Читать книгу Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand - Jannik Winter - Страница 13
10. Wohnzimmer Rohwinkel
ОглавлениеHa! Dieser Kommissar Muckel hält sich für Sherlock Holmes, nur weil er ein paar Milligramm von dem weißen Pulver gefunden hat. Da soll er erst mal nachweisen, dass unsere Familie damit etwas zu tun hat. Aber er war zu blöd, meine Taschen umzukrempeln. Speed, Ecstasy, den ganzen Schrott habe ich ohnehin nicht nötig. Ich bin von Natur aus gut drauf. Doch wenn sie den Brief gefunden hätten, dann stände im Notizbuch des merkwürdigen Kommissars nicht nur ein durchgestrichenes Dollarzeichen, sondern ein Gitter mit einem Gesicht dahinter. Meinem.
Er würde es einfach nicht verstehen, was Betti mir damit sagen wollte. Eigentlich war es ihr eigener Hilferuf und stellvertretend hat sie mich angeschrieben. Das macht nur jemand, bei dem das Urvertrauen in die Partnerschaft ungestört ist. So wie zwischen Betti und mir. Gut, sie kann sich nicht besonders verständlich ausdrücken, aber ich verfüge ja über eine flexible Auffassungsgabe.
Lieber Jens, steht hier.
Das zeigt doch, dass alles in Ordnung mit uns ist.
Weder ›Jens, es reicht jetzt‹, noch ein ›Jens, ich habe die Schnauze voll‹.
Nein, nur Lieber Jens.
Ich musste bei dieser Einleitung die Augen schließen und daran denken, wie es war, als wir uns das erste Mal geküsst haben. Dann die Hochzeit. Ich durfte ihr Hochzeitskleid nicht vor der Trauung sehen. Abends hatte ihr Judit vorne ein Glas Rotwein draufgekippt. Der Fleck ging nicht raus. Betti hatte geheult und ich sie mit meinen Küssen getröstet. Danach kam noch einiges mehr, das bei mir Tränen der Erinnerung hervorruft. Wie gesagt, was ihr heute missfällt, hat mit ihrer Überarbeitung und der hohen psychischen Belastung zu tun.
Lieber Jens, für unsere Beziehung sehe ich schwere Zeiten voraus, und ich habe starke Zweifel, ob wir das noch einmal hinbekommen. Meine Probleme kenne ich zur Genüge und weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Was mir jedoch viel größere Sorgen bereitet, sind deine Schwierigkeiten. Nicht die Defizite als solches, jeder Mensch besitzt irgendwelche Schwachstellen. Bei dir ist es leider so, dass du sie total ausblendest und sie nicht wahrhaben willst. Dabei legst du zusätzlich eine Selbstüberschätzung an den Tag, die es dir nicht mehr möglich macht, Realität und Wunschvorstellung auseinanderzuhalten. Wirf einfach mal einen Blick auf deine Kontoauszüge und erkläre mir, wieso du der Meinung bist, ein erfolgreicher Geschäftsmann zu sein? Wie kommst du auf die Idee, mein Chef Paolo wäre ein ehrlicher Geschäftspartner? Welche Idioten haben dich dazu überredet, gebrauchte Akkus zu verkaufen und zwei Jahre Garantie darauf zu geben? Warum denkst du, dass ich die beste Ehefrau der Welt bin, wo ich doch die schlechteste bin. Wieso bist du überzeugt, das zwischen dir und Judit würde niemand wissen? Alle haben das mitbekommen.
Mein lieber Jens, du lebst in einer Traumwelt, aus der du dringend aussteigen musst. Was du in dir trägst, ist eine ernsthafte psychische Störung. So, und jetzt kommt die Forderung deiner Noch-Ehefrau Bettina. Du gehst zu einer Beratung, denn so etwas gehört in professionelle Hände. Im Gegenzug verspreche ich dir, auch für meine Probleme einen Therapeuten aufzusuchen. Ich erwarte eine Antwort bis morgen, sonst bin ich weg. Und noch was, wenn ich mich nicht um dich kümmere, wirst du wohl für den Rest deines Lebens auf einer Parkbank übernachten müssen. Also tu was!
Wie gesagt, ein Hilferuf, den ich ernst nehme. Ich meine, das mit ihrer Therapie. Dass sie als Frau natürlich von Geschäftsmodellen mit technischem Hintergrund keine Ahnung hat, kann ich ihr nicht ankreiden. Und dass dieser Paolo ein grundehrlicher Geschäftsfreund ist, dem ich die besten Kontakte zu verdanken habe, blendet sie einfach aus. Und so schlimm, wie sie sich selbst beschreibt, ist sie als Ehefrau wirklich nicht.
Allerdings war es gut, dass Kommissar Muckel den Brief in meiner Hosentasche nicht gefunden hat. Dieses ›Wenn du …‹ in Verbindung mit einem ›Dann bin ich weg …‹, das könnte er völlig falsch auslegen. Ein weites Feld für Spekulationen stände offen.
»So eine Therapie kam für Sie natürlich nicht in Frage. Verlassen zu werden auch nicht. Da blieb für Sie nur der eine Ausweg. Sie wissen schon, was ich damit andeute.« Das würde er einwenden.
Oder noch schlimmer. »Sie wollte Ihre psychischen Störungen überall publik machen. Wie bringt ein Psychopath seine Frau zum Schweigen, Herr Rohwinkel?«
Nein, den Brief darf niemand finden. Aber was, wenn sie ihre unsinnigen Vermutungen weitergegeben hat? Ich sehe Schwiegermonster Hildegard schon mit dem Finger auf mich zeigen. »Ein Psycho wie er geht nicht freiwillig in die Therapie, er beseitigt die einzige Zeugin, meine geliebte Betti.«
Das ist es, wo ich dringend dran arbeiten muss. Ein Gutachten. Jawohl, ich benötige von einer anerkannten Koryphäe eine Bescheinigung, dass mit mir alles in Ordnung ist. So oberstübchenmäßig. Das sollte ein Psychologe eigentlich in zwei bis drei Minuten herausgefunden haben. Gut, die schriftliche Bestätigung dauert noch mal ein paar Sekunden. Mehr Zeit möchte ich für so einen unnötigen Schwachsinn nicht investieren. Nicht dass ich mit so einem Waschzettel sofort zu Polizei renne, aber es ist immer besser, etwas in der Hinterhand zu haben. Rückversicherung für den Fall der Fälle.
Ich habe mir schon eine Wunschkandidatin aus den Gelben Seiten herausgesucht. Frauen haben für Bettis Probleme sicher ein perfektes Händchen und werden mich umso eher verstehen. Ihr Name erzeugt bei mir positive Schwingungen: Frau Doktor Elisabeth Hahnemann. Das kommt gleich nach Frau Doktor Bachblüte oder noch besser: Frau Doktor Feng Shui.
Hihihi.