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Kapitel 1

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Die Schimäre von Fouesnant


Jean-Pierre Kermanchec


































Es war früh am Morgen, gerade erst 4 Uhr, als Swana Roué ihren Fotorucksack auf den Rücken schwang und ihr Fernglas zur Hand nahm. Die Sonne hatte es noch nicht über den Horizont geschafft, und die Schatten, die die Straßenbeleuchtungen um diese Uhrzeit auf die Bürgersteige warfen, ähnelten noch kleinen Monstern. Die zahlreichen Katzen, die über die ruhige, wenig befahrene Straße der Allée de Penfoulic huschten, schienen alle grau zu sein.

Swana verließ ihr Haus und ging zu ihrem Renault Clio, der unter dem kürzlich erbauten Carport stand. Sie wollte an die Pointe de Trévignon fahren und das dortige Naturschutzgebiet besuchen und fotografieren, ihrer Meinung nach das wundervollste Brutgebiete für die verschiedenen Vögel der Küste in der Cornouaille.

Die Allée de Penfoulic erschien ihr um diese frühe Morgenstunde noch unheimlicher als bei Tag. Die enge Allée, an der nur an wenigen Stellen zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikamen, war auf beiden Seiten von steinigen Hügeln begrenzt, die die Bretonen talus nannten, und auf denen sich die in die Jahre gekommenen, und daher schon recht hohen, Bäume wie schwankende Riesen im Wind bewegten. Während der Wintermonate kam durch die laubfreien Äste noch etwas Licht hindurch, aber jetzt im Sommer hatte man selbst im hellen Sonnenschein den Eindruck, durch einen dunklen Schlauch zu fahren. Kurz vor dem Sonnenaufgang erhellten nur die Scheinwerfer ihres Wagens den Weg durch die Allee. Nach einem Kilometer erreichte sie die Hauptstraße und fuhr auf Concarneau zu. Swana mochte diese frühen Morgenstunden, wenn nur wenige Autofahrer unterwegs waren. Am frühen Sonntag musste sie allerdings besonders gut aufpassen. Einige der ihr entgegenkommenden Fahrzeuge könnten Nachtschwärmer sein, die den Samstagabend bis in die Morgenstunden des Sonntags ausgedehnt hatten und alkoholisiert, müde und high nach Hause fuhren. Es wäre nicht das erste Mal, dass ihr ein Fahrzeug auf der falschen Fahrbahnseite entgegenkam.

Sie hatte Glück, die Fahrt an die Trévignon war reibungslos verlaufen. Swana stellte ihren Clio auf dem Parkplatz am Maison du Littoral ab, der um diese Uhrzeit völlig leer war. Erst am späteren Vormittag würde er sich mit Touristen füllen, die an den herrlichen Strand kamen, um ihren Körper der Sonne preiszugeben und die Kinder mit ihren kleinen Eimerchen im Sand spielen zu lassen. Swana schätzte den Strand auch, gerne ging sie am Rand des Wassers spazieren und hielt Ausschau nach den Amethysten, die hier zu finden waren.

Sie nahm ihren Rucksack aus dem Wagen, schulterte ihn, schnappte sich das Fernglas und machte sich auf den Weg zu dem Beobachtungspunkt, den sie vor einigen Jahren ausgewählt hatte. Der Weg führte sie an der Schranke, die den Zugang für Fahrzeuge zum Schutzgebiet versperrte, an dem Bunker aus dem zweiten Weltkrieg, der übersäht war von Graffiti und an dem Schilfgürtel des dahinterliegenden Weihers vorbei. Nach weiteren vierhundert Metern hatte sie ihren Lieblingsplatz erreicht. Es war ein kleiner Hügel, umgeben von Artemisia maritima, dem Strand-Beifuß, herrlichen Stranddisteln, die ihre hübschen blauen Blüten zeigten, und gelben Stechginstersträuchern, so dass sie sich sehr gut dahinter verbergen konnte und von den Vögeln nicht sofort bemerkt wurde. Sie nahm ihren Fotoapparat und das Stativ aus dem Rucksack, baute alles auf, setzte sich ins noch feuchte Gras und wartete. Geduld war das Wichtigste bei ihren Beobachtungen. Mit dem Fernglas suchte sie den Schilfgürtel und die Wasseroberfläche auf der Suche nach Enten, Reihern, Möwen, Kormoranen und was sich sonst noch hier tummelte ab.

Swana fotografierte jeden entdeckten Vogel und hielt sowohl die Anzahl der Vogelarten als auch deren Namen fest. Ihr Notizbuch füllte sich bei jedem neuen Ausflug an die Trévignon. Bachstelzen, Blässhühner, Brandenten, Eichelhäher, Kormorane, Sumpfschnepfen und Lachmöwen sowie Seidenreiher und Turmfalken hatte sie bereits beobachten können.

