der Lage, so schnell einen Ersatz bereitzustellen. Denk einfach an all die netten Kanadier, die am Abfahrbereich des Flughafens auf dich warten und sich fragen, wo du bleibst.«

»Du meinst wohl, dass sie sich fragen, wo du bleibst«, erwidere ich trocken.

»Wie auch immer. Sie werden traurig sein, Violet. Traurig darüber, dass sie den ganzen Weg nach Amerika gekommen sind und niemand sie begrüßt hat.«

»Warum hebst du eigentlich die Kanadier hervor? Wären nicht alle traurig?«

»Ich dachte, ich appelliere an dein weiches Herz. Jeder weiß, wie freundlich die Kanadier sind«, sagt sie unverfroren. »Ich wette mit dir, dass dir einer von ihnen Süßigkeiten aus Ahornsirup anbietet, bevor die Woche rum ist.«

»Du bist lächerlich«, murmle ich, muss aber lächeln.

»Hab dich lieb, Vi. Du bist meine Erdnussbutter.«

»Und du meine Marmelade.«

Wir beenden unser Telefonat und ich pinne mir den Sutton-Travel-Button, auf dem Daisy steht, mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein an mein Top. Daisy hat recht. Ich kann das schaffen und ich brauche die Kohle dafür dringend.

Das passiert, wenn die Firma, für die du arbeitest, zwei Wochen, bevor du den Vertrag für dein eigenes Heim abschließen willst, verkauft und dein Job gestrichen wird. Wie sich herausstellte, sind Banken mehr als skeptisch, wenn es darum geht, jemandem einen über dreißig Jahre laufenden Kredit zu gewähren, wenn dieser Jemand keinen Job hat. Ich hatte in Bezug auf mein altes Apartment bereits alles geregelt und die meisten meiner Sachen in Kisten verpackt, als meine Welt implodierte. Also wurden die Boxen eingelagert und ich zog zu Daisy auf die Couch.

Zur gleichen Zeit habe ich auch noch meinen Freund verloren.

Wenn ich sage, dass ich ihn verloren habe, meine ich das wörtlich. Denn er lebt noch – ich habe ihn nur nicht mehr. Wir haben zusammen gearbeitet. In unterschiedlichen Abteilungen – also nichts Skandalöses. Er war der Sohn der Firmenbesitzer, alle wussten von uns, es war kein Geheimnis und ich habe keine Vorteile daraus gezogen. Natürlich nicht. Ich wollte nie irgendwelche Gefallen.

Außer …

Als das alles passiert ist, war ich die Letzte, die es erfuhr. Die allerletzte Person. Ich war gerade dabei, in meiner Mittagspause ein paar Sachen zu erledigen, als die E-Mail an die Angestellten mit der Information kam, dass die Firma an ein größeres Unternehmen verkauft worden war. Ein größeres Unternehmen, das nur noch die Hälfte der aktuellen Arbeitsplätze brauchte. Ein größeres Unternehmen, das Mark in eine andere Stadt versetzte, damit er dort eine hohe Führungsposition bekleiden konnte – natürlich alles Teil des Deals, mit dem sein Vater die Firma verkauft hatte. Als ich zurück ins Büro kam, stieß ich dort auf eine Repräsentantin der Personalabteilung der neuen Firma, die mir eine Abfindung anbot.

Habt ihr eine Ahnung, wie so eine Abfindung aussieht, wenn ihr sechsundzwanzig seid? Ein Wochenlohn für jedes Jahr, das man dort gearbeitet hat. Ich war für dreieinhalb Jahre in der Firma. Drei Wochenlöhne. Sie haben nicht mal wegen des zusätzlichen halben Jahres aufgerundet.

Innerhalb von zwei Wochen zog Mark für seinen neuen Job nach Kalifornien und ich verlor mein erspartes Geld, das ich in die Eigentumswohnung gesteckt hatte.

Er hat sich kaum die Mühe gemacht, mit mir Schluss zu machen, ehe er ging. Insofern, als dass er praktisch nichts diesbezüglich gesagt hat. Wisst ihr, wie ätzend es ist, wenn jemand eine Trennung andeutet, sie dann aber nicht vollzieht? Komplette Scheiße ist das. Punkt. Ich musste praktisch mit mir selbst Schluss machen. Danke, Arschloch. Er sagte, er würde nach San Francisco ziehen und ich fragte – dummerweise, wie sich dann herausstellte –, was das für uns bedeuten würde. Er runzelte die Stirn und sagte irgendwas von wegen, dass die Entfernung wohl ein bisschen zu groß sei, so als wäre ich unterbelichtet, weil ich es nicht sofort verstanden haben. »Das ist gerade eine sehr wichtige Zeit für mich, Violet.«

Irgendein Mädel namens Lindy hat ihn nun an der Backe.

Also brauche ich das hier wirklich.

Als ich auf den Bus zugehe, gehen die Schiebetüren auf und der Fahrer springt, ein breites Grinsen im Gesicht, die Treppenstufen hinunter. »Daisy!«, ruft er und starrt auf meine Brüste.

Fuck, er kennt mich. Ich meine sie. Er kennt meine Schwester.

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