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Viertes Kapitel

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Knut: Was ist das für ein Fahrgast? Mit wem habe ich die Ehre?

Maske: Ich bin dein bester Freund.

Knut: Danke ergebenst, aber wie ist der Herr zu titulieren? Wie ist der Name, wenn ich fragen darf?

Maske: Ich heiße Tod.

Knut: Ergebener Diener, hochwürdiger Herr! Aber bitte um Entschuldigung, wenn ich mich so schnell wie möglich auf die Beine mache.

Das war 1943. Ein Kriegswinter vor über dreißig Jahren. Noch erinnere ich mich an den Dialog Wort für Wort. Wir saßen in der Aula der städtischen Mittelschule von Tågby und sahen eine Theatervorstellung. Gevatter Tod hieß das Stück, und es war von dem schwedischen Dramatiker August Blanche.

Ich war vierzehn Jahre alt; ich trug Knickerbocker und ein Hemd mit Manschettenknöpfen. Bald sollte ich die Schule verlassen und auf die Kunstakademie gehen.

Die Vorstellung begann und damit meine große Niederlage. Ich wurde von schrecklicher Angst ergriffen, als der Tod die Bühne betrat, und ich zitterte am ganzen Leib. Dann kamen unmännliche Tränen, die ich nicht beherrschen konnte. Ich stürzte aus der Aula, verfolgt von den verwunderten Blicken der Schulkameraden.

Das, was auf der Bühne gesprochen worden war, hatte etwas in meiner Seele berührt. Ich wußte nicht, daß es mit dem zusammenhing, was mich viele Jahre später in eine Heilanstalt brachte.

Als Erland nun von Beatrices totem Paten sprach, überkam mich etwas von der alten Angst. Sie stand zwischen mir und der Pflicht, die ich erfüllen mußte, aber die Pflicht war stärker. Die Pflicht und der Zwang, die Noijbes zu entlarven.

„Warum müssen alle Erinnerungen an Kurt ausgelöscht werden?“ fragte ich mit einer Stimme, die nicht gerade fest war.

Beatrice wehrte ab: „Lieber Dan, wir wollen von der Sache nicht mehr reden. Das ist ein wunder Punkt in meiner Familie, verstehen Sie. Wir Kinder haben nie erfahren, warum.“

„Einmal fragte ich Papa“, sagte Erland. „Worauf er explodierte! Ich weiß nur, daß Kurt tot ist. Und daß mit seinem Tod irgend etwas Furchtbares und Unerfreuliches verbunden ist.“

Er nippte an seinem Whisky und raunte mir dann zu: „Fragen Sie Irma. Sie kommt heute zum Abendessen. Fragen Sie jemand, der nicht zur Familie gehört.“

Beatrice waren seine Worte nicht entgangen, und sie wurde ganz blaß.

„Nein, was Sie auch tun, fragen Sie Irma auf keinen Fall“, drang sie in mich. „Sie dürfen unter keinen Umständen mit ihr über Kurt sprechen. Das würde zu einer Katastrophe führen!“

Die Sonne schien durch ein Seitenfenster und warf einen weißen Fleck auf den Boden. Mitten in dem Lichtfleck schlief die dänische Dogge Elof.

„Was ist Ihr Beruf?“ fragte ich Beatrice. „Ich würde wetten, Sie üben eine künstlerische Tätigkeit aus. Weil Sie ein so feines Gefühl für Kunst haben.“

„Ich habe mit Mode zu tun“, antwortete sie. „Entwerfe Kleider und so. Das hier habe ich selbst gemacht.“

Sie wies kokett auf ihr veronesergrünes, weiß abgesetztes Kleid. Es war einfach und gleichzeitig ein wenig romantisch-mädchenhaft. Ein Mittelding von beginnendem Empire und leichtsinnigem Rokoko, zum Beispiel mit einer Andeutung von Puffärmeln.

Der Rock schwebte mutwillig um ihre schlanken Beine und verlieh ihr zusammen mit dem unentwickelten Busen die knabenhafte Keuschheit, die paradoxerweise die Charleston tanzenden jungen Mädchen der zwanziger Jahre so anziehend gemacht hatte.

Plötzlich erkannte ich, daß sie mir nicht nur ihr Kleid zeigte, sondern mehr von sich selbst.

Ich begegnete dem Blick ihrer großen hellbraunen Augen. Da lachte sie ein wenig verlegen und verschwand.

„Ich muß nach dem Essen sehen“, rief sie mir über die Schulter zu, wie um ihr Verhalten zu erklären.

Wir stammten aus demselben Kirchspiel. Ihr Vater, General Noijbe, besaß ein großes Gut vier Kilometer von meinem Elternhaus Strålnäs entfernt, den Herrenhof Frälsetorp, und dort war sie aufgewachsen. Aber ich konnte mich nicht erinnern, sie als Kind jemals gesehen zu haben. Ich war erst sieben Jahre alt, als meine Mutter mit mir nach Tågby zog, und Beatrice mochte damals fünf gewesen sein.

Sie konnte sich an mich ebensowenig erinnern. Gottlob hatte ich einen so gewöhnlichen Nachnamen, daß sie mich nicht mit einem gewissen Gendarm Johansson in Verbindung brachte, den an einem verschneiten Novembertag 1935 der Tod ereilt hatte. Auf dem Weg zwischen Strålnäs und Boxholm.

„Ich hasse sie“, dachte ich verzweifelt. „Sie und das ganze Noijbe-Gesindel. Mördersippe!“

Erland hatte sich mit einem neuen Whisky versorgt. Er schien sich mit der Umwelt versöhnt zu haben und zeigte sich auch mir gegenüber freundlich gestimmt.

„Wissen Sie, Dan“, flüsterte er mir vertraulich zu, „das mit Kurt ist hochinteressant. Wenn Irma auftaucht, werde ich sie, hol’s der Teufel, fragen. Mögen die andern sagen, was sie wollen!“

„Tun Sie das“, spornte ich ihn an.

In diesem Augenblick kam ein Auto über den Kiesweg gefahren. Es war ein schwarzer Mercedes-Diesel, am Steuer saß eine sechzig- bis siebzigjährige Dame. Sie hatte aufgestecktes Haar und wirkte altmodisch elegant. Beatrice lief die Treppe hinunter und schloß sie in die Arme.

„Wenn man vom Teufel spricht“, murmelte Erland düster.

„Ist das Irma?“ fragte ich leise.

Er nickte. Dann flüsterte er zurück: „Jetzt werde ich sie fragen. Das alte Schätzchen ahnt nicht, was ihm blüht!“

Wer ist dein Richter?

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