Читать книгу Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand - Jannik Winter - Страница 16
13. Kellerraum, 29. März
ОглавлениеUngezählte Tage und Nächte lang hatte sie in unregelmäßigen Abständen an die Tür geschlagen und sich Blutergüsse an den Handballen geholt. Auch Fußtritte und Schreie brachten keinen Durchbruch. Ihre Lacroix Fabia hatten sie ihr ja abgenommen, sodass sich die Wechsel der Tageszeiten nur durch das Ein- und Ausschalten der Glühbirne erahnen ließen. Der Boden war inzwischen mit Schnipseln der zerrissenen Blätter übersät. Trotzdem lag vor der Tür jeden Morgen ein neuer Zettel mit derselben Überschrift. Die forderte auf, sich an das Jahr 2012 zu erinnern. Angeblich hätte da etwas begonnen.
Zusätzlich zu dem Blatt lag vor der Türklappe ihre Tagesration: eine Schale mit Milchreis, ein Apfel sowie eine frische Rolle Klopapier. Vergeblich hatte sie ihren Frust herausgeschrien.
»Kaffee, wo bleibt der Kaffee? Ohne den kann ich nicht arbeiten. Und bitte zwei Tabletten aus der Plastiktüte im Kleiderschrank.«
Aber die Tür schwieg sie unerbittlich an. Dabei war es nicht das Koffein, das sie vermisste. Ihre Hände zitterten und ihr Mund wurde trocken, wenn sie nur daran dachte, sich eine Nase voll Kokain reinziehen zu können. Dann wurde es nötig, ihr Verlangen durch einen Liter Leitungswasser zu befriedigen und sich anschließend vor Ekel zu schütteln.
»2012? 2012? Was soll da denn Besonderes vorgefallen sein?«
Aber sie hatte Zeit im Überfluss, die Erinnerungen nach vorne zu holen. Es folgten acht kräftige Fußtritte gegen die Stahltür.
»Leckt mich mit eurem 2012!«
Nach einer Erschöpfungspause auf dem Klappbett mit Glühbirne und tropfendem Wasserhahn setzte sie sich auf den Anglerstuhl, ergriff den Kugelschreiber und erstellte ihre erste Mitteilung.
Ihr Arschlöcher! Was wollt ihr von mir? 2012? Da war überhaupt nichts. Hat Paolo das veranlasst? Dazu hat er keinen Grund. Ich werde wie immer die Klappe halten. Seid ihr von der Konkurrenz? Vergesst es, er findet euch und dann war es das. Und ich will ordentlichen Kaffee und eine Kiste Mineralwasser. Von dem dreckigen Leitungswasser bekomme ich Herpesbläschen.
Danach trat sie noch sechsmal gegen die Tür.
»Macht auf, ihr Schweine, euer Zettel ist fertig.«
Da auf der Gegenseite kein Geräusch zu vernehmen war, beschloss sie, das Blatt in Reichweite der unteren Türklappe auf den Boden neben der leeren Reisschale zu deponieren.
Minuten später schaltete sich die Birne an der Decke aus, ohne dass sie vor der Tür irgendwelche Schritte vernommen hätte. Sie vermutete eine Zeitschaltuhr. Wie an den Abenden davor musste sie im Stockdunkeln den Weg zum Klappbett ertasten und fiel erschöpft und gedemütigt in die Löffelchenstellung.
2012? 2012? Gab es da irgendwas, was die Entführer interessieren könnte?