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2.4 Das mentale Lexikon
ОглавлениеUm den menschlichen Wortspeicher genauer zu beschreiben, wird häufig der Begriff des mentalen Lexikons genannt (vgl. Aitchison 2012). Thaler (2012: 224) definiert es folgendermaßen:
Das mentale Lexikon ist derjenige Teil des Langzeitgedächtnisses, in dem der gesamte Wortschatz eines Menschen geordnet gespeichert ist (human word store). Die lexikalischen Einheiten sind dabei in verschiedenen Netzen systematisch verbunden.
Möhle (1994: 39) bezeichnet das mentale Lexikon im Langzeitgedächtnis als „Reservoir […], in dem unser Wissen über alle uns bekannten Wörter unserer eigenen und ggf. auch anderer uns verfügbarer Sprachen gespeichert ist“, woraus die Existenz „so viele[r] mentale[r] Lexika, wie es sprechende Menschen gibt“, resultiert. Jedoch ist die Metapher eines Lexikons hierfür nur bedingt passend.
Der Begriff des mentalen Lexikons ist jedoch auf den ersten Blick irreführend, denn es ist keineswegs mit einem Wörterbuch vergleichbar, in dem Lexeme üblicherweise alphabetisch mit den für ihren Gebrauch relevanten Informationen nach einheitlichen Kriterien in einer festen Reihenfolge aufgelistet sind. (Haudeck 2008: 50)
Ebendiese unveränderliche Anordnung von Wörtern in gedruckten Wörterbüchern lässt den Vergleich nur teilweise gelingen, da das mentale Lexikon als Wortspeicher nicht statisch, sondern vielmehr unentwegt, und dies lebenslang, dynamisch Veränderungen erfährt. Daher empfiehlt Wolff (2000: 102) aufgrund der Flexibilität in Anordnung, Vernetzung und Überschneidungen der Begriffe vielmehr einen Vergleich des menschlichen Wortspeichers mit Wörterbüchern im CD-ROM-Format (vgl. Haudeck 2008: 50). Aitchison (2012: 14) weist aufgrund der Dynamik des mentalen Lexikons jedoch diesen Vergleich zurück: „The fluidity and flexibility of the mental lexicon, then, contrasts strongly with the fixed vocabulary of any book or even an electronic dictionary.“ Zudem sind bei Sprachrezeption sowie Sprachproduktion nicht nur die Verarbeitung, Vernetzung und Speicherung der jeweiligen Lexeme unter Berücksichtigung ihrer diversen Strukturebenen zu nennen, auch die unbegrenzte inhaltliche Speicherkapazität ist für das mentale Lexikon charakteristisch (vgl. Haudeck 2008: 50). Börner und Vogel (1997: 3) weisen darauf hin, dass Sprachwissen und Weltwissen im mentalen Lexikon miteinander vereint werden:
Im mentalen Lexikon sind Wortformen und semantische Konzepte (Sprachwissen) sowie kognitive Konzepte (Weltwissen) gemeinsam und dennoch zugleich autonom repräsentiert: Das mentale Lexikon ist also kein von der Kognition abtrennbares Modul der Sprache, sondern Schnittstelle sprachlicher und konzeptueller Strukturen.
Wie aber funktioniert das mentale Lexikon? Haudeck (2008: 59) thematisiert die Notwendigkeit eines „doppelten Zugang[s], zum einen für die Sprachrezeption, zum anderen für die Sprachproduktion.“ Aitchison (2012: 215) sieht Worterkennung und ‑produktion als zwei einander spiegelnde Vorgänge an:
[P]roduction and recognition seem to be mirror images of one another. When producing a word, humans must pick the meaning before the sound. When recognizing a word, they must start with the sounds, then move on to the meaning.
Allerdings kann auch laut Aitchison (2012: 215) dennoch nicht einfach angenommen werden, dass dieselben Prozesse lediglich in einer anderen Reihenfolge verwendet werden. Haudeck (2008: 59) erklärt die Vorgänge folgendermaßen:
Bei der Worterkennung (word recognition) muss ein Hörer Phonemfolgen erkennen und mit passenden Worteinträgen in Form von Klangstrukturen in seinem Lexikon und den damit verknüpften Konzepten vergleichen […]. Bei der schriftlichen Worterkennung kann man analog davon ausgehen, dass zunächst Graphemfolgen mit entsprechenden graphematischen Einträgen abgeglichen werden, allerdings ist davon auszugehen, dass sie gleichzeitig über die dem Leser vertrauten Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln mit der Lautung und damit mit den Klangstrukturen verknüpft sind.
Dadurch, dass eine Person einem Wort auf verschiedene Weisen begegnet und es mit anderen Wörtern, Emotionen und dem eigenen Weltwissen verknüpft, werden Assoziationen geschaffen, aus denen vielzählige, untereinander verknüpfte Netzwerke für mitunter Begriffs-, Wortfamilien-, Klang- oder auch affektive Netze entstehen (vgl. ebd.: 57f., Neveling 2004: 41ff.). Dies vereinfacht es, neue Wörter aufzunehmen, zu speichern und letztendlich abzurufen.
Nachdem erörtert wurde, worum es sich bei dem mentalen Lexikon handelt und inwiefern Wörter für die rezeptive sowie produktive Verwendung zur Verfügung gestellt werden, ist von Interesse, auf welche Weise Wörter überhaupt erst zur Speicherung ins mentale Lexikon und damit ins Langzeitgedächtnis gelangen. Dies ist Gegenstand des nun folgenden Teilkapitels über das Gedächtnis.