Читать книгу Knochenfeuer - Jenny Pieper - Страница 20
Kindra Gefangenschaft und Masken
ОглавлениеDie Zeit in der Zelle verstrich zäh und mich plagte eine unterschwellige Übelkeit, die ich nur durch die Krämpfe vergessen konnte, die mich hin und wieder überkamen. Offensichtlich die Nachwirkungen des Schlafpulvers.
Meine Muskeln schmerzten von der harten Pritsche, auf der ich mich zusammenrollte. Zitternd presste ich die Hände auf die Augen und schloss die Dunkelheit aus, die mich zu verschlingen drohte. In ihr sah ich Hände, die nach mir griffen, die mich festhielten, während Messer näher kamen. Bereit, von mir zu ernten.
Keuchend schlang ich die Arme um mich.
Meinem Hungergefühl nach zu urteilen und der Regelmäßigkeit, wann mir Essen gebracht wurde, verging vielleicht ein Tag.
Keinen Augenblick länger wollte ich hierbleiben. Meine Gemächer wirkten plötzlich wie das kleinste Übel in diesem Palast.
Schritte erklangen und näherten sich der Zelle. Mit ihnen erschien flackerndes Licht und mein Magen rumorte.
Ich stand auf, blieb aber einige Zoll vor den Gitterstäben stehen und spähte aus sicherer Entfernung hinaus. Jaden trat mit einer Fackel in der Hand an die Zelle, flackerndes Licht erhellte sein Gesicht, während er mich ausdruckslos musterte. Links und rechts von ihm erkannte ich zwei Wachen.
Jaden streckte eine Hand in die Zelle. »Nimm.«
Ich schielte auf seine Finger, in denen er ein kleines Fläschchen hielt. Die Flüssigkeit in dem Gefäß funkelte im Licht. »Nein danke.« Ich schnaubte.
»Es hilft dir.«
»Das soll ich Euch glauben?«
Er verdrehte die Augen, ging in die Hocke und stellte das Fläschchen auf den Boden. Es schwankte kurz vor und zurück, ehe es verharrte. »Dann ist dir nicht mehr so übel.« In seinem Gesicht regte sich nichts, ich konnte nicht deuten, ob er mir einen Streich spielte oder Schlimmeres. Aber dass er mir helfen wollte, bezweifelte ich.
»Trink es oder lass es.« Er zuckte mit den Schultern und fügte so leise hinzu, dass ich ihn kaum verstehen konnte: »Ihr seid doch alle gleich.«
Ich setzte mich wieder auf die Pritsche und ignorierte das Fläschchen. Das Zucken seines Mundwinkels ließ mich daran zweifeln, dass ich seine Worte als Beleidigung auffassen sollte.
Mit wie vielen Goldkindern hatte er es zu tun gehabt? Wie viele Jahre kannte er sie schon?
Und die Kraft wie vieler hatte er sich einverleibt?
Jaden drehte sich um und marschierte davon. Eine der Wachen zögerte und blieb an meiner Zelle zurück.
Der hochgewachsene Mann stand mit dem Rücken zu mir und blickte in die Richtung, in die Jaden verschwand. Seine Stimme war leise. »Ihr seid nicht alle gleich, aber du … du siehst aus wie sie.« Die Wache warf mir einen Blick über die Schulter zu und fixierte mich mit ernstem Ausdruck in den Augen. Sein Mund war von einer Narbe entstellt. Nur ein weiteres Schauspiel in Jadens Theater?
Mit einem Nicken deutete er auf das Fläschchen, ehe er mich allein zurückließ.
Mein Blick schweifte zu dem Mittel, das Jaden mir gebracht hatte. Tat er das für mich? Oder machte er das für sich selbst?
Neben dem Fläschchen ließ ich mich auf den Boden nieder. Mit einer Fingerkuppe stupste ich es an und betrachtete, wie es hin und her wippte. Half mir das gegen die Übelkeit?
Zögernd griff ich danach und drehte es zwischen Daumen und Zeigefinger. Wenn es mir half, was würde das über Jaden aussagen? Was würde das bedeuten?
