Читать книгу Love me snowly - Jessica Wismar - Страница 10

Kapitel 3

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Kaum über der Schwelle, erkannte ich, dass das Zimmer noch viel größer war, als mein erster Blick offenbart hatte. Es nahm beinahe das komplette Dachgeschoss ein. Nell lief gerade in die hintere rechte Ecke, wo ein wirklich bequem aussehendes Einzelbett unter einer Regalwand voller Bücher stand. »Badezimmer«, sie zeigte auf eine offen stehende Holztür rechts von sich, »begehbarer Kleiderschrank«, kurzer Wink nach links, »und dahinten die Küchenzeile mit Minibar.«

Mir klappte sprichwörtlich die Kinnlade herunter.

»Richtig nice, oder?« AJ grinste mich an, als sie an mir vorbeiging und geradeaus auf das riesige Doppelbett zusteuerte. Damit hatten die Mädels dann auch entschieden, wer wo schlafen würde. Da es mir komplett egal war, zuckte ich mit den Schultern und lief AJ hinterher. Wobei ich mich wunderte, dass die beiden sich nicht das Doppelbett teilten. Sowohl AJ als auch Nell wirkten, als wären sie nicht zum ersten Mal hier.

AJ ließ ihre Taschen vor dem Schrank auf ihrer Bettseite auf den Boden plumpsen und band ihre schwarzen Haare mit geübten Griffen zu einem lockeren Dutt zusammen. Sie schälte sich aus der schwarzen Lederjacke, stemmte tatkräftig ihre Hände in die Seiten und hob dann den Blick. »Auspacken oder erst einkaufen?«

»Erst auspacken«, entschied Nell und wuchtete ihren Koffer auf ihr Bett. Sie öffnete den Reißverschluss ihres Rollis und begann, ihre Kleidung in die Kommode neben dem Bett einzuräumen. Was für mich die Frage aufwarf, wozu es einen begehbaren Kleiderschrank gab.

»Was hast du Belle denn getan?«, fragte AJ und hielt ihr Handy für ein Selfie vor sich hoch. Sie bewegte ihren Kopf zur Seite und zwinkerte in die Kamera, vermutlich machte sie ein Boomerang für Instagram. Ich war gerade in die Hocke gegangen, um meinen eigenen Koffer zu öffnen. Nun verharrte ich mitten in der Bewegung und sah zu AJ hinauf, die mich über das Bett hinweg aus ihrem sonnengeküssten Gesicht feixend anstrahlte.

Ihre Formulierung wunderte mich etwas, und so stellte ich intuitiv die Gegenfrage. »Kennst du sie?« Ich war eine Fettnäpfchenqueen und witterte eine neue Falle.

»Klar. Wir vier anderen Mädchen waren letztes Jahr schon zusammen hier.«

Na, das erklärte, warum sich alle hier so gut auskannten. Alle außer mir.

»Isabelle hat uns von dir erzählt. Sie sagte, ihre Mutter habe dich aufgetrieben. Uns sind zwei Mädels abgesprungen und es dürfen nur ebenso viele Männer wie Frauen mit, deshalb brauchten wir dringend Ersatz«, offenbarte AJ.

Oh, na super. Ernsthaft? Ich kam hier in eine eingeschworene Clique und alle liebten meine Feindin. Yippie! Ich wollte gar nicht wissen, was Belle ihnen über mich erzählt hatte. Das hier hätte meine Flucht sein sollen. Hätte ich eine persönliche Hölle haben wollen, wäre ich zu Hause geblieben.

»Charmant«, murrte ich und wandte mich ab, um einen Stapel Longsleeves ins oberste Fach im Kleiderschrank zu legen. Als ich die leise quietschende Tür öffnete, wehte mir ein urig holziger Geruch entgegen, der mich an Urlaub und Österreich erinnerte. Ich atmete ihn so tief ich konnte ein und entspannte mich wieder.

Hinter meinem Rücken kommunizierten die zwei bestimmt still miteinander. Na und? Sollten sie doch.

