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2019 • Nebel

Ich lag mit geschlossenen Augen im Bett und stellte mich tot. Es war mit Sicherheit viel zu früh zum Aufstehen, aber die Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirrten, forderten Aufmerksamkeit. Die Uhrzeit war ihnen dabei vollkommen egal.

»Weiterschlafen, weiterschlafen«, suggerierte ich mir lautlos und hielt den Atem an, als vor der Schlafzimmertür kurz darauf Mister Muhs Miauen ertönte. Mein Kater verfügte über ein inneres Radar, bemerkte sofort, dass ich wach war, selbst wenn ich mich nicht bewegte, und forderte Futter. Weiterschlafen fiel somit aus. Ich öffnete vorsichtig die Augen, streckte mich, kuschelte mich aber noch einmal tiefer in mein Federbett. Der Kater nahm mir das übel und wurde lauter. Alter Miesmacher!

Als er anfing, sich zusätzlich unter der Schlafzimmertür durchzugraben, gab ich auf. »Nervbacke, du hast gewonnen!«

Ich stand seufzend auf und ging zum Fenster. Vor der Schlafzimmertür grummelte der Kater weiter vor sich hin. »Man könnte meinen, du bist kurz vorm Verhungern«, antwortete ich ihm. »Du tust so, als hätte ich dich seit Tagen nicht gefüttert, aber glaube mir, du stirbst nicht, wenn du noch ein paar Minuten wartest.«

Das Maunzen des Katers klang jetzt empört, zumindest kam es mir so vor. Ich grinste. Schade, dass ich mit Mister Muh zwar sprechen, aber nichts besprechen konnte. Manchmal fragte ich mich, ob meine Entscheidung, als Single zu leben, die richtige war. Allerdings nur selten, ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt und wenn ich ehrlich war, machte es mir Spaß. Ich zog die dicken, blauen Vorhänge zurück. Wow! Draußen schien die Sonne. Schottland pulsierte zwar zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter vor Energie, aber bei Sonnenschein war es geradezu magisch. Schon bei der ersten Schottlandreise war mir klar gewesen, dass ich das Land irgendwann zu meiner Wahlheimat machen würde. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Eine unerwartete Erbschaft und einer meiner Romane, der zu einem weltweiten Bestseller geworden war, hatten es möglich gemacht. Ich war immer noch weit davon entfernt, reich zu sein, aber für mein weißes, zweistöckiges, mit zwei Schornsteinen bestücktes Cottage hatte es gereicht. Es lag an einem Berg und war etwas vom Dorf entfernt, aber doch in Sichtweite der Nachbarn, was in den Highlands schon fast intime Nähe bedeutete. Was mich aber letztendlich zum Kauf bewogen hatte, war der atemberaubende Blick auf das Loch Leven, das sich direkt vor meiner Haustür befand.

Gedankenverloren betrachtete ich den kleinen, terrassenförmig angelegten Garten, der sich hinter meinem Cottage, an den Fuß des Berges schmiegte. Die bunten Wildblumen leuchteten im Sonnenschein und ich überlegte kurz, ob ich draußen frühstücken sollte. Ein Blick auf das Thermometer ließ mich die Idee verwerfen. Ich schlüpfte in Hausschuhe und Bademantel. Schottland im Sonnenschein hieß nicht, dass es morgens auch warm war. Selbst im Sommer fiel die Nachttemperatur oft bis kurz über den Gefrierpunkt. Trotzdem war das Wetter zu schön, um im Haus zu bleiben. In Schottland leben hieß die Sonne ausnutzen, wann immer sie schien. Ich beschloss, nach dem Frühstück wandern zu gehen. Vielleicht löste sich dabei der Knoten, der mich davon abhielt, das Manuskript zu beenden. In den Highlands unterwegs zu sein, gab mir das Gefühl von Freiheit und Verbundenheit mit der Natur und ich konnte außerdem meinen Gedanken freien Lauf lassen. Inzwischen hatte ich die Umgebung auch so weit erkundet, dass ich mich nicht mehr ständig verlief. Kleine Markierungen an Bäumen, Aussichten auf das Tal und seltsam geformte Steinformationen hatten sich mir eingeprägt und waren zu meinen Wegweisern geworden.