Der Korken entwich mit einem leisen Plopp.
Und wenn es mich vergiftete, was sagte das dann über mich? War ich so töricht, mit offenen Augen in die Falle meines ärgsten Feindes zu tappen?
Zwei weitere Tage vergingen, die ich in der Zelle verbrachte. Mit Sicherheit konnte ich das aber nicht sagen. Die Dunkelheit quälte mich mit weiteren Fantasien über die Realität, in der ich steckte.
Jaden kam nicht mehr vorbei. Stattdessen erlösten mich Wachen aus meiner noch übleren Gefangenschaft in der Kälte und brachten mich zurück zu meinen Gemächern.
Die Flüssigkeit, die Jaden mir in die Zelle gebracht hatte, half tatsächlich. Mein Körper regenerierte sich schneller – obwohl er das im Vergleich zu den Menschen sowieso tat. Aber Jadens Mittel hatte die Übelkeit vertrieben und die Tage erträglicher gemacht.
Mir war schleierhaft, wie ich mit dem Gefühl umgehen sollte, das dies in mir auslöste. Die Dankbarkeit darüber, dass die Übelkeit verschwand, mischte sich mit Unbehagen. Warum half mir der Prinz? Was bezweckte er damit?
Hatte er Mitleid mit mir, als ich in dem dunklen Kerker saß? Wie empfand er dann die Ernte, die an den Goldkindern im Palast durchgeführt wurde? Zudem schwirrte der Satz, den die Wache an mich gerichtet hatte, durch meine Gedanken. Wem sah ich ähnlich? Wer war sie?
Der Prinz verbarg etwas. Aber konnte es für mich nützlich sein, dieses Geheimnis zu lüften? In meiner Nähe befanden sich weitere Goldkinder. Nie zuvor hatte ich meinesgleichen getroffen. Ich würde gern jemanden kennenlernen, der so war wie ich. Vielleicht konnte ich den Prinzen mit der Wahrheit, die er versteckte, erpressen.
Zeit verging, in der ich mindestens einmal täglich zur Ernte geführt wurde. Jeden Tag wartete ich in meinen Gemächern darauf, dass es wieder klopfte und erneut etwas von meinem Körper genommen wurde. Wenn sich meine Gedanken von dem Leben im Palast und dem Prinzen lösten, wanderten sie ohne Umschweife zu Saki. Wo war er? War er in der Senke geblieben? Oder war er durch den Bergtunnel in den Norden gegangen?
Morgens vermisste ich ihn am meisten. Einige Male ertappte ich mich dabei, dass ich nach dem Aufwachen, wenn ich noch in meinem Traum festhing, vergaß, dass ich mich im Palast befand. Mein erster Impuls wollte, dass ich aufstand und zu Saki und meinem Treffpunkt eilte. Mir fehlte unser Ritual, die Sonne über dem Fluss zu beobachten, und am meisten vermisste ich sein herzliches Lachen.
Ein Monat verstrich.
Jaden führte mich jedes Mal zur Ernte. Die trotzige Art der ersten Begegnung hatte er abgelegt. Vermutlich wusste er, dass diese Fassade nicht mehr echt wirkte, nachdem er mir geholfen hatte. Doch er blieb kalt und undurchschaubar.
Warum half er mir? Was verbarg er hinter dieser kalten, emotionslosen Maske?
Wenn er mich zur Ernte brachte, ließ ich mich nicht mehr von den Wachen schleifen, sondern ging neben ihnen her. Die Wachen schnallten mich weiterhin auf die Liege, doch mussten sie mich nicht mehr festhalten und zwingen, ihnen zu gehorchen. Ich wollte den König nicht reizen und nicht wieder in der Zelle landen. Denn der Kerker schien die Gefangenschaft in all seinen düsteren Facetten zu bündeln.
Der König besuchte mich, nachdem ich wieder in meine Gemächer gebracht worden war. Er war freundlich und redete viel. In seiner Gegenwart war ich weiterhin über seine immense Größe und Stärke schockiert. Ich war ein Käfer, den er jederzeit zerquetschen konnte.
