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Nachdem wir von der Insel fortgesegelt waren, befanden wir uns auf dem Weg nach Haziz, der Hafenstadt des Südens, die wir vor Monaten auf dem Weg nach Skandi verlassen hatten. Aber diese Reise war Vergangenheit. Nun schifften wir uns zu einer noch gefährlicheren Reise ein: in den Süden zurück, wo mir das Todesurteil drohte.

In der Zwischenzeit verbrachten Del und ich die Zeit mit Üben. Sie gewann die Kämpfe nicht. Ich auch nicht. Es ging nicht um einen Sieg, sondern darum, meinen Körper und Geist umzuschulen. Ich spürte einen Druck in mir, den Druck, es besser zu machen, mehr zu tun, besser zu sein.

»Du hältst dich zurück«, beschuldigte ich sie, nun – wieder – an das Knarren von Holz und Takelage und das Knattern von Segeltuch gewöhnt.

Del öffnete den Mund, um meine Behauptung zu widerlegen. Sie hielt sich im Kreis niemals zurück. Aber sie schloss den Mund wieder und betrachtete mich nachdenklich, obwohl ihr Gesichtsausdruck vermuten ließ, dass sie sich ebenso unerbittlich prüfte.

»Nun?«, forderte ich sie heraus, während ich meine bloßen Füße noch fester auf die Holzplanken setzte.

»Vielleicht«, sagte sie schließlich.

»Wenn du mich wirklich für unfähig hältst ...«

»Das habe ich nicht gesagt!«

»... dann solltest du mich einfach aus dem Kreis hinausbefördern.« Wir hatten in Wahrheit keinen richtigen Kreis, denn der Kapitän hatte lautstark Einspruch dagegen erhoben, dass ich einen in sein Deck ritzte, aber unser Verstand wusste dessen ungeachtet, wo die Grenzen lagen.

Del, die ein Ende des Stocks aufs Deck gerichtet hatte, benutzte ihn nun als Spazierstock, indem sie sich müßig darauf stützte, die freie Hand auf der Hüfte, den Ellenbogen auswärts gewandt. »Ich glaube nicht, dass dich jemand aus dem Kreis hinausbefördern könnte, selbst wenn dir beide Hände fehlten.«

Kein schönes Bild. »Danke.« Ich verzog das Gesicht. »Glaube ich.«

Blaue Augen wurden groß. »Das ist ein Kompliment!« Das hatte ich vermutet.

Nun verengten sich diese Augen. »Du wendest tatsächlich einen anderen Griff an.«

»Ich sagte, dass ich das tun würde.« Ich hatte auch gesagt, dass ich es tun musste. Die Umstände erforderten es.

Sie entspannte sich und streckte den Arm aus. Im Befehlston sagte sie: »Umschließ mein Handgelenk«

Ich verschränkte eine große Hand um ihr Handgelenk und spürte den Knochenhöcker auf der linken Seite und die ausgeprägten Sehnen an der Unterseite. Delilah war eine starke Frau.

Sie zog die hellen Augenbrauen zusammen. »Der Druck ist anders.«

»Natürlich.« Ich war nicht allzu unglücklich, ihr Handgelenk zu halten. »Ich habe drei Finger und einen Daumen, nicht vier.«

»Dein Griff wird hier schwächer sein.« Sie berührte die Außenkante meiner Handfläche. Mit diesem Teil meiner Hand war alles in Ordnung. Nur ragte kein kleiner Finger mehr hervor. »Wenn sich das Schwertheft in deiner Hand dreht oder im Winkel zu deiner Handkante gedrängt wird ...«

»Ich werde die Hebelkraft verlieren. Die Kontrolle. Ja, das weiß ich.«

Nun runzelte sie die Stirn. Sie ließ ihren Stock aufs Deck fallen. Sie betrachtete meine Hand genau, nahm sie in ihre Hände. Sie hatte sie natürlich zuvor schon gesehen, hatte beide Hände gesehen, wie auch das knotige, rötliche Narbengewebe, das den Auswuchs des abgetrennten Knochens bedeckte.

