Читать книгу Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand - Jannik Winter - Страница 14

11. Wohnzimmer Strauch

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Auf dem Briefkasten klebt ein Zettel mit der Aufschrift Keine Werbung, keine Vertreter. Rechts neben der Haustür weisen zwei Klingelknöpfe auf die Bewohner hin: Katharina Strauch und darüber Lukas Strauch. Dem Läuten folgt Hundegebell. Muckel wendet sich an Staatsanwalt Gruber und seinen neuen Partner Kommissar Brand.

»Das ist ein kleiner Hund. Wahrscheinlich Yorkshire Terrier, also völlig harmlos.«

Katharina Strauch öffnet mit einem strahlenden Lächeln, während sich ein beigebraunes Knäuel auf Muckels linkes Bein stürzt und sich im hinteren Hosenaufschlag verbeißt.

»Herr Kommissar, ich wusste, dass Sie wiederkommen. Haben Sie das perverse Schwein endlich eingebuchtet?« Doch Muckel hat keine Zeit für eine Antwort, da er mit dem Hund beschäftigt ist.

»Guten Tag, Frau Strauch. Ich bin Staatsanwalt Gruber und habe hier einen Durchsuchungsbeschluss. Oberkommissar Muckel kennen Sie ja schon und Kommissar Brand wird uns unterstützen. Zunächst haben die beiden Herren jedoch einige Fragen. Sie brauchen nicht zu antworten, wenn Sie sich damit selbst belasten.«

Sie achtet überhaupt nicht auf seine Worte, sondern verfolgt fasziniert das Spiel ihres Hundes. Auch Muckel ist für einen Moment abgelenkt.

»Anhängliches Kerlchen. Aber sagen Sie mal, was ist das denn für eine Rasse?« Dabei hebt er sein linkes Bein mitsamt dranhängendem Hund in die Höhe, sodass der herumzappelt und deutlich aggressiver knurrt.

»Unser Rasta ist eine Mischung aus Yorkshire und Terrier.«

Die Auskunft scheint Muckel nicht zufriedenzustellen. Er hält den Hund am Hosenbein weiterhin in der Luft.

»Ein Yorkshire ist doch schon ein Terrier.«

»Ja, aber in Rasta steckt zusätzlich ein gefährlicher Jack Russell.«

Muckel sieht sich den am Hosenaufschlag zappelnden Hund genau an.

»Meine Verlobte hat auch eine Yorkshire-Hündin. Sie heißt Daisy. Die ist aber nicht so aggressiv.«

»Rasta, aus! Pfui ist das. Der Herr ist nicht von den Zeugen Jehovas. Wissen Sie, Herr Kommissar, seitdem wir Rasta haben, belästigen uns weder die Vertreter von Vorwerk noch die Spione der GEZ. An die Polizei muss er sich erst gewöhnen.«

Sie fasst den Hund im Nacken, will ihn wegziehen. Als Erfolg zerren nun beide vereint an Muckels Hose und der droht umzukippen. Kommissar Brand eilt hinzu und stützt ihn. Ein von Frau Strauch zur Ablenkung hingehaltenes Leckerli verschmäht Rasta und schüttelt stattdessen den Hosenaufschlag noch kräftiger. Erst als sie ihm mit der Hand die Schnauze öffnet, lässt er ab, nicht ohne ein warnendes Knurren in Richtung Muckel auszustoßen. Der betrachtet besorgt sein Hosenbein, das an der hinteren Bügelfalte vier gleichmäßige Löcher aufweist.

»Frau Strauch, einige Dinge sind noch unklar und deswegen benötigen wir Ihre Hilfe.«

Ihr Lächeln wird breiter. Während sich Brand im Wohnzimmer umsieht, zückt Muckel sein Notizheft und schlägt die vierte Seite auf. Kurzfristig kommt ihm der Gedanke, ob Judit Klamms roter String-Tanga nicht doch hilfreich sein könnte.

»Frau Strauch, würden Sie uns bitte die Postkarten Ihres Mannes aus Berlin zur Verfügung stellen?«

Ihr Lächeln wirkt in der nächsten Sekunde verkniffen.

»Tilmans Postkarten? Was haben die denn mit der verschwundenen Nachbarin zu tun?«

»Eventuell finden wir Ihren Mann damit. Sie wären doch bestimmt froh, wenn er sich melden würde, oder?«

Er bemerkt ihr krampfhaftes Schlucken, bevor sie antworten kann.

»Ja, natürlich. Obwohl? Nein, ich habe mit ihm abgeschlossen. Wenn er eine neue Beziehung hat, soll er damit glücklich werden und mich in Ruhe lassen.«

»Wir haben Ihr gemeinsames Konto überprüft und wollten wissen, ob er noch Geld einzahlt oder abhebt. Die einzigen Einzahlungen kommen jedoch von seinem ehemaligen Verlag, der ihm monatlich etwa dreitausend Euro Honorar für die laufenden Tantiemen überweist. Er selbst hebt kein Geld ab, benutzt weder seine EC-Karte noch die Visa Card. Alle übrigen Abhebungen und Daueraufträge stammen von Ihnen. Finden Sie das nicht merkwürdig?«

Bei dem letzten Satz hat sie ihr Lächeln komplett verloren und ist leicht in sich zusammengesunken.

