Читать книгу Ich bleib am Ball - Jenny Ertl - Страница 18

Everyday routine – Der Krankenhausalltag

Оглавление

Mein Tagesablauf war immer sehr ähnlich. In der Früh brachte man mir das Frühstück, die Semmeln schnitt und schmierte man mir. Zu dieser Uhrzeit hängte man mir auch die ersten Infusionen an bzw. nahm ich dann nach einiger Zeit meine erste Ration an Schmerzmitteln ein. Bald danach kam die Visite, entfernte Nähte, wechselte Verbände und besprach kurz den weiteren Verlauf. Am Vormittag machten die Reinigungskräfte das Zimmer sauber. Ich unterhielt mich gern mit ihnen.

Später kamen dann wieder die Schwestern, um die tägliche Routine – Temperatur messen und Blutdruckkontrolle – durchzuführen und mir beim Anziehen zu helfen. Ich sollte wohl wieder das Gefühl entwickeln, ein normales Leben zu führen, denn das Krankenhausnachthemd wurde nun durch eigene Kleidung ersetzt, ergänzt durch die engen Thrombosestrümpfe. Auch Petra stürmte irgendwann vormittags stets euphorisch in mein Zimmer, und es folgten ein paar »aktivere« Minuten, ob ich wollte oder nicht.

Wenn ich allein war, lief der Fernseher, und mit der Zeit wusste ich schon, wann welche Serie dran war, und entwickelte eine Art Vorfreude, dieses oder jenes am nächsten Tag wieder einzuschalten. Bald begann ich, während des Fernsehens zu zeichnen und zu malen und etwas später auch Armbänder zu knüpfen. Mir fehlte jegliche Kraft in den Händen und Fingern, ich trug noch eine Schiene und beide Arme waren in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt – links die Finger, rechts vor allem die Unterarmdrehung, und so stellte selbst das eine Herausforderung dar.

Die neue Beschäftigung beruhigte mich aber irgendwie, gab mir eine Aufgabe und ich fühlte mich gut dabei. Es war wie eine Therapie für meine beiden Arme und Hände, auch wenn ich das damals nicht wusste. Ich resignierte und verzweifelte nicht, als beim Armbänderknüpfen das Anziehen der Fäden nicht klappte, sondern fand Wege, die Knoten trotzdem festzuziehen. Ich wickelte die Fäden einfach um einen Finger meiner linken Hand und zog dann mit dem ganzen Arm so lange, bis der Finger von den einschneidenden Fäden offene Wunden erkennen ließ. Innovative Herangehensweisen würden auch in den kommenden Monaten bedeutsam werden, aber davon ahnte ich noch nichts.

Pünktlich um zwölf kam das Mittagessen, die zweite Ration Schmerzmittel folgte. Nachmittags stand meist viel Besuch auf dem Programm. Die Besuche empfing ich fast immer in meinem Zimmer. Manchmal gingen oder fuhren wir auch gemeinsam nach draußen an die frische Luft, mehrmals machte ich eine Runde auf dem Krankenhausgelände, einmal zum dortigen Maronistand und einmal zum Krankenhausshop. Weiter entfernte ich mich nie von meinem Zimmer.

Mein rechtes Bein musste ich bei den Ausfahrten mit dem linken immer so unterlagern, dass es in der Luft gehalten wurde, weil das rechte selbst nicht mehr stark dafür war. Diesen Trick hatte mir Petra gezeigt.

Allein ging ich nicht nach draußen. Ich übte das Gehen mit den Achselstützkrücken allerdings öfter in stillen Momenten im Zimmer. Ich ging auf und ab oder auch mal ein paar Längen am Gang. Anfangs schaffte ich gerade mal ein, zwei Längen, doch ich merkte schnell, dass es von Tag zu Tag besser ging. Ich fand eine Technik, um mit dem Rollstuhl meine Klogänge eleganter zu gestalten, begann auf Anweisung von Petra die Unterarmdrehungen mit dem Gummistäbchen zu üben und machte bald schon erste Schritte ohne Krücken. Zwar war ich noch schwach und meine Energie schnell aufgebraucht, aber es fühlte sich gut an, solch tolle Fortschritte zu machen.

