Читать книгу Knochenfeuer - Jenny Pieper - Страница 23

Kindra Ein letzter Augenblick

Оглавление

Du bist so stur!«, zischte jemand. Blinzelnd öffnete ich mein linkes Auge, brauchte einige Herzschläge, um mich zu orientieren. Die muffige Luft des Verlieses drang in meine Nase und die Erinnerungen kehrten zurück. Die Wachen hatten mich hierher­gebracht, nachdem …

Eiseskälte pumpte durch meine Adern. Ruckartig hob ich die Hand und berührte meine linke Gesichtshälfte. Jene, die noch intakt war. Während mein rechtes Auge von nun an geschlossen bleiben würde. Angst, was die Zukunft für mich bereithielt, betäubte alle weiteren Gefühle in mir.

In der Dunkelheit erkannte ich eine schlanke Gestalt, die die Gitterstäbe meiner Zelle umfasste. Es dauerte eine Weile, bis sich mein Auge an das dämmrige Licht gewöhnt hatte und ich meine Umgebung erkannte. Den winzigen, eingezäunten Bereich und den schummrig beleuchteten Gang. Erneut war ich in dieser Zelle gelandet, weil ich den König mit meinem Widerstand gegen den Eingriff verärgert hatte.

Jaden stand im dämmrigen Licht und zu viele Emotionen huschten über sein Gesicht, als dass ich sie erfassen konnte. Seine Mundwinkel verzogen sich und ich erkannte, wie er die Gefühlsregungen von seinem Gesicht verdrängen wollte. Seine Nase kräuselte sich, wie viele Male in den letzten Wochen, wenn er die Maske aufsetzen wollte, es ihm aber nicht mehr gelang. Seine Hände zitterten. »Du bist selbst schuld!«

Versuchte er es auf mich zu schieben?!

Wut loderte tief in meinen Eingeweiden auf und weckte mich vollends aus meinem schlaftrunkenen Zustand. »Ich bin schuld?!«, wiederholte ich. »Was soll daran denn meine Schuld sein? Dass ich mich nicht freiwillig ausschlachten lasse? Dass ich mein Auge gern behalten hätte?« Den letzten Satz schrie ich ihm entgegen.

Jaden senkte den Blick und schüttelte den Kopf.

Ich durchquerte die kleine Zelle mit zwei Schritten und packte Jadens Schultern durch die Gitterstäbe und schüttelte ihn, bis er mich ansah. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst. »Ich habe das nicht verdient! Ihr könnt euch nicht einfach nehmen, was ihr wollt!« Tränen rannen mir über meine linke Gesichtshälfte. Die rechte blieb trocken. Das war die Realität: Sie hatten mein Auge bei der Ernte entfernt.

»Du hättest tun müssen, was er sagt«, setzte Jaden an. »Du wusstest, dass sie es sich sowieso nehmen. Du müsstest nicht hier sein, wenn du dich einfach gefügt hättest.« Sein Blick huschte über mich und durch die Zelle. »Du könntest in deinen Gemächern sein.«

Hysterisch lachte ich auf. »Du verstehst es nicht! Ich hätte den Eingriff ruhig über mich ergehen lassen sollen? Friedlich zustimmen, dass der Medi mein Auge entfernt?«

»Nein, du verstehst es nicht!«, rief Jaden. »Du bist verbohrt, stur. Du erkennst nicht, dass du das Beste aus der Situation machen solltest. Sie nehmen es sich sowieso.«

Schnaubend packte er meine Hände. Schmerz zuckte durch meine Handgelenke und ich löste den Griff um seine Schultern. Dennoch biss ich die Zähne zusammen und hielt seinem Blick stand. Er fixierte mich mit seinen Augen. Einen Moment sagte keiner von uns etwas.

Dann schüttelte Jaden den Kopf. »Du bist so stur«, flüsterte er, ließ meine Hand los und drehte sich um. Seine Schultern bebten und sein Kopf zuckte, als würde er mir noch mal einen Blick zuwerfen wollen.

Ich erwartete, dass er davonmarschierte und mich zurückließ. Doch er überlegte es sich anders. Als er sich umdrehte, lag Traurigkeit in seinem Blick. »Wenn du hier unten bist …«, raunte er und seine Stimme versagte. »Es bricht mir fast das Herz, dich im Verlies zu sehen.«

Einen Augenblick lang nahm ich nur die Herzschläge in meiner Brust wahr.