»Wieso? Ich darf doch über mein Konto verfügen. Das geht Sie überhaupt nichts an. Und was hat das mit der verschwundenen Bettina zu tun?«

»Sehen Sie, da sind wir auch schon bei den Ähnlichkeiten. Ihr Mann wird vermisst und die Nachbarin ebenfalls.«

Sie fuchtelt mit den Armen.

»Nein, Tilman wird nicht vermisst. Niemand hier im Ort oder der Straße will ihn wiederhaben. Er kann meinetwegen da bleiben, wo der Pfeffer wächst.«

Auf Blatt fünf des Notizblocks erscheint ein Herz, das von einem Blitz getroffen wird.

»Sie scheinen aber von seinem Verdienst gut zu leben. Wir finden es jedenfalls merkwürdig, dass Ihr Mann ohne Spuren zu hinterlassen verschwunden ist. Geld scheint er auch nicht zu benötigen. Das kommt Ihnen doch sicher entgegen?«

Der Blitz im Notizbuch wird durch das Gewitter in ihren Augen weit übertroffen.

»Kommen Sie nur nicht auf die Idee, mir die Verwendung meines Geldes vorwerfen zu wollen. Ich darf damit machen, was ich will.«

Neben dem Herz ist eine Dollarnote zu erkennen, die senkrechten Striche sind als Wellenlinien ausgeführt.

»Wir möchten uns gerne einen Überblick über Ihr Haus und den Garten verschaffen.«

Sie zuckt zusammen, als wäre der Blitz direkt neben ihr eingeschlagen.

»Überblick? Sie meinen, Sie wollen hier herumspionieren? Das kann ich auf keinen Fall erlauben. Wozu soll das denn gut sein?«

Sie hält die Fäuste in die Hüften gestemmt. Ihr Blick schwankt zwischen den Nuancen ›Erbost‹ und ›Ängstlich‹. Rasta steht auf dem Sofa neben ihr und sendet ebenfalls ein Knurren in Muckels Richtung.

»Wir erhoffen, Beweismaterial zu finden, das in Verbindung mit mindestens einer der vermissten Personen stehen könnte.«

»Beweismaterial? Nicht in meinem Haus. Hier sind Sie völlig falsch. Suchen Sie besser bei den Rohwinkels, da werden Sie mit Sicherheit fündig.«

Sie bewegt sich vorwärts, hält ihre Hände vor sich, als wenn sie den Kommissar damit herausdrängen möchte. Rasta springt vom Sofa und versucht, Muckel zu umgehen, um von hinten anzugreifen. Brand drängt ihn mit dem Fuß zur Seite. Doch der Hund ist flink, weicht aus und greift erst an, als sich der Kommissar der Vernehmung widmet. Diesmal hat Brand die Taktik durchschaut. Er verpasst Rasta einen Fußtritt, der ihn unter das Sofa befördert. Er kommt auch nicht wieder hervor, sondern behält aus sicherer Stellung heraus die beiden Kommissare im Auge. Sein Frauchen wird energisch und schreit die drei an.

»Sie sind hier eingedrungen und haben meinen Hund getreten. Wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden, dann …«

Staatsanwalt Gruber, der sich im Kampf Rasta gegen Muckel zurückgehalten hat, geht drei Schritt auf sie zu. »Frau Strauch, Sie haben mir anscheinend nicht richtig zugehört. Wir haben hier einen Durchsuchungsbeschluss. Es gibt eindeutige Beweise, dass von einem Fenster dieses Hauses Aufnahmen gemacht wurden, die für eine Auffindung der vermissten Bettina Hofer-Rohwinkel zweckdienlich sein können. Drei Beamte warten vor der Tür und werden Computer, Drucker und einige Akten sicherstellen. Außerdem möchte ich Sie bitten, Ihren Sohn Lukas zu rufen. Wir haben auch an ihn Fragen.«

Das selbstzufriedene Lachen ist Katharina Strauch im Hals stecken geblieben. Sie schluckt dreimal.

»Sie können doch nicht … Sie, das ist eine Unverschämtheit, das ist …«

Brand öffnet die Haustür. Drei Uniformierte drängen hinein. Rasta hat sich komplett unter das Sofa verzogen und kläfft aus sicherer Deckung heraus.

»Das ist ein unerlaubter Angriff auf unsere Privatsphäre, oder wie sich der Paragraf nennt.«

Gruber hebt beschwichtigend beide Hände.

»Sie werden gleich sehen, um was es geht, Frau Strauch. Holen Sie bitte Ihren Sohn herunter.«

Brand ist schneller und trabt bereits die Treppe hoch. Zwei Polizisten wuchten Kunststoffkisten hinauf. Von oben ist Geschrei zu hören.