Ich trat aus dem Zimmer und verhinderte dabei mit dem Fuß, dass der Kater im Gegenzug darin verschwand. So sehr ich ihn liebte, Tiere gehörten für mich nicht ins Schlafzimmer. Zumindest keine mit Fell und mehr als zwei Beinen. Ich grinste. Es war schon eine Weile her, seit sich in dieser Hinsicht etwas getan hatte. Vielleicht war es eine gute Idee, mal über das Wochenende nach Edinburgh zu fahren. Mit Sicherheit war die Auswahl an attraktiven Junggesellen dort größer als hier im Dorf.

Ich verschwand, gefolgt von Mister Muh, im Bad, zog mich an und ging anschließend die Treppe hinunter in den Wohnraum. Unter die Treppenstufen hatte ich bei den Renovierungsarbeiten eine amerikanische Küche integrieren lassen. Außer einer L-förmigen Küchenzeile gab es eine Insel mit Unterschränken, Schubladen, der Spüle und einem niedrigen Regalbrett mit dem Napf des Katers. Auf der anderen Seite des Raums befand sich das Wohnzimmer. Mein ganzer Stolz war der Originalkamin aus dem 18. Jahrhundert. Ich ging zur Kücheninsel und Mister Muh folgte mir. Dabei machte er ein Geräusch, das wie eine Mischung aus Miau und Muh klang und ihm zu seinem Namen verholfen hatte.

»Geht los, Kleinster.« Ich nahm seinen Napf, wusch ihn aus und füllte ihn neu. Während der Kater glücklich fraß, deckte ich den rustikalen Holztisch, der mir in einem Möbelhaus in Edinburgh sofort ins Auge gefallen war und ein großes Loch in meine Ersparnisse gerissen hatte. Doch er war jeden Cent wert. Die bequeme Sitzbank mit den dicken Kissen auf der einen Seite des Tisches gehörte zu meinen Lieblingsleseplätzen. Wenn ich Wasserkocher und Tee strategisch günstig auf der Küchenzeile platzierte, konnte ich mir Tee kochen, ohne von der Bank aufstehen zu müssen. Und der »Mudroom«, ein kleiner Raum mit Schuhbank, Heizung und Kleiderhaken, der sich direkt hinter der Eingangstür befand, verhinderte, dass ich im Zug saß. Selbst wenn die Haustür geöffnet wurde, schirmte die mit einem Glaseinsatz versehene Tür des Mudrooms die Kälte ab.

Ich betrachtete die Sonnenstrahlen, die durch die Wohnzimmerfenster fielen, und in denen einige Staubkörnchen tanzten. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal gründlich Staub gewischt? Ich griff zum Lappen und legte ihn gleich wieder zur Seite. Ich musste los, und zwar sofort. Wenn ich erst anfing zu putzen, war die Chance auf einen Spaziergang im Sonnenschein wahrscheinlich vorbei. Als ich das letzte Mal aus dem Fenster gesehen hatte, waren zwar nur vereinzelte Wolken am Himmel gewesen, doch in Schottland wurden aus wenigen Wolken schnell viele. Ich schmiss die Kaffeemaschine an und schmierte mir, während mein Lebenselixier durchlief, ein paar Brote. Als der Kaffee fertig war, goss ich mir etwas in eine Tasse, füllte den Rest in einen Thermobecher und stopfte die Brote in den Rucksack. Mit der Kaffeetasse in der Hand suchte ich eine Flasche Wasser, Handschuhe und ein Midgesnetz und packte sie dazu. Ich sah hinüber zu Mister Muh, der sein Futter inhaliert hatte und mich interessiert beobachtete.

»Ich gehe wandern, Käterchen«, erklärte ich ihm. »Ich bin aber bald wieder da.«

Ich stellte das Geschirr in die Spülmaschine, griff nach Rucksack und Thermobecher und schloss die Tür des Mudrooms hinter mir. Hier stieg ich in die Wanderstiefel, knotete mir die Jacke um die Hüften und verließ, mit einem breiten Sonnenhut in der einen und dem Thermobecher in der anderen Hand, das Haus. Die Luft war angenehm und roch nach feuchter Erde, Blumen und Schafen. Auf dem Grundstück neben meinem befand sich eine Schaffarm. Das dazugehörende Land war riesig und die Tiere kamen nur selten in die Nähe meines Gartenzauns, aber je nachdem, wie der Wind stand, roch man ihre Anwesenheit. Doch Schafe gehörten ebenso zu Schottland wie Regen. Ich trank einen Schluck Kaffee und verbrannte mir prompt die Lippen. Wann würde ich es lernen, dass die Getränke in einem Thermobecher mit der Zeit nicht kühler wurden? Deshalb nahm man das Ding ja schließlich. Leise fluchend durchquerte ich den Vorgarten und blieb erneut stehen. Loch Leven sah heute wieder aus wie ein Spiegel. Die dahinter aufragenden Berge hoben sich grün vom blauen Sommerhimmel ab und waren gleichzeitig deutlich auf der Wasseroberfläche zu sehen. Die Welt in der Welt.