»Entschuldige«, sagte AJ. Verwirrt lugte ich um meine Schranktür und musterte sie. Sie entschuldigte sich? Wieso das denn?

AJ setzte sich im Schneidersitz auf ihre Bettseite. »Ich bin manchmal ein wenig taktlos, ohne dass ich das merke. Ja, wir kennen uns schon alle. Das heißt natürlich nicht, dass du automatisch an eurem Streit schuld sein musst, und es heißt auch nicht, dass wir dich jetzt ausgrenzen oder so«, erklärte sie ganz direkt.

Perplex starrte ich sie an. »Alles klar.«

Nell grinste aus ihrer Ecke rüber. »Daran gewöhnst du dich«, versprach sie und zwinkerte mir zu.

Das brachte mich zum Schmunzeln, ich mochte die beiden auf Anhieb. Kurz entschlossen streifte ich meine Schuhe ab, hüpfte auf mein Bett und machte es mir mit einem Bein angezogen und dem anderen aufgestellt auf der Decke bequem. »Dann klärt mich mal über alles auf, was ich wissen sollte«, forderte ich die beiden auf, die einen feixenden Blick tauschten und dann zu mir kamen. AJ lümmelte sich ans Fußende meiner Bettseite, Nell dagegen nahm auf AJs Seite Platz. Sie saß auf ihrer linken Pobacke und hatte ihre Beine seitlich angewinkelt. Irgendwie schaffte sie es, mit der gepufften Daunenbettwäsche um sich herum dabei würdevoll auszusehen. Ich selbst lehnte mich mit einem Kopfkissen im Rücken an mein Kopfteil.

AJ kuschelte sich mit funkelndem Blick auf die Decke, die sie als Stütze unter sich zusammendrückte. »Schieß los, Nell.«

Nell schien einen Moment nachzudenken, dann erzählte sie: »Also, unsere AJ hier ist ein regelrechtes Schandmaul. Sie benimmt sich wie eine raue Draufgängerin, aber Hunde, die bellen, beißen nicht. Die Kleine sucht sich immer einen Kerl aus und bleibt die komplette Zeit bei ihm. Letztes Jahr war es Florian, der Skilehrer.«

Ich fühlte mich für einen Moment unwohl, doch als ich AJs breites Grinsen sah, entspannte ich mich und musste über die offene verspielte Art der beiden lächeln.

»Ah ja, hoffe, er ist wieder da. Dieser Daniel ist nicht gerade mein Typ. Und Flos bestes Stück war yummie!«, schnurrte sie und wir prusteten los.

»Ich selbst bin keine Konkurrenz, was die Männer angeht. Ich bin lesbisch«, erklärte Nell mit scheinbar keckem Blick. Die Röte auf ihren Wangen verriet sie allerdings.

»Also zweimal keine wirkliche Konkurrenz.« Ich hakte eine imaginäre Liste ab und streckte AJ, die empört aufgeschrien hatte, die Zunge raus. Gerade so wehrte ich die Packung Taschentücher ab, die sie nach mir warf. »Hey!«, beschwerte ich mich ausgelassen.

Nell, die herzhaft über uns lachte, holte tief Luft, um fortzufahren. »Dina und AJ waren letztes Jahr ein Kopf und ein Arsch. Wie mir scheint, haben sich die beiden Hübschen inzwischen in unterschiedliche Richtungen entwickelt.«

»Sie«, schnaubte AJ.

»Auf jeden Fall sind sie zwar noch befreundet, aber nicht mehr unzertrennlich. Dina ist … freizügig«, formulierte Nell es bedacht und kassierte einen Das-ist-voll-untertrieben-Blick von AJ.

»Also Konkurrenz.« Ich nickte mit bemüht ernster Miene und Nell stutzte. Dann verzog sie schmunzelnd ihre Lippen und erhob tadelnd ihren Zeigefinger. »Ein kleiner Teufel, was?«

»Gut, auf wem war sie schon alles drauf? Will ja nichts Ausgelutschtes«, verkündete ich, um derb zu sein, schüttelte aber schon im nächsten Moment über mich selbst schockiert meinen Kopf. »Entschuldigt, das geht mich nichts an!« Ich war entsetzt. Das war so typisch. Immer redete ich erst und dachte dann nach. Scham brannte in meinen Wangen und in meiner Brust.