»Geh vom Computer weg! Das ist mein Handy, sofort her damit.«

Dann erscheint Lukas Strauch auf der Treppe. Von Freiwilligkeit kann keine Rede sein, er wird von Brand vorwärtsgeschoben.

»He, der will mich runterschubsen. Mom, hast du das gesehen? Das ist ein unerlaubter Angriff auf meine Rechte. Tu doch was. Schmeiß sie raus.«

Brand hält ein Handy hoch.

»Ich habe ›Dateien gelöscht‹ noch auf dem Monitor erkannt. Die stellen wir aber wieder her. Dann wollte er etwas auf dem Smartphone löschen. Der junge Mann hat augenscheinlich eine Menge zu verbergen.«

Der so Angeredete mag die Behandlung überhaupt nicht und schubst Kommissar Brand zurück.

»Du fasst mich nicht an. Das ist verboten.«

Staatsanwalt Gruber will schlichten und hält den Zettel hoch.

»Dies hier ist ein Durchsuchungsbeschluss. Damit haben wir sehr wohl das Recht, in der gesamten Wohnung nach Beweismitteln zu suchen. Wenn Sie, wie ich soeben gesehen habe, aggressiv reagieren, wird das als strafbarer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ausgelegt. Also setzen Sie sich bitte ruhig auf den Stuhl und beantworten unsere Fragen.«

Die Ansprache scheint zu wirken. Lukas Strauch wird deutlich kleinlauter und sendet hilfesuchende Blicke an seine Mutter. Muckel lässt sich das Handy reichen.

»So, dann wollen wir doch mal sehen, was es denn so Wichtiges zu löschen gibt. Das ist der Vorteil an den modernen Smartphones, man braucht nicht lange suchen. Jedenfalls, wenn es noch nicht ausgeschaltet ist und wir nicht erst die PIN umständlich herausfinden müssen. So, die App ›Bilder‹ anklicken, schon haben wir eine perfekte Übersicht. Sieh mal einer an! Ist das nicht Miriam Rohwinkel in ihrem Zimmer? Wieso hat sie keine Kleider an? Ist das Zufall? Nein, doch nicht, es gibt eine ganze Serie von Nacktaufnahmen von ihr. Da werden wir bestimmt die zugehörige Kamera finden. Das wurde nämlich mit einem Dreihundert-Millimeter-Teleobjektiv aus deinem Zimmerfenster aufgenommen, wie wir bereits von einem anderen Foto wissen. Kannst du mir erklären, wie die auf das Handy kommen?«

Lukas hat einen roten Kopf bekommen und sieht auf den Boden.

»Die wurden mir über WhatsApp zugespielt, anonym. Keine Ahnung, wer das gemacht hat.«

Katharina Strauch scheint wenig begeistert zu sein, ihrem Sohn beistehen zu müssen. Mit offenem Mund schaut sie auf das Bild.

»Lukas, das ist … das war doch nicht deine eigene Idee? Wer steckt dahinter?«

Der Staatsanwalt ist dazugekommen und sieht auf das Handy.

»Sehen Sie, allein wegen der Fotos hat sich die Durchsuchung gelohnt. Aber deswegen sind wir überhaupt nicht hier. Wir suchen ähnliche Aufnahmen von der verschwundenen Bettina Hofer-Rohwinkel. Die werden wir eventuell auf dem Computer finden. Alles wird mitgenommen, auch der PC der Dame hier. Man weiß ja nie. Und um Ihr Handy möchte ich Sie ebenfalls bitten.«

Von oben ist ein Ruf zu hören. Einer der Polizisten erscheint auf dem Podest.

»Wir haben die Kamera. Eine Nikon mit Zoom-Objektiv. Fünfundfünfzig bis dreihundert, wie erwartet. Allerdings kein Bild im Speicher. Den PC knackt unsere technische Abteilung. Das sollte das geringste Problem sein, wenn er nicht so eine Superlöschsoftware benutzt hat.«

Lukas’ zusammengesunkene Gestalt signalisiert, dass dieses nicht der Fall ist. Ein zweiter Beamter schwenkt etwas in der Hand.

»Spraydosen, elf Stück. Und hier das Buch: ›Graffitivorlagen für Bahnhof und Züge‹.«

Muckel nimmt das beschlagnahmte Handy und blättert in Lukas Terminkalender.

»Moment, hier steht G-Bahnhof Sa, So, Di 01:00. Was das wohl heißt?«

Dann sieht interessiert auf die Spraydose und danach in das Notizbuch.

»Und du wolltest Miriam Rohwinkel mit zum Güterbahnhof nehmen?«

Mit einem Lächeln um die Mundwinkel malt er neue Symbole in sein Heftchen. Es werden ein L und ein M in einem Herz und zwischen den Buchstaben ein Fragezeichen.

»Für heute muss das reichen.«

Wie ich Betti nach drei Monaten im Schrank wiederfand

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