Читать книгу Schwertbruder - Jennifer Roberson - Страница 6

PROLOG

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Der Sand war sehr fein und sehr hell, wie Dels Haar. Wie ihre Haut einst gewesen war. Aber die südliche Sonne, dann die Sonneneinwirkung und die salzhaltige Luft während der Seereise und nicht zuletzt unser Besuch der Insel Skandi hatten ihrer Haut allmählich einen samtigen Pfirsichton verliehen. Sie war noch immer zu hell, zu nordisch, um dem grellen Schein der Sonne längere Zeit standzuhalten, ohne zu verbrennen, aber sie war gewiss nicht mehr so hell, wie sie es bei unserer ersten Begegnung gewesen war.

Oh, richtig. Ich sprach über den Sand.

Er war also sehr fein und sehr hell, und ich hatte sorgfältig daran gearbeitet, ihn mit einem ausreichend großen Stück Rinde der dünnen, hohen, mit Wedeln und Grannen versehenen Palme zu ebnen, die den Strand, das dahinter liegende Meer und das Schiff überragte, das ich in Skandi gechartert hatte. Dann aber hatte ich die akribische Glätte verdorben, indem ich etwas hineingezeichnet hatte.

Einen Kreis.

Einen Kreis.

Ich hatte niemals wieder in einen Kreis eintreten wollen.

Aber ich ebnete den Sand, und ich zog den Kreis, und dann trat ich über die Linie in dessen Mitte. Genau in dessen Mitte.

Es donnerte nicht. Es fiel kein Regen. Kein Blitz riss den Himmel auf. Entweder kümmerte es die Götter nicht – wenn sie denn wirklich existierten –, dass ich erneut in einen Kreis eingetreten war, oder aber sie trieben sich gerade auf einem Flecken der Welt eines anderen herum.

»Ha«, murmelte ich und gönnte mir ein einfältiges Grinsen.

»Ha, was?«, fragte sie, von irgendwo hinter mir.

Ich wandte mich nicht um. »Ich habe das Unmachbare gemacht.«

»Ah.«

»Und nichts hat mich gepackt.«

»Gepackt.«

»Nichts packte mich.«

»Noch nichts.«

Nun wandte ich mich doch um. Sie stand ruhig im Sand. Die Beine reichten ihr bis zum Hals. Sie waren überwiegend entblößt, diese Beine. Wenn die Umstände es nicht verbaten, trug sie gewöhnlich eine ärmellose, hochgeschlossene Ledertunika, die ungefähr bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichte. Im Süden trug sie zudem einen lockeren Burnus über der Ledertunika, um ihre Haut vor der brennenden Sonne zu schützen, aber wir waren nicht im Süden. Wir befanden uns auf einer von mildem Seewind gekühlten Insel, und sie hatte die meisten jener prosaischen Kleidungsstücke zum Bedecken ihres Körpers abgelegt.

Ich sagte, dass ihre Beine bis zum Hals reichten. Was nicht heißen soll, dass kein Körper dazwischen war. O doch, da war einer.

»Siehe da, es hat mich gepackt«, verkündete ich im Tonfall unermesslicher männlicher Wertschätzung.

Früher hätte sie mich vielleicht geschlagen – oder vernichtend gerügt. Aber sie wusste, dass ich scherzte. Nun, nicht gänzlich – ich schätze wirklich jeden geschmeidigen, wendigen Zentimeter an ihr, aber diese Wertschätzung war in ihren Augen weniger ein Zeichen der vollendeten Begierde denn simple männliche Bewunderung.

Überwiegend.

Del wölbte eine helle Augenbraue. »Übst du die Sprachen und ihre Zeitformen?«

»Was?«

»Packen, packte, gepackt.«

Ich grinste sie an. »Ich brauche nicht zu üben. Ich spreche sie alle – inzwischen.«

Die Augenbraue sank wieder herab. Del war sich noch immer nicht sicher, wie sie mit den Scherzen über meinen neuen Status umgehen sollte. Hoolies, ich konnte nur darüber scherzen, da ich selbst nicht viel von diesem neuen Status verstand.

Del beschloss, es zu ignorieren. »Also. Ein Kreis.«

Ich fand, dass dieser Umstand vollkommen für sich sprach, und betrachtete sie daher übertrieben geduldig schweigend.

Ihre Miene war ausdruckslos. »Und du befindest dich darin

Ich nickte ernst. »Wie auch mein Schwert.«

Nun war sie verblüfft. »Schwert?«

Zur Erklärung hob ich es hoch.