AJ runzelte mit wachsamem Blick die Stirn. »Bist du ’ne Anständige in der Hinsicht?«

Ich zögerte. »Das war ich mal.« So lautete wohl inzwischen die korrekte Antwort.

»Gebrochenes Herz, mhm?«, meinte AJ in einem wissenden, fast schon melancholischen Tonfall.

Ich stutzte, dann lachte ich, allerdings nur, damit ich nicht weinte, und die zwei merkten das sofort.

»Belle«, erinnerte AJ Nell. Dankbar für den Themenwechsel schob ich all die hochkochenden Erinnerungen zurück in ihre winzige Schublade ganz hinten in meinem Gedächtnis.

Nell nickte eifrig, und ihre kinnlangen roten Locken wippten dabei richtig süß. Schnell fuhr sie fort: »Also, Isabelle ist dezent, aber kein Kind von Traurigkeit. Sie ist letztes Jahr mit Felix zusammengekommen. Nun haben die zwei eine Art Fernbeziehung geführt, bis Isabelle angefangen hat, in Frankfurt zu studieren. Jetzt sehen sie sich während des Semesters, und zwischendrin führen sie weiterhin eine Fernbeziehung«, erzählte Nell.

Das hatte ich gar nicht gewusst. Ich kannte Isabelle auch nur oberflächlich und wusste immerhin, dass sie während ihres Semesters inzwischen in Frankfurt wohnte, sonst war mir kaum etwas über meine Nachbarin bekannt.

»Okay, also ist Felix von den Jungs raus.« Ich nahm meinen alten Faden wieder auf. Nell lächelte sanft, als ich so auf ihren Themenwechsel einging.

AJ wiegte abschätzend den Kopf. »Sollte man meinen, aber der Kerl baggert alles an, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ich glaube, er liebt Isabelle zwar, nur liebt er eben auch ’ne Menge anderer Frauen, wenn du weißt, was ich meine.«

»Denkst du, er ist untreu?« Es überraschte mich, dass Isabelle das mitmachte.

»Nein«, wehrte Nell entschieden ab. »Ich glaube, er reizt die Grenze aus, soweit er kann.«

Okay, also flirten, aber nicht anfassen, speicherte ich ab. Die Grenzen dessen, was man durfte und was nicht, hatten sich in den letzten Monaten für mich verschoben. Jeder Mensch war selbst verantwortlich für seine Entscheidungen, und ich hatte entschieden, niemals die andere Frau zu werden. Das hinderte mich allerdings nicht daran, den Nervenkitzel eines guten Flirts zu genießen, egal ob mein Flirtpartner vergeben war oder nicht.

»Du wirst es schon noch selbst merken. Felix ist rau und hat einen unbezwingbaren Charme.« AJ lächelte leicht verträumt. »Jetzt Kai«, forderte sie wie ein Kind, das einem Märchen lauschte. Sie lümmelte sich noch etwas tiefer in die Decke und linste hinauf zu Nell.

»Kai ist ein Skater. Ein herzensguter und verdammt sexy Skater. Er hat blaue Augen und schwarze, kurze Haare. Sein schlanker Körper ist voller filigraner Muskeln und seine Hände sind rau und männlich«, seufzte Nell.

Ich runzelte die Stirn. »Ich dachte, du stehst auf Frauen«, rutschte es mir heraus.

»Ich schon.« Nell grinste verspielt. »Aber AJ hat eine Schwäche für ihn. Nur will Miss Flirty das nicht zugeben.« Nell zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ihre Augen funkelten wie bei einer liebevollen großen Schwester, wenn sie die kleine neckte.

»Also, Finger weg von Kai«, zog ich meinen Schluss.

»Nein, nein. Nell übertreibt«, meinte AJ. Doch ich sah in ihrem Blick, dass Finger weg genau das war, was sie von mir wollte.