Ich schloss das Gartentor hinter mir und bog nach rechts ab. Der Wanderweg zum Stausee begann nur ein paar Meter unterhalb des Grundstücks. Die Sonnenstrahlen zauberten goldene Flecken auf das allgegenwärtige Farnkraut und sprenkelten den Waldweg vor mir, der stetig nach oben führte. Ich folgte ihm langsam, trank dabei wesentlich vorsichtiger, aber nicht weniger genüsslich, meinen Kaffee und lauschte dem Gezwitscher der Vögel. Während des Aufstiegs kam ich an einer halbverfallenen, moosbewachsenen Steinmauer vorbei, hinter der die Reste eines Cottages standen. Disteln und Farnkraut wuchsen in dem, was einst der Vorgarten gewesen war. Ich blieb stehen und strich über das samtige Moos der Steine. Jedes Mal, wenn ich hier vorbeikam, hatte ich das Gefühl, als wolle das Anwesen mich auf die Vergänglichkeit von allem hinweisen. Meine Protagonisten schien es heute allerdings zu ganz anderen Dingen zu animieren. Schnell holte ich mein Notizbuch aus dem Rucksack und notierte, was mir durch den Kopf ging. In Gedanken versunken wanderte ich anschließend weiter und bemerkte erst, dass ich mich verlaufen hatte, als ich unvermittelt vor einem gerodeten Waldstück stand. Ein schmaler Wanderweg wand sich links von mir den grünen, mit Heidekraut bewachsenen Berg hinauf, während ein Forstweg rechts durch gefällte Bäume und Baumstümpfe erst nach oben und dann nach unten führte. Die Holzgewinnungsarbeiten hatten vor ein paar Tagen begonnen und dass ich ihre Auswirkungen betrachten konnte, bedeutete, dass ich zu weit gegangen war. Zögernd sah ich mich um und kratzte mich an der Hand. Verflixt, Midges. Hastig holte ich das Netz aus dem Rucksack, zog es über den Hut und schlüpfte in Jacke und Handschuhe. Auf diesen Teil der schottischen Natur hätte ich gut verzichten können. Die Midges, winzige Mücken, jagten in Schwärmen. Sie stachen nicht, sondern bissen, und wenn man auf sie allergisch reagierte, wie ich, dann sah man nach einem Tag in den Highlands aus, als hätte man die Beulenpest. Nachdem ich mich vor den kleinen Biestern geschützt hatte, betrachtete ich den Berg vor mir. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder folgte ich dem Wanderweg nach links und stieß irgendwann hoffentlich wieder auf den ursprünglichen Pfad oder ich ging auf Nummer sicher, kehrte um und suchte die Abzweigung, die ich im Wald übersehen hatte.

Leise schimpfend entschied ich mich für die zweite Möglichkeit, gelangte eine halbe Stunde später an die richtige Kreuzung und folgte dem Weg nach oben. Obwohl ich langsam ging, war ich völlig außer Atem, als ich endlich am Stausee ankam. Ich stützte die Hände auf die Oberschenkel, holte mehrfach Luft und beobachtete die Schafe und Lämmer, die wie fast überall in den Highlands frei herumliefen. Mein Blick fiel auf die weißen, flauschigen Enden des Wollgrases, die ich früher für Schafwolle gehalten hatte, und dann auf den Stausee. Ich fröstelte. Im Gegensatz zu den Lochs, wirkte er auf mich bedrohlich. Das Wasser war schwarz, tief und hatte eine vorher lebende Welt unter sich begraben. Es fiel mir nicht schwer, mir vorzustellen, wie etwas Schleimiges aus den Tiefen emporstieg, um aus dem Wasser zu kriechen und ...

»Mähhh«, machte es hinter mir. Ich schrie vor Schreck auf und fuhr herum.

Ein Schaf sah mich aus schwarzen Augen fragend an, während sein Lamm sich ängstlich hinter ihm versteckte.

