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Pest und ihre Wirkung auf Gesellschaft und Kunst

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Pest ist die Krankheit, an die die meisten Menschen beim Wort Seuche denken. Keine Seuche hat die Menschheit so sehr in Angst und Schrecken versetzt wie die Pest. Der Schwarze Tod entvölkerte ganze Landstriche und hinterließ traumatisierte Überlebende.

Doch Medizinhistoriker sind sich gar nicht mehr sicher: War es überhaupt die Beulenpest? Als Ursache für die Pandemie, die gewaltige Seuche, kommt möglicherweise auch ein so genanntes hämorrhagisches Fieber in Frage, ausgelöst etwa durch das Ebola-Virus. Oder die Pocken, Fleckfieber, Cholera oder Typhus. Es ist erstaunlich, wie sehr man heute im Dunkeln tappt.

Ein Grund dafür ist wie schon erwähnt: Der Begriff Pest ist nicht eindeutig. Im Lateinischen stand er allgemein für Seuche und auch in anderen Sprachen wird zunächst nicht zwischen Pest, Pocken, Typhus, Cholera und anderen Infektionskrankheiten unterschieden. Im Englischen heißt die Pest noch heute plague – also Heimsuchung, Plage.

Medizinhistoriker meinen aber auch, dass es letztlich auch gar nicht so wichtig ist, ob der Schwarze Tod tatsächlich von Yersinia pestis, dem erst 1894 von Yersin entdeckten Pest-Bakterium, verursacht wurde. Denn zum einen ist dies im Nachhinein für die Wirkung der Krankheit nicht mehr relevant. Zum anderen aber verändern sich die Erreger im Lauf der Jahrhunderte. Denn wie alle anderen Lebewesen auch unterliegen die Bakterien der Evolution. Sie verändern sich also, auch im Wechselspiel mit dem Menschen. Ist ein Erreger-Stamm so aggressiv, dass seine Opfer sterben, bevor sie die Krankheit weitergeben konnten, wird er recht schnell aussterben.


Die Menschen waren entsetzt über das Sterben, das bei großen Epidemien um sich griff. Dabei nahm man die Schilderungen der Symptome oft weniger wichtig, was die Zuordnung von historischen Seuchen zu Krankheiten heute schwierig macht.

Doch sicher ist: Noch heute löst das Wort Pest bei jedem dunkle Assoziationen aus. Literaten sind seit Jahrtausenden fasziniert von der dunklen Krankheit. Schon der römische Dichter Ovid beschrieb die Pest in seinen „Metamorphosen“ (∼l/3–8 n. Chr.). Eines der bekanntesten literarischen Beispiele für die Aufarbeitung der Pest ist das Decamerone von Boccaccio (1353). Darin fliehen zehn junge Menschen vor der Pest aus Florenz auf einen Landsitz und erzählen sich dort heitere Geschichten von Liebe und Schicksal, um sich abzulenken.

Auch bei Daniel Defoe ging es um die Pest („Die Pest zu London“, 1722) sowie bei Edgar Allan Poe („König Pest“, 1835 und „Die Maske des roten Todes“, 1842 – wobei diese Erzählung von einem Choleraausbruch in Baltimore 1831 angeregt wurde). Ebenfalls befasste sich Jeremias Gotthelf mit der Pest („Die schwarze Spinne“, 1843). Alle drei Dichter hatten selbst direkt mit der Pest nie etwas zu tun – sie griffen nur ein Motiv auf, das in der Kunst Europas tief verwurzelt ist. Albert Camus schließlich beschrieb in „Die Pest“ (1947) den Ausbruch der Krankheit in einer Stadt als vielschichtige Metapher für die Gesellschaft, das Schicksal des Einzelnen und die existenzialistischen Probleme des Menschen an sich.


Bei solchen Bildern assoziiert jeder sofort die Pest, nicht selten denkt man auch gleich ans Mittelalter. Solche Masken sind ist aber erst seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich. (nachgestellte Szene)

In der bildenden Kunst finden sich seit dem Mittelalter vielfach Darstellungen von Pestkranken wie auch von der personifizierten Pest. Und auch im Film wird das Thema immer wieder aufgegriffen, etwa von Friedrich Wilhelm Murnau (1922), Ingmar Bergman (1957) oder Werner Herzog (1979).


