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Meine Erlebnisse auf der IMC-Station
ОглавлениеAm 5. Oktober 2018 folgte die zweite OP nach dem Unfall, meine erste in Klagenfurt. Ich war in irgendeinem Raum, sah mich daliegen, Ärzte um mich herum. »Wir sollten gleich einleiten und sie dann erst umlagern.« »Ja, sie wird sonst zu große Schmerzen haben.« Ich schlief ein. Als ich wieder erwachte, waren die Schmerzen unglaublich groß und kaum auszuhalten, aber auch das habe ich aus meiner bewussten Wahrnehmung verdrängt und weiß ich nur aus Erzählungen. An den Tubus in mir, den ich zu spüren glaubte, erinnere ich mich hingegen. Ich wies vor jeder folgenden OP darauf hin, dass er frühzeitig entfernt werden sollte.
Ich blieb die ganze Nacht im Aufwachraum, weil meine Schmerzen nicht unter Kontrolle gebracht werden konnten. Schließlich wurde mir ein Mittel gespritzt, das mich halluzinieren ließ. Es war, als ob ich mich von außen gesehen hätte. Seltsamerweise erinnere ich mich auch daran ganz genau und weiß, dass es schrecklich war. Mama meinte, ich hätte von irgendwelchen Geistern gesprochen. Sie erzählte mir auch, dass dann ein Pfleger seine Nachtschicht antrat und es schaffte, mich ein wenig zu beruhigen. Erst als die Lage unter Kontrolle zu sein schien, ging sie nach Hause.
Anschließend wurde ich auf die Intermediate Care Station (IMC, Intensivüberwachungspflege) verlegt. Immer noch konnte ich nicht einmal kleinste Umlagerungen selbst durchführen. Das bedeutete, ich konnte mich vor lauter Schmerzen nicht bewegen, konnte etwa das Bein keinen Zentimeter drehen oder anheben, und auch alle anderen Gliedmaßen fühlten sich wie hundert Kilogramm schwere Pflöcke an, über die ich die Kontrolle verloren hatte. Alles war viel zu schmerzhaft und der Körper selbst blockierte jegliche kleinste Bewegung. Auch die Unbeweglichkeit führte zu Schmerzen. Ich lag immer gleich da, und so wurde das Liegen beinahe unerträglich. Meine Auflagestellen im Bett brannten, es fühlte sich an, als ob sich das raue Bettlaken durch meine Haut bohren würde, und eine enorme Unruhe machte sich in mir breit. Ich wollte weg und jammerte oft leise vor mich hin, aber es gab kein Entkommen.
Die Situation war kaum erträglich und ich wurde mit Schmerzmitteln vollgepumpt und intensivmedizinisch überwacht. Eine Schmerzpumpe wurde mir angehängt, so konnte ich alle sechs Minuten selbst einen Knopf betätigen und mir das Mittel spritzen. Ich verzweifelte manchmal an den Schmerzen, nicht aber daran, nicht selbst essen, aufstehen oder sonst irgendetwas machen zu können, eben einfach nur nutzlos und kaputt dazuliegen. Das begriff ich immer noch nicht wirklich.
Der Raum, in dem ich lag, wurde zu meiner Rechten von einer Schiebetür eingegrenzt, zu meiner Linken befand sich eine riesige Fensterfront. Irgendwo hinter mir lag ein Mann, der immer »abgesaugt« werden musste. Es war ein schlimmes Geräusch und sicher kein angenehmer Vorgang für ihn. Ich sah diesen Mann nie, fragte mich aber auch nie, wie er wohl aussah oder was ihm fehlte, mein Gehirn funktionierte in dieser Zeit schlichtweg anders. Immer noch war ich »out of order«.