Ich lachte zitternd. »Frag nicht, Autorengedanken«, erklärte ich dem Tier, das nun, gefolgt von seinem Nachwuchs, weiterlief. Ich sah den beiden hinterher. Über dem Berg vor mir hingen dicke Wolken. Eigentlich hatte ich geplant, noch ein Stück weiterzugehen und dann ein Picknick zu machen doch es war wohl besser, umzukehren. Mein Magen knurrte protestierend. Nur Kaffee war ihm entschieden zu wenig. Ich öffnete meinen Rucksack, schlug genervt nach den Midges, die mich umschwärmten, wobei ich mir durchaus bewusst war, dass ich damit nichts ausrichtete, und holte ein Butterbrot heraus. Blitzschnell, bevor die Midges davon Wind bekamen, schob ich Hand und Brot unter das Netz. Nach dem ich meinen Magen versöhnlich gestimmt hatte, machte ich mich auf den Rückweg.

Je weiter ich mich dem Tal näherte, desto schlechter wurde das Wetter. Als ich den Wald erreichte, krochen bereits Nebelschwaden durch die Bäume.

»So ein Mist!« Ich musste über diese unbewusst mehrdeutige Wortwahl grinsen, wurde aber schnell wieder ernst, starrte auf den Nebel, der zwischen den Bäumen hing, und zog die Schultern hoch. Alle Geräusche waren verstummt und ich schien alleine in einer fremden Welt zu sein. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Das sah nicht gut aus und es kam mir so vor, als würde der Nebel in Sekundenschnelle dichter. Vorsichtig ging ich weiter, aber ohne den Blick ins Tal war ich völlig aufgeschmissen und kam nur im Schneckentempo voran. Nervös versuchte ich, etwas zu erkennen, doch die Bäume, die aus dem Nebel ragten, sahen alle gleich aus. Mit klopfendem Herzen gestand ich mir ein, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich mich befand. Wieder blieb ich stehen. Falls ich mich für den falschen Weg entschied, lief ich nicht nur Gefahr, mich zu verlaufen, sondern auch abzustürzen. Ich konnte natürlich hierbleiben und warten, bis der Nebel sich verzogen hatte, aber was, wenn er sich nicht auflöste? Wenn es dunkel wurde, während ich darauf wartete? Dass ich den Weg dann fand, war ebenso ausgeschlossen. Zudem wurde es nachts in den Highlands empfindlich kalt. Es ließ sich nicht daran rütteln, ich steckte fest. Frustriert trat ich einen Stein aus dem Weg.

»Autsch!«, ertönte es irgendwo vor mir.

Ich zuckte zusammen, das Blut rauschte in meinen Ohren und mein Herz klopfte wie wild. Angestrengt starrte ich in den Nebel und machte erschrocken ein paar Schritte rückwärts, als nur einen Augenblick später eine Gestalt daraus auftauchte. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, einen Geist zu sehen, denn es war ein Mann in Highland Tracht. Er trug einen Kilt und ein weißes Jakobiten Hemd. Verblüfft betrachtete ich ihn genauer. Der Mann war groß, dunkelhaarig, äußerst attraktiv, hatte einen Dreitagebart und rieb sich den Arm. Wäre er mit einem Schwert ausgestattet gewesen, hätte ich an die Möglichkeit von Zeitreisen geglaubt.

»Sie hätten auch rufen können«, sagte er jetzt statt einer Begrüßung und der Zauber verflog. »Steine schmeißen ist ein bisschen infantil, finden Sie nicht?« Seine Stimme klang genervt.

Ich starrte ihn mit immer noch rasendem Herzen an. Das war eindeutig kein Geist und nach der teuren Armbanduhr zu urteilen, die er trug und die mir erst jetzt auffiel, auch kein Zeitreisender aus der Zeit der Jakobitenaufstände. Somit stellte sich die Frage, wieso er bei solch einem Wetter unterwegs war und was er von mir wollte.

»Ich habe ihn nicht geschmissen, sondern getreten«, stellte ich klar, um überhaupt etwas zu sagen.

»Schon mal über eine Fußballkarriere nachgedacht?«, erkundigte sich Mr Schottland und trat einen Schritt näher.

»Bis jetzt nicht, aber danke für den Tipp.« Ich achtete darauf, den Abstand zwischen mir und ihm aufrechtzuhalten, während ich mich gleichzeitig nach einer Waffe umsah. Nur für den Fall der Fälle.

