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Fünftes Kapitel

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Irma Bergner war trotz ihrer Jahre eine sehr schöne Frau. Das helle Haar war vermutlich gefärbt, aber es sah so weich und glänzend aus wie bei einem jungen Mädchen. Die Augen waren blau und groß, die Wangen frisch. Ich mußte an eine Heckenrose an einem kühlen Herbsttag denken. Ihre Farbe ist besonders intensiv, wenn der erste Frost zugebissen und der Tod unter den Gewächsen und Blättern ringsum Ernte gehalten hat. Schade nur, daß Irma Bergner ihre Schönheit nicht durch einfache Kleidung und Schmucklosigkeit wirken ließ. Statt dessen war sie so überladen, daß sie in dieser Umgebung protzig erschien.

Der Kaffee wurde eingeschenkt und der Kuchen angeboten. Irma aß mit gutem Appetit und sprach vom Wetter, vom unanständigen Fernseh-Programm und von der Gesundheit des Generals.

„Sie war mit Kurt von Spoor verlobt“, berichtete mir Erland in Verschwörerton. „Dann starb er, wie es halt so ging. Sie soll den Armen überredet haben, sich das Leben zu nehmen. Später verheiratete sie sich mit einem Direktor Bergner. Können Sie sich vorstellen, daß sie zu ihrer Zeit eine so unglaubliche Schönheit war, daß sich alle Männer die Beine nach ihr abgelaufen haben?“ „Das kann ich wirklich. Sie hat eine wundervolle Kopfform. Und wie ging es mit dem Bergner?“

„Er starb ... lassen Sie mich überlegen ... 1959, glaube ich.“

„Hat er sich auch ihretwegen das Leben genommen? Durch Überredung oder sonst eine raffinierte Methode?“

„Durchaus möglich“, murmelte Erland. „Nein, wir dürfen nicht ungerecht sein. Er stürzte mit 132 anderen in Südamerika ab. War es nicht in Argentinien? Irma war damals zu Hause in Schweden und muß also als unschuldig angesehen werden.“

Irma hatte ihr Geplauder eine Weile auf Marianne Bundin konzentriert. Sie hatte in Marianne das „Töchterchen des Arztes“ erkannt und wollte wissen, wie es „dem guten Doktor“ und „der entzückenden Doktorfrau“ ging.

Erland zeigte bereits, daß er mehr zu sich genommen hatte, als ihm gut tat. Er hockte schwerfällig in seinem Sessel und stierte vor sich hin.

„Fragen Sie sie nach Kurt“, ermahnte ich ihn und wies mit dem Kinn auf Irma. „Wenn Sie’s wagen!“

„Ob ich’s wage?“ zischte er aggressiv. „Hältst du mich für feige, du kleiner Farbenkleckser?“

Er erhob sich und nahm den Silberbecher vom Tisch. Ein Gänseblümchen fiel aufs Tischtuch, ohne daß er es merkte.

„Du, Irma“, begann er mit schwerer Zunge, „diesen Becher habe ich immer so schön gefunden. Wie ist es damit, hat Beatrice ihn nicht von dir zur Taufe bekommen?“

Irma brach mitten in ihrem Geplauder mit Marianne Bundin ab. Ihre Augen wurden wachsam. Das Gesicht straffte sich, der Mund wurde hart und bestimmt.

„Ja, allerdings“, sagte sie mit kalter, klarer Stimme.

„Hier steht aber Irma und Kurt“, fuhr Erland fort. „Wer ist Kurt? Ich wollte schon immer wissen, wer das ist. Oder war. Und Beatrice nimmt es auch wunder. Ich finde, es ist unser Recht, das zu erfahren. Er war immerhin Beatrices Taufpate. Und seinen Paten möchte man doch kennenlernen. Oder wenigstens wissen, wer es war. Oder etwa nicht?“

Sicher fünfzehn Sekunden lang war es totenstill im Zimmer. Totenstill bis auf das Ticken einer Standuhr, das leise Schnarchen des Hundes Elof und das Knistergeräusch zweier Zwergpapageien im Bauer.

Dann stand Irma auf. Sie war sehr blaß geworden, und ihre Augen schienen tiefer in den Höhlen zu liegen als zuvor.

„Was du nicht wissen willst!“ war das einzige, was sie sagte, ehe sie auf dem Absatz kehrtmachte und hinausschwebte.

Wir hörten einen Wagenschlag zuknallen. Der Mercedes fuhr an, und wir sahen ihn in einer Wolke von Staub und stiebendem Kies hügelabwärts verschwinden.

Wer ist dein Richter?

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