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Antwort von Jesper Juul:

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Wenn man sich in solchem Maß opfert, wie Sie es getan haben und immer noch tun, bekommt man nie seine wohlverdiente Belohnung, sondern man bekommt seine wohlverdiente Strafe. Sie haben Ihr Wohlbefinden und Ihre persönlichen Grenzen geopfert und waren über all die Jahre hinweg Ihrer Tochter gegenüber von (fast) unendlicher Gutmütigkeit. Diese hat Ihr Verhalten akzeptiert und demzufolge Liebe mit Aufopferung gleichgesetzt. Jetzt wiederholen Sie dieses Verhalten in Bezug auf Ihr Enkelkind, indem Sie sich einreden, als Blitzableiter fungieren zu können.

Wenn Sie mich jetzt für grob und ungerecht halten, dann haben Sie in gewisser Weise recht. Moralisch betrachtet, sollte Ihre Tochter Ihnen natürlich dankbar sein und Ihren lebenslangen Einsatz würdigen, und so hätte sich vielleicht auch alles entwickelt, wenn Sie nicht ihre Mutter, sondern ihre Nachbarin, Tante oder Freundin wären. Denn familiäre Beziehungen folgen keinem moralischen Gesetz, sondern einer weitaus komplizierteren Logik. Die Beziehung zu Ihrer Tochter war niemals gleichwürdig. Sie haben immer (allzu) großzügig und gutherzig gegeben, während Ihre Tochter stets die Empfängerin war. Im Allgemeinen hängen wir der Vorstellung an, dass es doch schön sein muss, immer nur zu empfangen, doch in Wahrheit ist es eine Demütigung. Wir verlieren unsere persönliche Würde. Was für Kinder ebenso gilt wie für Erwachsene, Hilflose, Flüchtlinge und andere, die von wohlmeinenden Helfern abhängig gemacht werden. Das Problem von Kindern besteht darin, dass sie in ihrer Kindheit absolutes Vertrauen zu ihren Eltern haben und deren Ausdruck der Liebe daher vorbehaltlos akzeptieren. Wenn diese Liebe aufopfernde Züge trägt oder ihr Einsicht und Mut fehlen, eine tragfähigere Form der Liebe zu entwickeln – also eine Liebe, die frei ist von der unausgesprochenen Erwartung einer Gegenleistung –, nabeln sich die Kinder irgendwann radikal ab und reagieren früher oder später mit Zorn oder »Undankbarkeit«.

Wenn Sie das ändern wollen, müssen Sie damit beginnen, sich selbst ernst zu nehmen. Sie schreiben, dass sie »versucht« haben, ihr zu sagen, dass Sie sich ein solches Verhalten nicht gefallen lassen, doch solche Dinge »versucht« man nicht. Entweder sagt man es oder nicht. Wenn man es sagt, muss man es kurz, klar und definitiv tun – sonst macht es keinen Eindruck auf ein erwachsenes Kind, das sich seit 30 Jahren an eine Mutter gewöhnt hat, die weder persönliche Grenzen kennt noch irgendwelche Forderungen stellt. Ich schreibe mit Absicht »definitiv« und nicht »ultimativ«, weil eine eventuelle Änderung Ihrer Beziehung Zeit braucht und unter anderem erfordert, dass Sie immer wieder zum Ausdruck bringen, was Sie wollen und was Sie nicht wollen, ehe Ihre Tochter begreifen wird, dass sie nicht mehr so weitermachen kann wie bisher.

Auch haben Sie Ihrer Tochter nur nahegelegt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, statt darauf zu bestehen, dass sie Sie zu einem Therapeuten begleitet, der Sie kennt und zu dem Sie Vertrauen haben. Das sind Sie sich selbst schuldig, und das haben Sie auch verdient, doch müssen Sie diese Arbeit auch selbst erledigen. So war es jedoch allzu leicht, Ihr Angebot abzulehnen.

Das Problem Ihrer Tochter besteht darin, dass sie tief in Ihrer Schuld steht beziehungsweise einen Haufen »Schulden« bei Ihnen hat. Schulden, die sie weder zurückzahlen kann noch will – schon gar nicht in der selbstverleugnenden Währung, in der dieser Schuldenberg entstanden ist.

Warum überzieht sie dann ihr Konto immer weiter?, könnte man nun fragen. Die Antwort kenne ich nicht, doch vermutlich liegt es einfach daran, dass sie nicht klug genug ist, auf sich selbst achtzugeben – und nun raten Sie mal, von wem sie das hat!

Sagen Sie es ihr, zeigen Sie ihr diese Zeilen, oder beginnen Sie damit, es aufzuschreiben, und sprechen Sie hinterher miteinander über Ihre Beziehung. Für einen Neuanfang müssen Sie selbst die Verantwortung übernehmen, wenn Sie nicht als enttäuschte, verbitterte und missverstandene Frau enden wollen.

Sie haben Besseres verdient, und mit ein wenig Glück wird die Depression sich bessern, sobald Sie Ihren Stil ändern.

Der Preis wird eine Übergangszeit der Angst und Unsicherheit sein, doch wird diese nur so lange dauern, bis Sie einen neuen und fruchtbareren Standpunkt gefunden haben.

Vier Werte, die Eltern & Jugendliche durch die Pubertät tragen

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