»Was genau machen Sie hier oben?«, wollte mein Gegenüber wissen. Sein Blick glitt über das Midgesnetz und die Handschuhe, die ich trug, und blieb an meinen Wanderschuhen hängen.

Was für eine blöde Frage! »Ich übe Rückenschwimmen«, erklärte ich ihm freundlich. »Ohne Wasser fällt es leichter.«

Der Fremde grinste und zeigte dabei eine Reihe weißer, gepflegter Zähne. »Ich gebe zu, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen. Sie sehen eher aus wie eine wildgewordene Imkerin auf der Suche nach einem verlorenen Schwarm. Ich bin übrigens Hamish MacGregor.«

»Sophie Meinhardt«, stellte ich mich vor und trat unauffällig einen Schritt näher an den Stein heran, den ich als Waffe auserkoren hatte. »Und wenn ich das Netz nicht benutze, fressen mich die Midges bei lebendigem Leib. Sie scheinen es auf mich abgesehen zu haben«, fügte ich hinzu und hätte ihm den Stein schon wegen der dusseligen Bemerkung gerne auf den Kopf gehauen. Als wenn ich nicht selbst wüsste, wie dämlich ich mit dem Netz aussah.

»Die Biester stehen auf Nichtschotten«, erklärte Hamish. »Sie haben süßeres Blut als wir.« Er sah mich prüfend an. »Sie sind die Schriftstellerin, die das Heather Hill Cottage gekauft hat«, stellte er fest.

»Und Sie im Vorteil, weil Sie wissen, wer ich bin, ich aber keine Ahnung habe, wer Sie sind«, gab ich zurück, machte einen weiteren Schritt und stand nun genau neben dem Stein.

Hamish sah mich ungläubig an. »Erstaunlich, dass mein Name keine Glocke zum Läuten bringt. Sonst weiß gleich jeder, wer ich bin. Ich wäre Ihnen übrigens dankbar, wenn Sie mich nicht mit dem Stein erschlügen, den Sie die ganze Zeit anvisieren.« Er schüttelte den Kopf und betrachtete mich mit hochgezogener Augenbraue. »Ihre Fixierung auf Gestein sollten Sie beizeiten untersuchen lassen. Bevor etwas Ernstes daraus wird.« Er reichte mir die Hand. »Kommen Sie, wir machen uns auf den Weg. Es gibt gemütlichere Orte als die Highlands im Nebel.«

Irritiert sah ich ihn an. Was bildete sich der Kerl ein? So umwerfend war er nun auch wieder nicht!

Seufzend ließ Hamish die Hand sinken. »Das kam wohl falsch rüber. Meinen Eltern gehört das Castle Hotel und wir sollten uns auf den Rückweg machen, bevor wir gar nichts mehr sehen. Da ich kein Seil dabeihabe und Sie nicht verlieren möchte, hilft nur Händchenhalten. Ohne jegliche romantische Bedeutung«, erklärte er mir geduldig.

Ich wurde rot. Natürlich, MacGregor. Er hatte recht, der Name hätte mir etwas sagen sollen. Schon allein, weil MacGregor senior vor Kurzem gestorben war. Das war also Hamish, sein Sohn, der nach Hause gekommen war, um das Hotel zu führen. Obwohl ich selten im Dorf war, hatte ich einiges über ihn aufgeschnappt. Das, was über seine Attraktivität gesagt wurde, stimmte. Hamish MacGregor war einen Kopf größer als ich und seine vollen, dunklen Haare sahen aus, als hätte er sie vor Kurzem gerauft, was ihm ein jungenhaftes Aussehen verlieh. Unter dem weißen Hemd zeichneten sich breite Schultern ab und in dem Kilt sah er einfach nur heiß aus. Ich fragte mich gerade, was er darunter trug, als er meine Gedanken unterbrach.

»Fertig mit der Musterung?«

Ich zuckte ertappt zusammen. »Fast. Mir fehlen nur noch die Schuhe.«

»Frauen und Schuhe!« Er verdrehte die Augen. »Wir sollten los.« Erneut streckte er mir die Hand entgegen.

Ich überlegte. Attraktiv oder nicht, jeder konnte behaupten, Hamish MacGregor zu sein. Auf der anderen Seite: Wenn er mir etwas tun wollte, hätte er es schon getan. Außerdem hatte ich keine Wahl. Ich reichte ihm die Hand und bekam einen Schlag.

»Statische Entladung«, sagte Hamish, aber sein Blick ruhte nachdenklich auf mir.