Schwermütig sank ich in einen der Sessel in meinem Gemach, hob den Kopf und betrachtete die Ornamente an der Decke. Ich kämpfte gegen den schweren Stein in meinem Magen an, der dort lag, seit ich mich nicht mehr mit aller Kraft wehrte. Ein bisschen fühlte ich mich, als hätte ich Grünfrey, Saki und mich selbst verraten.
Leise klopfte es, aber meine Augen blieben weiterhin auf die Muster an der Decke gerichtet. Die Tür öffnete und schloss sich mit einem Klicken. Dann trat Jaden an den Rand meines Sichtfelds.
»Müssen wir schon wieder los?«, fragte ich, ohne den Blick zu senken.
»Nein …« Er setzte sich und schwieg eine Weile. Es war nicht das erste Mal, dass er mich ohne Grund besuchte. Es fühlte sich so an, als würde er meine Gegenwart suchen. Doch meistens blieb er nur kurz und verschwand wieder, bevor ich begreifen konnte, wer er wirklich war.
Wollte er sich selbst ablenken?
»Wie geht es dir?« In seiner Stimme schwang die Emotionslosigkeit, mit der er mir so oft begegnete, mit. Was ging hinter dieser Fassade vor sich? Welche Seite verbarg er vor mir und den Menschen in seinem Leben? Vor dem König?
Kopfschüttelnd sah ich ihn an. »Schlecht«, sagte ich, und es stimmte. Bei der regelmäßigen Ernte entnahmen sie mir Schalen voll Blut. Meine Haut leuchtete blass, ich fror und meine Wunden regenerierten nicht mehr sofort. Es war, als würde mein Körper mittlerweile einfrieren, nur in Zeitlupe funktionieren.
Meine Haare waren nur noch schulterlang. Etwa acht Zoll hatten sie mir über Tage hinweg abgeschnitten. Und meine Finger- und Zehennägel waren so kurz, dass die Nagelbetten bei den kleinsten Bewegungen einrissen und bluteten. Erstaunlich, dass mein Körper noch genug Blut dafür übrig hatte.
An den Unterarmen, Beinen und Achseln rasierten sie mich, sobald mein Körper etwas hergab. Stellenweise schnitten sie mir kleine Stückchen Haut heraus. Egal welchen Teil meines Körpers ich berührte, ich traf immer einen Punkt, der noch nicht vollständig verheilt war. Jedes Mal erinnerte es mich daran, was sie mit mir machten. Dass mein Körper nicht mehr mir gehörte.
Jaden ging zur Truhe und holte die Decke heraus. Etwas unbeholfen legte er sie mir um die Schultern, bevor er sich wieder setzte. Wieder eine Geste, die ich nicht deuten konnte. Ich konzentrierte mich auf die Wärme, die mir die Decke schenkte, und ignorierte die Gedanken, die er in mir aufwirbelte.
Doch ich konnte nicht verhindern, dass meine Blicke zu ihm wanderten. Über das markante Profil, den abwesenden Blick.
Der Prinz trug nur ein leichtes Hemd, keine Rüstung. Seine Arme zeichneten sich nur wenig unter dem Stoff ab und ich versuchte zu erahnen, welche Kraft in ihnen steckte.
Auch wenn das entsprechende Zeichen heute auf seiner Kleidung fehlte, war er der Anführer der Goldmagier. Hatte er den Angriff auf Grünfrey befehligt oder sogar begleitet?
Warum half er mir, wenn er doch für all das Böse stand? Wenn er vermutlich so viele getötet und gefangen hatte?