»Weiter.« Bisher hatte mir Nell nur Jungs vorgestellt, von denen ich mich fernhalten sollte … und auch würde.

»Die drei anderen sind sehr unterschiedlich. Sonny, also Alexander, ist ein grundanständiger Kerl, dem man das wegen seiner Kifferei gar nicht zutraut. Er hat die richtigen Ansichten, ist allerdings auch ein Chaot durch und durch. Er feiert gern und hart und ist oft betrunken und beziehungsweise oder stoned. Trotzdem weiß er, was sich gehört.«

»Klingt komisch, ist aber so«, pflichtete AJ ihr auf meinen zweifelnden Blick hin bei.

»Lysander ist groß, kräftig, blond und stark.«

»Wie ein Wikinger«, rief AJ euphorisch.

»Ja, stimmt. Und irgendwie auch wie ein riesiger Teddybär«, ergänzte Nell. »Er und Sonny kicken zusammen in derselben Fußballmannschaft, und ich find sie beide echt toll. So anständige Kerle, das gibt es heutzutage nicht mehr oft. Würden Männer mich interessieren, die beiden wären welche fürs Leben und nicht nur für eine schnelle Nummer.«

»Beruhigt mich zu hören«, brummte ein Hüne von einem Mann, der plötzlich in unserem Türrahmen lehnte. Ich zog betreten meinen Kopf ein, immerhin hatte er uns gerade beim Tratschen erwischt. Wie hatten wir nur die knarzenden Stufen hier herauf überhören können?

Seine schmunzelnden Züge nahmen mir allerdings die aufkeimende Scham sofort wieder. Zum Glück hatte Nell nichts Schlimmes gesagt.

»Ups, hab wohl vergessen, die Tür zuzumachen«, meinte AJ mit gespielter Betroffenheit.

»Na klar«, schnaubte ein schlaksiger Mann mit blauen Augen und schwarzem Haar … äh, Kai? Das musste Kai sein. Ich blickte zu AJ und sah, was Nell meinte. Japp, eindeutig interessiert.

Kai ging durch den Raum und auf uns zu. Er setzte sich ans Fußende des Bettes, wo AJ ihm Platz machte, und tauschte einen Blick mit ihr, der mir das Gefühl gab, in eine intime Szene einzubrechen. Schnell sah ich zu den anderen zwei Männern, die ihm ins Zimmer gefolgt waren. Der Hüne war an der Tür stehen geblieben.

Einer der beiden Eintretenden, ein dünner Mann mit schmalem Gesicht und leichten O-Beinen, lehnte sich neben der Badezimmertür an die Wand und verschränkte seine Arme vor der Brust. »Erklärst also der Neuen, was hier so abgeht, Nellilein?«

Nell streckte ihm die Zunge raus und meinte: »Ist nur fair, wenn sie ein bisschen was erfährt, so als einzige Neue.« Damit wandte sie sich an mich. »Das ist Sonny.«

»Der anständige Kicker, wenn ich es richtig mitbekommen habe«, ergänzte er selbst mit verspielt verzogenen Mundwinkeln.

AJ lachte und der große Mann in der Tür gluckste leise.

»Also, den Wikinger und die anständigen Kerle fürs Leben, das haben wir gehört. Was sagt Nell so über uns zwei?«, fragte der vierte im Bunde, der sich am Fußende auf seine Unterarme gestützt über meinen Bettrahmen lehnte. Das war … äh, verdammt.

»Kai ist ein sexy Skater und du wurdest noch nicht erwähnt«, antwortete ich keck.

»Uh, ich bin sexy«, freute Kai sich.

Der Kerl an meinem Kopfende runzelte die Stirn. Er starrte mir direkt in die Augen. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich seltsam nackt. Das Vibrieren meines Smartphones in meiner Hosentasche rettete mich. Ich fummelte es schnell heraus. Eine Nachricht von Rivera. Schon die drei Zeilen, die mir angezeigt wurden, ließen bittere Galle meinen Hals hinaufkriechen.