Zu einem großen Thema in der Physiotherapie wurde auch die Beweglichkeit in meinem rechten Knie, an der ich mit der Motorschiene arbeiten sollte. Zu Beginn schaffte ich kaum 45 Grad, doch bis zu meiner Entlassung hatte ich diesen Wert zumindest auf 90 Grad gesteigert. Mit Petra fuhr ich außerdem meist im Rollstuhl in einen Übungsraum, wo sie einerseits meine linke Hand, die ich ihr nur widerwillig entgegenstreckte, durchbewegte, und ich andererseits im Rollstuhl sitzend an einer Maschine radeln musste. Das tat ich 15 Minuten, langsam, kontrolliert und mit wenig Widerstand, aber ich bewegte meine Beine. Der Gummistab wurde schon bald durch Ein-Kilo-Gewichte ergänzt. Ansonsten schlief ich viel, die Tage waren anstrengend für mich.

In den meisten Momenten dachte ich nicht an die Zukunft. Ich zweifelte nicht an, dass alles wieder normal funktionieren und ich bald wieder in meinen Alltag zurückkehren würde, mehr noch, ich stellte das nie infrage. Ich glaubte daran und erwartete nichts anderes, obwohl oder gerade weil ich die Situation und die Auswirkungen immer noch nicht überblickte.

In seltenen Momenten kamen aber auch Zweifel und die Sorge auf, wer ich denn wäre, wenn das mit dem Badminton nicht mehr hinhauen würde. Diese Gedanken waren aber eher die Ausnahme. Zu viel Energie kostete alles, was ich jeden Tag meistern musste. Da blieb nicht viel Freiraum für solche Gedanken.

Langeweile kam nie auf, obwohl ich kaum etwas machen konnte. Die Tage vergingen rasch. Abends gab es Abendessen und wiederum Schmerzmittel. Zu dieser Uhrzeit kamen auch immer meine Mama und meine Oma zu Besuch. Auch Papa und Conny waren täglich bei mir und leisteten mir Gesellschaft. Alle meinten es immer mehr als gut mit mir.

Mein Bett teilte ich mit unzähligen kleinen Mutmachern und der große Nachttisch war bis oben hin mit Süßigkeiten vollgestopft. Zumindest kehrte auch mein Appetit wieder zurück, und so musste ich am Ende nur einen Bruchteil davon mit nach Hause schleppen.

Abends wurde auch die ungeliebte Thrombosespritze noch injiziert und dann passierte nicht mehr viel. Irgendwann war ich wieder ganz allein, und wenn ich nicht zu müde dafür war, beantwortete ich einige Nachrichten. Diese waren meist geprägt von Optimismus. Zum Teil war ich es, die die anderen aufmunterte und meinte, das wird schon wieder, es braucht eben nur etwas Zeit.

»Na, bin noch im Krankenhaus … warn zwa harte Wochn, jetzt aba geht’s aufwärts«, war eine meiner Standardantworten, und ich stellte klar, dass ich zumindest als Trainerin schon sehr bald wieder in der Halle stehen wollte.

Manchmal lag ich auch einfach nur da und sah fern, manchmal weinte ich wegen der Schmerzen. Um etwa 23 Uhr aß ich meistens noch eine Kleinigkeit – nicht weil ich hungrig war, sondern weil ich die Schmerzmittel ein weiteres Mal einnehmen musste und das nicht auf »nüchternen« Magen tun wollte. Das Nutellaglas, das man mir auf den Nachttisch gestellt hatte, leerte sich dabei schnell.

Und so vergingen die Tage, die immer den gleichen Rhythmus hatten und die ich, so dämlich das auch klingen mag, im Anschluss daran manches Mal wieder herbeizusehnen begann. Die Krankenhauszeit war schwer, körperlich schmerzhaft, aber die Monate nach meinem stationären Aufenthalt waren fast noch schwerer. Was erst nicht an mich heranzukommen schien, überwältigte mich dann mit voller Intensität.

Langsam sammelte ich neue Kräfte und die Ärzte begannen davon zu sprechen, dass ich bald heimgehen sollte. Das machte mir Angst und ließ mich ein wenig verzweifeln. Was sollte ich daheim, jetzt wo alles anders war? Ich gehörte jetzt doch hierher. Hier fühlte ich mich sicher. Zu Hause würde ich alles allein schaffen müssen, dafür fühlte ich mich gar nicht bereit.

Aber der Tag rückte näher und ich musste mich schließlich verabschieden – von dem Alltag, den ich als »neues Leben« kennengelernt hatte. Auf Achselstützkrücken und ausgestattet mit einem Implantatepass verließ ich am 25. Oktober 2018 – vier Wochen nach dem Unfall – das Klagenfurter Krankenhaus. Schwestern, die ich lieb gewonnen hatte, umarmten mich zum Abschied.

Ich wusste nicht, wie es nun weitergehen sollte. Immer noch dachte ich nicht viel an gestern oder morgen, sondern versuchte, irgendwie die Anforderungen des Tages zu bewältigen.

Ich bleib am Ball

Подняться наверх