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Cholera – die junge Seuche Tödlicher Durchfall

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Anders als die Pest ist die Cholera eine Krankheit, die heute noch Millionen Menschen betrifft. Sie ist verglichen mit der Pest relativ jung. Zwar finden sich in griechischen, indischen und chinesischen Texten von vor über 2000 Jahren Hinweise auf die Cholera, doch passen die Beschreibungen auch auf andere Durchfallerkrankungen.

Wer sich mit Cholera infiziert, entwickelt in drei Viertel der Fälle keine Symptome. Trotzdem ist er für ein bis zwei Wochen infiziös, kann also andere anstecken. Wenn die Krankheit ausbricht, kann sie in wenigen Stunden zum Tode führen. Durch heftiges Erbrechen und Durchfälle verliert der Patient große Mengen an Wasser und Salzen, der Körper trocknet von innen heraus aus und verfärbt sich ganz oder in Teilen blau, lila oder schwarz, die Wangen fallen ein. In 24 Stunden kann ein Erkrankter durch den Brechdurchfall bis zur Hälfte seines Körpergewichts verlieren. Benommenheit, schließlich Koma sind die Folge.


In dieser Siedlung in Ecuador brach 1992 eine schwere Choleraepidemie aus. Ohne geregelte Trinkwasserversorgung kann so etwas immer wieder passieren.

Die meisten Fälle lassen sich allein mit einem Ausgleich des Zucker-, Flüssigkeits- und Salzverlusts behandeln. In schweren Fällen bekommen Patienten zusätzlich ein Antibiotikum.

Im 19. Jahrhundert breitete sich die Cholera erstmals über Kontinente hinweg aus. Von Indien aus erreichte sie 1830 Moskau und St. Petersburg und von dort aus zunächst die europäischen Hafenstädte. Sie gelangte in die meisten europäischen Metropolen und forderte Zehntausende von Toten, unter ihnen der Philosoph Friedrich Hegel (1770–1831) und der General Carl von Clausewitz (1780–1831).


Durch den schnellen Flüssigkeits- und Mineralverlust trocknen Cholerapatienten von innen aus. Ohne Behandlung sterben sie nicht selten innerhalb eines Tages.

Die hygienischen Verhältnisse in den Städten waren zu dieser Zeit oft katastrophal, besonders in den Armenvierteln. Eine Kanalisation gab es praktisch nirgends, die Toiletten mündeten in Sickergruben oder direkt in Bäche oder Flüsse. Das Trinkwasser kam aus eben diesen Gewässern, Wasserleitungen gab es kaum, Brunnen standen oft im Wasseraustausch mit den verseuchten Gewässern. So bricht in den Städten die Cholera im 19. Jahrhundert immer wieder aus. Die Epidemien fordern jedes Mal Tausende von Toten.

1854 wurde London wieder einmal von der Cholera heimgesucht. Der Arzt John Snow (1813–1858) untersuchte den Ausbruch der Seuche im heruntergekommenen Stadtteil Soho. Er befragte hunderte von Haushalten darüber, woher sie ihr Trinkwasser bekamen. So stellte er in kurzer Zeit fest, dass alle Erkrankten eine bestimmte Pumpe in der Broad Street benutzt hatten. Er ließ den Schwengel der Pumpe entfernen und die Epidemie war gestoppt.


Die Cholera trat in Europa erstmals im 19. Jahrhundert als Epidemie auf.

Zu dieser Zeit war die vorherrschende Theorie zur Entstehung von Krankheiten die so genannte Miasmenlehre. Diese ging davon aus, dass Dünste, schlechte Luft oder Gestank für die Krankheitsentstehung verantwortlich waren. Deshalb wurden viele Abwasserkanäle in London mit Wasser aus der Themse gespült – man wollte die übelriechenden Hinterlassenschaften loswerden. Das allerdings brachte die Fäkalien der Infizierten in den Fluss, aus dem die meisten Menschen ihr Trinkwasser bekamen. Damit verschlimmerte die Maßnahme die Seuche sogar noch.


Ein zeitgenössischer Karikaturist macht sich 1832 über die halbherzigen Versuche der Ärzte und Verwaltung lustig, die Ursache der Cholera zu finden.