Swana Roué saß jetzt schon seit über einer Stunde an ihrem Beobachtungspunkt. Die Sonne war bereits aufgegangen und der Himmel leuchtete im Osten herrlich orangerot. Zahlreiche Silbermöwen flogen über den Weiher und die Dünen, um Nahrung aus dem Meer zu holen. An manchen Tagen wanderte Swana am Ufer entlang und beobachtete die Regenpfeifer, Gravelots wie man sie hier nannte, diese kleinen lustigen Vögel, die dem abfließenden Wasser nachliefen und ihre Nahrung im Sand suchten. Sobald die Ausläufer der nächsten Wellen über den Sand flossen, rannten sie vor dem herannahenden Wasser weg. Dieses hin und her der kleinen Vögel amüsierte Swana immer wieder. Sie hatte unzählige Aufnahmen von den kleinen witzigen Vögelchen mit dem hübschen Collier um ihren Hals.

Sie hatte ihr Fernglas in der Hand und wollte ihren Blick gerade auf einen im Wasser stelzenden Reiher lenken, da störte ein Knall die Ruhe, ein Schuss. Die Vögel flogen in hektischem Durcheinander auf und die Enten entfernten sich mit lautem Geschnatter. Swana wandte ihren Kopf in Richtung der Lärmquelle. Der Knall oder Schuss war von der Seite des Weihers gekommen. Swana hob das Fernglas und sah in die Richtung. Sie konnte eine Gestalt ausmachen, die große Ähnlichkeit mit Merlin aus der Artus-Sage aufwies. In ihrem Buch, das sie bereits als Kind gelesen hatte, gab es ein Bild, das den Zauberer mit einem langen Kapuzenumhang zeigte. Genau einen solchen Umhang trug die Gestalt auf der anderen Weiherseite. Die Entfernung zwischen ihr und der Gestalt betrug bestimmt 300 Meter. Selbst durch das Fernglas konnte sie das Gesicht des Mannes, sie nahm an, dass es ein Mann war, nicht erkennen. Sie sah nur, dass die Gestalt sich über etwas beugte, das auf dem Boden lag. Swana schwenkte ihren Fotoapparat und drückte auf den Auslöser. Jetzt erhob sich die Person und sah sich um. Swana hatte das Gefühl, dass sie zu ihr herübersah. Instinktiv duckte sie sich und versuchte, sich hinter den Ginstersträuchern zu verstecken. Vorsichtig blickte sie wieder über das Gestrüpp hinweg auf die andere Seite.

Die Gestalt ging über die Wiese und war dabei, aus ihrem Blickfeld zu verschwinden. Swana schwenkte den Fotoapparat erneut und versuchte, weitere Bilder von ihr zu erhaschen. Sie drückte wieder auf den Auslöser. Sie war neugierig, sie wollte wissen, was dort drüben vorgegangen war. Rasch packte sie alles zusammen und machte sich auf den Weg um den Loc´h Coziou, wie der Weiher auf Bretonisch hieß. Obwohl die Stelle lediglich 300 Meter Luftlinie von ihrem Standpunkt entfernt lag, musste sie fast eineinhalb Kilometer um den See gehen. Nach zwanzig Minuten hatte sie die Stelle erreicht. Sie suchte das Gebiet nach einem auffälligen Gegenstand ab. Aber sie fand nichts. Sie nahm den Fotoapparat aus dem Rucksack und betrachtete noch einmal das Bild, das sie vor ihrem Aufbruch aufgenommen hatte. Es war eindeutig, an der Stelle, an der sie jetzt stand, hatte ein Gegenstand gelegen. Aber sie konnte hier nichts finden.

Hatte der Vermummte das Objekt entfernt, während sie auf dem Weg um den See war? Dann würde die Person sich immer noch hier aufhalten können. Swana bekam Angst. Sie sah sich um, konnte aber nichts und niemanden erkennen. Sie nahm ein weiteres Foto von der Wiese auf und machte sich dann auf den Weg zurück zu ihrem Fahrzeug.

Swana legte ihren Rucksack in den Kofferraum und stieg ein. Beim Verlassen des Parkplatzes ließ ihre Anspannung nach. Was war auf der Wiese geschehen? Wer war der Vermummte? Wo hatte er sich versteckt? Fragen, die sie gerne beantwortet hätte.

Auf der Fahrt zurück nach Fouesnant kreisten ihre Gedanken unentwegt um das Geschehen auf der Wiese. Sie nahm sich vor, das Foto später auf ihrem Computer genauer zu betrachten, vielleicht könnte sie auf dem Bild doch noch etwas entdecken. Swana war so sehr in Gedanken, dass sie nicht bemerkte, dass ihr ein blauer Peugeot 206 folgte.

Die Schimäre von Fouesnant

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