Читать книгу Highland Love - Jessie Coe - Страница 13
Оглавление2019 • Das Spiel
Am nächsten Morgen wurde ich vom Läuten des Telefons geweckt. Verschlafen tastete ich nach dem Hörer und nahm ab.
»Ja?«
»Guten Morgen, meine Liebe«, ertönte die Stimme meiner Freundin Melanie. »Ich wollte dir nur mitteilen, dass du hiermit zu einer Silvester-Einweihungsparty eingeladen bist. Wir haben die Renovierung des Hauses beendet.«
Mit einem Schlag war ich hellwach. »Herzlichen Glückwunsch, Mel, das ist ja großartig!« Ich setzte mich auf. »Au!«, entfuhr es mir überrascht. Dann musste ich grinsen. Ich hatte doch tatsächlich Muskelkater. Diesmal an den richtigen Stellen.
»Bist du aus dem Bett gefallen?«, erkundigte sich Mel.
Ich zog die Decke höher. Da ich grundsätzlich ohne Heizung schlief, herrschte im Schlafzimmer fast die gleiche Temperatur wie draußen.
»Nein«, beantwortete ich ihre Frage. »Ich habe nur Muskelkater. Lange Geschichte, aber jetzt bist du erst einmal dran. Wie kommt das so plötzlich?«
»Stefan hat dem Innenarchitekten mit einer Klage gedroht und der hat Gas gegeben«, sagte Mel. »Ich soll dich übrigens von meinem Göttergatten grüßen und dir sagen, nur die zweite Eiszeit wäre ein Grund, nicht zu kommen.«
Ich lachte auf. »Lieben Gruß zurück. Wer kommt denn noch?«
»Muttern, Ava und Kirsten von meiner Seite, Stefans Eltern und sein Bruder Jens (an dieser Stelle verdrehte ich die Augen. Mel versuchte seit Jahren, mich mit ihrem Schwager zu verkuppeln), und ein paar Freunde«, zählte Mel auf. Sie wechselte das Thema, bevor ich etwas erwidern konnte. »Wie ist das Wetter bei euch?«
»Gute Frage. Warte mal.« Ich rutschte aus dem Bett und öffnete auf dem Weg zum Fenster auch gleich die Schlafzimmertür, vor der Mister Muh schon seit einer Weile maunzend Wache schob. Während der Kater ins Zimmer stolzierte, zog ich die Gardinen auf.
»Schottisch. Es regnet und der Wind ist nicht von schlechten Eltern. Das Thermometer zeigt zwei Grad und es liegt Schnee auf den Gipfeln.«
»Womit ich gewonnen habe«, sagte Mel. »Hier ist es sonnig und fünf Grad warm. Vermisst du die Sonne nicht?«
Ich verdrehte die Augen und kletterte wieder ins Bett. Mister Muh nahm das zum Anlass, das Gleiche zu tun, und ausnahmsweise ließ ich es zu. »Nur selten und wenn, dann fliege ich dorthin, wo sie scheint, so wie in diesem Frühjahr.«
»Wie du ausgerechnet nach Schottland ziehen konntest, wird mir immer ein Rätsel bleiben«, sagte Mel.
»Ich versuche, es dir zu erklären, wenn du magst«, schlug ich vor.
»Dann leg mal los.«
Ich konnte das Lächeln in Mels Stimme hören.
»Schottland ist magisch, kraftvoll, romantisch und alt. Es scheint, als hätten alle Zeiten des Universums hier ihren Platz«, begann ich. »In manchen Teilen von Edinburgh und in den Burgen und Schlössern scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Die Highlands und Lochs sind alterslos, sie gehören der Ewigkeit und die modernen Gebäude in Städten wie Glasgow und Aberdeen verbinden das Land mit dem Hier und Jetzt. Und dann die schottische Landschaft selbst. Sie hat so viele Gesichter. Manche sind zart, wie von Elfen gemalt, andere grob und hart, wie Steine, von Trollen geworfen, aber immer berühren sie meine Seele, geben mir Kraft und Energie. Unglaublich sind auch die Farben hier! Im Sommer leuchten die Highlands in allen vorstellbaren Grüntönen, während die Lochs wie dunkle Spiegel daliegen und die Schönheit der Natur zu verdoppeln scheinen, denn schaut man auf die Wasseroberfläche, sieht man alles erneut. Still und mystisch, die Tiefen des Wassers verbergend. Ende des Sommers, zum September hin, wechseln die Farben. Von weitem scheinen die Highlands braun zu sein, doch wenn man näherkommt, sieht man, dass das ein Irrtum ist. Kilometerweit zieht sich lilafarbenes Heidekraut durch die Landschaft, die Berge hinauf, trotzt dem Wind und den kalten Nächten. Das fast allgegenwärtige Farnkraut hat die ersten, rotbraunen Wedel und die Blätter der Bäume beginnen sich ebenfalls zu verfärben, um die Natur dann zum Oktober hin zu einem unglaublichen Farbspiel aller Rot-, Gelb- und Brauntöne zu verführen, gerahmt durch das Weiß des ersten Schnees auf den Gipfeln.«
»Erzählen konntest du schon immer«, sagte Mel trocken. »Aber trotzdem mag ich den Gedanken an den ewigen Regen nicht. Den hast du nämlich nicht erwähnt.«
»Der ist hier so selbstverständlich, dass er nicht erwähnt werden muss«, erklärte ich lachend.
