Читать книгу Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand - Jannik Winter - Страница 4
1. Schlafzimmer Rohwinkel
ОглавлениеWeg damit. Das Foto durfte niemand sehen. Es hatte mich so erschreckt, dass ich es sofort zerkauen und runterschlucken wollte. Doch die Kante war scharf, schnitt mir in die Zunge und ein Tropfen Blut fiel auf mein weißes Hemd.
Mist.
Nach diesem Desaster riss ich das Blatt in kleine Schnipsel und steckte die in die Hosentasche.
Erste Dummheit.
Kein Feuerzeug, das wahre Problem eines Nichtrauchers aus Rücksichtnahme. Beweise abfackeln war früher eine Sache von zwanzig Sekunden, doch Betti hasst Raucherküsse und deswegen parkte das Schredderfoto zunächst in meiner Hosentasche.
Der nächste Fehler war das Fenster, das hätte ich vorher schließen müssen. Aber warum war es überhaupt so weit geöffnet? Nicht gekippt, sondern mit ausgebreiteten Armen wie die Christusstatue in Rio.
Klar, alles geplant. Sie hat gelüftet, damit sein Mief aus dem Schlafzimmer verschwindet. Ich sog die Luft ein und wollte mich an den Geruch des Mistkerls erinnern. Doch dazu fiel mir nichts ein. Sie ist klug, weiß, dass der Dunst nach heißem Sex im Raum, im Bettzeug und in den Gardinen hängen bleibt. Deshalb hatte sie auch die Laken abgezogen. Und, bei dem Gedanken wurde mir richtig übel, sie wollte seine ekligen Flecken in meiner Waschmaschine vernichten. Diese Schwimmdinger überleben monatelang in der Trommel, haben die im Discovery Channel gebracht. Oder war das Arte?
Jedenfalls gab der Gedanke an die feindlichen Invasoren den Ausschlag. Zu viel ist zu viel. Wie gesagt, ich hätte das Fenster vorher schließen müssen. Doch ein so emotionaler und sensibler Mensch wie ich achtet nicht auf solche Nebensächlichkeiten. Unsere Nachbarin Kathi gegenüber auf dem Balkon hatte ich genauso ausgeblendet wie den aufsteigenden Qualm aus dem Zimmer ihres Sprösslings daneben. Es ist wichtig, im Leben Prioritäten zu setzen. Deswegen versank für mich die Umwelt in Anbetracht des Fotos und der abgezogenen Bettwäsche in Bedeutungslosigkeit.
Der laute Ruf der Empörung war nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig. »Vollumfänglich«, hatte mein Anwalt den Schrei gelobt. Damit meinte er den Stimmumfang. Anfangs kam ein höllentiefes Uaaa, gegen das Darth Vaders Krächzen zum Vogelgezwitscher degradiert wurde. Kapriziös schraubte sich der langgezogene Ton in mir bislang unbekannte Höhen und endete in dem Iiihhh eines Oskar Matzerath, wobei ich hoffnungsvoll auf die Scheibe des linken Fensterflügels blickte. Die vibrierte verdächtig und meine Erwartung stieg exponentiell. Leider ging mir die Puste aus, bevor mir der Triumph zersplitternden Glases gegönnt wurde. Doch einen negativen Effekt hatte der Schrei, er lockte die Langhaarmähne des Nachbarsöhnchens an die frische Luft. Dadurch bekam er ebenfalls alles mit.
›Alles‹ halte ich angesichts der vier Wörter für völlig überzogen. »Ich bringe sie um!«, darf schon mal rausrutschen. Im Affekt ist das gerechtfertigt. Ich meine den Schrei, nicht das Umbringen. Angeblich hätte ich das mehrmals wiederholt. Miststück Kathi hat ausgesagt, da wäre noch so einiges mehr gekommen.
»Ich bring die Schlampe um, ich erwürg sie, ich knall sie ab!«
An die Wörter erinnere ich mich nicht. Blackout, Erinnerungslücke. Ihr verwöhntes Söhnchen Lukas kann sich ja noch nicht einmal meinen Vornamen merken. Er redet mich nur mit Rohwinkel an. Manchmal höre ich Rohstinker oder Rohpinkel. Aber den Satz hat er angeblich behalten.
