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Meine Schwester und meine Mutter blicken zurück Unauffindbar – 28.9.2018
ОглавлениеConny: Ich, die Schwester von Jenny, 19 Jahre und ebenfalls Badmintonspielerin, befand mich gemeinsam mit Trainer Klausi in Pressbaum und wartete auf Jenny. Vor einigen Stunden hatte ich ihr geschrieben und sie hatte mich über ihre Mitfahrgelegenheit und Ankunftszeit informiert. Seitdem hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Langsam beunruhigte mich das, da sie eigentlich längst eingetroffen sein sollte.
Nach unzähligen unbeantwortet gebliebenen Nachrichten an Jenny schrieb ich schließlich auch an Stella – wiederum folgte keinerlei Reaktion. Klausi war mittlerweile genauso besorgt wie ich. Gemeinsam saßen wir in meinem Hotelzimmer und rätselten, wo die beiden Mädels stecken konnten. Jenny hätte sich bestimmt gemeldet, wenn sie sich verspäten würden. Irgendetwas konnte nicht stimmen, dieses schlechte Gefühl ließ sich nicht mehr aus meinen Gedanken vertreiben. Die Zeit verging und mittlerweile war es bereits kurz vor Mitternacht – immer noch keine Antwort von Jenny und Stella.
Mama: Auch ich machte mir große Sorgen. Ich hielt mich zu Hause in Kärnten auf, war von Conny informiert worden und hatte auch noch kein Lebenszeichen der beiden bekommen. Abwechselnd telefonierte ich mit Conny und probierte es bei Jenny. Meine Unruhe wurde immer größer, weshalb ich schließlich auch Stellas Vater anrief und von ihm die Daten des Autos erhielt, mit denen die Mädels unterwegs waren. Conny und Klausi fuhren in der Zwischenzeit zur Polizeistation in Pressbaum.
Conny: Bei der Polizei hatte ich anfangs das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Die Bitte, nachzuforschen, was geschehen sein könnte, wurde freundlich, aber abweisend mit dem Argument kommentiert, die beiden Mädchen seien volljährig und daher eine Suche nach ihnen noch nicht möglich. Ich war total verzweifelt, irgendjemand musste doch etwas tun und mehr herausfinden können! Nach einigen Minuten hatten wir die Polizisten dann doch überreden können, erste Hebel in Bewegung zu setzen, doch die entsandte Streife traf in Stellas Wohnung, wie befürchtet, niemanden an. Schockiert und beunruhigt über die Hilflosigkeit, in der wir steckten, kehrten wir wieder ins Hotel zurück. Die Polizisten würden uns informieren, wenn es etwas Neues geben sollte, und wir telefonierten gefühlt jede Minute mit Mama.
Mama: Die ausbleibenden Infos ließen mich sämtliche Polizeistationen entlang der Fahrtstrecke in Österreich ab der tschechischen Grenze abtelefonieren, doch ich blieb erfolglos. Für mich war klar, da musste etwas passiert sein, aber wie sollte ich zu Informationen kommen? Da Jennys Handy scheinbar noch eingeschaltet war, dachte ich, eine Handyortung wäre die beste Idee, aber wer macht so etwas? In meiner Aufregung kontaktierte ich Gerhard, den Schwager von Jenny, der aufgrund seines Berufs eventuell eine Antwort auf meine Frage wüsste. Es war schon nach Mitternacht, doch ich hatte Glück und er hob ab. Er merkte sofort, dass ich sehr aufregt war, und gemeinsam mit seiner Frau Barbara versuchte er mich zu beruhigen. Er erklärte mir, dass eine Handyortung wohl erst am nächsten Morgen möglich wäre, ich es aber beim Außenministerium versuchen könnte. Das tat ich schließlich und erhielt die Telefonnummer der Österreichischen Botschaft in Prag. Ich funktionierte und wickelte ein Telefonat nach dem anderen ab. Die Zeit verstrich und noch immer gab es keine erlösende Nachricht. Auf dem Boden sitzend wählte ich die nächste Nummer, es war jene der Botschaft in Prag. Eine nette Stimme meldete sich, die Frau sprach sehr gut deutsch und bemerkte gleich, dass ich mir große Sorgen machte. Ich fühlte mich bei ihr gut aufgehoben und sie versprach, nach den beiden Mädels auf den Polizeistationen und in den Krankenhäusern zu suchen.
Nachdem ich aufgelegt hatte, setzte eine lange, quälende Wartezeit ein, sie war unerträglich! Ich lief auf und ab und meine Gedanken drifteten immer wieder ab. Anrufe von Gerhard und Conny rissen mich aus den Szenarien, die sich in meinem Kopf geformt hatten.