Du hast immer noch nicht geantwortet,

ob du dich an Sams Geschenk beteiligen

willst. Es ist kurz vor …

Schnell stopfte ich das Handy wieder in meine Tasche und hob meinen Blick, der auf blaugrüne Augen traf.

»Los, beeindruck mich. Wer ist wer?«, forderte er.

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und legte meinen Kopf schief. »Beeindruck mich? Ernsthaft?«, fragte ich pikiert. Was bildete der Kerl sich bitte ein? Ich sah durchaus den Schalk in seinem Blick, trotzdem war das absolut chauvinistisch.

»Tja, Casanova, Elina ist zu heiß für dich«, neckte AJ. »Sie hängt nicht sabbernd an deinen Lippen.«

Der Kerl wandte sich AJ zu und ich entdeckte eine Narbe an seinem Hals. Das dunkelblonde Haar verdeckte zwar ihren Ansatz, aber da sie bis zur Mitte seines Halses hinunterreichte, sah ich sie trotzdem sehr deutlich.

»Und keiner sabbert so gut wie Dina«, ätzte er.

»Pfui. Also wirklich. Das wollen wir gar nicht wissen!«, schimpfte Nell wie eine Mutter.

Der Kerl mit der Narbe drehte sich in ihre Richtung und seine Augen blitzten regelrecht auf. »Ach nein?« Er wirkte künstlich schockiert. Seine Stimme hatte einen bitterkalten Ton. »Wo wir hier doch gerade alle in Schubladen packen: Welche hattest du für mich, Nell?«, fragte er in so ruhigem Ton, dass ich mir nicht sicher war, ob er in Zorn schwelte oder nur desinteressiert am Gespräch teilnahm. Ich tippte intuitiv auf Ersteres, aber das war reines Bauchgefühl.

»Mh, Nell … Casanova? … Arschloch? … Sexbesessen?«, schlug AJ mürrisch vor.

»AJ«, rügte ich sie impulsiv. Eigentlich sollte ich mich nicht einmischen, nur war die Stimmung plötzlich so bitter geworden. War das nur neckend oder so ernst, wie es sich für mich anfühlte? Anhand der anderen versuchte ich die Situation einzuschätzen, aber Kai war damit beschäftigt, AJ anzuschmachten, und Sonny betrachtete geflissentlich seine Füße. Nur der Kerl im Türrahmen lächelte. Keine Ahnung, was das bedeutete. Es konnte sein, dass er sich darüber amüsierte, wie der Narbenmann die Weiber auseinandernahm. Es konnte aber genauso gut sein, dass der Typ mit der Narbe uns aufzog und Lysander sich das Grinsen nicht verkneifen konnte.

»Also schön, Grummel«, schnaubte ich. »Bis du reingeplatzt bist, hatten wir ’ne Menge Spaß. Menschen stecken alles in Schubladen. Schluck es und leb damit.«

Der Kerl sah mich direkt an. Sein dunkler Blick fuhr durch alle meine Schutzschichten. Das unangenehme Gefühl, entblößt zu sein, jagte einen Schauer durch meinen Körper. Schnell platzte ich mit dem Ersten heraus, was mir in den Sinn kam: »Also, zu deiner Frage: Lysander ist der Wikinger im Türrahmen, Sonny der Schuhstarrer am Schrank und Kai der blauäugige Skater neben dir. Da Nell zu dir noch nichts gesagt hat, habe ich nur den Eindruck eines Stimmungskillers«, ratterte ich meinen Bericht tonlos herunter. »So, ich hoffe, die Antwort war befriedigend. Und jetzt raus, damit wir wieder lachen können.« Mit meinen Händen wedelte ich in seine Richtung, als wollte ich eine lästige Fliege verscheuchen, und ehrlich gesagt war der Vergleich gar nicht so weit hergeholt. Ich wollte diese durchdringenden Augen wirklich dringend loswerden.

Stille.

Er starrte mich fest an, mir direkt in die Augen.

Ich hielt seinen Blick. Entschlossen, ja nicht zurückzuweichen, blinzelte ich nicht einmal. Es wurde ein regelrechter Wettkampf daraus.