Del war nicht zimperlich. Sie hatte mich mehrere Male zusammengeflickt, ebenso wie sich selbst. Sie bedauerte den Verlust der Finger – Hoolies, ich ebenfalls! –, aber sie verzagte deshalb nicht. Jetzt studierte sie bei ihrer methodischen und nüchternen Betrachtung, die sich nicht für Anspielungen und Andeutungen eignete, jeden Zentimeter meiner Hand. Sie betastete die Haut, die Sehnen, die schmalen Knochen unter beiden. Ich habe große Hände, breite Hände, und die Ballen weisen dicke Hornhautschwielen auf.

»Was ist?«, fragte ich schließlich, als sie weiterhin die Stirn runzelte.

»Die Narben«, sagte sie. »Sie sind fort.«

Ich habe vier tiefe Furchen in die Wange eingegraben sowie eine Vertiefung in der Haut links oberhalb der Rippen. Zweifelnd hob ich die Augenbrauen.

»An deinen Händen«, erklärte sie. »Alle Narben sind fort. Und dieser Knöchel hier ...«, sie tippte darauf, »... war wulstiger als die anderen. Er ist es nicht mehr.«

Ich hätte vermutlich eine unanständige Bemerkung über Dels intimes Wissen über meinen Körper anbringen können, aber ich tat es nicht. Im Augenblick ging es um mehr als um ein verbales Vorspiel.

Ich hatte alle möglichen Narben und Scharten am Körper. Wir beide. Meine resultierten aus einer Kindheit in Sklaverei, einem erzwungenen Besuch in den Minen eines südlichen Tanzeers namens Aladar und aus übermäßig langem – und gefährlichem – Schwerttänzertraining und gleichermaßen gefährlichen, realen Tänzen. Letztere hatten auch Del auf gewisse charakteristische Arten beeinträchtigt. Sie hatte als Erinnerung an einen vor Jahren im Norden stattgefundenen Tanz, bei dem wir beide fast gestorben wären, ihre eigene bedeutsame Narbe am Bauch sowie verschiedene weitere durch Schwerter zugefügte Makel.

Ich hatte wochenlang gebraucht, um mich an die Stümpfe der beiden fehlenden Finger zu gewöhnen, obwohl ich manchmal hätte schwören können, dass ich noch die volle Anzahl an Fingern besaß. Außerdem hatte ich nicht weiter auf meine Hände geachtet, außer dass ich sehr hart daran gearbeitet hatte, sie zu stärken, wie auch meine Handgelenke und Unterarme. Das Innere war wichtig, nicht das Äußere. Die Muskeln, die Kraft, die die Hände und somit auch ihren Griff kontrollierte. Nicht die äußerlichen Narben.

Aber Del hatte Recht. Der Knöchel, der sonst ständig vergrößert war, sah wieder genauso aus wie die übrigen. Und die Narben und Makel, die ich mir in vierzig Jahren verdient hatte, waren fort. Selbst die entstellten Narben von der Arbeit in Aladars Mine waren verschwunden.

Vollkommen darauf konzentriert, mich umzuschulen, hatte ich es nicht einmal bemerkt. Ich entzog ihr meine Hand, während ich finster die Stirn runzelte.

»Es ist keine große Sache«, stellte Del, wenn auch recht zögerlich, fest.

»Skandi«, murmelte ich. »Meteiera.« Ich betrachtete meine Hände noch genauer.

»Haben sie bei dir irgendwelche Magie angewandt?«

Ich richtete den finsteren Blick von der Hand auf die Frau. »Nein, sie haben bei mir keine Magie angewandt. Sie haben mir die Finger abgeschnitten!« Ganz zu schweigen davon, dass sie auch meinen Schädel rasiert und tätowiert sowie meine Ohren und Augenbrauen durchstochen und mit Silberringen versehen hatten. Die meisten der Ringe waren inzwischen fort, dank Dels vorsichtiger Hilfe, obwohl ich auf ihr Geheiß zwei in jedem Ohrläppchen behalten hatte. Man frage mich nicht, warum. Del sagte, sie möge sie.

