Читать книгу Highland Love - Jessie Coe - Страница 11
Оглавление2435 • Auf der Erde – Damals
Mit einem Schrei fuhr Tammes hoch. Sein Herz hämmerte und sein Atem ging keuchend. Fast automatisch warf er einen Blick auf den Wecker. Er hatte gerade mal zwei Stunden geschlafen. Mit zitternden Fingern wischte er sich über das Gesicht. Er meinte, das Fauchen der Laserpistole noch immer zu hören. Der Traum war verdammt realistisch gewesen und, wie er hoffte, nicht prophetischer Natur. Schwer atmend setzte er sich auf und vergrub den Kopf in den Händen. Alles, was ihm die Traumchiyo und sein Unterbewusstsein, mitgeteilt hatten, stimmte. Er war nachlässig geworden und hatte sich in Sicherheit gewiegt, weil niemand wusste, dass die Uhren existierten. Der Fehler mit der Distel wäre ihm nicht unterlaufen, wenn er einen kühlen Kopf bewahrt hätte, wie er es sonst tat. Stattdessen hatte er sich von seinen Gefühlen für Schottland überwältigen lassen.
Und was Chiyo betraf: Er war und blieb ein Idiot. Sie hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie ihn eher töten würde, als dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten. Es wurde Zeit, dass er es akzeptierte. Müde stand er auf und ging hinüber zum Versorgungspunkt. Teleputer nannten sie das Gerät, da man mit dem Smart TV nicht nur fernsehen und arbeiten, sondern auch darüber kommunizieren und Lebensmittel bestellen konnte. Letztere wurden dann von der zentralen Zuteilungsstelle verschickt und kamen zur gewünschten Zeit in der gewählten Form, zum Selbstkochen oder als fertiges Gericht, in einer dem Teleputer angeschlossenen Vorrichtung an. Für Getränke gab es in jedem Wohnhaus Automaten, von denen aus die Bestellungen weitergeleitet wurden. Tammes tippte auf das Symbol für Getränke, wählte Whisky und wartete. Was hätte er für einen echten, schottischen Whisky gegeben. Das, was gleich in der Auslieferungsklappe auftauchen würde, imitierte wie alles, was jetzt als Lebensmittel bezeichnet wurde, den Geschmack des Originals, ohne es zu sein. Normalerweise verzichtete er darauf, sich das auch noch bei Alkohol anzutun, doch er brauchte etwas, um sich zu beruhigen. Ein Piepen ertönte und Tammes öffnete die Klappe. Er entnahm ihr einen Plastikbecher mit einem Inhalt, der zumindest die Farbe von Whisky hatte, kippte ihn hinunter, um möglichst wenig zu schmecken, und hustete. Grauenvoll. Nachdem er den Becher in den Müllschlucker geschmissen hatte, kehrte er zum Bett zurück und ließ sich darauf fallen. Trotz des Alkohols, der beruhigend warm durch seinen Körper strömte, war an Schlaf nicht zu denken. Was sollte er Chiyo sagen, falls sie die Distel wirklich gesehen hatte und ihn darauf ansprach? Er wälzte sich hin und her, zerbrach sich den Kopf, verwarf jede Idee und jeden Gedanken und kam schließlich zum gleichen Ergebnis wie schon zuvor. Er würde sie nicht erklären können, ohne die Wahrheit zu verraten. Doch die eigentliche Frage war, ob Chiyo überhaupt an einer Erläuterung interessiert wäre oder ob sie, wie im Traum, auf jeglichen Kommentar seinerseits verzichten würde.
Die nachfolgenden Tage waren die reinste Hölle. Jedes Mal, wenn sein Computer zum Leben erwachte, rechnete er damit, dass Chiyo plante, ihn vor ein Militärgericht zu stellen. Als die Zeit verstrich, ohne dass dies geschah, entspannte er sich ein wenig. Trotzdem hatte er jedes Mal kurz das Bild der Waffenmündung vor Augen, wenn Chiyo den gesamten Sicherheitsstab zu einem virtuellen Meeting bestellte.