»Wie haben mich die Goldmagier gefunden?«, fragte ich. »Wie haben sie Grünfrey entdeckt und die Magie der Sonne durchbrochen?«
Jadens Miene bliebt unergründlich. »Ein Informant der Eisendynastie hat uns die Kunde überbracht.«
Das war unmöglich. Wie sollte eine Information von mir aus dem Dorf gelangt sein? Niemand hatte das Dorf verlassen. Die Bewohner entfernten sich nie weit, nur für die regelmäßigen Arbeiten am Bergpfad. »Wo soll er die Information aufgeschnappt haben?«
»In Blomdeck, der Handelsstadt im Westen.«
Mein Körper versteifte sich. Ich wusste nicht, was schlimmer war. Dass mich jemand aus dem Dorf verraten haben soll oder dass sich Informanten der Eisenmänner so weit entfernt der Grenze aufhielten. Bitter dachte ich an unsere Suche nach Grünfrey zurück. Kork hatte mit seinen Bedenken recht gehabt. Eisenmänner, oder zumindest ihre Verbündete, befanden sich im Gezeitenreich.
»Aber …«, stotterte ich. Meine Gedanken überschlugen sich.
»Er hatte die Information von einem Händler, der von Norden kam. Dieser hatte sie zu einem teuren Preis erworben.«
Das war unmöglich! Der Händler brachte die Information aus dem Norden mit? Der Norden konnte über den Bergpass erreicht werden. Hatte jemand bei den Arbeiten am Berg das Dorf verlassen und mich verraten?
Bilder meiner ehemaligen Nachbarn und Freunde zogen an mir vorbei. Wer konnte es gewesen sein? Wer hatte mir das angetan?
Ich schluckte. Für Gold hatte der Verräter mich verkauft. Jetzt war das Dorf zerstört, meine Familie tot und ich eine Gefangene. Und Saki? Er irrte vermutlich durch das Gezeitenreich und trauerte um seine Familie.
Tränen schossen mir in die Augen und ich presste die Hände dagegen. Grünfrey war meine Heimat gewesen. Dort hatte ich mich sicher gefühlt.
»Kindra«, flüsterte Jaden. In seiner Stimme schwang eine Spur Mitleid, als ertrüge er es nicht, mich leiden zu sehen.
Fahrig rieb ich mir die Augen trocken und betrachtete den Prinzen. Seine kalte Mimik passte nicht zu der Emotion in seiner Stimme.
»Wart Ihr dabei?«, presste ich hervor.
»Nein.«
Während ich mich fester in die Decke wickelte, versuchte ich das Gefühl des Verrats zu vertreiben. Doch es nistete sich ein und lag wie ein Stein in meiner Brust. »Wie habt Ihr die Kraft der Sonne durchbrochen?«
»Wie schon? Wir sind Goldmagier«, antwortete Jaden.
Ich musterte ihn und wartete darauf, dass er weitersprach. Als er sich nicht rührte, kräuselte ich die Stirn. »Was bedeutet das?«, hakte ich nach, als ob seine Antwort alles erklären würde.
Jadens Blick bohrte sich in meine Augen und einen kurzen Moment huschte Überraschung über sein Gesicht. »Du hast keine Ahnung, zu was wir imstande sind«, stellte er fest.
Mein Schweigen war Antwort genug. Die Goldmagier zogen ihre Kraft aus den Goldkindern. Mehr wusste ich nicht. Ich war mein Leben lang vor Männern geflohen, die ich nur aus Legenden kannte.
Jaden drehte die Handfläche nach oben und entzündete ein kleines Feuer, das über seiner Haut schwebte. Es erlosch so schnell, wie es aufgetaucht war. Als Nächstes hob er beide Hände in meine Richtung und plötzlich bewegte sich die Decke, wickelte sich von meinen Schultern und blieb schlaff um meine Hüften liegen.
Als hätte ich mich verbrannt, sprang ich auf und warf die Decke von mir. Mein Herz hämmerte, als ich in Jadens dunkle Augen sah.
»Wir erschaffen und wir beherrschen.«
Mein Mund war schlagartig trocken. Welche Kräfte schlummerten in Jaden, von denen ich nichts ahnte?
»Bitte setz dich wieder. Ich wollte dich nicht erschrecken.« Er deutete auf den Sessel, doch ich blieb stehen.
»Wie mächtig seid Ihr?« Meine Stimme zitterte.
