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Die Geschichte der Pest
ОглавлениеMöchte man die Geschichte der Pest in Europa nachzeichnen, dann stößt man auf das Problem, dass man früher jede Krankheit Pest nannte, die in Epidemien auftrat und viele Todesopfer forderte.
Eine der ersten Epidemien, die der Pest zugeschrieben werden, ist die so genannte Justinianische Pest, die zur Zeit des oströmischen Kaisers Justinian (482–565) Mitte des 6. Jahrhunderts nach Christus auftrat. Sie fiel zusammen mit dem Ende des römischen Reiches. Die Epidemie nahm von Ägypten ihren Anfang und raffte im Lauf von knapp 50 Jahren schätzungsweise die Hälfte der damaligen Bevölkerung Europas dahin – sie gelangte bis nach Irland.
Seit der Antike kennt die Menschheit Seuchen, die fast immer als Pest bezeichnet wurden. Was genau deren Ursache war, lässt sich allerdings im Nachhinein oft schwer feststellen.
Typisch für die Pest sind die dicken, eitrigen Beulen. Meist treten sie in der Leistengegend oder unter den Achseln auf. Sie können aber überall dort erscheinen, wo Flöhe beißen. (nachgestellte Szene)
Jahrhunderte später, im Oktober 1347, liefen zwölf genuesische Galeeren im Hafen von Messina auf Sizilien ein. In der Nacht verließen einige der Ratten das Schiff, die bei einer Zwischenstation auf der Halbinsel Krim in der Nähe der belagerten Stadt Caffa zugestiegen waren. Sie brachten die Pest zum zweiten Mal nach Europa. Innerhalb weniger Tage erkrankten die Bewohner von Messina, innerhalb von sechs Monaten ist die Hälfte der Bevölkerung gestorben oder geflohen. Unzählige europäische Städte ereilte dasselbe Schicksal. Bis 1352 starben 25 Millionen Menschen am Schwarzen Tod – fast ein Drittel der Bevölkerung Europas. Damit ist dies die schwerste Krise, die Europa jemals heimgesucht hat. Sie hat das soziale Gefüge, die Herrschaftsverhältnisse und die politischen Strukturen nachhaltig beeinflusst.
Pestkranke in Marseille 1720. Hier brach die letzte Pest-Epidemie in Europa aus.
„Ich sage also, dass die Jahre von der heilbringenden Menschwerdung des Sohnes Gottes schon bis zur Zahl eintausend dreihundert und achtundvierzig angewachsen waren, als das tödtliche Pestübel in die herrliche Stadt Florenz, die vor allen andern in Italien schön ist, gelangte, nachdem es einige Jahre früher in den Morgenlanden entweder durch Einwirkung der Himmelskörper oder als eine im gerechten Zorne über unseren sündlichen Wandel von Gott den Menschen herabgesandte Strafe begonnen, dort eine unzählbare Menge Lebendiger getödtet hatte und ohne anzuhalten von Ort zu Ort sich verbreitend nach den abendländischen Gegenden jammerbringend vorgeschritten war.
Gegen dies Uebel half keine menschliche Klugheit oder Vorkehrung, obgleich man es daran nicht fehlen und die Stadt durch eigens dazu ernannte Beamte von Unsauberkeit reinigen ließ, auch jedem Kranken den Eintritt verwehrte und über die Bewahrung der Gesundheit viel Rathschläge hielt.
Eben so wenig nützten demüthigen Gebete, die nicht ein, sondern viele Male wohlgeordneten Processionen und auf andere Weise den frommen Leuten Gott vorgetragen wurden. […]
Aus diesen und vielen andern ähnlichen und schlimmeren Ereignissen entstand ein allgemeines Schrecken und mancherlei Vorkehrung derer, die noch am Leben waren, welche fast alle zu ein und demselben grausamen Ziele hinstrebten – die Kranken nämlich, und was zu ihnen gehörte, zu vermeiden und zu fliehen, in der Hoffnung auf solche Weise sich selber zu retten.“
Aus: Giovanni Boccaccio: II Decamerone (um 1353)
Den meisten Menschen war damals klar, dass die Pest sich durch Ansteckung übertragen muss. Es wurden viele Methoden empfohlen, um sich davor zu schützen – doch da man die Ursache für die Krankheit nicht kannte, waren die meisten weitgehend nutzlos. So wurden Feuer auf der Straße entzündet, um die Luft zu reinigen, die Kleidung von Erkrankten verbrannt oder man vermied den Blickkontakt, um sich nicht anzustecken.
Die wirksamste Maßnahme war die Flucht. Damit vermied man nicht nur eine Ansteckung bei infizierten Menschen, sondern auch die durch infizierte Rattenflöhe.
Schon 1374 schrieb Venedig vor, dass Ladung und Passagiere ankommender Schiffe 30 Tage (trentana) auf der Insel Lazzaretto Nuovo bleiben müssen. Marseille folgte diesem Beispiel und erhöhte die Frist auf 40 Tage. Bis heute heißen solche Maßnahmen Quarantäne, von quarantena, dem damaligen italienischen Ausdruck für 40 Tage.
Viele Menschen flohen im 14. Jahrhundert vor der Seuche. Sündenböcke wurden gesucht, es kam in Deutschland und Frankreich mehrfach zu Judenpogromen. Manche Menschen wandten sich angesichts des stets drohenden Todes dem Hedonismus zu. Andere suchten Trost in der Religion – doch oft nicht bei der etablierten Kirche, sondern in Bewegungen wie den Flagellanten, die sich selbst geißelnd durch die Straßen zogen.
Die imposante Ausstattung mit langem Mantel, Handschuhen und Gesichtsmaske mit langem Schnabel schützt tatsächlich gegen Flohbisse und dadurch vor der Ansteckung mit dem Pest-Erreger.
Die Historiker Francis Aidan Gasquet (1846–1929) und Egon Friedell (1878–1938) sehen die mittelalterliche Pest als entscheidenden Wegbereiter für die Renaissance. Auch wenn diese Sicht extrem ist – die Pest hat auch zu positiven Entwicklungen geführt. Der Schwarze Tod hat so viele Menschen dahingerafft, dass es zu einem Mangel von Arbeitskräften kam. Das zwang zum Beispiel die Zünfte, sich für neue Mitglieder zu öffnen. Das Leibeigentum in England wurde abgeschafft. Es gab etliche technische Innovationen, um Arbeitsprozesse mit weniger Menschen möglich zu machen.
In den nächsten Jahrhunderten wird die Seuche endemisch. Das heißt, sie ist in manchen Gebieten ständig vorhanden und bricht immer wieder aus – meist im Abstand von acht bis zwölf Jahren.