»Das ist ein Stock, Tiger.«

Ich schnalzte mit der Zunge. »Und du erzählst mir seit Jahren, ich hätte keine Fantasie.« Ich deutete mit besagtem Stock auf sie. »Hol dir auch einen. Ich habe dort drüben einige hingelegt, bei dem Haufen Steine.«

Nun wölbten sich beide Augenbrauen bis zum Haaransatz. »Du willst üben.«

»Das tue ich.«

»Ich dachte ...« Aber sie brach jäh ab. Und besaß den Liebreiz zu erröten.

Delilah errötete nicht leicht. Ich war erfreut, auch wenn der Grund dafür nicht wirklich schmeichelhaft war. »Hast du etwa geglaubt, ich würde dich belügen oder mich Wunschdenken hingeben? Mich vielleicht vollkommen zum Narren machen, während ich neue Fertigkeiten und Züge entwickle?«

Sie wandte den Blick nicht ab – Del mied keine Wahrheiten, nicht mal die harten –, aber die Röte wich auch nicht.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich dachte, du hättest verstanden, worum es in all den Wochen des Körpertrainings ging.«

»Um Genesung«, sagte sie. »Darum, wieder in Form zu kommen.«

»Ich bin genesen, und ich bin in Form.«

Sie erhob keine Einwände. Es entsprach der Wahrheit. »Aber du hast all das ohne einen Kreis geschafft.«

Das hatte ich. Und zwar einiges. Obwohl ich noch herausfinden musste, wie ich es geschafft hatte. Ein Mann, der in sein viertes Lebensjahrzehnt eintritt, kann nicht annähernd mit diesem Mann im zweiten Lebensjahrzehnt mithalten. Aber selbst meine Knie hatten in letzter Zeit aufgehört, sich zu beklagen.

Vielleicht war es die Seeluft.

Oder auch nicht.

Dieses »oder auch nicht« machte mich nervös.

Ich räusperte mich und erklärte: »Ich werde meine eigenen Tänze bestreiten, Del.«

»Aber ...« Sie verstummte erneut.

Aber. Ein sehr schwer wiegendes Wort, dieses »Aber«, mit allen möglichen versteckten Anspielungen und Andeutungen befrachtet.

Aber.

Aber, wollte sie fragen, wie kann ein Mann ein Schwert richtig ergreifen, wenn ihm an beiden Händen die kleinen Finger fehlen? Aber wie kann er es festhalten, wenn eine andere Klinge darauf trifft? Aber wie kann er darauf hoffen, einen Gegner im Kreis zu besiegen? Wie kann er den Tanz gewinnen? Wie kann er, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt ist, sein Leben im ritualisierten Kampf des Südens zurückgewinnen, wenn er in Folge seiner eigenen Entscheidung daraus ausgeschlossen wurde? Wenn der Verlust der Finger alles frühere Können zunichte macht?

Aber.

Ich sah die Vermutung in ihren Augen, das leichte Aufflackern von Besorgnis.

»Ich habe absolut die Absicht zu tanzen«, sagte ich ruhig, »und absolut keine Absicht zu sterben.« So lange wie möglich.

»Kannst du es?«, fragte sie schließlich geradeheraus.

»Tanzen? Ja. Siegen? Nun, diese Frage haben wir nie richtig geklärt, oder? An manchen Tagen wirst du siegen, an anderen werde ich siegen.« Ich zuckte die Achseln. Es war eine Sache der Auslegung, wie viele solcher Tage mir noch blieben. »Und was die anderen betrifft, gegen die ich tanzen werde ... Nun, wir werden einfach abwarten müssen.«

»Tiger ...«

In der Ferne wieherte laut der Hengst. Ich segnete ihn für sein Zeitgefühl, obwohl er nicht viel Glück dabei haben würde, die Stute zu finden, die er haben wollte. »Hol das ›Schwert‹, Del.«

Sie blieb stehen. »Wenn ich diesen Tanz gewinne – wirst du dann aufhören?«

»Wenn du diesen Tanz gewinnst, werde ich einfach härter üben müssen.«

»Dann willst du immer noch in den Süden zurückkehren.«

»Das sagte ich dir bereits. Ja.« Ich betrachtete sie. »Hast du etwa geglaubt, ich wolle bis zum Ende meiner Tage hier auf dieser unbedarften Insel leben?« Was uns nichtsdestotrotz auf mehr als eine Art das Leben gerettet hatte.

»Ich weiß es nicht.« Ihr Tonfall war eine Mischung aus Enttäuschung, Ärger und Hilflosigkeit. »Ich habe keine Ahnung, was du tun wirst oder nicht, Tiger. Du bist nicht mehr berechenbar.«

Nicht mehr. Was bedeutete, dass ich es einst gewesen war.