»Du siehst jünger aus.« Sie sprach mit sorgfältig bemessenem Tonfall.

Es war schon Ironie des Schicksals, jünger auszusehen, wenn sich die Lebensspanne verkürzt hatte.

»Natürlich, vielleicht sind es die Haare«, sann Del. »Du siehst sehr verändert aus, seit du sie so kurz trägst.«

»Länger als sie waren.« Ich rieb mit einer Hand über meinen Kopf. Mein Haar, insgesamt jetzt vielleicht zwei Zentimeter lang, lag dicht am Schädel an, obwohl ich jeden Tag erwartete, dass sich die lästige Welle wieder zeigen würde. Del hatte gesagt, die blauen Tätowierungen wären nicht mehr zu sehen, bis auf einen kleinen Rand am Haaransatz. Aber auch der würde verborgen sein, sobald mein Haar ein Stück gewachsen wäre.

»Ich meine nicht, dass du wie ein Junge aussiehst«, erklärte sie. »Du siehst wie du aus. Nur ... weniger verbraucht.«

Hoolies, das klang gut. »Definiere ›weniger verbraucht‹ für mich.«

»Von der Sonne.« Sie zuckte die Achseln. »Vom Leben.«

»Das war doch kein Wunschdenken, oder?«

Del blinzelte. »Was?«

»Zwischen uns liegen immerhin gute fünfzehn Jahre. Wenn ich vielleicht nicht um so vieles älter aussähe ...«

»O Tiger, mach dich nicht lächerlich! Ich sagte dir bereits, dass mich das nicht kümmert.«

Ich hockte mich hin. Die Knie knackten nicht. Ich sprang wieder auf. Noch immer keine Klagen.

Del runzelte die Stirn. »Was sollte das eben bedeuten?«

»Ich fühle mich jünger.« Ich grinste verzerrt. »Oder vielleicht ist das nur mein Wunschdenken.«

Del beugte sich herab und hob ihren Stock auf. »Dann sollten wir wieder anfangen.«

»Was, du willst den alten Mann versuchen und verschleißen? Ihn auf der Grundlage reiner Erschöpfung dazu bringen, sich zu ergeben?«

»Du ergibst dich niemals aus Erschöpfung«, erklärte sie, »bei nichts, was du tust.«

»Ich habe mich deinem Standpunkt ergeben, dass Frauen auch in anderen Bereichen als dem Bett Wert besitzen.«

»Weil ich Recht hatte.«

Wie es bei uns üblich ist, überdeckte die Neckerei stärkere Gefühle. Ich konnte es Del wirklich nicht vorwerfen, dass sie sich Sorgen machte. Hier waren wir auf dem Weg zurück in den Süden, wo ich geboren und vernichtet wurde, wo ich als Sklave aufgezogen wurde und schließlich meine Berufung als Schwerttänzer gefunden hatte, dafür angeheuert, zur Beilegung von Streitigkeiten Kämpfe für andere Menschen auszufechten – wo ich mich aber schließlich allen Riten, Ritualen und der Ehre des streng vorgeschriebenen Systems des in Alimat ausgebildeten Schwerttänzers entzogen hatte.

Ich hatte es auf eine Art getan, die einige vielleicht als feige beschreiben würden, aber zu der Zeit war es die richtige Wahl gewesen. Die einzige Wahl. Ich hatte sie getroffen, ohne sie noch einmal zu überdenken, weil es nicht notwendig gewesen war. Ich wusste sehr gut, was der Preis dafür sein würde. Ich war nun ein Ausgestoßener, eine Klinge ohne Namen. Ich hatte Elaii-ali-ma erklärt, meinen Status als Schwerttänzer des siebten Grades aufgegeben, was bedeutete, dass ich für jeden an den Ehrenkodex gebundenen Schwerttänzer, der mich herauszufordern gedachte, Freiwild war.

