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Kapitel 1 – 09.12. –

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»Darling!«

Der Ruf schallte durch das Treppenhaus bis hinauf in mein Zimmer unter dem Dach. Augenrollend sah ich über meine Schulter zur offenen Tür.

»Das macht sie echt jedes Mal, oder?« Lisa klang amüsiert.

Ich drehte mich wieder zu dem kleinen Laptop auf meinem Schreibtisch um und grinste entschuldigend in die Kamera. »Da schlagen eben ihre britischen Wurzeln durch.«

»Ach, komm schon, das ist komplett lächerlich. Sie klingt, als wäre sie sechzig. Ben ist auch Brite, und der sagt nie …«

Das Bild fror ein. Lisas Gesicht starrte mich regungslos vom Bildschirm an. Eine Augenbraue gehoben, ihr Mundwinkel abwertend heruntergezogen. Ich brauchte keine Worte, um ihre Meinung zu meiner Mutter herauszufinden. Schlimm genug, dass ich dieser Lästertante anvertraut hatte, dass Marion meine Stiefmutter war. Ich liebte sie wie meine leibliche Mutter.

Ein vernehmliches Räuspern aus Richtung meiner Couch ließ mich innerlich aufseufzen. »Du solltest wirklich schon rübergehen. Ich komme nach, sobald ich mit Lisa fertig bin«, schlug ich Rivera zum gefühlt hundertsten Mal vor.

»Nein, nein. Ich warte.« Meine Schwester blätterte in einem dieser dicken Hochzeitsmagazine. Sie würdigte mich keines Blickes, als sie ihre Beine überschlug und einmal theatralisch seufzte.

»Hallo? Antwortest du auch mal?«, beschwerte sich meine Studienkollegin, als die Übertragung wieder einsetzte.

»Entschuldige, du hast gehangen.«

»Du meinst wohl, du hast gehangen!«, korrigierte Lisa mit eingeschnapptem Unterton. Ich sparte es mir, ihr zu sagen, dass man das bei einem Zweierstream nicht beurteilen konnte. In Gruppen war das leicht. Wenn alle Bilder hingen, war man es selbst, ansonsten der andere.

»Jedenfalls sollten wir die PowerPoint noch dieses Wochenende fertig machen«, wechselte ich das Thema. »Am Ende hat die Frau mit ihrer Planung mal wieder den Flip, sie könnte das Referat doch vorziehen, und dann sind wir diese statt nächste Woche dran.« Ich musste nicht unbedingt wissen, wie Lisa in der Zeit der Übertragungslücke über meine Mutter vom Leder gezogen hatte. Ich mochte Marion. Ich hätte Lisa meine Lebensgeschichte nie so offen erzählen sollen. Seither hatte sie zu wirklich allem etwas zu sagen, Raphael fand sie grob, Sophia kindisch und Rivera eingebildet. Ich wurde es nie müde, meine Geschwister zu verteidigen, auch wenn sie mit Raphael und Rivera durchaus einen Punkt hatte. Aber Sophia war erst neun, die durfte kindisch sein.

»Pff. Ist doch nicht unser Problem, wenn die Schreckschraube von Anatomiedozentin keine Organisationskompetenzen hat«, hielt Lisa dagegen. »Außerdem habe ich morgen ein Hockeyturnier.«

»Jetzt noch? Ist das nicht viel zu kalt?«

»Doch nicht draußen, du Dummerchen! In der Halle. Ist so ein Benefizding für irgendeine Kinderkrebsstiftung.«

Ich schürzte meine Lippen. Das war natürlich ein guter Grund. Nur hasste ich es, unvorbereitet zu sein und meine Aufgaben auf den letzten Drücker zu erledigen. Nicht dass ich das nicht quasi immer tun würde. Aber es machte mein Leben so viel schwerer, alles bis zum letzten Moment aufzuschieben; deshalb hatte ich mir fest vorgenommen, das zu ändern.