Bis mich ein Kissen von der Seite traf und alle laut loslachten.

Überrumpelt sah ich mich nach dem Werfer um und erfasste ein Bild, das mich selbst zum Schmunzeln brachte. AJ hatte mich attackiert und der Wikinger zeitgleich den Narbenmann. Ich hatte bei meiner Starrerei nicht einmal bemerkt, dass Lysander sich bewegt hatte. Himmel, musste ich gebannt gewesen sein.

Noch bevor einer von uns jedoch etwas sagen konnte, kamen Isabelle und der fünfte Mann ins Zimmer, das hieß, sie blieben dort stehen, wo Lysander zuvor gestanden hatte, händchenhaltend und lächelnd. »Was ist denn hier los?« Isabelle sah sich strahlend im Zimmer um. Ich könnte wetten, dass sie unbedingt teilhaben wollte.

Ich zog meinen Kopf ein wenig ein und hielt geflissentlich die Klappe. Alle hier schienen sie leiden zu können.

»Die Neue schröpft Noah«, berichtete Sonny mit amüsiertem Ton.

Isabelles Blick traf mich und mir wurde kalt. Sie sagte nichts, sondern lächelte nur. Und das gekonnt. Wäre ich mir nicht hundertprozentig sicher gewesen, dass sie mich hasste, hätte ich das nicht im Geringsten an ihrem Lächeln erkennen können, nur an ihren Augen.

»Die Neue … Elina, richtig?«, mischte sich Felix ein. Sein süffisantes Lächeln hatte durchaus was für sich. Und sein Körper … wow! Er wirkte wie die Sorte Mann, denen die Frauen einfach zuflogen. Klar, dass er Isabelle bekommen hatte. So eine Schönheit konnte jeden haben, den sie wollte, und Felix schien ihrer würdig. Er hatte dieses Lächeln, das einen schwindeln ließ. Dazu den perfekten Sonnyboylook, und der krasse Kontrast zwischen dunklen Haaren und hellen Augen … tja, er war jedoch mit Isabelle zusammen.

»Richtig«, bestätigte ich freundlich. »Und du musst dann Felix sein.«

»Oh!«, grölte Sonny. »Jeden Namen kennt sie, nur deinen nicht!« Er feixte in Noahs Richtung, der sich an den Tisch direkt unterm Fenster zurückgezogen hatte.

Ich errötete. »Nur weil Nell noch nichts über ihn erzählt hatte«, verteidigte ich mich leise. Ich wollte hier niemanden herabwürdigen. Es war reiner Zufall gewesen, dass ich seinen Namen als einzigen noch nicht kannte, und vielleicht war ich ein wenig garstig gewesen wegen dieser verdammten Nachricht meiner Schwester. Dass sie mich das überhaupt fragte … ich könnte immer noch schreien vor Wut.

»Ha! Da zieht die Katze plötzlich ihre Krallen wieder ein«, kommentierte Lysander und musterte mich nach vorn gelehnt auf das Fußende gestützt wie Noah zuvor.

Ich sackte etwas in mich zusammen und spürte das heiße Glühen in meinen Wangen. Hervorragend, ich hatte es irgendwie geschafft, zum Mittelpunkt des Geschehens zu werden. Ein mieses Gefühl, wenn man keine Ahnung hatte, was die anderen von einem hielten.

»Sie wird ja richtig rot«, stichelte Noah, der hinüber zum Fenster geschlendert war und sich dort auf einen der Stühle gesetzt hatte.

»Rot wie die untergehende Sonne«, stimmte Kai lachend zu.

»Tz«, schnaubte ich trotzig. »Untergehende Sonne. Schwimmst du am anderen Ufer, oder kommen die romantischen Vergleiche durch das Kiffen?«, frotzelte ich bissig. »Man sagt: rot wie eine Tomate oder meinetwegen noch wie die Tapete, oder was sonst gerade rot im Zimmer ist, aber die untergehende Sonne? Schlimmer wäre nur noch wie eine Rose gewesen.« Mit gespielt lieblicher Stimme faltete ich meine Hände in dahinschmelzender Theatralik.

