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Zehntes Kapitel

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Es herrschte zwar eine aufgeräumte Stimmung an unserem Tisch, doch das war nur Fassade. Beatrice konnte ja nicht erfreut sein, daß ihr Bruder ihr Geburtstagsfest gestört hatte, und Erland setzte Marianne lang und breit auseinander, daß er sich in einer Phase befinde, in der ihm das Schreiben schwerfalle. Ich selbst dachte immer wieder an das lange, trostlose Jahr in der Heilanstalt zurück.

Schuldkomplex hieß das Schlüsselwort bei meinen Schwierigkeiten. Der Arzt brauchte nicht lange Zeit, um das herauszufinden. Aber welche Schuld ich mit mir herumtrug, das war nicht so leicht zu ergründen.

Ein klinischer Psychologe fand schließlich den Faden, der in den dunkelsten Winkel des Labyrinths führte. Er ließ mich in ganz kurzen Zeitabständen Bilder betrachten, und dann mußte ich zeichnen, was ich gesehen hatte.

Als Maler fand ich den Versuch interessant. Vielleicht kamen wir dadurch zu einem Ergebnis. Ohne mir dessen bewußt zu sein, entschleierte ich des Rätsels Lösung.

Dem Psychologen fiel es auf, daß in meinen Zeichnungen immer eine Katze vorkam. Nicht klar und deutlich, eher wie in einem Fixierbild, mir selbst ganz unbewußt. Eines Tages fragte er mich unumwunden: „Warum fürchten Sie sich vor Katzen?“

Diese harmlose Frage hatte eine Wirkung auf mich, die geradezu unglaublich war. Plötzlich brach mir der Angstschweiß aus, und mein Herz klopfte, als hätte ich ein Gift in mir. Ich wurde kalt, fast gefühllos, und ich dachte, ich würde ohnmächtig. Mit wurde schwindlig, nur weil mich der Arzt gefragt hatte, warum ich mich vor Katzen fürchtete!

Auf einmal erkannte ich, daß ich tatsächlich schreckliche Angst vor Katzen hatte. Daß ich seit meiner Kindheit an dieser Angst litt und sie immer auf irgendeine Weise überspielt hatte.

Einmal brach ich mit einem Mädchen, das sich eine Katze zugelegt hatte. Ich redete mir ein, ich hätte es nur getan, weil ich mir nichts mehr aus dem Mädchen machte.

Ein andermal fuhr ich nach Paris und stieg dort in einem Hotel ab, wo überall eine Menge Katzen herumstrichen. Ich blieb eine ganze Woche in meinem Zimmer und kehrte dann nach Hause zurück. Nach Paris fuhr ich nie wieder.

Allein die Erkenntnis, daß ich mich vor Katzen fürchtete, bewirkte, daß ich mich psychisch besser fühlte. Es dauerte jedoch noch eine Zeitlang, bis ich herausfand, warum ich eine so unsinnige Katzenangst hegte.

Es rührte davon her, daß ich allmählich von meinem Traum zu erzählen begann. Von meinem Vater, der im Schnee fortradelte, und von der Katze, die wuchs, bis die ganze Welt weiß war. Nachdem ich von dem Traum gesprochen hatte, kam er nicht mehr wieder.

Man ließ mich schildern, wie es gewesen war, als mein Vater starb. Und ich beschrieb alles, das Schlittenfahren, die Katze, die ich am Schwanz hochhob, und Mutter, die in die Diele kam und sagte: „Dan, Vater ist tot. Er hat sich das Leben genommen.“

„Diese Katze also“, sagte mein Arzt. „Sie waren böse zu ihr, und dann erfuhren Sie, daß Ihr Vater tot war. Vielleicht war Ihr Vater gestorben zur Strafe, weil Sie die Katze gequält hatten? Ihr Vater starb, weil Sie ein schlechter Mensch waren. Sie haben ihn ermordet!“

Ich war nahe daran, mich auf ihn zu stürzen und ihn zu schlagen. Aber ich blieb sitzen und zitterte vor Angst. Mir klapperten die Zähne, und ich konnte sie nicht zusammenbeißen.

Der Arzt behielt mich die ganze Zeit im Auge. Es war, als hätte er einen besonders interessanten Versuch gemacht, und wollte nichts von dem versäumen, was weiter geschah. Ich haßte ihn deswegen. Ich fand ihn unmenschlich.

„Das ist ja absurd!“ schrie ich schließlich. „Man kann doch nicht einen Menschen töten, indem man eine Katze quält.“

„Sind Sie sicher? Gibt es nicht verborgene Mechanismen im Schicksal? Könnten kleine Kinder, die Tiere quälen, nicht vielleicht damit bestraft werden, daß sie den Vater verlieren?“

„Ihre Behauptung ist unsinnig“, entgegnete ich. „Kein normaler Mensch würde so denken.“

„Aber Sie haben seit vierzig Jahren so gedacht. Unbewußt. Sie glaubten, Sie hätten Ihren Vater ermordet, indem Sie die Katze reizten. Nicht verwunderlich, daß sich Ihr Schuldkomplex in einer Katzenphobie äußerte. Das ist durchaus logisch. Eigentlich haben Sie ungewöhnlich unkompliziert funktioniert.“

Hierauf lachte er freundlich. „Damit haben Sie die Sache geklärt.“

Vielleicht hätte ich mich damit begnügen sollen. Hätte ich mich nicht weiter fortreißen lassen, so wäre alles gut gewesen. Aber meine Neugier und meine Rachsucht trieben mich weiter.

Darum bedeutete es für mich eine gewisse Genugtuung, als ich zum erstenmal Kurt von Spoors Namen hörte.

Wer ist dein Richter?

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