»Sehr«, antwortete er. Sein Gesicht wirkte wie eine Maske, die mir nicht verriet, ob ihn diese Macht stolz machte. »Der fähigste Magier seit Jahrhunderten, wie mein Vater mich nennt.«
War er deshalb der Anführer? Weil keiner an seine Stärke herankam? »Aber was ist mit dem König?«
Jaden schnaubte. »Mein Vater zieht es vor, die Kraft körperlich aufzunehmen.«
»Wie meint Ihr das?«
Er verschränkte die Finger und bettete die Hände in seinem Schoß. Bildete ich es mir ein oder zitterten sie? »Mein Vater bevorzugt Operationen, bei denen die Mittel in die Knochen oder Muskulatur verabreicht werden, während wir anderen die Tränke einnehmen.«
»Diese Tränke …«, sagte ich, doch ich konnte den Satz nicht zu Ende führen. Mir wurde schlecht.
»Die stellt der Medi nach der Ernte her.«
Schwankend sank ich zurück auf den Sessel. »Aus uns Goldkindern«, presste ich hervor.
Der Prinz brummte zustimmend, seine Fassade bröckelte und ich konnte sehen, wie er mit sich rang. War das ein Punkt, an dem ich ihm Emotionen entlocken konnte? Sorgte er sich um die Goldkinder? Weil sie ihm zu seiner Macht verhalfen, oder steckte mehr dahinter?
Ich zog die Knie an die Brust und drückte mich tiefer in den Sessel. Das war zu viel. Jaden war der fähigste Goldmagier. Er war zwar nicht dabei gewesen, aber die Goldmagier hatten Grünfrey zerstört, weil einer meiner Nachbarn mich für Gold verraten hatte.
Ein stiller Schluchzer schüttelte mich und ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Sie rollten über meine Wangen und eine traf auf meine Lippen. Der salzige Geschmack erinnerte mich an die vielen Tage, die ich um meine Heimat und meine Familie trauerte.
»Kindra«, hauchte Jaden.
Doch ich wusste nicht, was ich erwidern sollte und legte meine Stirn auf die Knie. Der Schmerz überrannte mich. Seit meiner Ankunft hatte ich mich nicht so einsam gefühlt.
Einige Herzschläge lang saß ich so da, und als ich aufblickte, hatte ich nicht damit gerechnet, dass Jaden geblieben war. Er saß im Sessel gegenüber und sah mitgenommen aus. Die Vielzahl der Emotionen auf seinem Gesicht überraschte mich.
Ich schluckte und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch meine Gemächer wirkten plötzlich erdrückend. Während ich keuchte, wurde mir wieder bewusst, dass ich nicht die Einzige war. Täglich führte mich Jaden aus meinem Zimmer und über den Gang, an den sich weitere Zimmer aneinander reihten. Wie viele Goldkinder hielten sie hier gefangen? Meinesgleichen, die so nah waren. »Ich würde die anderen Goldkinder gern kennenlernen.«
Jaden zuckte zusammen, als ich nach der Stille das Wort an ihn richtete. Er kämpfte die kalte Maske wieder zurück auf sein Gesicht. »Das geht nicht«, antwortete er schließlich.
Ich lehnte mich nach vorn. »Bitte«, flüsterte ich und fixierte seine dunklen Augen. »Ich kenne niemanden, der so ist wie ich.«
Langsam schüttelte Jaden den Kopf. »Sie sind nicht wie du«, setzte er an und seine Fassade bröckelte. »Nicht mehr.« Er fuhr sich durch die Haare und sackte etwas in sich zusammen. Seine Energie schien ihn zu verlassen, als wäre ein Punkt erreicht, den er nicht mehr ertragen konnte. Als würde ihm die Macht über seine Beherrschung entgleiten.
Leise sagte er: »Die meisten sind so schwach, dass sie kaum reden können. Sie liegen in einem speziellen Bett mit einer Auffangschale für den Speichel.« Er brach ab. Schüttelte den Kopf und wich meinem Blick aus. »Die anderen, die körperlich länger durchgehalten haben, sind verrückt geworden.«
Meine Augen weiteten sich. Zitternd griff ich nach dem Stoff der Decke und wand sie fester um meinen Körper. War das meine Zukunft? Leblos oder wahnsinnig, in einer Vorrichtung, die meinen Speichel auffing?
