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Kapitel 3

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Anaïk Pellen-Bruel, so lautete nun ihr vollständiger Name, war seit einer Woche verheiratet.

Die Hochzeit mit Brieg war ein großartiges Fest gewesen. Die Braut im weißen Hochzeitskleid erstrahlte unter dem königlichen blauen Himmel wie eine Prinzessin. Selbst die Verbrecher und Mörder schienen Rücksicht auf den Hochzeitstermin genommen zu haben, denn in den Tagen vor dem großen Ereignis waren keine großen Vorkommnisse passiert. Die Trauung auf dem Standesamt in Sainte-Marine war von den engsten Familienmitgliedern und den Freunden der beiden begleitet worden. Die anschließende kirchliche Trauung, die hatte sich Anaïk gewünscht, hatte in der Chapelle de Sainte-Marine stattgefunden. Die kleine Kapelle war bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen, zahlreiche Neugierige hatten auf dem Platz vor der Kapelle warten müssen, um einen Blick auf die Braut werfen zu können. Anaïks Kollegin Monique und Briegs Freund Moran waren die Trauzeugen gewesen.

Im Auto-Cortège sind die geladenen Gäste danach zum Manoir de Kerazan gefahren. Hupkonzerte hatten die Fahrzeuge auf ihrem Weg begleitet. Die Feier hätte nicht glanzvoller sein können.

Kurz vor Ende des großen Festes hatte Anaïk ihren Brautstrauß geworfen. Er war in weitem Bogen hinter ihr durch die Luft geflogen. Monique hatte ihn aufgefangen. War das ein Wink des Schicksals? Wäre ihre Kollegin die Nächste, die in den Stand der Ehe träte?

Monique und ihr Freund Alain kannten sich nicht so lange, sodass sie von einer Hochzeit noch nicht sprachen. Vielleicht würde der aufgefangene Brautstrauß die Situation verändern.

Anaïk und Brieg hatten ihre Hochzeitsreise nach Madagaskar für November geplant. In der Zeit war das Klima für gewöhnlich sehr angenehm auf der großen Insel.

Anaïk saß jetzt wieder in ihrem Büro, das Telefon riss sie aus ihren Gedanken.

„Pellen-Bruel“, meldete sie sich. An den neuen Namen hatte sie sich schnell gewöhnt.

„Madame La Commissaire?“, vernahm sie eine fragende Stimme.

„Ja, Pellen-Bruel“, antwortete sie und wartete.

„Madame La Commissaire, hier ist Dinan le Coc aus Trégunc. Wir haben im Naturschutzgebiet an der Pointe de Trévignon eine Leiche. Die Fundstelle ist bereits abgesperrt.“

„Wenn Sie mir den Fundort bitte genau beschreiben, dann kommen wir sofort“, erwiderte Anaïk und notierte sich die Ortsbeschreibung des Gendarmen.

Umgehend informierte sie Yannick Detru, ihren Pathologen und Dustin Goarant, den Leiter der Spurensicherung.

„Muss das denn noch vor dem Mittagessen sein?“, fragte Yannick scherzhaft, dann legte er den Hörer auf.

Anaïk schnappte sich ihre Handtasche und eilte aus ihrem Büro. An der Tür zu Monique Duponts Zimmer blieb sie stehen und informierte ihre Kollegin über den neuen Mordfall. Gemeinsam fuhren sie an die Pointe de Trévignon.

Sie stellten das Auto auf dem Weg ab und gingen zu Fuß über die Wiese zu dem kleinen See. Die Absperrbänder flatterten leicht im Wind und die beiden Gendarmen waren nicht zu übersehen.

„Bonjour Mesdames Les Commissaires“, begrüßte le Coc die Kommissarinnen und führte sie ohne lange Vorrede zur Fundstelle.

„Wer hat die Leiche gefunden?“, fragte Monique den Gendarmen.

„Das ist Monsieur Ergat Lozac’h gewesen. Der Mann wartet dort drüben auf Sie.“ Der Gendarm zeigte auf den Mann.

Während Anaïk zur Leiche ging, machte sich Monique auf den Weg zu Monsieur Lozac‘h.