Er trat näher an die Gitterstäbe und zögerte. Als er die Hand hob und meine Wange berührte, hielt ich den Atem an. Sah er in diesem Moment Ardra in mir?

»Ich wünschte, ich könnte es dieses Mal richtig machen. Ardra habe ich verloren …«

Fest umschloss ich seine Hand. Aufregung flatterte in meinem Magen. »Das kannst du. Beende die Ernte.«

Jaden lachte bitter. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Glaubst du wirklich, ich habe so viel Macht?«

»Du bist der Anführer der Goldmagier. Der fähigste Magier, wenn es nach dem König geht.«

Er schüttelte den Kopf. »Was bringt das mir? Kindra, mein Titel ist eine Farce. Mein Vater regiert und das Volk dürstet nach Gerechtigkeit, nachdem der Eisendrache von den anderen verstoßen wurde.«

Seine Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken. Der König hatte die Macht über die Ernte und seinen Sohn. War Jaden nicht mehr als eine Spielfigur, die der König lenkte? Hatte er keine Freiheiten und war in seine Rolle gezwungen, weil er als Prinz geboren wurde?

»Wir haben mehr gemeinsam, als du ahnst«, sagte ich und ein bitteres Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. »Wir beide hadern mit dem, was wir sind.«

Als er die Hand sinken ließ, schmunzelte er. Er trat einen Schritt zurück und sein Blick wanderte durch den Kerker. »Kannst du dich bei meinem Vater entschuldigen, um in deine Gemächer zurück­zukönnen?«

Bei dem Gedanken, mich vor dem König zu beugen, krampfte mein Magen. Meine Schultern spannten sich an. Der trotzige Teil in mir begehrte auf, wollte den Widerstand, den ich geleistet hatte, mit Stolz tragen. Doch Jadens Offenheit ließ mich zögern. Tief in seinem Innern empfand er Liebe und Reue. Ergeben schloss ich die Augen und nickte. »Ich werde mich entschuldigen.«

»Danke«, hauchte Jaden und verschränkte seine Finger mit meinen. Er drückte sie leicht, ehe er sich umdrehte und mich zurückließ.


Kurze Zeit später kehrte Jaden mit dem König und einigen Wachen zurück. Auf Jadens Gesicht lag die kalte Fassade des eisernen Prinzen. Die Gefühle, die er mir vorhin offenbart hatte, wirkten weit entfernt. Als mich sein Blick aus dunklen Augen traf, wusste ich aber, dass sie real waren. Seine flehende Bitte lag für mich deutlich erkennbar darin.

Der König schritt an Jaden vorbei und blieb vor meiner Zelle stehen. Um in sein Gesicht sehen zu können, legte ich den Kopf in den Nacken. Die Gitterstäbe wirkten in seiner Gegenwart kleiner, zerbrechlicher. Als wäre die Zelle mit mir geschrumpft.

»Mein Sohn informierte mich, du hättest es dir anders überlegt.« Seine Stimme dröhnte in meinen Ohren und pulsierte durch meinen Brustkorb.

Kurz schielte ich zu Jaden, der links hinter seinem Vater stand. Er hatte den Blick gesenkt und trug seine gelangweilte Maske.

»Ja, Eure Majestät«, presste ich hervor. Schwer schluckte ich gegen den Kloß in meinem Hals an. Mich vor dem König zu beugen gefiel mir nicht. Doch ich trieb mich weiter an. »Ich habe meine Lektion gelernt.«

Der König legte den Kopf schräg und tippte sich mit einem Finger ans Kinn.

»Bitte verzeiht mein Verhalten. In Zukunft werde ich gehorchen«, log ich und presste im Anschluss die Zähne aufeinander, bis mein Kiefer schmerzte.

»Ich begrüße deine Entschuldigung«, antwortete der König und nahm damit eine Last von meinen Schultern. Wieder huschte mein Blick zu Jaden, der mich ansah. Dankbarkeit lag in seinem.

»Ja, ich bin wahrlich erleichtert über deinen Sinneswandel«, fuhr der König fort. »Aber wirst du dich tatsächlich zügeln?« Mit seinen Augen musterte er mich intensiv.

»Das werde ich.«

Kopfschüttelnd breitete er die Arme aus. »Du solltest noch einige Tage darüber nachdenken.« Er drehte sich um und entfernte sich.