John Snow gilt als Mitbegründer der Epidemiologie, weil er einer der ersten war, der einen Krankheitsausbruch systematisch untersuchte. Auf einer Karte zeichnete er ein, wo die Choleraopfer wohnten.

Die Miasmen-Theorie war so weit verbreitet, dass sich kaum jemand für John Snow und seine Erkenntnisse interessierte – trotz seines Erfolges. Erst 1883 beschreibt der deutsche Bakteriologe Robert Koch das Cholera-Bakterium und konnte beweisen, dass es für die Krankheit verantwortlich ist. Zu dieser Zeit kam die Krankheit in Europa allerdings kaum noch vor, nur 1892 sollte in Hamburg noch mal eine schwere Cholera-Epidemie auftreten.


Die Ursache der Cholera ist das Bakterium Vibrio cholerae, wegen seiner Form auch Kommabazille genannt.

Cholera wird durch das Bakterium Vibrio cholerae verursacht. Es gelangt durch mit Exkrementen verunreinigtes Wasser ins Trinkwasser oder in die Nahrung. Bei guter Ernährung wird es im Magen durch die Magensäfte zerstört, doch wenn es den Dünndarm erreicht, führt es innerhalb von wenigen Stunden zu einer heftigen Erkrankung.

In vielen europäischen Städten werden Mitte des 19. Jahrhunderts Abwasser- und Trinkwassersysteme installiert. Damit wollte man vor allem die schlechte Luft vermeiden, die in vielen Großstädten allgegenwärtig war – man sah sie wie erwähnt nach der Miasmentheorie als Ursache für viele Krankheiten.

„Als Juvenal Urbino in seine Heimat zurückkehrte und schon von See aus den abscheulichen Gestank des Marktes roch, dann die Ratten in der offenen Kanalisation sah und die Kinder, die sich nackt im Straßenschlamm wälzten, war ihm nicht nur klar, wie es zu dem Unglück hatte kommen können, sondern er wußte auch, dass es sich jeden Augenblick wiederholen konnte. […]

Noch bevor ein Jahr vergangen war, baten ihn seine Schüler am Hospital de la Misericordia um Hilfe bei einem Kranken, dessen ganzer Körper eigentümlich blau verfärbt war.“

Aus: Gabriel García Márquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera (1985)

Reformer wie Max Pettenkofer (1818–1901) setzten sich für eine Verbesserung dieser Verhältnisse ein. Mit dem starken Wachsen der Städte in der Industrialisierung lebten immer mehr Menschen immer enger zusammen. Die Kleintierhaltung war auch mitten in der Stadt üblich und Tausende von Pferden hatten hier ihre Ställe – sie waren eines der wichtigsten Transportmittel. Abfälle wurden in die Flüsse und Bäche entsorgt – oder einfach direkt auf der Straße.

Der Arzt Max Pettenkofer bekommt 1879 an der Münchner Universität den ersten Lehrstuhl für Hygiene in Deutschland. Er hatte diese Disziplin selbst begründet und ist ihr wichtigster Vertreter. Schon seit den 1830er Jahren liegt Pettenkofer den Verantwortlichen der Stadt mit seiner Forderung nach dem Bau von Abwasser- und Trinkwasserleitungen in den Ohren. Die Trinkwasserversorgung geht man an, aber vor den hohen Kosten der scheinbar vor allem aus ästhetischen Gründen notwendigen Kanalisation schreckt man zurück. Erst die Choleraepidemie von 1854, die 3000 Münchnern das Leben kostet, verschafft Pettenkofer Gehör. So wird ab 1862 das Abwassersystem gebaut und Ende des 19. Jahrhunderts gilt München als eine der saubersten Städte Europas.

Der erste, der das Cholera-Bakterium beschreibt, ist der italienische Arzt Filippo Pacini (1812–1883). Er entdeckt es unter dem Mikroskop und veröffentlicht seine Erkenntnis, dass es die Cholera verursacht. Doch davon nimmt zunächst niemand Notiz. Erst als Robert Koch auf einer Expedition in die Choleragebiete von Ägypten und Indien 1883 das Bakterium erneut „entdeckt“, registrieren das Fachwelt wie Öffentlichkeit.