Yannick Detru und Dustin trafen gemeinsam an der Fundstelle ein. Anaïk ließ Yannick den Vortritt und wartete geduldig, ebenso wie Dustin, bis Yannick seine ersten Untersuchungen gemacht hatte. Nach wenigen Minuten stand Yannick auf und kam zu Anaïk.

„Der Mann ist erschossen worden! Der Schuss ist direkt ins Herz gegangen, alles andere kann ich erst nach der Obduktion sagen. Der Mann ist heute Morgen erschossen worden. Ich schätze, dass es zwischen sechs und sieben Uhr passiert ist.“

„Danke Yannick, dann haben wir ja schon einen ersten Anhaltspunkt“, sagte Anaïk und wollte sich den toten Mann jetzt ansehen.

„Darf ich zuerst noch die Spuren sichern?“, fragte Dustin.

„Wann genau haben Sie die Leiche gefunden“, hörte sie Monique fragen.

Der kräftige muskulöse Mann neben Monique sah auf seine Uhr, bevor er zu einer Antwort ansetzte.

„Wenn ich das richtig sehe, dann muss es gegen elf Uhr gewesen sein. Ich habe die Gendarmerie sofort angerufen.“

„Aus welcher Richtung sind Sie gekommen?“, fragte Monique weiter.

„Ich arbeite als freiwilliger Helfer bei der Überwachung der Nistplätze der Gravelots mit. Ich bin vom Maison du Littoral aus zum Strand von Kerouini gegangen, um die Absperrungen rund um die Nistplätze zu überprüfen und bin dann hier vorbeigekommen.“

„Das ist aber nicht der direkte Weg. Hier kann ich keinen Fußweg erkennen.“

„Da haben Sie völlig Recht. Ich bin rund um den See gegangen, um einen besseren Blick auf die Vögel zu haben. Gestern habe ich hier einen Reiher gesehen und wollte wissen, ob der Vogel sich immer noch hier aufhält. Deswegen bin ich über die Nordseite des Loc´h gegangen.“

„Bonjour Monsieur“, mischte sich jetzt Anaïk in das Gespräch ein.

„Haben Sie auf ihrem Weg irgendetwas Außergewöhnliches beobachtet?“

„Nein, nichts. Es sind mir nicht einmal Spaziergänger begegnet.“

„Sie haben also niemanden getroffen?“

„Nein, wie ich schon gesagt habe, niemand ist mir auf dem GR oder am See entlang begegnet.“

„Ist Ihnen ein Fahrzeug aufgefallen als Sie beim Maison du Littoral angekommen sind?“, fragte Monique, die sich erinnerte, dass es dort einen großen Parkplatz gab.

„Nein, ich habe kein Fahrzeug gesehen. Der Platz ist völlig leer gewesen.“

„Dann bedanken wir uns bei Ihnen“, sagte Monique und wandte sich zu Anaïk.

„Hast du schon einen Anhaltspunkt?“

„Noch nicht, Dustin ist gerade dabei, die Spuren zu sichern. Vielleicht findet er ja einen Ausweis. Wenn Monsieur Lozac´h kein Fahrzeug auf dem Parkplatz am Maison du Littoral gesehen hat, dann muss der Mann zu Fuß unterwegs gewesen sein“, meinte Anaïk.

„Verzeihen Sie Madame La Commissaire, wenn ich mich einmische. Aber der Tote könnte seinen Wagen auch auf einem der anderen Parkplätze stehen haben. Hier an der Küste gibt es eine ganze Anzahl von Parkplätzen. Zum Beispiel der Parkplatz beim Loch ar Guer, der liegt am Nudistenstrand, dem Plage de Kerouini, somit nur wenige Schritte vom westlichen Ende des Sees entfernt, dann gibt es noch die Parkplätze unmittelbar an der Straße zum Maison du Littoral“, meinte Monsieur Lozac´h.

„Danke für den Hinweis, wir werden diese Möglichkeiten überprüfen“, erwiderte Anaïk und ging zu Dustin.