Ich strahlte sie an. »Nun gut. Dann bin ich auch nicht langweilig.« Ich wedelte erneut mit dem Stock. »Je eher wir anfangen, desto eher werden wir es wissen.«

Ihre Miene ließ vermuten, dass sie es bereits wusste. Oder es zu wissen glaubte.

»Nicht berechenbar«, erinnerte ich sie. »Auch deine eigenen Worte.«

Del wandte sich auf dem Absatz um und stakte zu den Ästen hinüber, die ich zu glatten Stöcken bearbeitet hatte. Es gab keine Spitze, keine Schneide, kein Kreuzstück, kein Heft, keinen richtigen Knauf. Es waren keine Schwerter. Es waren Stöcke. Aber welchen sie auch immer wählte, er würde genügen.

»Beeil dich«, sagte ich. »Wir verschwenden Tageslicht, Bascha.«

Durch eine Lupe betrachtet, wird die Welt vergrößert. Kleines wird groß. Unsichtbares wird sichtbar gemacht. Träume, an unbeherrschbare Temperamente und Unvorhersehbarkeiten gebunden, mögen vielleicht dasselbe bewirken, die Sichtweise des Menschen ändern. Das Verständnis. Das Bekannte wird unbekannt.

Sandkörner, leicht verschoben. Sanft aneinander gedrängt. Versammelt. Durcheinander gerollt. Vereint.

Ich blinzele. Die Welt zieht sich zurück. Großes wird klein, Gewichtiges wird unbedeutend. Und ich erkenne, was den Sand bewegt.

Nicht Wasser. Nicht Wind.

Blut.

Zuerst vergewaltigen sie sie. Dann schlitzen sie ihr die Kehle auf. Zweimal, vielleicht dreimal. Die Knochen ihres Rückgrats, im zerschundenen Fleisch blank liegend, schimmern weiß in der Sonne.

Blut fließt. Schiebt Sand zusammen. Macht aus schlecht genährtem Staub Schlamm. Ist von der Sonne in Nichts verwandelt worden.

Selbst Blut, in der Wüste, kann der unaufhörlichen Hitze nicht standhalten.

Beim Körper wird es länger dauern, denn Fleisch und Knochen werden nicht so leicht vereinnahmt. Aber die Wüste wird gewinnen. Ihre Siege sind grenzenlos.

Sie hätten sie womöglich am Leben lassen können, auf dass sie verdurste. Es war gnädig von ihnen, sie schnell zu töten. Ihr Gelächter war ihre Totenklage. Ihr Spaß bestand darin, ein Schwert in Reichweite liegen zu lassen; aber sie hatte nicht die Kraft, es gegen sich selbst zu richten.

Während die Sonne sie austrocknet, das Fleisch auf den Knochen ausdörrt, wendet sie den Kopf auf dem Sand und sieht mich aus Augen an, die ich wiedererkenne.

»Nimm das Schwert auf«, sagt sie.

Ich schrecke keuchend aus dem Schlaf in zitternde Wachheit, schmecke Sand im Mund. Salz. Und Blut.

»Es ist an der Zeit«, sagt sie.

Ihr Atem, ihr Tod, waren die meinen.

»Finde mich«, sagt sie, »und nimm das Schwert auf.«

Del spürte, wie ich krampfartig wach wurde. Sie wandte sich schläfrig zu mir um und fragte: »Was ist los?«

Ich antwortete nicht. Ich konnte nicht.

»Tiger?« Sie stützte sich auf einen Ellenbogen. »Was ist los?«

Ich schaute in den dunklen Himmel hinauf. Etwas war in mir, das forderte, dass ich antworten sollte. Ich fühlte mich sehr distanziert. Ich fühlte mich sehr klein. »Es ist an der Zeit.« Ein Widerhall des Traums.

»An der Zeit?«

Die Worte drangen wie von selbst aus meinem Mund. »Nach Hause zu ziehen.« Nach Hause zu ziehen. Das Schwert aufzunehmen.

Kurz darauf fragte sie: »Bist du in Ordnung? Du klingst nicht wie du selbst.«

Ich fühlte mich auch nicht wie ich selbst.

Sie legte eine Hand auf meine Brust und spürte den Herzschlag. »Tiger?«

»Ich ... ich weiß es einfach. Es ist an der Zeit.« Nur das. Es schien zu genügen.

Finde mich.

»Bist du sicher?«

Nimm das Schwert auf.

»Ich bin sicher.«

»In Ordnung.« Sie legte sich wieder hin. »Dann werden wir gehen.«

Ich konnte ihre Anspannung spüren. Sie hielt es für keine gute Idee. Aber das war unwichtig. Wichtig war, dass es an der Zeit war.

Schwertbruder

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