War das die Last, die auf ihm lag?
Andere Leben zugunsten eines Lebens? Elend und Leid für Kraft?
Heiß brannte meine Haut und ich presste meine Zähne fest aufeinander, bis mein Kiefer schmerzte. Mit ihm konnte ich kein Mitleid haben. Nicht mit dem Prinzen, einem Goldmagier, der sich diese grausamen Errungenschaften einverleibte.
»Ihr seid Monster«, flüsterte ich aufgebracht und starrte den eisernen Prinzen mit zusammengekniffenen Augen an.
Jaden spannte die Schultern an und seine Augen funkelten. »Wir tun nur, was nötig ist. Wir streben nach der Macht, die uns zusteht«, erwiderte er und es klang wie eine auswendig gelernte Floskel.
Ich lachte höhnisch. »Ihr kümmert Euch nur um Euch selbst. Um das, was Ihr wollt. Das Leben anderer ist Euch egal!« Die letzten Worte spuckte ich ihm entgegen.
Er erhob sich und unkontrolliert huschten Emotionen über sein Gesicht, die er nicht schnell genug wieder einfangen konnte. Er kam einen Schritt auf mich zu.
»Die Goldmagier verrichten Gutes!«, presste er hervor. »Sie dienen nicht nur dem König, sondern auch unserem Volk.«
»Sie vergreifen sich an wehrlosen Mädchen, um noch mehr Macht zu erlangen!«
»Sie helfen!« Jadens Stimme wurde lauter. »Sie unterstützen das Volk durch ihre Magie beim Bau von Häusern. Sie helfen bei der Ernte oder vertreiben Banditen. Sie retten Leben!«
»Aber zu welchem Preis?« Meine Hände zitterten.
»Halt den Mund«, zischte er und beugte sich zu mir. Die Hände stützte er auf die Armlehnen meines Sessels und ich wich instinktiv so weit zurück, wie es mir die Rückenlehne erlaubte.
Sein Gesicht war dicht vor meinem und er kämpfte weiterhin um Beherrschung. »Du hast doch keine Ahnung«, hauchte er.
Hin- und hergerissen zwischen Wut und Neugier zitterte ich stärker. Mein Körper bebte. Aber ich konnte hier nicht aufhören. »Ihr seht in uns Goldkindern keine Menschen! Nur eine Quelle der Macht.«
»Das ist nicht wahr.« Ein Glitzern in seinen Augen erschien und keine Beherrschung der Welt hätte diesen Ausdruck unterdrücken können. So viel Schmerz konnte kein Mensch verbergen. So viel Leid konnte kein Einzelner mit sich herumtragen.
Oder doch?
»Ihr seid ekelhaft«, hauchte ich und kitzelte das Funkeln stärker hervor. »Mörder.«
Seine Stimme wurde mit jedem Wort brüchiger. »Hör auf, Kindra. Du hast keine Ahnung.«
»Dir geht es um dich und deine Macht«, meinte ich und zwang ein bitteres Lächeln auf meine Lippen, duzte ihn sogar, um ihn weiter zu reizen.
Er schüttelte den Kopf und wich zurück.
Ich folgte ihm und ließ seinen Blick nicht los. »Wir sind dir egal.«
»Seid ihr nicht.«
Sind wir nicht?
»Sind wir doch«, widersprach ich ihm trotzig wie ein kleines Kind. Mit den Händen griff ich seinen Kragen und starrte ihm fest in sein Gesicht. »Falls nicht, beweise es mir.«
Er sackte in sich zusammen. Seine Blicke verloren sich im Zimmer, während das Glitzern in seinen Augen sie beinahe wie Sterne strahlen ließ. »Sie war mir nicht egal.«
Mit offenem Mund starrte ich ihn an, aber kein Ton kam heraus. Sie? Dieselbe sie, von der die Wache in meiner ersten Nacht in der Zelle gesprochen hatte?
Jaden erhob sich und drehte das Gesicht von mir weg. Müde ließ er sich in den Sessel mir gegenüber fallen, das Gesicht vor mir verborgen.