Natürlich würde diese Herausforderung nicht unbedingt in einem Kreis erfolgen, wo der Sieg nicht errungen wird, indem man seinen Gegner tötet – zumindest gewöhnlich; es gibt immer Ausnahmen –, sondern indem man einfach siegt. Indem man besser ist.

Ich war jahrelang besser als jeder andere im Süden gewesen, obwohl einige das von Abbu Bensir behauptet hatten (einschließlich Abbu Bensir), aber nun konnte ich diesen Status für mich nicht länger beanspruchen. Ich war kein Schwerttänzer mehr. Ich war nur ein Mann, den viele andere Männer töten wollten.

Und Del hatte die Vorstellung, dass es jetzt weitaus leichter wäre, mich zu töten, als vorher.

Und sie hatte wahrscheinlich Recht.

Also befand ich mich hier auf einem Schiff, das gen Süden – nach Hause – fuhr, begleitet von einem eigensinnigen Hengst und einer gleichermaßen eigensinnigen Frau, dem entgegen segelnd, was romantischere Typen, wären sie in meinen Traum eingeweiht, vielleicht als mein Schicksal beschrieben. Ich wusste indes nur, dass es an der Zeit war, Traum hin oder her. Wir hatten vage erwogen, mich als Skandier auszugeben, als Kind einer Insel, die zwei Segeltage vom Süden entfernt lag, aber das hatte sich nun erledigt. Ich war allem Anschein nach Skandier – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne –, ein Kind jener Insel, aber es hatte nicht funktioniert. Gewiss war es eine fantastische Vorstellung zu entdecken, dass ich der lange vermisste Enkel der reichsten, mächtigsten Matriarchin der Insel war, aber diese Fantasie hatte kein glückliches Ende heraufbeschworen. Sie hatte mich zwei Finger gekostet, für den Anfang. Und den Mann, der als der Sandtiger bekannt war, fast vollständig ausgelöscht, und das, ohne ihn getötet zu haben.

Meteiera. Der Steinwald. Wo sich skandische Menschen mit einem Übermaß an Magie, so unermesslich, dass vieles davon weitgehend unentdeckt blieb, auf hohe Steinkegel zurückzogen, vorgeblich, um den Göttern zu dienen, aber auch, wie sie behaupteten, um geliebte Menschen zu schützen, indem sie sich von ihnen abwandten. Weil die Magie, die ihnen Macht verlieh, sie zugleich wahnsinnig werden ließ.

Nun, jeder, der mich kennt, wird sagen, dass ich nicht viel von Magie halte – oder hielt. Tatsächlich glaube – glaubte – ich nicht daran. Aber ich muss zugeben, dass in Meteiera etwas Seltsames vor sich ging. Ich kann nicht beschwören, dass die Priestermagier bei mir Magie angewandt hatten, wie Del vermutete, aber als ich dort war, war ich im Grunde nicht mehr ich selbst. Und ich wurde Zeuge zu vieler seltsamer Dinge.

Hoolies, ich tat seltsame Dinge.

Ich scheute davor zurück wie ein schreckhaftes Pferd. Aber das Wissen, die Bewusstheit, schlichen sich wieder ein. Ungeachtet aller äußeren körperlichen Veränderungen gab es auch viele innere.

Ein Begreifen der Macht, ähnlich dem ersten, schwachen Anzeichen von nagendem Hunger – oder anfängliches Verlangen. Tatsächlich war es Verlangen sehr ähnlich, weil diese Macht verzweifelt gehandhabt werden wollte.

Ich erschauderte. Hätte Del mich gefragt, was los sei, hätte ich ihr gegenüber behauptet, dass es heute Morgen ein wenig kalt sei und ich wegen der Bewegungsfreiheit immerhin nur einen Lederdhoti trüge, während ich die sich wiederholenden Rituale durchging, die Körper und Geist schärften. Aber es war nicht die Morgenkühle, welche die Reaktion hervorrief. Es war wiederum das Bewusstsein des mir bevorstehenden Kampfes. Oder, genauer gesagt, der Kämpfe.