»Und ihn murks ich gleich mit ab. Ihr seid beide tot. Geschichte, Abfall, Sondermüll!«
Das wären die Wörter gewesen. Das mit dem Müll habe ich sicher nicht gesagt, es ist einfach nicht mein Stil.
Bettina würde ich niemals etwas antun. Sie ist eine gute Frau und wir lieben uns über alles. Am Abend zuvor hatte ich ihr noch die Füße gewärmt. Sie kann nicht einschlafen, wenn die eiskalt sind. Dann streckt sie die auf meine Bettseite rüber und ich bleibe geduldig liegen. Ich bin der beste Ehemann der Welt, unabhängig davon, wohin sie mir ihre kalten Dinger steckt. Das ist wahre Zuneigung, wenn Betti sich nach vierzehn Ehejahren immer noch die Füße an meinen Körperteilen wärmen darf.
Also kann ich Wörter wie ›Umbringen‹ oder ›Abfall‹ niemals benutzt haben. Allerdings erinnere ich mich daran, was ich Kathi zugerufen habe. Nach dem Wutausbruch wurde ich allmählich wieder empfänglich für die Umwelt und bemerkte die Spannerin. Lots Weib aus der Bibel hatte es angemessen erwischt und Kathi wünschte ich in dem Moment auch so eine Salzsäule an den Hals. Neugierige Nachbarweiber gehen mir unheimlich auf den Senkel, da werden Worte der Notwehr zwingend notwendig.
»Was glotzt du blöde Schlampe so dämlich! Verpiss dich, sonst bist du auch dran.«
Den Satz, den sie zurückgeschrien hat, fand ich maßlos überzogen.
»Ich zeig dich an, du perverser Frauenmörder!«
Mörder? Ich bin ein liebevoller Ehemann, geduldig und besorgt um die Familie. Gut, ich hätte Betti einen Tag früher bei der Polizei als vermisst melden können. Oder zwei. In den Krimis zeigen sie immer, dass die ohnehin nichts machen. Dann bekommst du beruhigende Sätze mit auf den Weg, die deine emotionale Lage nur verschlimmern. »Nun gehen Sie ganz entspannt nach Hause. Sie ist eine erwachsene Frau und kein kleines Kind mehr. Wenn sie zurückkommt, öffnen Sie ihr die Tür und nehmen sie in den Arm. Dann möchte sie getröstet werden und wird sich entschuldigen.«
Genau so.
Sie könnte bei ihrer Schwester Judit sein. Eventuell bei den Eltern. Oder ganz woanders. Deswegen bin ich nicht zur Polizei marschiert. Es hätte noch gefehlt, dass ein Uniformierter meine Betti aus dem Bett dieses Hallodris ziehen muss.
Schwiegermonster Hildegard konnte vorher schon nervig sein. »Wieso fährst du den großen Schlitten und die arme Betti darf sich in den Polo quetschen?«
Betti kann froh sein, so ein handliches Auto fahren zu dürfen. Stichwort Einparken. Nur ein einziges Mal konnte ich dabei neben ihr sitzen bleiben, bekam Schweißausbrüche und Herzrasen. Meine wertvollen Tipps hat sie ignoriert und nur dümmlich gegrinst. Dafür darf sie jetzt allein zum Einkaufen fahren. Die Wasserkisten schleppe ich auch nicht mehr, die kann sie selbst rauswuchten und in der Garage stehen lassen. Als Angriff auf meine persönliche Ehre empfand ich allerdings, dass sie ihr zwei Monate später das Golf Cabrio gekauft haben. Betti hat mich ja nie danach gefragt, sonst wäre es von mir. Das Dach öffnet sich elektrisch. In vier Sekunden. Sogar während der Fahrt.
Pah.
Schwiegernörgel wurde irgendwann dauerlästig.
»Wenn du das nicht machst, dann gehen wir eben zur Polizei.« Männchen Christian stand daneben und nickte ergeben. Schleimer! Sie konnten es nicht lassen und wollten mir auch diese Initiative entreißen. Ich sah schon den anklagenden Blick des Polizisten.
»Herr Rohwinkel, Ihre Frau ist entführt worden und Sie haben das drei Tage lang nicht gemeldet? Blablabla.«
Dann würde sich Schwiegeralbs die Hände reiben und mich fertigmachen. »Sie ist ihm egal. Unsere geliebte Tochter geht ihm am Arsch vorbei.«
Nein, Bettina ist mir nicht egal, deswegen musste ich ihnen diesen Triumph versalzen. Zugegeben, körperlich ist Hildegard noch top in Form und saß schneller im Wagen, als ich Gas geben konnte.