»Vorschlag: Ich mache eine erste Version morgen und du schaust Montag drüber. Dann haben wir notfalls für Dienstag etwas vorzuweisen.«

Lisa runzelte die Stirn. »Wie willst du denn die Folien zu meinem Teil machen?«

Nichtssagend zuckte ich mit den Schultern. Ich war kein Fan von Arbeitsteilung. Am Ende musste ich sowieso auch Fragen zu Lisas Teil beantworten können, daher würde ich die Inhalte so oder so lesen. »Nur ein paar Stichworte. Ein bisschen was hatten wir ja schon in der Vorlesung.«

»Na, wenn du dir unbedingt unnötig Arbeit machen willst.«

Ich sah ihr an der Nasenspitze an, dass sie sich ins Fäustchen lachte, dass ich ihre Arbeit auch noch freiwillig übernahm. Die Wahrheit war, ich hasste Gruppenarbeiten mit zugeteilten Partnern. Da machte ich die ganze Arbeit lieber selbst, dann wusste ich wenigstens, dass es gut war und erledigt wurde.

»In Ordnung, dann machen wir das so. Ich muss jetzt. Tschüssi.« Noch bevor ich geantwortet hatte, verließ Lisa die Facetime-Übertragung. Ich starrte auf den Bildschirm, auf dem mich jetzt nur noch mein eigenes Gesicht anblickte. Wundervoll.

»Da hast du dich ja mal wieder sauber ausnutzen lassen.«

Ich holte tief und beruhigend Luft. Einundzwanzig, zweiundzwanzig. »Wieso ausnutzen? Mir ist es so doch lieber.«

»Wenn du dir immer noch mehr Arbeit freiwillig selbst auflädst, kommen wir nie dazu, meine Hochzeit zu planen!«

»Das ist keine Zusatzarbeit, die hätte ich sowieso machen müssen. Das Referat macht fünfzig Prozent der Note für das Anatomiemodul. Das muss perfekt werden.« Ich gab mir die größte Mühe, ihr zu erklären, wie es an der Uni lief. Rivera hatte sich von Anfang an gegen das Studieren entschieden, sie konnte nicht wissen, was ich fachlich alles in mich reintrichtern musste.

»Ich habe noch nie verstanden, warum du in der Uni immer alles perfekt machen musst. Hier zu Hause bist du die größte Faulenzerin.«

»Bin ich doch gar nicht.«

»Klar. Du lässt dich bekochen, wohnst kostenlos hier und diese Frau wäscht sogar deine Wäsche.«

Das alles traf auch auf sie zu, nur das mit der Wäsche nicht. Aber nicht weil Rivera bemüht wäre, sie selbst zu waschen, sondern weil sie Marion so sehr hasste, dass sie unsere Mutter nicht an ihre Wäsche heranließ.

»Außerdem dachte ich, du studierst Chemie. Wieso hast du überhaupt Anatomie?«, beschwerte meine Schwester sich weiter.

»Ich studiere Biomedizinische Chemie. Da haben wir natürlich auch Biomodule.«

Rivera winkte ab. »Chemie, Biodingsda, das macht doch keinen Unterschied. Du warst doch mal so interessiert an Philosophie, das solltest du studieren.«

Ich seufzte innerlich auf. Natürlich hätte ich gern studiert, wofür ich am meisten brannte. Den Mut wie Rivera, ihrer Leidenschaft zu folgen und einen Weg einzuschlagen, mit dem ich am Ende vielleicht niemals meine Miete würde zahlen können, hatte ich allerdings nicht.

»Elina!«, klang es keuchend hinter mir und ersparte mir die müßige Diskussion über Jobchancen und die Notwendigkeit finanzieller Sicherheit. Ich wirbelte herum und sah meine schwer schnaufende Mutter im Türrahmen stehen, José auf ihrer Hüfte balancierend. »Süße, hast du mich nicht gehört?«, fragte sie sanft.