Und keiner davon hatte etwas mit Schwerttanzen zu tun, oder auch nur mit einem Schwertkampf. Nur mit der Weigerung, das zu werden, wovon man mir auf Meteiera gesagt hatte, dass ich es werden müsste: ein Magier.

Tatsächlich hatten sie gesagt, ich müsste ein Priestermagier werden, aber darein setzte ich noch weniger Vertrauen als in die Existenz von Magie.

Und es wurde natürlich schwieriger, die Existenz von Magie zu leugnen, seit es mir gelungen war, welche anzuwenden. Und noch schwieriger wurde es, meine Bereitschaft zu leugnen, sie anzuwenden. Ich hatte immerhin versucht, sie anzuwenden.

Absichtlich. Ich hatte eine vage Erinnerung daran, dass jene ersten Tage, nachdem ich dem Steinwald entronnen war, von Verzweiflung erfüllt gewesen waren, und ein verzweifelter Mensch unternimmt viele merkwürdige Dinge, um gewisse Ziele zu erreichen. Mein Ziel war lebenswichtig gewesen: nach Skandi zurückzukehren und Del zu finden, und eine dauerhafte Regelung mit der Metri, meiner Großmutter, zu finden.

Ich war mit dem Boot zurück nach Skandi gelangt, was gewiss nicht bemerkenswert ist, wenn man eine Insel zu erreichen versucht. Nur dass dieses Boot nicht existiert hatte, bis ich es hatte entstehen lassen, aus Tang und weiterem heraufbeschworen, was ich auf Meteiera gelernt hatte.

Disziplin.

Magie ist nur ein Werkzeug. Disziplin ist die Macht.

Nun stand ich an der Reling und blickte übers Meer, wohl wissend, dass alles, was ich in meinem Leben je gewesen war, umgekehrt wurde. Auf den Kopf gestellt wurde. Auf jede nur erdenkliche Weise.

Nimm das Schwert auf.

Ich lebte mit dem und für das Schwert. Ich verstand nicht, warum ich belehrt werden musste; nein, kommandiert.

»Du bist noch immer du«, sagte Del bestimmt; wahrscheinlich sorgte sie sich darüber, dass ich besorgt sei, wobei sie nicht wusste, dass meine Gedanken in eine andere Richtung gingen.

Ich lächelte in die Gischt hinaus.

»Das bist du.« Sie trat neben mich. Mit dem wenigen frischen Wasser, das der Kapitän für solche Gelegenheiten gestattete, hatte sie sich die Haare gewaschen, und jetzt trocknete der Wind sie. Die Mischung aus Salz, Gischt und Sonne hatte ihren Blondton noch aufgehellt. Haarsträhnen wurden ihr aus dem Gesicht und über die Schultern nach hinten geweht.

Ich war in meinem Leben schon weniger gewesen, abhängig von den Umständen. Aber nun war ich unbestreitbar mehr.

Ich war, wie man mir gesagt hatte, ein Messias. Und nun ein Magier. Ich hatte beides nicht geglaubt, da ich behauptete – und wusste –, dass ich nur ein Mensch war. Das genügte. Ich war alles das gewesen, was ich hatte sein wollen, in der Zeit der Sklaverei, als ich ein Chula gewesen war, kein Junge. Ein Sklave, kein Mensch.

Ich schaute immer noch lächelnd zu Del. »Sag das noch häufiger, Bascha.«

»Das bist du.«

»Nein«, sagte ich. »Das bin ich nicht. Und das weißt du ebenso gut wie ich.«

Ihr Gesicht wurde ausdruckslos.

»Ein netter Versuch«, bemerkte ich, »aber ich durchschaue dich inzwischen zu genau.«

Del sah mich direkt an, sie wich nicht aus. »Und ich kann dich jetzt überhaupt nicht mehr durchschauen.«

Da. Nun war es ausgesprochen. Laut eingestanden, einer dem anderen.

»Ich bin noch immer ich«, sagte ich, »aber anders.«

Del war niemals kokett oder zimperlich. Auch jetzt nicht. Sie legte eine Hand auf meinen Arm. »Dann komm mit nach unten«, sagte sie, »und zeige mir, wie anders.«

Ah, ja. Das war noch immer dasselbe. Ich folgte ihr grinsend.