Dann, um etwa halb zwei Uhr nachts, klingelte es erneut und die Nummer der Botschaft leuchtete am Display auf. Was kommt jetzt? Ich war auf eine schlimme Nachricht vorbereitet, aber egal was man erwartet, es zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Martina, so hieß die Dame von der Botschaft, redete auf mich ein. Sie hatte in Erfahrung bringen können, wo die Mädels waren, doch die Nachrichten waren keine guten. Es habe einen schrecklichen Verkehrsunfall gegeben und beide seien ins Krankenhaus Brünn eingeliefert worden. Für mich war klar, ich musste los, hörte nur noch die Info, dass Jenny gerade notoperiert wurde und Stella schwere Kopfverletzungen erlitten hatte, und die Bitte, Stellas Eltern zu informieren. Das tat ich und verständigte auch Klausi und Conny.
Conny: Ich nahm das Telefon ab und hörte Mama weinend und schluchzend sagen, dass ich ihr bitte Klausi geben solle. Ich konnte jedes Wort verstehen, das sie zu ihm sagte. »Jenny und Stella hatten einen schweren Autounfall. Sie sind beide in Lebensgefahr. Ich werde jetzt gleich losfahren, denn die Ärzte wissen nicht, ob Jenny morgen noch am Leben sein wird«, schrie sie hysterisch ins Telefon. Ich fing ich an zu weinen, zu zittern und klammerte mich fest an meine Decke, während Klausi beinahe regungslos am Bett saß und ins Leere starrte. Irgendwann war ich allein im Zimmer und betete einfach nur, dass Jenny und Stella überlebten. Ich schrieb Jenny eine Nachricht in der Hoffnung, dass sie diese irgendwann lesen würde können, ich schickte ihr in Gedanken all meine Kraft und schrieb, dass sie kämpfen solle und dass ich sie über alles liebe. Die ganze restliche Nacht lag ich wach und hoffte.
Mama: In der Zwischenzeit hatte mir Martina die Telefonnummern von den Intensivstationen geschickt, wo Jenny und Stella untergebracht waren. Mir zitterten die Finger, als ich die Nummer wählte und sich am anderen Ende eine weibliche Stimme meldete. Ich verstand nichts. Im Hintergrund hörte ich aber ein schmerzerfülltes Jammern, fast schon Schreien. Auf Englisch versuchte ich mit der Krankenschwester zu kommunizieren und nannte den Namen von Jenny, woraufhin sie mir in gebrochenem Englisch zu erklären versuchte, dass sie mir keine Auskunft geben könne. Das Schreien im Hintergrund wurde währenddessen immer lauter und ich fragte schließlich: »Is it Jenny who is screaming?« »Yes«, erwiderte sie sofort. Auch wenn mich dieses Schreien noch heute manchmal aufschrecken lässt, war dieses »Yes« in diesem Moment so wichtig für mich, denn ich erinnerte mich an die Worte des Notarztes, der vor vielen Jahren Conny bei ihrem Unfall behandelt hatte. »Zum Glück schreit sie, ganz schlimm ist es, wenn ein Verunfallter keinen Ton von sich gibt«, hatte er gesagt. Mir blieb zumindest dieser kleine Hoffnungsschimmer.
Nach dem Telefonat mit der Uniklinik rief ich wieder bei Martina an und schilderte ihr, dass ich in der Klinik keine Auskunft bekommen habe. Sie versprach, für mich noch einmal dort anzurufen, und das beruhigte mich etwas. Ich bewegte mich nun wie ferngesteuert, suchte meinen Pass und holte meinen Rucksack. Ich war fest entschlossen, umgehend allein aufzubrechen, als erneut Barbara und Gerhard anriefen. Ich solle auf Gerhard warten, er würde sofort losfahren und mich begleiten, kam prompt die Reaktion auf mein Vorhaben.
In dieser Viertelstunde, in der ich wartete, informierte ich einige Angehörige, telefonierte wieder mit Conny, und auch Martina rief wieder an. Sie hatte von der Krankenschwester erfahren, dass Jenny nach der Notoperation ansprechbar war, aber wahnsinnige Schmerzen hatte. Kopf und Wirbelsäule waren scheinbar nicht verletzt, sie hatte jedoch etliche Verletzungen davongetragen.
Kurze Zeit später saß ich mit Gerhard im Auto, das Navi zeigte fünf Stunden Fahrzeit an und ich hätte alles dafür gegeben, mich augenblicklich zu Jenny beamen zu können. Die Zeit verging quälend langsam und meine Gedanken spielten verrückt: Wie schlimm war es? Würde ich mit Jenny kommunizieren können? Und, und, und …
Die Fahrt dauerte ewig und ich hing ständig am Telefon. Es klingelte immer wieder, Familienangehörige hofften auf Neuigkeiten oder boten ihre Hilfe an und auch organisatorische Telefonate, etwa mit dem ÖAMTC, mussten geführt werden. Im Hintergrund geisterten unaufhörlich die Fragen in meinem Kopf umher, was nun passieren und wie es weitergehen würde. Ich versuchte die Angst beiseitezuschieben.