Читать книгу Der Mann mit der Säge - Jens van der Kreet - Страница 16
14.
ОглавлениеHerrmann Weber war nie der beste Freund Erwins gewesen. Man könnte sagen, dass er über viele, viele Jahre hinweg sogar sein größter Gegner gewesen war. Herrmann war Partei- und Fraktionschef der örtlichen CDU, und in dieser Funktion waren sie sich gegenseitig jederzeit spinnefeind.
Doch dreißig gemeinsame Jahre im Gemeinderat von Altweiler hinterließen Spuren. Sie waren jetzt die beiden alten Hasen, die am längsten Amtierenden, die - in Erwins Fall bis vor kurzem - über den meisten Einfluss verfügten. Dennoch konnte sich Erwin noch nicht dazu durchringen, Herrmann Weber sympathisch zu finden.
Nun saß er im Kaminzimmer von Herrmann und betrachtete angeekelt die äußerst groteske Szenerie in Herrmann Webers Wohnzimmer. Eine in verwaschenem Grün verwitternde Tapete mit Blumenmuster wurde verziert von einem Gemälde, das eine Gebirgslandschaft mit schneebedeckten Gipfeln zeigte.
Links davon eine Uhr, die in silbernem Messing eingefasst war. In ihrer hölzernen Verkleidung wucherten Schnitzereien: Eine Eichel, die die Morphologie des weiblichen Geschlechtes exakt nachahmte, Blumen und als Krönung den Kopf eines jungen Hirschen mit Geweih, der oben aus der Holzverzierung herausragte.
Zur Rechten finstere Greifvogelschädel, die mit den grauen Gardinen eine bedrohliche Atmosphäre schufen.
„Du hast mich nach der letzten Gemeinderatssitzung zu einem Besuch gebeten.“
„Ich habe dich versucht, anzurufen, doch das Telefon war immer tot.“
„Wir mussten es vom Netz nehmen. Es gab zu viele anonyme Anrufe.“
„Deswegen wollte ich mit dir sprechen. Ich bin ja nicht taub und blind. Ich habe mitbekommen, dass man dich in der Gemeinde schlecht behandelt und ich denke, ich kann nicht mit ansehen, wie ein alter Kollege so zerstört wird.“
Er kratzte sich bedeutungsvoll an seinem grauen Bart, der auch einem linksliberalen Sozialpädagogen gut gestanden hätte.
„Danke der Nachfrage, aber ich glaube nicht, dass du dir Sorgen um mich machen musst. Mir geht es blendend.“
„Ach was. Wir brauchen nicht um den heißen Brei herumzuschwafeln, das ist die Domäne deines Günstlings, des Bürgermeisters. Dafür sind wir schon viel zu lange dabei.“
„Wie gesagt. Ich bin davon überzeugt, dass ich sehr gut alleine mit der Situation klar komme.“
„Irrtum! Sie wollen dir an den Kragen, Erwin!“
„Wie schön, dass du über alles Bescheid weißt. Ich glaube, wir wissen beide, dass ich von dir keine großzügige Hilfe annehmen sollte.“
„Es ist dir selbst überlassen, ob du meine Hilfe annehmen möchtest. Ich kann dir schlecht etwas aufzwingen.“
„Warum hast du mich herbestellt?“
„Würdest du mir bitte folgen?“
Die beiden Ratsherren erhoben sich von ihren Plätzen, verließen das Wohnzimmer und gingen an weiteren Jagdtrophäen Herrmann Webers vorbei durch den Flur zu einer im hinteren Teil des Flurs gelegenen Holztür, die mit einem Vorhängeschloss verrammelt war. Eine Treppe führte in den Keller.
Herrmann schaltete das Kellerlicht ein.
Sie stiegen langsam hinab.
Erwin stockte der Atem.
Gewehre in verschiedenen Größenordnungen hingen an der Wand. Einige offenbar besonders wertvolle Exemplare waren in Vitrinen hinter Glas verwahrt. Die lange weiße Wand in der Mitte des Raumes wurde von einer Reichskriegsflagge geschmückt.
Herrmann nahm eine Pistole aus einer der Schubladen eines großen eisernen Schranks, den er mit einem Schlüssel hatte öffnen müssen.
„Das ist eine Heckler & Koch P8. Sie ist eine Entwicklung für die Bundeswehr. Ein verdammt effektives Gerät. Geht los wie eine Eins.“
Es kam selten vor, aber diesmal hatte es Erwin die Sprache verschlagen. Herrmann steckte Patronen hinein und schob das Magazin - oder wie das hieß - in den umgebenden Körper der Waffe.
„Herrmann, das kann nicht dein Ernst sein.“
„Wir wissen beide, dass es Ernst ist. Politische Intrigen können grausam sein. Deine Genossen haben es geschafft, dich nicht nur in der eigenen Partei, sondern in der gesamten Gemeinde zu einer verfemten Persönlichkeit zu machen. Ich stehe hingegen weiterhin zu dir. Und als einer deiner letzten Freunde kann ich dir nur einen Rat geben: Du musst dich wehren!“
Erwin schluckte.
Einer seiner letzten Freunde. Soweit waren wir also gekommen, dachte er, dass ein Rechtsradikaler seine letzte Unterstützung darstellte. Wenigstens wusste er jetzt, warum er Herrmann Weber unterschwellig nie gemocht hatte. Herrmann hatte seinen Rechtsdrall all die Jahre gut verbergen können.
„Bevor ich deine Unterstützung in Anspruch nehme, lassʹ ich mich lieber umlegen.“
„Moment, mein Freund. Du kämpfst nicht für dich allein.“
„Was willst du damit sagen?“
„Schon in der Bibel steht: Der Mensch soll sich die Natur untertan machen. Du kämpfst für alle aufrechten Deutschen, die nicht gewillt sind, sich von den Gutmenschen ihren natürlichen Jagdtrieb austreiben zu lassen. Dein aufrechter Kampf gegen die ökologischen Spinner hat dich zum Vorbild werden lassen.“
„Willst du damit sagen, dass ich durch diese lächerliche Wochenendhaus-Geschichte einen Märtyrerstatus in der rechten Szene erreicht habe?“
„Ich und viele andere sind stolz auf dich. Und jetzt lass dir schon helfen!“
Herrmann Weber hielt Erwin die Waffe entgegen.
„Danke, Herrmann. Ich verzichte.“
Damit war sein Besuch bei Herrmann schon fast beendet.
Als er bereits auf der Türschwelle stand, drehte sich Erwin nochmal um.
„Ein bisschen enttäuscht bin ich schon von dir, Herrmann.“
„Warum?“
„Du kennst mich schon so lange. Ich hätte gedacht, dass du mir abgenommen hast, dass ich ein aufrechter Linker bin und für solche Mätzchen wie eben nicht zu haben.“
„In deiner Situation benötigst du neue Freunde, Erwin.“
„Vergiss es.“
„Gib auf dich Acht, Erwin. Das meine ich ehrlich.“
„Auf Wiedersehen.“