Als wir schließlich in Haziz von Bord gingen, küsste ich den Boden nicht. Das hätte bedeutet, dass ich mich mitten an einem der typischen geschäftigen Tage auf den übervölkerten Docks hätte hinknien und riskieren müssen, von einem Rollwagen, Karren oder sonst jemandem eingeebnet zu werden, der Ballen schleppte und nicht allzu glücklich darüber wäre, einen großen, knienden Mann auf dem Weg vorzufinden; auch wäre ich in recht innigen Kontakt mit den feuchten, klumpigen, matschigen und würzigen Ausdünstungen einer Artenvielfalt von Tieren gekommen, die so groß war, dass ich mir nicht die Mühe machte zu zählen.

Es muss genügen, wenn ich sage, dass ich erleichtert war, meine in Sandalen steckenden Füße wieder einmal auf südlichen Boden stellen zu können, wenngleich mich dieser Boden noch immer an das Gefühl auf hoher See erinnerte. Es dauerte stets einen oder zwei Tage, bis ich mich vom tändelnden Deck an die Zuverlässigkeit des Erdbodens angepasst hatte.

Genauso wie ich Zeit brauchte, um die vermischten Gerüche zu unterscheiden, die ich nach Monaten der Abwesenheit als so verwirrend klar empfand. Puh!

»Man braucht dich nicht herauszufordern«, bemerkte Del neben mir leicht angewidert. »Man könnte dich einfach hier von dem Gestank umbringen lassen.«

Ich erwiderte mit hochmütiger Strenge: »Du redest von meinem Heimatland.«

»Und jetzt, wo wir wieder unter Leuten sind, die dich ebenso bereitwillig töten wie begrüßen würden«, fuhr sie fort, »was tun wir da als Nächstes?«

Es war hier erheblich wärmer als auf Skandi, obwohl nicht mal die sengende Hitze des Hochsommers herrschte. Ich schaute kurz zur Sonne, die sich bereits vorn höchsten Punkt abwärts bewegte. »Das Wesentliche«, erwiderte ich. »Ein Drink. Essen. Ein Platz zum Übernachten. Ein Pferd für dich.« Der Hengst würde vom Schiff in einen Mietstall meines Vertrauens gebracht werden, wo er seine Beine wieder an festen Boden gewöhnen konnte. Ich hatte für die Überfahrt gut bezahlt, obwohl der Schiffsjunge die Summe wahrscheinlich als unzureichend angesehen hätte, wenn der Hengst versucht hätte, ihn mit seinen Hufen zu erwischen. Ein weiterer Grund dafür, die erste Übellaunigkeit an jemand anderem auszulassen als an mir. »Schwerter ...«

»Gut«, sagte Del fest.

»Und morgen brechen wir nach Julah auf.«

»Nach Julah? Warum? Dort hätte Sabra beinahe unser beider Tod bewirkt.« Unausgesprochen blieb das Wissen, dass Sabra mich unweit von Julah – nämlich in dem von ihrem Vater bewohnten Palast – gezwungen hatte, mich als Ausgestoßenen aus meinem Gewerbe zu erklären. Den Ehrenkodexen eines in Alimat ausgebildeten Schwerttänzers des siebten Grades zu entsagen.

»Darum«, erklärte ich. »Ich möchte eine kurze Unterredung mit unserem alten Freund Fouad führen.«

»Eine Unterredung«‹, echote sie, und ich wusste, dass es als Frage gemeint war.

