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Kapitel 4

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Tom Sullivan lief zwischen Fenster und Wohnungstür hin und her. Er wartete auf den Briefträger, der in den letzten zehn Tagen zwar immer an seinem Haus vorbeigegangen war, aber nichts in den Briefkasten gelegt hatte. Er wartete auf eine Ansichtskarte seiner Tochter. Seine Tochter war vor zwei Wochen nach Spanien gefahren, sie wollte dort auf einem Campingplatz ihren Urlaub verbringen. Sie hatte ihn angerufen als sie ihr Ziel auf dem Campingplatz Valdoviño erreicht hatte. Sie schwärmte von der tollen Landschaft und den großartigen Stränden rund um Ferrol und hatte ihm versprochen, eine Ansichtskarte zu schicken.

Auf diese Karte wartete er. Kate hatte sich seitdem nicht mehr gemeldet. Am Ende der ersten Woche hatte er versucht, sie zu erreichen. Erfolglos, obwohl Kate ihr Handy nie ausschaltete. Vor zwei Tagen war er dann zur nächsten Polizeidienststelle gegangen, in Colchester, und hatte die Polizisten gebeten, ihm zu helfen. Die Polizisten hatten versucht, ihn zu beruhigen. Bestimmt hätte sie ihr Handy nur ausgeschaltet oder ihr Urlaub sei so toll, dass sie schlichtweg vergessen hatte anzurufen oder das Handy sei kaputtgegangen.

Tom Sullivan hatte sich damit aber nicht zufriedengegeben. Die Polizisten ließen sich schließlich dazu überreden, mit den Kollegen in Ferrol in Kontakt zu treten. Nach einem Tag traf die Antwort aus Ferrol ein und traf Tom Sullivan wie ein Blitzschlag. Das Zelt von Kate stand noch auf dem Campingplatz, es war aber leer. Der Besitzer des Platzes hatte bereits eine Strafanzeige gestellt, da das Mädchen den Platz anscheinend vor acht Tagen verlassen und die Rechnung nicht beglichen hatte.

Bis nach Spanien war sie mit einer Mitfahrgelegenheit gereist, ein junger Mann aus der Nachbarschaft hatte sie mitgenommen. Die Rückreise wollte sie mit Bahn und Bus zurücklegen, von Ferrol aus mit der Bahn bis nach Oviedo und von Oviedo über San Sebastian nach Saint Jean de Luz mit dem TGV, von dort nach Bordeaux und anschließend mit Ouibus nach Brest. Das letzte Stück bis nach England würde sie von Roscoff mit der Fähre zurücklegen. In Plymouth würde ihr Vater sie dann abholen und sie würden drei gemeinsame Tage in London verbringen.

Eben weil sie diese gemeinsamen Tage in London verabredet hatten, war er beunruhigt als kein weiteres Lebenszeichen von seiner Tochter eintraf. Die spanische Polizei fahndete nun nach dem Mädchen. Suchaktionen rund um den Campingplatz wurden durchgeführt, Zeugen, die das Mädchen gesehen hatten wurden befragt, ihr Bild in den regionalen Zeitungen veröffentlicht und schließlich wurde sie auch mit Hilfe des Fernsehens gesucht. Nichts führte zu einem Ergebnis. Das Mädchen blieb verschollen. Ein Verbrechen konnte nicht mehr ausgeschlossen werden.

Tom Sullivan war verzweifelt. Er war seit einigen Jahren Witwer und lebte alleine. Er zählte zur Oberschicht der Stadt. Seine Tochter war Schülerin im College und wohnte noch bei ihm. Als nach weiteren vier Wochen immer noch kein Lebenszeichen von ihr aufgetaucht war, die Polizei in Spanien auch nichts Neues sagen konnte, entschied er sich, einen zusätzlichen Weg einzuschlagen. Er suchte den Privatdetektiv Dan Cromwell in London auf, der sich bei verschiedenen ähnlich gelagerten Fällen einen guten Namen gemacht hatte, und bat ihn, die Suche nach seiner Tochter aufzunehmen. Die Kosten spielten keine Rolle. Dan Cromwell sagte zu, ließ sich über alle bekannten Einzelheiten unterrichten und machte sich auf den Weg nach Spanien.