Es herrschte einen kurzen Moment lang Stille. Lange genug, um zu begreifen, dass der Kommentar zum anderen Ufer in Anwesenheit einer Lesbe wirklich unangebracht und auch absolut diskriminierend war. So auf Kai herumzuhacken … verdammt, was war nur in mich gefahren?

»Tada, da sind die Krallen wieder«, kommentierte Felix.

»Und die Röte ist weg«, murmelte Lysander, der mich so intensiv beobachtete, als wäre ich ein spannendes Experiment.

»Ich würde auch beißen, wenn jeder mich anstarrt«, meinte AJ schnippisch und streckte Lysander die Zunge raus. »Und du, Noah, hast das voll provoziert.«

Ich sah unweigerlich zu dem Kerl mit der Narbe. Ein Bein übergeschlagen, saß er lässig auf dem Stuhl und lächelte verschmitzt. »Hab ich wohl.« Wenig reumütig zuckte er mit den Schultern.

Jetzt im Ernst?

»So, Elina, da du sie nun alle kennengelernt hast, was hältst du von Nells Urteil?«, fragte AJ neugierig.

»AJ!«, rügte diesmal Nell sie mit umherhuschendem Blick, nur war ich überhaupt nicht mehr in Spielstimmung. Mir hing mein fieser Kommentar Kai gegenüber noch schwer im Magen. Ich nahm mir vor, mich später zu entschuldigen, wenn wir mal unter uns waren.

»Das würde mich jetzt auch interessieren«, meinte ausgerechnet Kai. Aus dem Bedürfnis heraus, ihn nicht noch einmal vor den Kopf zu stoßen, versuchte ich nun doch mitzuspielen.

»Mh … « Ich tippte mit meinem Zeigefinger auf meine Lippen. »Felix kann ich noch nicht einschätzen. Lysander: stimmt, denke ich, aber ich glaube, wir müssen Stille Wasser sind tief hinzufügen. Sonny und Kai würde ich so unterschreiben.« Noch ehe jemand darauf antworten konnte, blickte ich dem Narbenmann wieder fest in die Augen. »Und Noah ist nicht einschätzbar«, schloss ich.

Noahs Augen blitzten, während die anderen im Raum erheitert lachten.

»Soll ich das als Kompliment oder Beleidigung verstehen?«

Ich legte eine teilnahmslose Miene auf. »Ganz wie du willst.« Damit wandte ich mich wieder an Nell und fragte: »Und der Kerl, der vorhin auf dem Flur diese emotionale Rede geschwungen hat?«

Sie zuckte mit den Schultern, wobei ihre kinnlangen roten Locken wieder so knuffig wippten. »Den kennen wir noch nicht. Er heißt Daniel und ist wohl auch Teil des Alpinlagers.« Also stimmte die Info in der Mail und das war Daniel, unser Skilehrer, gewesen.

»Daniel?«, fragte Noah nach und sah dann Felix vielsagend an.

»Du meinst, der Daniel?«, überlegte Felix laut.

Noah legte unschlüssig den Kopf zur Seite.

»Hallo! Aufklärung bitte!«, forderte AJ.

»Also, das geht so mit den Bienchen und den Blümchen …«, begann ich mit belehrend erhobenem Finger und alle grinsten oder lachten. Alle, bis auf Isabelle. AJ lachte erst mit, ehe sie ein halbwegs empörtes »Hey!« von sich gab und mich gegen die Schulter schubste.

»Daniel ist in Sachen Casanova noch schlimmer als Noah«, meinte Isabelle grinsend, und sie alle sprangen sofort darauf an.

»Das geht?«, fragte AJ.

Noah legte ein genießendes Lächeln auf, während Lysander meinte: »Ihr wärt überrascht.«

»Darüber, wie wenig Casanova Noah in Wirklichkeit ist, oder darüber, dass es tatsächlich schlimmer geht?«, stichelte AJ.

»Beides.«

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