Als er am Morgen eines solchen Meetings vor dem Teleputer Platz nahm, fiel sein Blick auf seinen seit Wochen ungenutzten Schutzanzug, ohne den es unmöglich war, das Haus zu verlassen, und er überlegte, wann er genau das zum letzten Mal getan hatte. Ohne Schutzanzug hinausgehen. Es musste etwa 150 Jahre her sein. Kurz nach dem Einsetzen des Regens hatte die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen und eine weltweite Ausgangssperre verhängt. Es hatte nur eine vorübergehende Maßnahme sein sollen, doch sie war nie aufgehoben worden, denn der Regen hatte nicht aufgehört. Anfangs waren sie trotzdem rausgegangen, hatten über das Verbot und die lächerliche Panikmache geschimpft. Schließlich bewahrte die Nanotechnologie in ihrem Blut sie alle vor dem Sterben. Was sollte ihnen also passieren? Mit den Schmerzen, die von den Regentropfen ausgelöst wurden, wenn sie auf ungeschützte Haut trafen, hatte niemand gerechnet. Doch die Verbrennungen, die beim Einatmen des Wasserdampfs verursacht wurden, waren tausendmal schlimmer gewesen. Auch wenn die Nanos in ihrem Blut sie heilten und vor dem Tod bewahrten, die Schmerzen und die Atemnot, die damit einhergingen, verhinderten sie nicht. Nach einer Weile war niemand mehr auf die Idee gekommen, sich nach draußen zu wagen. Die meisten Firmen hatten auf Homeoffice umgestellt. Außerdem waren Verbindungsgänge zwischen den Häusern errichtet worden, die in überdachten Bushaltestationen oder direkt bei U-Bahnschächten endeten. Als die ersten Schutzanzüge auf den Markt gekommen waren, hatte es noch Läden und echte Lebensmittel gegeben. Man hatte sich mit Freunden getroffen und sich gegenseitig versichert, dass Regierung und Wissenschaftler einen Weg finden würden, um die Katastrophe abzuwenden.
Doch das hatten sie nicht. Bis heute fiel der Regen beständig vom Himmel. Tag und Nacht. Nach und nach hatte er die Vegetation weltweit zerstört und mit ihr die atembare Luft. Die Weltmeere kippten als letzte. Lebensmittel wurden jetzt nicht mehr geerntet, sondern hergestellt und über soziale oder anderweitige Kontakte wollte er lieber nicht nachdenken.
Er sah auf die Uhr. In fünf Minuten würde das Meeting beginnen. Sollte Chiyo auch diesmal die Distel unerwähnt lassen, war er wohl noch einmal davongekommen.
Er dachte zurück zu dem Tag, an dem er sie zum ersten Mal getroffen hatte. Es war vor dem Regen gewesen.
Man hatte ihn mit seiner Einheit nach Südspanien geschickt, um eine spanische Legion dabei zu unterstützen, die immer gewalttätiger werdenden Proteste der Bevölkerung und den damit verbundenen Raub der Frischwasserreserven zu unterbinden. Grund für die Proteste waren die strengen Versorgungsvorschriften der Weltregierung gewesen. Das, was den Menschen als tägliche Wasserration zugeteilt worden war, hatte kaum zum Überleben gereicht. Doch wo es nichts gab, konnte man auch nichts verteilen. Die letzten Wasservorräte der Region waren von der Sonne schneller verdampft worden, als man dem Meerwasser das Salz hatte entziehen können, und Regen war damals schon seit über einem Jahr nicht mehr gefallen.
Um zu dem von der spanischen Einsatzleiterin vorgeschlagenen Treffpunkt zu gelangen, hatte er die engen Gassen der Stadt durchqueren müssen. Er war an Häusern mit geschlossenen Lamellenfenstern und schmalen Balkonen vorbeigekommen, voller bunter Töpfe in verschiedenen Formen, alle leer. Sie waren ihm wie stumme Demonstranten vorgekommen, die lautlos den Verlust von Pflanzen und Blumen beklagten, denn alles, was nur Zierde war, keinen Nutzen für die Menschen darstellte und zusätzlich Wasser verbrauchte, war schon vor Langem aus dem Leben der Menschen verbannt worden. Die Stadt hatte wie ausgestorben gewirkt. Kein Laut war aus den Häusern gedrungen und niemand war ihm begegnet. Er erinnerte sich daran, dass er für die Menschen gehofft hatte, dass es im Inneren der Wohnungen wenigstens ein paar Grad kühler war als draußen, denn Klimaanlagen waren damals schon fast überall verboten worden. Sie verbrauchte zu viel Strom und die Ventilatoren heizten die Außentemperatur zusätzlich auf. Das Piepsen seines GPS Geräts hatte schließlich das Erreichen des Treffpunkts angezeigt. Und nebenbei auch die Temperatur. Vierzig Grad um sieben Uhr morgens.
»Buenos días, Oberst Duncan. Sie sollten reinkommen, bevor Sie eins mit dem Asphalt werden.«
Eine dunkle, weibliche Stimme hatte ihn aufsehen lassen. Als Erstes war ihm die Frau mit dem atemberaubenden Körper und den rabenschwarzen Haaren aufgefallen und dann, dass sie im Türrahmen einer Bar stand. Überrascht war er ihr in das Lokal gefolgt.
»Lassen Sie uns anfangen, wir sind vollzählig«, brachte ihn die gleiche Stimme in die Wirklichkeit zurück.