Unsicher tastete ich nach dem Gitter, dessen Entfernung ohne mein zweites Auge schwierig einzuschätzen war, und schlang die Finger um die Stäbe. »Bitte«, flehte ich und sah dabei Jaden an, der widerwillig seinem Vater folgte. »Lasst mich nicht hier zurück. Ich verspreche es.« Mit jedem Wort, das ich aussprach, kam ich mir schmutziger vor.

Doch der König kehrte nicht zurück.

Jaden besuchte mich jeden Tag im Kerker, doch je länger ich hier unten war, desto qualvoller schien der Besuch für ihn zu sein. Mit jedem Tag erdrückte mich die Kälte und Dunkelheit mehr, und mit jedem Besuch wünschte ich mir mehr, Jadens Qualen lindern zu können.

Wenn er sich mir öffnete, erkannte ich, wer er wirklich war. Nur ein Junge, der in eine Rolle gezwängt worden war, die er nicht wollte.

Während ich in der Zelle saß, auf den staubigen Boden starrte und an ihn dachte, wurde mir klar: Es gab viel mehr in ihm. Etwas Gutes. Etwas Zerbrochenes. Einen Teil, der Ardra liebte.


Als ich drei Tage nach meiner Entschuldigung in meine Gemächer zurückgebracht wurde, legte ich mich als Erstes ins Bett und vermied es, Richtung Spiegel zu sehen. Ich war nicht bereit, mein Gesicht zu sehen. Den Verband und das … was fehlte. Die Eisenmänner hatten mir ein Auge entnommen und sosehr ich auf meine Selbstheilungskräfte hoffte – das Auge würde nicht ohne Weiteres nachwachsen. Das spürte ich.

Mit geschlossenem Auge wickelte ich mich fester in die Decke, gab mich der Erschöpfung hin und versank in einem traumreichen Schlaf. Dort fand ich mich auf einer Wiese in Grünfrey wieder und starrte in den Himmel. Saki lag neben mir und nahm meine Hand. Die Berührung durchflutete mich mit einem Gefühl von Heimat.

Als ich erwachte, verschwand das Wohlgefühl und zurück blieb ein schlechtes Gewissen. Für Jaden hatte ich mich beim König entschuldigt und versprochen, gehorsam zu sein. Was würde Saki von mir denken, wenn er das wüsste?

So schräg es auch war, im Prinzen hatte ich einen Freund gefunden. Jemanden, der mich verstand.

Ein Klopfen ließ mich aufschrecken, ich richtete mich auf und starrte zur Tür. Erleichtert atmete ich aus, als nicht der König, sondern Jaden mit einem magischen Licht ins Zimmer trat.

Jadens Kiefer war angespannt und als sein Blick meinen traf, trat ein gequälter Ausdruck in seine Augen. Er gab sich keine Mühe, seine Gefühle vor mir zu verstecken.

Mit schnellen Schritten durchquerte er den Raum und blieb vor mir stehen. Das Licht wärmte meine Wangen und ich begrüßte den kurzen Anflug von Wohlgefühl. Jaden schüttelte leicht den Kopf.

»Dein Verband!«, sagte er in einem tadelnden Ton. »Setz dich!«, forderte er mich auf und zeigte auf einen der Sessel.

Schweigend gehorchte ich und ließ ihn dabei nicht aus dem Auge. Er ging zu meinem Nachttischschränkchen und holte einen frischen Verband und einige Salben heraus. Natürlich gehörte dies zur Grundausstattung eines Zimmers, in dem ein Goldkind einquartiert war. Vorsichtig legte er mir Tiegel mitsamt Stoffbahnen in den Schoß und wickelte mir den Verband vom Kopf. An einigen Stellen klebte er an meiner Haut. Die Wunde pochte, aber es war nicht das gewohnte Kribbeln, das die Heilung andeutete. Es war anders. Mein Körper hatte genug. Genau wie ich.

Jaden sog scharf die Luft ein, als er die Höhle erblickte, in der sich früher mein rechtes Auge befunden hatte. Schmerz und Wut loderten in seinem Gesicht auf und er trug vorsichtig eine Salbe auf. Dann legte er einen neuen Verband an. Als er fertig war, stand er auf und flüsterte: »Es tut mir so leid.«

Erschöpft sah ich zu ihm empor und schüttelte leicht den Kopf. Ich konnte ihm nicht die Schuld an der Ernte geben. Nicht mehr. »Du kannst nichts dafür«, sagte ich und meinte es so. Dafür erinnerte er mich zu sehr an mich selbst. Er war Teil der Ernte, weil seine Geburt es besiegelt hatte.