Nicht nur in London, sondern in allen europäischen Metropolen sah es im 19. Jahrhundert in den Hinterhöfen so aus. Unter diesen Bedingungen verbreiteten sich Krankheiten oft rasend schnell.

Pettenkofers Leistung als Begründer der Hygiene ist unbestritten. Allerdings hat er aus seinen Beobachtungen nicht immer die richtigen Schlüsse gezogen. Er sah in den Erregern nicht die einzigen Verursacher einer Krankheit. Zu diesem × müsse für eine Erkrankung noch ein Y und ein Z hinzukommen – also eine Art Ausdünstung aus dem Erdboden und eine persönliche Anfälligkeit für die jeweilige Krankheit.

Pettenkofer lässt sich auf einen Streit mit dem berühmten Bakteriologen Robert Koch ein, der das Cholera-Bakterium 1883 beschrieben hatte. Er bestreitet, dass man allein durch den Kontakt mit diesem, Cholera bekommen könnte. So lässt er sich von Koch eine Bakterien-Kultur schicken, die er in einem Zug austrinkt. Triumphierend stellt der 72jährige Pettenkofer in den nächsten Stunden fest: Er bekam lediglich leichten Durchfall. So schreibt er an Koch:

„Herr Doktor Pettenkofer übermittelt seine Komplimente an Herrn Professor Robert Koch und dankt herzlich für die Übersendung des Fläschchens mit der so genannten Cholera-Vibrio. Herr Doktor Pettenkofer hat nun den gesamten Inhalt getrunken und freut sich, Herrn Doktor Koch davon in Kenntnis zu setzen, dass er sich weiterhin in aufrechter, guter Gesundheit befindet.“

Vermutlich war er durch eine vorige Choleraerkrankung vor dem Erreger geschützt, außerdem hatte ihm Koch wohl eine abgeschwächte Kultur geschickt, wie man heute weiß. In jedem Fall war die Resonanz auf den gefährlichen Selbstversuch trotz seines Ausgangs gering. Die Ideen der Bakteriologie hatten sich in der Wissenschaft bereits weitgehend durchgesetzt.

So hatte Pettenkofer für die richtige Sache gekämpft, nämlich die bessere Hygiene in den Städten, dabei aber teilweise nicht die richtigen Theorien aufgestellt.

Im August 1892 brach in Hamburg die Cholera aus. Innerhalb von wenigen Wochen erkrankten 17.000 der 640.000 Einwohner – die Hälfte von ihnen starb an der Seuche. Der weitgereiste Experte Robert Koch wurde nach Hamburg geschickt und war entsetzt über die Verhältnisse, die er in den ärmeren Vierteln vorfand: „Meine Herren, ich vergesse, dass ich in Europa bin.“ Er fühlte sich erinnert an seine Auslandsaufenthalte in Kalkutta und Alexandria.


Der Begründer der Hygiene an der Universität, Max Pettenkofer.


Robert Koch, der Mitbegründer der Bakteriologie.

Damit kritisierte Koch indirekt die Politik der Hansestadt: Sie hatte jahrzehntelang die Fortschritte ignoriert, die auf dem Gebiet der Hygiene und Seuchenprävention gemacht wurden. Diese Epidemie wäre vermeidbar gewesen, hätte die Großstadt Hamburg rechtzeitig in Abwasser- und Trinkwasserversorgungssysteme investiert. Das damals noch unabhängige Altena hatte 1859 eine Sandfilteranlage zur Trinkwassergewinnung aus der Elbe erbaut und blieb so von der Cholera 1892 weitgehend verschont.


Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Cholerabakteriums, ca. 22.000-fach vergrößert.

Noch heute erkranken in Entwicklungsländern circa 4 Millionen Menschen jedes Jahr an der Cholera. Über 100.000 von ihnen sterben, obwohl sich die Krankheit nur durch Versorgung der Patienten mit einer Zucker- und Salz-Lösung in 80 Prozent der Fälle gut behandeln lässt.

Die wichtigste Maßnahme zur Bekämpfung der Cholera ist nach wie vor die Versorgung mit sauberem Trinkwasser.

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