Oft waren die Pestepidemien so heftig, dass die Leichen von der Straße gesammelt werden mussten und in Massengräber kamen.


Die Pest war auch Jahrhunderte nach dem letzten Ausbruch in Europa Thema der Kunst, hier auf einem Gemälde von Arnold Böcklin von 1898.

Das Lied „O du lieber Augustin“ geht auf die Pest zurück. Es wird dem Bänkelsänger Marx Augustin zugeschrieben, der im 17. Jahrhundert in Wien lebte. Er heiterte die Bewohner mit seinen Liedern auf. Ob das Lied von ihm stammt, ist nicht gesichert, aber es ist sicher mehr als 200 Jahre alt. Darin heißt es unter anderem:

„O du lieber Augustin, Augustin, Augustin,

O du lieber Augustin, alles ist hin.

Jeder Tag war ein Fest,

Und was jetzt? Pest, die Pest!

Nur ein groß’ Leichenfest,

Das ist der Rest.“

Aus Europa ist die Pest seit 1721 praktisch verschwunden, nachdem sie ein letztes Mal als Epidemie in der Provence auftrat, bei der nochmal 50.000 Menschen starben. Warum die Pest seitdem bei uns nicht mehr vorkommt, ist noch immer ein Rätsel. Eine Rolle könnten die verbesserte Hygiene in den Städten und die bessere Ernährung ihrer Bewohner spielen. Auch die strengen Quarantänemaßnahmen könnten einen Anteil daran gehabt haben, ebenso wie die zunehmende Verdrängung der Hausratte durch die Wanderratte – wie auch eine genetische Veränderung des Krankheitserregers selbst.


Bis heute werden in München alle sieben Jahre die Schäfflertänze aufgeführt. Sie erinnern an die Pest von 1517, bei dem diese Tänze der verängstigten Bevölkerung Zerstreuung bieten sollten.

Doch in Asien und Afrika trat die Pest immer wieder in Form von großen Epidemien auf. Die Pestwelle Ende des 19. Jahrhunderts in China war schließlich der Auslöser, warum sich der französische Arzt Yersin daran machte, den Erreger der Krankheit zu finden, was ihm 1894 endlich gelungen war. Als schließlich noch vier Jahre später klar wurde, dass Flöhe den Erreger von Ratten auf den Menschen übertragen, machte die Bekämpfung der Krankheit große Fortschritte. Doch effektiv behandeln lässt sich die Pest erst seit der Entdeckung der Antibiotika Mitte des 20. Jahrhunderts.

Und auch heute ist die Pest keineswegs besiegt. In ärmeren Ländern bricht sie immer wieder aus. So etwa 1994 in Indien, 2006 im Kongo oder 2008 in Uganda. Aber auch in den USA müssen Ärzte heute noch damit rechnen, einen Pestpatienten behandeln zu müssen: Im Süden des Landes kommt es immer wieder zu Infektionen, wenn Haustiere zum Beispiel Kontakt mit Präriehunden haben. Dabei können Flöhe überspringen, die mit Pest infiziert sind.

Mehr als 200 Säugetierarten können an Pest erkranken, in ihnen findet das Pest-Bakterium ein natürliches Reservoir. Deshalb erscheint es kaum möglich, diese Krankheit jemals ganz auszurotten. Doch wenn sie rechtzeitig erkannt wird, muss heute niemand mehr an dieser „Geißel der Menschheit“ sterben. Weltweit erkranken derzeit jedes Jahr knapp 2000 Menschen an der Pest, der ganz überwiegende Teil von ihnen in Afrika. 90 Prozent von ihnen überstehen die Krankheit.

Prof. Dr. Karl-Heinz Leven ist Professor für Geschichte der Medizin und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Erlangen. Er hat unter anderem das Buch „Die Geschichte der Infektionskrankheiten“ (1997) veröffentlicht.


Sie haben sich ausführlich mit Seuchengeschichte befasst. Was ist dabei das große Problem, wenn ich etwa die Geschichte der Pest schreiben will?