In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er wirkte verletzlich und menschlich. »Wer?«, fragte ich.
Als mich der Prinz schließlich ansah, blendete der Schmerz in seinen Augen mich beinahe. Er wirkte gequält, als er mehrmals Luft holte. »Unwichtig. Sie hat sich verändert.«
»Warum sprichst du offen mit mir? Wo ist deine Überheblichkeit abgeblieben?«
»Ich bin der Spiele überdrüssig.« Sein Blick verharrte auf mir und ein kleines Lächeln zuckte in seinem Mundwinkel. »Du erinnerst mich an sie.«
»Weil ich ein Goldkind bin?«
Ein kurzes brummendes Lachen entfuhr seiner Brust und brachte seine Fassade zum Einstürzen. »Weil sie nie genug Fragen stellen konnte. Weil sie stur war und …«, er stockte, »… bildschön.«
Ich schluckte. Seine Offenheit bewegte mich mehr, als ich für möglich gehalten hatte. Der Junge, der mich im Verlies besucht, der mir ein Fläschchen gegeben hatte, um meine Schmerzen zu lindern. In ihm steckte ein Herz, das gebrochen war.
»Wie hieß sie?«
»Ardra.« Er seufzte.
»Hast du sie geliebt?«
Einige Herzschläge lang sah er mir offen ins Gesicht, dann verlor sich sein Blick im Zimmer. Er richtete sich auf. »Und wenn schon. Es hatte keine Zukunft.«
»Ardra«, wiederholte ich und er presste die Lippen fest aufeinander. »Wie seid ihr euch nähergekommen?«
Langsam schüttelte er den Kopf. Sein Blick verschwand in die Vergangenheit. »Sie war stark. Nahm die Ernte mit Stolz und verbrachte mehr Zeit im Verlies als in ihren Gemächern.«
Zitternd hielt ich den Atem an, während Jaden mich mit sich riss in eine längst vergangene Zeit, in ein Leben, das stärker war als seine eiserne Maske.
»Meistens saß ich vor ihrer Zelle und leistete ihr Gesellschaft.« Er lehnte sich im Sessel zurück und sah zur Decke. »Wir redeten, bis die Nacht dem Morgen wich und ich beinahe meine Pflichten vergaß.« Er schwieg und sein Kinn sackte auf seine Brust.
»Was ist passiert?«, hauchte ich.
Er hob die Augen. »Sie hat sich an die Ernte verloren und war nicht mehr sie selbst.« Er zögerte. Dunkle Schatten lagen auf seinem Gesicht. »Sie wollte mich umbringen.«
Eine kurze Welle von Mitleid schwappte über mich hinweg. Hätte es mir das Herz gebrochen, wenn Saki mich für das verurteilt hätte, was ich war? Ich schob den Gedanken beiseite. Das hier war anders. Jaden führte Ardra zur Ernte. Er gehörte zu den Feinden, und auch wenn es ihm scheinbar missfiel, er verhinderte es nicht. »Kannst du es ihr verdenken?«, fragte ich ihn.
Gequält verzerrte er den Mund. »Nein«, antwortete er. »Aber wir haben unsere Gründe für das, was wir tun.« Er erhob sich und sah zu mir herab. »Letztendlich war es gut so und hat mich vor weiterem Leid bewahrt. Das mit uns hatte sowieso keine Zukunft.« Einige Schritte entfernte er sich Richtung Tür.
»Du hast eine Wahl, Jaden. Warum hältst du an der Tradition der Ernte fest, wenn sie dir so offensichtlich missfällt?«
Seine Schultern versteiften sich, aber er hielt nicht an. Als er die Tür öffnete, sah er kurz zu mir herüber. Seine Beherrschung war zurück, lag über seinen Zügen und ließ mich daran zweifeln, dass hinter dieser Fassade ein verletzlicher Junge steckte. Doch er war mehr als ein emotionsloser Prinz. Das hatten seine Worte bewiesen.
Er fixierte mich einen endlos wirkenden Moment, ohne etwas zu sagen, dann verließ er meine Gemächer.