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aa) Art. 4 GG
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Heftig umstritten ist, ob und inwieweit aus der in Art. 4 GG garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund hergeleitet werden kann; zuletzt wurde dies im Zusammenhang mit der religiös motivierten Beschneidung von Jungen erörtert[1].
In der dazu ergangenen Grundsatzentscheidung des BVerfG[2] heißt es u.a. wörtlich:
„Wer sich in einer konkreten Situation durch seine Glaubensüberzeugung zu einem Tun oder Unterlassen bestimmen lässt, kann mit den in der Gesellschaft herrschenden sittlichen Anschauungen in Konflikt geraten. Verwirklicht er durch dieses Verhalten nach herkömmlicher Auslegung einen Straftatbestand, so ist im Lichte des Art. 4 Abs. 1 GG zu fragen, ob unter den besonderen Umständen des Falles eine Bestrafung den Sinn staatlichen Strafens überhaupt noch erfüllen würde. Ein solcher Täter lehnt sich nicht aus mangelnder Rechtsgesinnung gegen die staatliche Rechtsordnung auf; das durch die Strafdrohung geschützte Rechtsgut will er auch wahren. Er sieht sich aber in eine Grenzsituation gestellt, in der die allgemeine Rechtsordnung mit dem persönlichen Glaubensgebot in Widerstreit tritt und fühlt die Verpflichtung, hier dem höheren Gebot des Glauben zu folgen. Ist diese Entscheidung auch objektiv nach den in der Gesellschaft allgemein herrschenden Wertvorstellungen zu missbilligen, so ist sie doch nicht mehr in dem Maße vorwerfbar, dass es gerechtfertigt wäre, mit der schärfsten der Gesellschaft zu Gebote stehenden Waffe, dem Strafrecht, gegen den Täter vorzugehen. Kriminalstrafe ist – unabhängig von ihrer Höhe – bei solchen Fallgestaltungen unter keinem Aspekt (…) eine adäquate Sanktion.“
Wenn auch die Reichweite der Entscheidung im Einzelnen umstritten ist,[3] belegt sie doch, dass normabweichendes Verhalten vom Grundrecht der Glaubensfreiheit gedeckt sein kann.
Hinweis
Insbesondere im Ordnungswidrigkeiten-[4] und Nebenstrafrecht sollte der Verteidiger daher stets prüfen, ob die verletzte Norm mit den Riten seines ausländischen Mandanten in Einklang steht.
Zudem kann es ratsam sein, einen Antrag auf Einholung eines ethnologischen Sachverständigengutachtens zu stellen, um die im Heimatland des Beschuldigten geltenden Sitten, Gebräuche und Moralvorstellungen zu ermitteln (vgl. Rn. 501).