Kurz rieb er sich mit einer Hand über das Gesicht. Als er mich wieder ansah, war es, als würde ich ihn das erste Mal sehen. Den echten Jungen, den Jaden, der er wirklich war. Mit klarem Blick, die Augen nicht pechschwarz wie alles verschlingende Finsternis, sondern wie ein ausgebranntes Feuer, das langsam zu Asche zerfiel. Seine Stimme war rau: »Es ist für mich.«

Erst verstand ich nicht, was er damit meinte. Dann weitete sich mein linkes Auge, bevor meine Schultern zu beben begannen. »Das Auge ist für dich.«

Er nickte, unfähig zu sprechen.

»Wann setzen sie es dir ein?«, fragte ich und konnte mich nicht gegen die Übelkeit wehren, die in mir aufwallte.

»Morgen«, krächzte er und ließ sich vor mir im Schneidersitz auf den Boden sinken, den Blick zu mir erhoben. »Ich will es nicht«, sagte er leise. »Aber mein Vater meint, ich soll das erste erhalten. Es ist eine Premiere, es ist …« Seine Stimme versagte und er schluckte. »Es ist ein neuer Versuch.«

»Wie meinst du das?«, raunte ich. »Kann es schiefgehen?«

Er antwortete nicht, aber das musste er nicht.

»Der König nimmt sich das zweite, wenn ihr Erfolg habt?«, fragte ich.

Wieder nickte Jaden. In seinen Augen kämpften Scham, Schmerz und Wut miteinander. Er streckte die Hand aus und packte meinen Knöchel. Eine Weile strich er mir mit den Fingern über die Haut. Es war die erste Berührung, das erste Mal seit Monaten, dass mir jemand körperliche Nähe schenkte.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, trotzdem konnte ich nicht anders, als es zu genießen. Waren wir uns emotional schon so nah? Das Mädchen mit der Magie und der Junge, der sie sich einverleibte?

»Danke«, flüsterte er.

»Wofür?«

»Dass du dich bei meinem Vater entschuldigt hast.«

Ich senkte den Blick und kämpfte gegen die Schuldgefühle an. »Dich so zu sehen …«, stotterte ich und dachte an Ardra. An Jadens Gefühle für sie und seinen Schmerz. »Es gibt jemanden, dem mein Herz gehört. Daher kann ich dich verstehen.« Die Worte kamen über meine Lippen, bevor ich sie aufhalten konnte.

»Ist er umgekommen? Bei dem Überfall?« Jadens Stimme bebte.

Mein Blick verlor sich in der Ferne, während meine Gedanken an einen Tag zurückkehrten, den ich gern aus meinem Gedächtnis streichen würde. »Ich weiß es nicht. Er war bei mir, als die Flut kam. Aber ich spüre, dass er da draußen irgendwo ist.«

»Wie war er?«

Sein tiefes Lachen dröhnte in meinen Ohren, begleitet von der Erinnerung an warme Sonnenstrahlen auf meiner Haut. »Fröhlich und gutherzig.« Ich stockte. »Saki liebt Geschichten.«

»Saki«, wiederholte Jaden. »Ein ungewöhnlicher Name.«

Tränen stiegen in mir auf und ich blinzelte erfolglos dagegen an. Sie bahnten sich einen Weg über meine Wange und hinterließen eine kalte Spur auf meiner linken Gesichtshälfte. »Ein außergewöhnlicher Junge.« Ich schluchzte und vergrub das Gesicht in den Händen.

Jadens Kleidung raschelte. Fahrig wischte ich mir über das Auge und sah zu ihm, wie er im Zimmer auf und ab schritt.

Nach einer Weile stoppte er und wandte sich mir zu. »Ich will, dass du fliehst«, sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit, doch mit so viel Nachdruck in der Stimme, dass mein Herz einen Schlag aussetzte. »Das bin ich euch schuldig. Dir, Ardra und allen Goldkindern.«

Ein bitteres Lachen entschlüpfte meiner Kehle. »Wie stellst du dir das vor? Dass ich hier rausspaziere und einer fremden Stadt und einem fremden Land entkomme, ohne dass jemand mich an meinem Auge als ein verdammtes Goldkind erkennt!« Mein Ton war schärfer als beabsichtigt.

Jaden mahlte mit den Kiefern, hielt meinem Blick jedoch stand. »Wir finden einen Weg. Ich werde dir helfen.«

Knochenfeuer

Подняться наверх