„Hast du schon etwas für uns?“

„Ja und nein, der Mann hat kein Portemonnaie bei sich gehabt aber wir haben einen Autoschlüssel gefunden. Der Schlüssel gehört zu einem Rover 75. Das Fahrzeug wird schon lange nicht mehr gebaut. Ich bin mir nicht sicher aber ich glaube, dass die Produktion 2005 eingestellt worden ist. Der Mann besitzt damit fast schon einen Oldtimer. Dann habe ich noch ein Handy sichergestellt, allerdings befinden sich keine wesentlichen Daten darauf. Es sieht fast so aus, als habe er das Handy erst vor Kurzem erworben. Die Kontaktliste ist fast leer. Die wenigen Anschlüsse gehören Personen, die in Großbritannien leben. Wir haben nicht viel gefunden, wir suchen aber weiter.“

„Danke Dustin“, sagte Anaïk und machte sich auf den Weg zu ihrem Dienstwagen. In ihrem Fahrzeug lagen einige Landkarten, sie wollte sich die Gegend auf der Karte ansehen.

„Monsieur Lozac´h hat von einem weiteren Parkplatz beim Strand von Kerouini gesprochen. Das müsste dieser hier sein.“ Anaïk zeigte auf eine Stelle auf der Karte. Vielleicht finden wir diesen alten Rover dort.“

„Oder auf den Parkplätzen hier unten, kurz vor der Pointe de Trévignon.“ Monique zeigte auf die Straße, die zur Spitze führt.

„Lass und beides überprüfen“, sagte Anaïk, faltete die Karte zusammen und stieg ein.

Sie folgten der Route des Étangs. Die Straße machte eine Kurve und erlaubte einen Blick auf den Parkplatz vor dem Maison du Littoral. Dort stand nur ein Fahrzeug, vermutlich der Wagen von Monsieur Lozac´h. Sie fuhren auf der Straße weiter, überquerten eine kleine Brücke und konnten schon vom Weitem einen nächsten Parkplatz rechts der Straße sehen, der war in ihrer Karte nicht verzeichnet. Aber auch dort stand kein Auto. Anaïk wendete und fuhr zurück. Jetzt suchten sie die Route de Kerouini, folgten dem Hinweis zum Strand und erreichten den Parkplatz nach einem weiteren Kilometer.

Der Platz war von der Straße aus nicht gut einsehbar, ein Talu begrenzte ihn. Sie fuhren unter der Höhenbegrenzung hindurch. Am hinteren Ende des Parkplatzes stand ein Wagen. Es könnte ein Rover sein. Anaïk hielt hinter dem Fahrzeug und stieg aus.

„Der ist in England zugelassen“, meinte Monique. LE54ZTL war auf dem Nummernschild zu lesen, daneben GB.

„Wenn das der Wagen unseres Toten ist, dann könnte er Engländer sein. Ein Tourist? Das ist um diese Jahreszeit keine Seltenheit“, meinte Anaïk und griff bereits zum Autoschlüssel, den Dustin ihr gegeben hatte. Intuitiv drückte sie auf den Schlüssel aber der Wagen hatte noch keine Zentralverriegelung. Sie ging an die Fahrertür und steckte den Schlüssel ins Schloss. Mühelos ließ sich die Tür öffnen.

„Wir haben das Fahrzeug gefunden“, stellte Anaïk fest und zog sich Latexhandschuhe an, während Monique bereits Dustin anrief, um ihm von dem Fahrzeugfund zu berichten.

„Im Handschuhfach liegt Munition und ein Waffenschein“, sagte Anaïk. Sie nahm den Waffenschein heraus.

„Ein Privatdetektiv. Die Waffe ist zugelassen auf einen Dan Cromwell aus London, Brunswick-Gardens-Street, Kensington“, konstatierte Anaïk und tütete den gefundenen Waffenschein ein. Äußerlich zeigte das Fahrzeug keinerlei Schäden. Es hatte niemand versucht, das Fahrzeug aufzubrechen. Anaïk verließ den Parkplatz und suchte den Weg zum See, einen Fußweg, der zum Naturschutzgebiet und zum Strand führte. Dan Cromwell musste über diesen Weg zum See gegangen sein. Warum hatte er hier geparkt und war zum See gegangen? Hatte er jemanden verfolgt? War er auf der Suche nach einer Person gewesen?

„Wir verschließen den Wagen und bringen den Schlüssel Dustin zurück. Danach machen wir uns wieder auf den Weg ins Kommissariat“, meinte Anaïk.