Dan Cromwell war ein Hüne. Mit seinen 1,94 Metern überragte er die meisten Menschen. Seine Kleidung entsprach der eines Engländers der Upperclass, die Anzüge waren maßgeschneidert und die Schuhe auf Maß angefertigt. Er fuhr einen Rover 75. Er hatte ihn gekauft, bevor die Produktion dieser Baureihe eingestellt worden war. Er liebte das Fahrzeug und es hatte ihn in all den Jahren noch nie im Stich gelassen.

Dan Cromwell hatte entschieden, die Reise nach Spanien mit der Fähre zurückzulegen. Die einfache Fahrt kostete ihn ca. 600 Pfund. Von Portsmouth aus würde er direkt bis Santander in Spanien fahren. Mit der Fähre käme er ausgeschlafen und fit in Spanien an. Dann hatte er nochmal 400 Kilometer bis nach Ferrol, beziehungsweise nach Valdoviño zum Campingplatz, zurückzulegen. Seine Suche wollte er dort beginnen, wo Kate Sullivan sich zuletzt aufgehalten hatte.

Für die 120 Kilometer von Brunswick Gardens nach Portsmouth hatte er etwas über eine Stunde gebraucht. Um 22 Uhr 30 bestieg er die Fähre in Portsmouth. Seine Kabine hatte einen kleinen Balkon mit einem Liegestuhl, so dass er während der Überfahrt ein Sonnenbad genießen konnte.

Dan stellte seinen Koffer in der Kabine ab. Sein restliches Gepäck hatte er im Wagen gelassen. Dann schlenderte er durch den schmalen Gang zum Aufgang, ging in die Schiffsbar, bestellte sich einen Whisky on the rocks und beobachtete die mitreisenden Gäste. Er liebte es, Menschen zu beobachten, ihre Gewohnheiten und Ticks zu studieren und sie in seine Schubladen einzuordnen.

Da gab es die Gehetzten, die ständig auf die Uhr oder ihr Smartphone blickten, zwischendurch immer kurz an ihren Drinks nippten, ohne wirklich zu schmecken, was sie da tranken. Die Ruhigen, etwas rundlich, mit Haut und Haar dem Genuss verfallen, die saßen entspannt auf ihren Hockern und genossen in aller Seelenruhe ihren Drink. Die feingliedrigen melancholischen Gäste, die mit hoher Aufmerksamkeit schmeckten und beobachteten und ihre Drinks beinahe sezierten, um auch die letzten Geruchsgeheimnisse zu lüften. Die cholerischen Typen erkannte Dan sofort. Sie konnten es nicht brauchen, wenn der Barkeeper nicht direkt auf ihre Wünsche einging oder wenn der Drink nicht dem entsprach, was sie sich vorgestellt hatten. Nach seinem Whisky machte er sich auf den Weg zurück in seine Kabine und legte sich schlafen.

Am Dienstagmorgen fuhr Dan Santander gut erholt und bester Laune von Bord. Er gab das Ziel in Valdoviño in sein Navigationsgerät ein und ließ sich bis zum Campingplatz leiten.

Sein erster Weg führte ihn zum Verwalter des Platzes. Er stellte sich in perfektem Spanisch als der Privatdetektiv Dan Cromwell vor, der auf der Suche nach dem vermissten Mädchen sei. Spanisch, Französisch und Deutsch sprach er fließend.

„Ich kann mich gut an das Mädchen erinnern. Eine sympathische und lebenslustige junge Frau. Sie war immer freundlich. Ich habe manchmal einige Worte mit ihr gewechselt und sie hat mir von ihren Zukunftsplänen erzählt. Sie wollte unbedingt Pilotin werden und ihre Ausbildung nach dem Urlaub beginnen. Umso erstaunter bin ich gewesen, dass sie verschwunden ist, ohne die Rechnung beglichen zu haben.“

„Ist Ihnen in den Tagen davor etwas Außergewöhnliches aufgefallen? Hat sie jemanden kennengelernt?“

„Nein, sie hat ihre Tage alleine verbracht. Sie war oft am Strand. Am Abend habe ich sie häufig vor ihrem Zelt kochen gesehen.“

„Wenn Sie den Platz verlassen hat, hat sie da jemand verfolgt? Oder vielleicht ist Ihnen jemand aufgefallen, der ihr nachgesehen hat?“, fragte Dan.

„Lassen Sie mich nachdenken“, sagte der Platzwart.