»Mit Worten, nicht mit Klingen.«

»Fouad hat dich an Sabra verraten und damit fast deinen Tod verursacht.«

»Was zumindest nach einigen freundschaftlichen Worten schreit, meinst du nicht?«

Del hatte neben mir gehen wollen, während ich durch die engen, staubbedeckten Straßen lief, welche mit Händlern bevölkert waren, die den Neuankömmlingen billige Waren feilboten, und wo vor den oberen Stockwerken eng stehender Häuser Wäsche zum Trocknen hing; Wohnungen aus Lehmziegeln, die unordentlich aufeinander getürmt waren und sich sonnenverblasster, einst bunter Sonnensegel rühmten; aber da Del Haziz überhaupt nicht kannte, war es schwer für sie, sich neben mir zu halten, wenn ich einen ihr unvertrauten Weg nahm. Sie richtete es so ein, dass sie einen Schritt hinter meiner linken Schulter ging, während sie meine Richtung zu erahnen versuchte. »Worte? Das ist alles?«

»Es ist ein Anfang.« Ich nahm eine Melone von einem Händlerkarren. Der Beschwerderuf des Melonenverkäufers folgte uns. Ich grinste, als ich zum ersten Mal seit Monaten vertraute südliche Flüche hörte – aus einem anderen Mund als meinem eigenen.

Del stieg über einen gewaltigen Haufen Danjac-Kot, der leicht mit Urin gewürzt war. »Wirst du sie bezahlen?«

Um den ersten saftigen, köstlichen Mund voll Melone herum brachte ich hervor: »Ein Willkommensgeschenk.« Und versuchte, nicht auf die Vorderseite meiner skandischen Seide zu kleckern. Die leider noch immer auffällig karmesinrot war. »Und ich dachte gerade ...«

Hoolies, ich hatte geträumt.

Und ich bedauerte, den Satz begonnen zu haben.

»Ja?«, fragte sie prompt.

»Vielleicht ...«

»Ja?«

Die aus meinem Mund dringenden Worte überraschten mich ebenso wie sie. »Vielleicht werden wir mein wahres Schwert holen.«

»Dein wahres Schwert?«

Ich wand mich geschickt, als eine Horde schreiender Kinder vorüberlief und eine graubraune, beißende Staubwolke nach sich zog. »Du weißt schon. Dort draußen. In der Wüste. Unter einem Haufen Felsen.«

Del blieb jäh stehen. »Das Schwert? Du meinst, du willst das Schwert holen?«

Ich wandte mich um, ebenfalls innehaltend, und bot ihr den Rest der Melone an, die in der schwindenden Sonne cremig grün aussah. Ich wusste nicht, wie ich den Traum erklären sollte. »Es scheint ... angemessen.«

Sie war an der Melone nicht interessiert. »›Angemessen?,« Del schüttelte den Kopf. »Es ist nur so, dass du ein unter Tonnen von Felsen begrabenes Schwert ausgraben willst, obwohl es hier in dieser Stadt zweifellos viele Schwerter gibt. Nicht begrabene.«

Die Antwort kam erneut unwillkürlich. »Aber diese Schwerter habe ich nicht gestaltet.«

Was Erinnerungen an den Norden zwischen uns heraufbeschwor und an Staal-Ysta und den Tanz, der uns beinahe getötet hätte. Ganz zu schweigen von einer unwichtigeren Angelegenheit, bei der Del in meinem Namen, für mein Leben, das Schwert zerbrochen hatte, das sie selbst gestaltet hatte, während sie Rachegesänge gesungen hatte. Boreal war tot, so wie zerbrochene Jivatmas und ihre beendeten Gesänge tot sind. Samiel war es nicht.

Und etwas in mir wollte ihn. Brauchte ihn.

Del schwieg. Schwieg vollkommen. Aber sie brauchte auch nichts zu sagen. Ihr Schweigen beinhaltete eine Unmenge Worte.

Ich warf die Melone gegen eine Mauer. Die gesprenkelte Schale platzte auf, und das Fruchtfleisch glitt herab und krönte einen übel riechenden Müllhaufen, der sich bereits auf die halbe Straße ausbreitete. »Wir werden heute Nacht hier bleiben, brauchbare Schwerter und Harnische kaufen und dann nach Julah ziehen, zu Fouad.« Ich sagte es ruhig. »Die unbedeutende Angelegenheit einer Verpflichtung unter Freunden.«

Und die weitaus bedeutendere Angelegenheit des Überlebens.

Schwertbruder

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