Leven: Die heute mikrobiologisch definierten Krankheiten kann man streng genommen nur so weit zurückverfolgen, wie man auch den Erreger nachweisen kann. Das heißt, wenn der Erreger der Pest, Yersinia pestis, 1894 entdeckt wurde, können wir bei jeder späteren Seuche verlangen, dass der Erreger bitte nachgewiesen wird. Gelingt das, dann können wir sagen, das ist ein Fall von Pest gewesen. Aber wenn wir eine Krankheitsschilderung aus dem 14. Jahrhundert oder aus der Antike haben, in der Symptome geschildert sind und nur aufgrund der Ähnlichkeit der Symptomatik mit einer modernen Krankheitsschilderung gesagt wird, das ist Yersinia pestis, gerät man in den Bereich von Spekulationen. Derartige Versuche sind lange Zeit und bis heute sehr beliebt gewesen, so etwa bezüglich der Pest des 14. Jahrhunderts oder der Justinianischen Pest im 6. Jahrhundert.

Kann man also nur anhand der Schilderung nicht sagen, welche Krankheit das war?

Leven: Die Frage erhebt sich: Kann man das überhaupt bei irgendeiner Krankheit? Wenn Sie an sich Symptome beobachten und diese einem Infektiologen am Telefon schildern, und dieser Arzt am Telefon sagen soll, das ist diese oder jene Krankheit – würden Sie ihm glauben? Würden Sie das als Diagnose bezeichnen oder als Verdachtsdiagnose? Natürlich gibt es Krankheiten, deren Erscheinungsbild so konstant zu sein scheint, dass man aus einer Beschreibung eine Diagnose stellen kann. Bei den Pocken dürfte dies der Fall sein. Bei einigen Epidemien der Frühen Neuzeit ist die Verdachtsdiagnose Pocken wahrscheinlich – aber eben nur wahrscheinlich, nicht sicher. Es können ja auch die Masern gewesen sein. Auch die Beulenpest hat recht charakteristische Symptome; sie ist nach den Beulen benannt, also den Lymphknoten, die anschwellen und aufbrechen. Das ist eine unerhört eindrückliche Symptomatik, die man auch im 20. Jahrhundert bei Pestepidemien beobachtet hat. Solche Schilderungen gibt es aus dem Mittelalter. Wenn man damit zufrieden ist, kann man sagen, das ist die Pest. Aber der wirkliche Nachweis wird durch den Nachweis des Erregers geführt.

Kann man denn den Erreger bei historischen Epidemien nachweisen?

Leven: In Einzelfällen ist das mit Leichen aus dem 14. Jahrhundert gelungen. Mit modernen molekularbiologischen Methoden kann man Bruchstücke der Erbsubstanz des Erregers vermehren und identifizieren. Und hier ist der Nachweis von Yersinia pestis gelungen. Dann weiß man: In dem und dem Einzelfall handelte es sich um eine Pest, verursacht durch den Erreger Yersinia pestis. In Einzelfällen ist dies auch für das 6. Jahrhundert gelungen. Allerdings ist das nie bei Massengräbern gelungen, immer nur bei Einzelgräbern, die einigermaßen sicher auf die Zeit datiert werden konnten.

Ist der Erreger des Schwarzen Todes der gleiche Pesterreger, den wir heute kennen?

Leven: Das ist eine wichtige Frage: Gibt es einen Erregerwandel, also Evolution? Die gibt es ja auch jetzt immer noch. Es gibt Krankheitserreger, wie etwa den der Grippe, die wandeln sich jedes halbe Jahr. Das heißt, es ist in der Tat so, dass mit Variationen gerechnet werden muss. Aber gleichzeitig postuliert man, dass der Pesterreger seit dem Mittelalter konstant geblieben ist. Man hat an organischem Material aus dieser Zeit, wie auch bei viel älterem, etwa von ägyptischen Mumien, immer wieder Bruchstücke von Krankheitserregern nachweisen können, die wir heute auch kennen. Welche Krankheiten sich aber genau dahinter verbargen, und welche Symptomatik, das ist wieder eine andere Sache. Denn wir kennen ja nie die Krankheitsschilderung von diesem einen Fall, sondern immer nur eine aus dieser Zeit.

