Читать книгу Der Lotuskrieg 2 - Kinslayer - Jay Kristoff - Страница 12

PROLOG

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Wie fing es an? Seht her:

Da steht ein geisterhaft blasses Mädchen mit dunklem Haar, sechzehn Jahre alt, das Gesicht dunkelrot verschmiert. Ihr gegenüber ein lächelnder Tyrann, dem das Blut der eigenen Schwester an den Händen klebt. Er hält einen rauchenden Eisenwerfer fest umklammert. Um sie herum eine Menge, zwischen ihnen der Richtplatz. Die Asche verbrannter Kinder wirbelt und tanzt im Wind. Und sie streckt eine Hand aus und spricht die letzten Worte, die der Tyrann jemals hören wird:

»Ihr werdet schon sehen, was ein kleines Mädchen tun kann.«

Fünfundfünfzig Tage ist das her. Beinahe zwei Monate sind vergangen, seit der letzte männliche Nachkomme der Kazumitsu-Dynastie durch die Hand jenes Mädchens starb. Seitdem herrscht Chaos. Die Erde schwankt unter unseren Füßen. Das alte Gewebe löst sich auf, ein Faden nach dem anderen.

Als die Nachricht vom Tod des Shōgun sich verbreitete, kam der Eroberungskrieg gegen die rundäugigen Gaijin zum Erliegen. Die Oberhäupter der Clans blickten zum verwaisten Thron des Reiches auf und erkannten, dass er Gefahr und Verheißung zugleich war. Ein Schatten schien sich über die sieben Inseln zu breiten. Derweil predigte die Lotusgilde Besonnenheit und Gehorsam ihren Marionetten im Tiger-Clan gegenüber. Jeder, drohten die Gildenmänner, der ihrem Willen zuwiderhandelte, würde auf das blutrote Chi verzichten müssen, mit dessen Hilfe das eiserne Herz des Shōgunats erst schlug.

Dann wurde die Wahrheit darüber bekannt, wie dieser Kraftstoff erzeugt wurde.

Die Worte, die alles veränderten, wurden über den Piratensender der Kage ausgestrahlt. Die Schatten enthüllten, dass Inochi – jener wundersame Dünger, der auf allen sieben Inseln auf den Blutlotusfeldern ausgebracht wurde – aus den sterblichen Überresten ermordeter Kriegsgefangener hergestellt worden war. Und so öffneten sie den Menschen Shimas die Augen für die grauenhafte Wirklichkeit: Das Inselreich, die Technologie, die ihm zur Größe verholfen hatte – kurzum, ihr ganzes Leben –, war mit dem Blut Unschuldiger getränkt.

Die Aufstände breiteten sich aus wie Flammen auf einem Teppich aus trockenen Blättern nach einem langen, heißen Sommer. Oder wie Ringe auf einem stillen See, wenn die ersten Regentropfen fallen. Heftige Empörung trieb sie an. Sie waren blutig, aber kurzlebig: Eiserne Samurai, die dem leeren Thron nach wie vor treu ergeben waren, schlugen sie brutal nieder. Danach herrschte ein brüchiger Frieden in den Hauptstädten der Clans. Bei jedem Schritt knirschte zerbrochenes Glas unter Schuhsohlen. Die offizielle Trauerzeit von neunundvierzig Tagen verging in bebender, atemloser Stille.

Und dann kam sie zurück.

Yukiko. Arashi no odoriko. Die Sturmtänzerin. Auf dem Rücken des mächtigen Donnertigers Buruu und mit flammendem Blick. Über seine Räderwerkschwingen zuckten Blitze. Von Clan-Hauptstadt zu Clan-Hauptstadt flogen sie, landeten im schwebenden Palast in der Stadt Danro sowie auf dem Kigener Marktplatz. Sie sprach, und es war ein Weckruf. Sie drängte die Menschen, Augen und Ohren zu öffnen – und dann die Fäuste zu ballen.

Wie ich mir wünschte, ich wäre dort gewesen!

Wie gern hätte ich sie reden hören. Doch seit Yoritomos Tod bin ich auf der Flucht. Ich bin aus Kigen entkommen und habe dabei eine Spur aus blau-weißen Flammen hinter mir hergezogen. Auf einem brach liegenden Feld habe ich meinen Panzer aus poliertem Messing zurückgelassen, den ich beinahe mein ganzes Leben lang getragen habe. Eine ganze Weile stand ich dort, die Fingerspitzen auf der glatten Oberfläche, als müsste ich mich von meinem ältesten Freund verabschieden. Dann bin ich über lange, leere Straßen gewandert, bis mir die Füße bluteten. Endlos erstreckte sich der glutrote Himmel vor meinen brennenden Augen. Sonne und Wind haben mein nacktes Fleisch in den vergangenen Wochen gegerbt. So viel Zeit habe ich gebraucht, um es zurück zum Iishi-Gebirge zu schaffen.

Zurück zu ihr.

Und nun bin ich beinahe am Ziel. Der Lotusgildenmann, der alles verraten hat, was er kannte, alles, was er war. Der einem verkrüppelten Donnertiger Metallschwingen geschenkt hat, damit er seinem Gefängnis entfliehen konnte. Der einem einsamen Mädchen geholfen hat, den letzten Nachkommen der Kazumitsu-Dynastie zu ermorden und diese Nation ins Chaos zu stürzen. In den Geschichtsbüchern wird man mich Verräter nennen.

Kioshi ist der Name, den ich geerbt habe, als mein Vater starb.

Aber eigentlich heiße ich Kin.

Wie gut ich mich daran erinnere, eine metallene Haut zu tragen. Die Welt durch blutrotes Glas zu sehen. Abseits zu stehen, jenseits, über allem. Immer habe ich mich gefragt: Ist das wirklich alles? Doch selbst hier, in den Tiefen der letzten Wildnis Shimas, die Fährtenhunde auf meiner Spur, höre ich das Flüstern des Mech-Abakus in meinem Kopf. Das Phantomgewicht der Haut drückt auf meine Schultern, es hängt an meinen Knochen. Und in gewisser Weise vermisse ich sie so schrecklich, dass es in meiner Brust schmerzt.

Ich denke an jene Nacht, in der mir mein Schicksal offenbart wurde. In der ich meine Zukunft in der Rauchkammer sah. Die Inquisitoren kamen, um mich zu holen, ganz in Schwarz gekleidet, lautlos wie Katzen. Sie sagten, es sei an der Zeit, dass ich erführe, was bevorstünde. Die Schreie jener Brüder, die am Erwachen gescheitert waren, hallten in meinem Kopf wider, und doch hatte ich keine Angst. Ich ballte die Fäuste, dachte an meinen Vater und schwor mir, dass er stolz auf mich sein würde. Ich würde erwachen.

Dreizehn Jahre alt, und sie nennen dich einen Mann.

Noch nie hatte ich gesehen, wie die Sonne hinter dem Horizont versinkt und dabei den ganzen Himmel entflammt, oder die zarte Liebkosung eines Nachtwindes auf dem Gesicht gespürt. Ich wusste nicht, was es bedeutet, dazuzugehören oder jemanden zu verraten. Nein zu sagen, Widerstand zu leisten. Jemanden zu lieben oder zu verlieren.

Dafür wusste ich, wer ich war. Ich wusste, was von mir erwartet wurde.

Die Haut war stark.

Das Fleisch war schwach.

Jetzt frage ich mich, wie dieser Junge je so blind sein konnte.

Der Lotuskrieg 2 - Kinslayer

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