Tammes blickte erstaunt auf den Bildschirm. Die Gesichter der neun anderen Mitglieder des Sicherheitsrats sahen ihm entgegen. In seinen Gedanken versunken hatte er nicht bemerkt, dass sich sein Bildschirm eingeschaltet hatte. »Nachlässig!«, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Tammes ignorierte sie und salutierte. Die anderen grüßten ebenfalls und Chiyo ging zur Tagesordnung über.
Damals war sie wesentlich entspannter gewesen.
»Einen Kaffee, Oberst?«, hatte sie gefragt und ihm, bevor er antworten konnte, ein kleines Glas mit einer schwarzen Flüssigkeit in die Hand gedrückt.
»Hier gibt es eine Klimaanlage«, war das Erste, was ihm eingefallen und ungefiltert aus seinem Mund gekommen war.
»Ach, wirklich?«
Sie hatte ihn amüsiert betrachtet, während er den Kaffee verwirrt runtergekippt, sich prompt verbrannt und zu Husten angefangen hatte.
Selbst bei der Erinnerung daran wurde ihm heiß. Sie hatte es von Anfang an verstanden, ihn aus dem Konzept zu bringen.
»Was meinen Sie, Oberst Duncan?«, fragte sie jetzt.
Tammes erstarrte und beglückwünschte sich dann dazu, dass er die Meetings schriftlich aufzeichnen ließ und er somit überfliegen konnte, was in den letzten Minuten geschehen war.
»Ich finde die angedachte Idee mit den Zelten immer noch am besten. Eine andere Möglichkeit, die ersten Tage zu überstehen, sehe ich nicht«, sagte er schließlich. »Wenn wir die militärischen Mannschaftszelte organisieren können, werden wir Platz für alle haben, bis die Siedlungen aufgebaut sind. Einhundert Zelte sollten reichen, der Rest der Siedler kann in den Gleitern schlafen.«
Allgemeines Nicken, nur Generalmajor Hauser schüttelte den Kopf, aber das war zu erwarten gewesen. Er hatte sich ebenfalls um die Position des Staatsoberhaupts auf Heimat II beworben und boykottierte aus Prinzip alles, was Chiyo vorschlug oder für gut befand. Tammes war heilfroh, dass es mit Hausers Wahl nicht geklappt hatte. Er war von der alten Schule. Sein Motto »wir zuerst« stand für alles, was Tammes verabscheute. Eine neue Welt brauchte neue Ideen und auch wenn Chiyo ein Miststück war, war sie nicht festgefahren, sondern offen für Veränderungen.
»Wenn wir einhundert Zelte einladen, können wir von anderen Dingen weniger mitnehmen. Zum Beispiel Menschen«, warf Hauser ein.
»Stimmt«, bestätigte Tammes. »Es werden etwa zehn Siedler weniger mitreisen können, je nachdem, wie wir packen. Aber ohne die Zelte besteht die Gefahr, dass wesentlich mehr auf dem Planeten ums Leben kommen, weil sie keinen Zufluchtsort haben. Der Platz in den Gleitern reicht nicht, damit sich alle mehrere Monate darin aufhalten können und die Zelte sind solide. Sie halten sogar unseren Regen ab. Wir müssen sie nur auftreiben.«
»Ich denke, es wird in den verschiedenen Militärstationen noch einige geben, die eingelagert wurden«, mischte sich Chiyo ein. »Generalmajor, Sie haben ein Händchen für die Kommunikation mit den Befehlshabenden weltweit, daher übernehmen Sie das Verhandeln, während Oberst Duncan sich um die Organisation des Abtransports kümmert. Ich möchte täglich über die Fortschritte unterrichtet werden und erwarte, dass uns Ende nächster Woche die Zelte zur Verfügung stehen.«
»Zu Befehl!« Tammes salutierte und Hauser tat es ihm mit sauertöpfischem Gesicht gleich.
Nachdem Chiyo das Meeting beendet hatte, versuchte Tammes, sich um den aufgelaufenen Schriftkram zu kümmern, doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab.
Chiyo und er waren nach seinem peinlichen Auftritt recht schnell ein Paar geworden, die sexuelle Energie zwischen ihnen hatte wie ein Magnet gewirkt und sie die Finger nicht voneinander lassen können. Doch was als Spiel gedacht gewesen war, hatte sich zu mehr entwickelt. Zumindest für ihn. Was Chiyo betraf, hatte er die Situation vollkommen falsch eingeschätzt. Wie auch jetzt hatte sie sich nicht in die Karten schauen lassen. Eins war allerdings sicher. Auch sie war nachlässiger geworden. Die Chiyo von früher hätte die Distel sofort bemerkt. Seufzend und, was das betraf, dankbar, schob er die Gedanken an sie beiseite und widmete sich endlich seiner Aufgabe.