Entsetzt riss ich meine Augen auf. »Entschuldige, Marion.« Ich hatte ihr einfach nicht geantwortet, ich Esel. Jetzt war sie die kompletten drei Stockwerke zu mir hochgestiefelt.

»Es gibt Essen«, informierte sie mich und wuchtete den kleinen Faulpelz auf die andere Seite ihrer Hüfte. José hielt seine Trinkflasche in der Hand und kaute auf dem Sauger herum. Den anderen Arm hatte er um seine Mutter geschlungen. »Mach bitte Schluss für heute und komm dann runter. Du auch, Rivera.«

»Ja, klar. Wir kommen.« Mit einem durch und durch schlechten Gewissen steckte ich noch schnell das Ladekabel ein, damit mein Laptop nicht ausging, immerhin lud ich seit gefühlt einer halben Ewigkeit das neueste Add-on für PowerPoint herunter. Dann wollte ich Marion hinterhereilen, doch sie stand noch im Türrahmen und machte eine nachdenkliche Miene.

»Es war keine Absicht, meine Studienkollegin hat mich abgelenkt«, versprach ich mit eingezogenem Kopf.

Rivera schnaubte. »War es bestimmt nicht. Bloß taucht die kleine Streberin komplett ab, wenn es um ihr komisches Studium geht. Mich lässt sie auch schon ewig warten.«

Ich zuckte zusammen, überging Riveras sicher nicht so harsch gemeinte Spitze und sah Marion entschuldigend an. Sie war ganz umsonst die vielen Stufen hinaufgekommen. Alles nur, weil ich nicht das kleine Wörtchen Ja herausgebracht hatte. Dabei hatte ich sie wirklich lieb.

»Das weiß ich doch, Darling«, versicherte sie mir. Ihr Blick huschte zu meiner Schwester. »Rivera, Schatz, sei so gut und bring José schon mal runter.« Damit lud sie den kleinen Wonneproppen auf den Arm meiner Schwester, die das Magazin gerade noch rechtzeitig auf meinen Schreibtisch warf und nach einem vernichtenden Blick in Marions Richtung mit unserem Halbbruder hinausging. Marion wartete, bis Rivera mein Zimmer verlassen hatte, ehe sie sich mir wieder zuwandte. »Ich habe mir gedacht, vielleicht solltest du doch auf diese Freizeit gehen.«

Ich presste die Lippen zusammen. Langsam wusste ich nicht mehr, wie ich dieses Thema freundlich beenden sollte. Ich war es leid, immer und immer wieder Nein zu sagen. Und wieso hatte sie dafür bitte Rivera subtil hinausgeworfen?

»Ich wäre Weihnachten nicht da«, brachte ich das zwingendste Argument, das einer familienliebenden Mutter wie ihr den Wind aus den Segeln nehmen sollte.

»Ich weiß, mein Schatz. Ich dachte nur, du könntest Abstand gebrauchen. Es wird sowieso schon so voll. Raphael kommt ja dieses Jahr mit Neele und ihrem kleinen Raoul. Und Rivera hat vorhin erzählt, dass Sam auch da sein wird.«

Sie wusste es! Irgendwoher wusste sie es. Ich sah es in ihren Augen. Dieser traurige, mitleidige Blick, der mich durchbohrte und mir gerade durch die Blume sagte, dass ich sicher nicht dabei sein wollte. Und sie hatte recht.

»Ich überleg es mir noch mal«, lenkte ich ein und ebnete den Weg für meine Flucht. Nun gut, dann würde ich dieses Jahr Weihnachten eben nicht im Kreis der Familie verbringen. Wer wollte das auch schon?

Ich schluckte die bittere Galle hinunter, zog noch eine weitere schützende Mauer um mein Herz hoch und legte das perfekte Lächeln der letzten Wochen auf mein Gesicht.

»Mach das, mein Schatz. Isabelle wird sich sicher freuen. Ihre Mutter hat mich immer wieder gefragt, ob du nicht doch fahren willst.«

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