»Wir kommen mit.«
Die Plappertante wollte ich eigentlich nicht mitschleppen, doch sie stieg trotz massiver Drohungen nicht wieder aus. Kriecher Christian blieb dann natürlich auch hocken.
Auf dem Präsidium war der Beamte zuvorkommend und höflich. Bettinas Name und der Sachverhalt wurden in ein Informationssystem eingetragen. So weit ist es bei der Polizei schon gekommen. Sachverhalt? Pah. Für die Farbe ihrer Kleider interessierte sich der Beamte. Muss ein Mann kontrollieren, ob seine Frau ordentlich angezogen ist? Fehlte nur, dass er mir mit einem lüsternen Grinsen ihre BH-Größe entlocken möchte. Wie war die noch mal? Ich glaube XL. Ne, das steht in meinem T-Shirt.
Doch er saß da, tippte alles in eine Datei, speicherte und beendete das Programm mit einem »Das war es auch schon.« Ich hätte mit einer Hundertschaft gerechnet. Suchhunde, Hubschrauber, Aufrufe im Fernsehen. Stattdessen sah er mich kritisch an.
»Sie kommen spät. Gibt es dafür bestimmte Gründe?«
Genau den Satz wollte ich vermeiden. Möchte ich ein einziges Mal die Polizei vor blindem Aktionismus bewahren, wird mir daraus ein Strick gedreht. Also gab ich keine Antwort, besorgtes Kopfschütteln war angesagt und ein deutliches Nö hinzugefügt. Er nickte einigermaßen überzeugt.
»Ihre Frau ist somit zur Fahndung ausgeschrieben. Wir informieren Sie, sobald wir Näheres erfahren.«
Dann fragte er mich noch, ob ich einen Verdacht hätte.
»Was für einen Verdacht soll ich denn haben?«
Es folgte die Litanei der Fragen, die ich aus den Krimis kenne: Auszeit von der Ehe, Streit, allein in den Urlaub, bei Verwandten, Bekannten, eventuell eine Affäre?
»Hören Sie auf mit diesen Unterstellungen. Niemals. So etwas hätte sie mir gesagt. Unsere Ehe beruht auf absolutem Vertrauen. Wir lieben einander sehr und da gibt es überhaupt keine Geheimnisse.«
Gut, dass der Beamte in dem Moment auf den Computer starrte, sonst wäre ihm Mamis vernichtender Blick aufgefallen. Der wurde bei den Wörtern ›Vertrauen‹ und ›Wir lieben uns sehr‹ besonders angriffslustig.
Aus der Antwort des Beamten hörte ich ein wenig Neid heraus. Es stimmt ja auch, von so einem problemlosen Verhältnis wie bei Betti und mir träumen viele.
»Wir kümmern uns um den Fall. Es wird jemand zu Ihnen nach Hause kommen und sich das Umfeld ansehen. Sie haben eine Tochter? Dann sollte sie dabei sein. Und halten Sie bitte ein aktuelles Foto Ihrer Frau bereit. Zusätzlich brauchen wir eine Liste aller Verwandten und Freunde. Die Nachbarn werden wir auch befragen.«
Auf mich machte der Beamte bis dahin einen hilfsbereiten und mitfühlenden Eindruck. Deshalb musste ich ihm diese dumme Idee ausreden. Die sollen Betti besser suchen, anstatt Leute zu belästigen.
»Die Nachbarn? Das halte ich für überflüssig. Zu denen haben wir kein besonderes Verhältnis. Untertrieben gesagt sind die uns völlig schnuppe. Die wissen auch nichts, da bin ich mir absolut sicher.«
Er sah mich so merkwürdig an. »Das ist bei uns Routine.«
Die lieben Schwiegereltern nickten heftig und sprachen auf der Rückfahrt kein einziges Wort.
Nachbarn befragen? Schwachsinn.
Sie machten es trotzdem.
Deswegen musste ich dann zu Oberkommissar Muckel. Der Name allein bürgt ja schon für Einfühlungsvermögen und er zeigte sich deutlich verständnisvoller für meine Situation.