Dustin war immer noch mit der Sicherung aller Spuren rund um die Fundstelle beschäftigt als sie bei ihm ankamen.

„Der Schlüssel zum Fahrzeug von Mister Cromwell“, sagte Anaïk und gab Dustin die Plastiktüte.

„Hat der Tote bereits einen Namen?“ Dustin sah Anaïk erstaunt an.

„Ja, im Handschuhfach lag ein Ausweis. Der Mann ist Privatdetektiv aus London. Vielleicht hat er hier jemanden gesucht oder observiert. Sieh dir das Fahrzeug bitte genauer an.“

„Wenn du mir noch den Standort des Fahrzeugs verrätst, dann mache ich es sobald wir hier fertig sind. Der Tote hatte eine Pistole in der Tasche. Wir haben inzwischen mehrere Schuhabdrücke gefunden und eine Patronenhülse, 9 mm. So wie es aussieht, ist der Mann hier erschossen worden. Der Fundort ist also auch der Tatort“, sagte Dustin.

„Der Wagen steht auf dem Parkplatz an der Route de Kerouini Dustin“, antwortete Monique und wandte sich dann Anaïk zu.

„Bevor wir zurück ins Kommissariat fahren, können wir doch noch mit den Bewohnern der Häuser dort oben sprechen.“ Monique zeigte auf die Häuser, an denen sie ihren Wagen abgestellt hatten.

„Wenn der Mann hier erschossen worden ist, dann müsste doch jemand etwas gehört haben“, ergänzte sie und sah Anaïk an.

„Machen wir, bevor sich die Erinnerung der Bewohner eintrübt.“

Sie gingen über die Wiese zurück und begannen mit der Befragung der Bewohner.

Das erste Haus war verschlossen und aktuell unbewohnt. Auch das Nachbarhaus schien ein Ferienhaus, ein Zweitwohnsitz, zu sein, die Fensterläden waren geschlossen und das Gras war schon seit Längerem nicht gemäht worden. Die Kommissarinnen gingen auf dem unbefestigten Weg weiter. Das einzige Haus, das Sie jetzt noch aufsuchen konnten, war ein größeres Anwesen mit einem Swimming-Pool und einer enormen Wasserrutsche. Es schien zum Campingplatz zu gehören, die Rutsche war wohl für die Kinder der Campingplatzbesucher gedacht. Sie klingelten an der Haustür. Eine gut gekleidete Dame öffnete und sah die beiden Frauen verwundert an.

„Bonjour Mesdames, was kann ich für Sie tun?“, fragte sie erstaunt.

„Entschuldigen Sie die Störung, Madame, mein Name ist Anaïk Pellen-Bruel und das ist meine Kollegin, Monique Dupont. Wir sind von der police judiciaire aus Quimper.“

„Police judiciaire? Ist bei uns etwas passiert?“

„Haben Sie heute früh etwas Außergewöhnliches beobachtet oder einen Schuss oder Knall gehört? Wir haben eine Leiche am Loc´h Coziou gefunden.“

„Nein, ich habe nichts mitbekommen. Wer wurde denn getötet?“, fragte sie.

„Darüber können wir noch nicht sprechen. Sie haben wirklich nichts gehört? Ihnen ist auch kein Fahrzeug aufgefallen?“, fragte Anaïk nach.

„Nein, ich habe mich im Wohnzimmer aufgehalten und das geht nach Westen. Da bekomme ich nicht mit, was sich am See oder auf dem schmalen Weg abspielt.“

„Haben Sie vielen Dank“, sagte Anaïk und verabschiedete sich.

„Schon seltsam, dass man in einem Haus, das keine 400 Meter entfernt liegt, nichts hört. Einen Schuss hört man doch.“

„Nun, es kann schon sein, dass Sie nichts gehört hat. Zwischen ihrem Haus und dem See liegen zwei Gebäude, die quer zum See stehen. Die reduzieren vielleicht den Schall“, meinte Monique.

„Lass uns zurück ins Kommissariat fahren, hier können wir nichts mehr machen. Wir sollten versuchen, etwas über den Toten herauszufinden“, entgegnete Anaïk und ging zum Fahrzeug.

Die Schimäre von Fouesnant

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