»Was sonst?«, erwiderte ich, doch mein Herz klopfte wie verrückt.

»Wahrscheinlich sind Sie der Grund. Ich sehe zwar nur einen Teil Ihres Haars, aber der sieht aus, als hätten Sie in eine Steckdose gefasst«, verkündete Hamish und setzte sich in Bewegung.

Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Seine Hand war warm und gab mir Halt. Trotzdem hätte er sich den blöden Spruch über meine Haare sparen können.

»Da Sie scheinbar Spaß daran haben, mein Aussehen zu beleidigen, sollten wir uns vielleicht duzen, dann wird es persönlicher.« Die Worte waren heraus, bevor ich es verhindern konnte. Verdammt, was war los mit mir? Das hatte ja geklungen, als wäre ich verletzt.

Hamish warf mir einen kurzen Seitenblick zu. »Ich wollte Sie nicht verletzen«, sagte er. »Ich habe nur das Offensichtliche kommentiert.«

»Ist klar. Lange nicht mehr mit einer Frau unterhalten, oder?« Ich sah ihn an, stolperte über eine Wurzel und verlor das Gleichgewicht. Ehe ich wusste, wie mir geschah, lag ich in seinen Armen. Ein angenehmer, männlicher Duft umfing mich, ich spürte seine Muskeln unter dem Hemd und mein Mund wurde trocken.

»Gut, dass ihr Hut rund ist, sonst hätte ich jetzt ein Auge weniger«, bemerkte er und stellte mich wieder auf die Füße.

Ich bedachte ihn mit einem bösen Blick.

»Was machen Sie eigentlich hier oben?«, erkundigte ich mich und nahm wieder seine Hand. Diesmal flogen keine Funken und obwohl es albern war, war ich ein bisschen enttäuscht. Schnell sprach ich weiter. »Ich meine, im Gegensatz zu mir müssen Sie doch schon bei miesem Wetter losgegangen sein.«

»Stimmt«, sagte er und setzte den Weg fort. »Doch im Gegensatz zu Ihnen kenne ich mich hier auch bei Nebel aus.«

»Dann erzählen Sie es mir halt nicht. Schönes Wetter heute, oder?«

Hamish schnaubte nur.

Schweigend gingen wir weiter. Nach einer Weile wusste sogar ich, wo ich mich befand, ließ seine Hand aber nicht los. Er war attraktiv, roch gut und die Wortgefechte mit ihm machten mir Spaß. Außerdem peppte er die Junggesellenauswahl des Dorfes deutlich auf. Ich überlegte gerade, wie ich ihn zu einem weiteren Treffen überreden konnte, als er das Schweigen brach.

»Ich verabschiede mich hier. Folgen Sie dem Weg. Er führt bis zu Ihrem Cottage.«

»Danke«, sagte ich und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Und was machen Sie? Schlagen Sie sich seitlich in die Büsche?«

Er verdrehte die Augen. »Sie haben den Orientierungssinn eines Brötchens. Ein paar hundert Meter weiter rechts befinden sich der öffentliche Parkplatz und mein Wagen. Mal im Ernst: Was halten Sie davon, wenn ich Sie bei Ihren nächsten Wanderungen begleite? Nur so lange, bis Sie sich besser auskennen?« Sein Blick ließ mich nicht los, ebenso wenig wie seine Hand.

Mein Pulsschlag beschleunigte sich. Läuft!

»Mein Orientierungssinn ist hervorragend und wenn nicht gerade Nebel herrscht, kenne ich mich auch aus«, hörte ich mich sagen und biss mir auf die Zunge. Was tat ich da? Er hatte mich wiedersehen wollen. Ich unterdrückte ein Stöhnen. Zumindest hielt er immer noch meine Hand.

Hamish seufzte. »Es mag Sie überraschen, aber es gibt noch andere Wanderwege, als den zum Stausee. Ich könnte sie Ihnen zeigen. Abwechslung macht das Leben interessant.«

Ich atmete erleichtert auf und unterdrückte ein Lächeln. Abwechslung, so, so.

»Wie könnte ich jemandem widerstehen, der mich so konsequent beleidigt?«, willigte ich ein. »Wann passt es Ihnen?«

Hamish grinste. »Ich bin Mittwochmorgen um sieben bei dir.« Er ließ meine Hand los.

»Morgens?«, fragte ich entsetzt, doch er hatte sich bereits umgedreht und marschierte davon.

Highland Love

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