Seit wann wird überhaupt unterschieden zwischen Symptom und Krankheit?

Leven: Die Vorstellung, dass man eine Krankheit, der eine eigene Wesenheit zukommt, hat, gab es nicht schon immer. Krank sein konnte man schon immer, schon in der Steinzeit, die Leute hatten etwa Fieber und hielten sich vielleicht für von Geistern besessen. Der Vorstellung von Krankheit begegnet man in Europa aber erstmals bei den alten Griechen. Vom Dichter Hesiod im 7. Jahrhundert vor Christus stammt der Mythos der Büchse der Pandora: Nachdem Prometheus den Göttern das Feuer geraubt hat, erschaffen die einen künstlichen Menschen in Form einer Frau, Pandora, die sie aus Rache zu den Menschen schicken. Sie hat eine Büchse, in der sich alle möglichen Übel, darunter auch Krankheiten, befinden. Diese öffnet sie und die Krankheiten wandern von nun an auf der Erde herum und belästigen die Menschen. Da haben wir im 7. Jahrhundert vor Christus erstmals die Vorstellung, dass Krankheiten eigene Entitäten sind. Das findet sich dann auch in der medizinischen Literatur, in der hippokratischen Medizin im 5. Jahrhundert vor Christus. Da gibt es nicht nur das Kranksein, sondern auch die Krankheiten. Diese sind aber mit unseren heute nicht vergleichbar, da man über deren Ursache, Sitz und Verlauf andere Vorstellungen hegte.

Gibt es einen Wandel im Umgang mit Krankheiten?

Leven: Es gibt beides: Wandel und Konstanz. Die medizinischen Möglichkeiten haben sich enorm entwickelt. Im Mittelalter, im 14. Jahrhundert, hatte man die Säftelehre, man glaubte an Miasmata, also Verunreinigungen in der Luft, die Seuchen auslösen können. Wie konnte man diese fürchterliche Epidemie der Pest bekämpfen? Versuche gab es einige, die Erfolge waren beschränkt. Es gab keine Kausaltherapie, aber man hat einiges ausprobiert. So hat man die Luft geräuchert, sie mit aromatischen Substanzen angereichert und so weiter. Gleichzeitig hat man aber gemerkt, dass man durch Isolation der Kranken, durch Quarantäne von verdächtigen Waren und Personen einen gewissen Eindämmungseffekt erreicht hat. Insgesamt waren das Maßnahmen, die rational waren und auch gewisse Erfolge hatten. Natürlich haben wir heute andere medizinische Möglichkeiten, die gelegentlich schlecht, meistens aber mehr recht funktionieren – denken Sie an die Impfungen. Die Schnelligkeit der Impfstoffentwicklung heute verblüfft sogar mich als Mediziner. Innerhalb von wenigen Wochen sind Infektiologen in der Lage, einen bislang unbekannten Erreger zu isolieren und einen Impfstoff herzustellen. Die Schweinegrippe war so ein Beispiel. Natürlich wird es immer auch Krankheiten geben, die neu sind. Aber es gibt eben jetzt Mittel, diese zu identifizieren und auch, sie zu bekämpfen.

Bei der Konstanz sehe ich sehr viele Ähnlichkeiten, wenn man die Reaktion der Gesellschaft auf Seuchen von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne betrachtet. Wenn in den Medien eine Seuche „angekündigt“ wird, brechen sehr atavistische Regungen aus. Diese panikartigen Reaktionen sind so eine Art anthropologische Konstante. Wir hatten Glück in den letzten Jahrzehnten, dass es nie eine solche Seuche gab, die wirklich vergleichbar wäre mit der Pest. Auch wenn Aids in den Anfangsjahren gelegentlich als neue Pest bezeichnet wurde, geht es bei dieser Krankheit eher um eine neue Syphilis, wenn man so will. Hysterische Seuchenmeldungen, die wir häufig in den Medien empfangen, erfüllen fast schon ein Bedürfnis der Öffentlichkeit – einerseits nach Sensation, aber andererseits hat man eine Höllenangst davor. Das finden Sie in allen Epochen, das Faszinosum und den Schrecken der Seuche als zwei Seiten einer Medaille.

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