Besuche, die ich vor der ersten Operation in Klagenfurt erhalten habe, sind an mir mehr oder weniger spurlos vorbeigegangen. Lediglich die Anwesenheit meiner Mama spürte ich immer, ich weiß, sie war die erste Zeit ständig bei mir. Mit meinem Aufenthalt auf der Intermediate Care Station wurden schließlich die Erinnerungen stärker. Zumindest an einen Tag erinnere ich mich sehr genau, es war der Tag vor meiner dritten OP. Mein Halbbruder, dessen Frau und meine beiden Nichten kamen zu Besuch. Meine Nichten waren ganz vorsichtig im Umgang mit mir. Ich fühlte, die Situation war nicht einfach für sie. Ich erinnerte mich zurück an meine Kindheit, an die seltenen Krankenhausbesuche, die ich an der Seite von Conny und Mama erlebt hatte. Total aufgeregt war ich meiner Mama immer mit einer selbst gemalten Zeichnung in der Hand durch das Klinikgelände gefolgt, hatte dann im Zimmer nicht gewusst, was ich sagen oder tun sollte. Danach hatte ich mich aber immer gut gefühlt, ich wusste, ich hatte jemandem eine Freude gemacht, und ich war auch erleichtert, dem Krankenhaus wieder den Rücken kehren zu können.
Vielleicht fühlten sich meine Nichten nun auch so. Die Verwandten hatten mir Käsnudeln und eine Torte mitgebracht und wir unterhielten uns. Yvonne fütterte mich damit – es war das erste Essen, an das ich mich erinnern kann. Die Erinnerung ist nicht ganz durchgängig und das Zeitgefühl in diesen Erinnerungen nicht vorhanden. Heute weiß ich, dass es umgekehrt geschah – sie kamen erst nach dem nun in der Erzählung folgenden und auch nach dem anschließend beschriebenen Besuch. Dennoch werde ich alles einfach so erzählen, wie ich mich daran erinnere.
Irgendwann waren sie wieder gegangen und ich wurde nach unten gebracht, damit mir ein zentraler Zugang am Hals gelegt werden konnte. Ich hatte mich einige Tage dagegen gewehrt und wollte es auch jetzt nicht. Entschlossen vertrat ich meine Meinung und missachtete die Ratschläge der Ärzte. Wäre ich ganz bei mir gewesen, wäre das wohl nicht geschehen, denn ich schätze es für gewöhnlich, gut beraten zu werden, doch ich äußerte direkt, was ich mir dachte. Die »Schranke«, die uns die Dinge zumindest nett verpacken lässt oder in manchen Situationen dazu anhält, die eigene Meinung hintanzustellen, schien defekt zu sein. Die Schwestern hatten einfach keine Venen mehr zum Stechen gefunden und auch meine Füße nicht ausgespart, es blieb mir also nichts anderes übrig als dieser Zugang. Es war aus medizinischer Sicht nicht mehr aufschiebbar, und so siegte die medizinische Notwendigkeit über meinen Willen und ich musste mich dem Prozedere stellen. Ich wurde also für den kleinen Eingriff nach unten gebracht. Das passte mir auch deswegen nicht, weil ich Besuch erwartete und keine Minute davon versäumen wollte. Sie versprachen mir, dass es schnell gehen würde. Ich hatte große Angst. Zwar war das, verglichen mit dem, was ich bereits mitgemacht hatte, nur eine Kleinigkeit, doch für mich war die Vorstellung, eine Nadel direkt in den Hals gestochen zu bekommen, schrecklich. Tränen rannen mir über die Wangen, weshalb die Ärzte mir anboten, mich kurz zu betäuben. Ich willigte ein, und als ich erwachte, baumelten die Schläuche schon aus meinem Hals. Soweit ich mich erinnere, machte ich mir im Anschluss daran nie mehr Gedanken darüber.
Ich begann wieder ungeduldig zu werden, wusste ich doch, dass mein Besuch gleich da sein würde. Zurück im Zimmer begrüßte ich Urska, meine ehemalige Trainerin, und wir unterhielten uns, keine Ahnung worüber oder wie lange, aber es bedeutete mir viel, dass sie da war. Sie kannte die Situation, in der ich mich befand, da sie selbst Vergleichbares erlebt hatte, und so konnte sie mir Mut machen.