„Nein, mir fällt nichts Besonderes ein, höchstens ein Camper, der sein Wohnmobil in unmittelbarer Nähe zu ihrem Zelt platziert hatte. Es war ein Mann um die vierzig, der hat ihr oft aus der Distanz zugewunken.“

„Sie sagen ein Camper mit Wohnmobil? Können Sie sich genauer an den Mann erinnern? Woher er kam oder so?“

„Ich kenne mich etwas mit den französischen Kennzeichen aus, sodass ich sagen kann, dass er aus dem Finistère gekommen sein muss. Die Nummer des Departements auf seinem Kennzeichen war 29.“

„Haben Sie Namen und Adresse dieses Herrn?“, fragte Dan weiter.

„Ja, die habe ich, der Mann kam aus einem Ort, den ich fast nicht aussprechen kann. Warten Sie, ich hole mein Buch.“

Er verschwand in seinem Büro und kam nach wenigen Minuten wieder zurück. Er zeigte auf die Eintragung in seinem Buch. Dort stand der Name des Campers, Martin Tosser, er kam aus Fouesnant, Bréhoulou, in der Bretagne. Eine Haunummer fehlte. Die Schrift unterschied sich deutlich von den anderen Eintragungen.

„Haben Sie das geschrieben?“, fragte er den Verwalter.

„Nein, das hat Herr Tosser selbst eingetragen. Er hat gemeint, dass es einfacher sei, wenn er die Eintragungen selbst vornehme, die Namen seien etwas kompliziert. Ich habe das Angebot gerne angenommen“, antwortete er.

„Können Sie mir sagen, wann der Mann den Platz verlassen hat?“

„Das steht doch auch in dem Buch. Sehen Sie, hier steht seine Ankunft und hier seine Abreise mit der Uhrzeit. An dem Abend ist er der einzige gewesen, der den Platz verlassen hat.“

Demnach hatte Tosser den Platz am Donnerstagabend verlassen. Es war der Abend, an dem Kate Sullivan zum letzten Mal gesehen worden ist. Ein seltsames Zusammentreffen, dachte Dan. Er notierte die Adresse des Mannes und die Zulassungsnummer seines Campingwagens.

„Haben Sie auch eine Kopie seines Personalausweises?“, fragte Dan.

„Nein, ich habe seinen Ausweis nicht einmal angesehen, der Mann erschien mir sehr aufrichtig zu sein. Er hat auch seine Gebühren vor der Abfahrt bezahlt.“

„Wissen Sie, was für einen Camper der Mann gefahren hat?“

„Oh ja, das kann ich Ihnen genau sagen. Es war ein sehr großes Gefährt, ein Hymer PremiumLine, eines der luxuriösen Wohnmobile.“

Dan verabschiedete sich von dem Platzwart und suchte die Polizeidienststelle in Ferrol auf. Sie waren mit den Recherchen nach dem Mädchen beauftragt. Die Polizisten waren unbürokratisch zur Auskunft bereit, was ihn sehr erstaunte. Sie ließen ihn die Protokolle der Befragungen und die Ergebnisse der Nachforschungen einsehen. Auf seine Frage nach dem Fahrer des Wohnmobils erhielt er eine negative Antwort. Die Polizisten wussten nichts von einem Fahrer eines Wohnmobils. Der Mann war nicht in ihre Recherchen einbezogen worden. Dan Cromwell bedankte sich und verließ das Büro.

Er hatte eine Spur, der er nachgehen wollte. Er vermutete, dass der Mann mit dem Camper etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun haben könnte. Allen anderen Hinweisen war die Polizei in Ferrol nachgegangen. Das Mädchen hatte keine Bahnkarte gelöst, war in keinem Taxi unterwegs gewesen und hatte auch keinen Mietwagen benutzt. Auch alle Buslinien waren überprüft worden, das Mädchen hätte nur noch zu Fuß die Stadt verlassen haben können. Aber warum sollte sie das gemacht haben? Sie hatte ihr gesamtes Gepäck zurückgelassen, Kleider, Zelt, Schlafsack, alles befand sich noch auf dem Campingplatz. Wäre das Mädchen entführt worden, hätte es ein Erpresserschreiben gegeben. Er ging von einem Gewaltverbrechen aus.

Dan hatte keinerlei Nachlässigkeiten der hiesigen Polizei entdeckt. Er bestieg seinen Rover und machte sich auf den Weg nach Frankreich, in die Bretagne. Seine erste Etappe führte nach Bordeaux. Am nächsten Tag würde er dann Fouesnant erreichen.

Die Schimäre von Fouesnant

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