»Genau deshalb verstehe ich es nicht«, meinte Mel. »Verrätst du mir jetzt, warum du Muskelkater hast?«
Ich grinste. Mir war klar gewesen, dass Mel nachhaken würde.
»Du erinnerst dich an Hamish, meinen sexy Wanderpartner?«, erkundigte ich mich. »Er hat gestern endlich den Schritt gewagt.«
»Ach echt? Das ist ja ein Ding!«, sagte Mel. »Und, war es so gut, wie du es dir vorgestellt hattest?«
»Besser. Was glaubst du, warum ich Muskelkater habe?!«
Mel kicherte. »Ich freue mich für dich, Jens wird allerdings enttäuscht sein.«
»Ich freue mich auch und Jens ist seit Jahren enttäuscht. Er kennt das Gefühl.« Ich streckte mich. »Ich werde gleich mal nach Silvesterflügen schauen. Ich sag dir Bescheid, wenn ich welche gefunden habe.«
»Mach das, ich würde mich riesig freuen, wenn du Silvester dabei wärst«, sagte Mel.
»Damit kannst du fest rechnen!«, versprach ich. »Außerdem ist keine Eiszeit angesagt. Wir haben nicht einmal Schnee.«
Mel lachte. »Ava freut sich bestimmt auch 'nen Wolf. Ihr habt euch lange nicht gesehen.«
»Stimmt«, sagte ich. »Grüß sie und sag ihr, dass ich Alka-Seltzer mitbringe.«
»Mir schwant Furchtbares.« Mel stöhnte theatralisch. »Und nun verabschiede ich mich. Stefan schreit um Hilfe. Ich glaube, er hat irgendwas fallen lassen.«
Nachdem Mel aufgelegt hatte, nahm ich Mister Muh auf den Arm, der sofort sein Köpfchen an meine linke Schulter bettete. Er begann so zu schnurren, dass das ganze Tierchen vibrierte.
»Na, Kleinster, ich hatte gestern wenig Zeit für dich, nicht wahr?« Ich vergrub mein Gesicht in seinem Fell. »Es tut mir echt leid, aber es könnte sein, dass du mich von jetzt an des Öfteren mit Hamish teilen musst.«
Ich trug den Kater die Treppen hinunter, gab ihm zu fressen, ging dann wieder nach oben ins Bad und unter die Dusche. Silvester war Party angesagt und ich hatte Muskelkater vom Sex. Es könnte schlechter laufen. Als ich mich abtrocknete, fiel mein Blick auf meine Füße. Die Nägel mussten dringend geschnitten werden. Ich griff zur Nagelschere und überlegte, warum so etwas nie in Büchern vorkam. Waren die alltäglichen Dinge zu profan? Ich musste über mich selbst lachen. Als wenn es jemanden interessieren würde, dass sich die Protagonistin die Nägel kürzte. Was für ein schräger Einfall. Mit einem Fläschchen tiefrotem Nagellack machte ich mich ein paar Minuten später wieder auf den Weg nach unten.
Nach dem Frühstück wechselte ich vom Küchentisch zum Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. In meinem Kopf herrschte immer noch gähnende Leere. Vielleicht sollte ich es mit schottischen Sagen versuchen. Angeblich entführten die Feen Menschen in eine andere Welt, die Ander- oder Anderswelt. Um überhaupt etwas zu tun, tippte ich Anderswelt in die Suchmaschine. Nach einer guten halben Stunde hatte ich alles herausgefunden, was ich darüber wissen musste. Alle Seiten beschrieben mehr oder weniger das Gleiche: Menschen wurden entführt und verbrachten mehrere Monate in einer Parallelwelt, aber wenn sie auf die Erde zurückkehrten (und hier konnte man wenn mit falls gleichsetzen, denn nicht jeder kehrte zurück), waren nur wenige Minuten vergangen, obwohl sich die betreffenden Personen äußerlich verändert hatten. Für mich klang das sehr nach Zeitreisen.
»Ich weiß ja nicht«, sagte ich zu Mister Muh, der wie immer in meiner Nähe lag und döste. Er hob den Kopf und sah mich an.
»Kleinster, das wäre zwar ein Aufhänger für die Geschichte, aber das ist echt nicht mehr neu. Was meinst du?«
Der Kater gähnte und ich nickte.
»Ja, du hast recht, besonders spannend ist es nicht.«
Ich bückte mich, strich ihm über den Kopf und einen Wimpernschlag später zuckten wir beide zusammen. Die Lampe neben dem Computer flackerte, über den Bildschirm liefen Wellen, ein elektrisches Sirren ertönte und Mister Muh verschwand unter die Couch. Erschrocken sah ich vom Computer zur Lampe. Es konnte sich nur um eine Spannungsschwankung handeln, denn die Kabel im Cottage waren alle neu verlegt und geprüft worden. Trotzdem rückte ich ein Stück vom Schreibtisch weg. Gerade als ich beschloss, den Strom abzudrehen, hörte das Flackern auf, mein Bildschirm sah aus wie immer und das nervenzerreißende Sirren verstummte. Dafür fuhr draußen ein greller Blitz über den Himmel. Ich zählte leise und wartete auf den Donner, der aber nicht kam. Wetterleuchten im Winter. Merkwürdig.
»Alles gut, Mister Muh«, sagte ich, ging hinüber zur Couch und kniete mich davor. »Du kannst wieder rauskommen. Hier flackert nichts mehr und ein Gewitter scheint es auch nicht zu geben.«
Der Kater starrte mich mit großen Augen an und machte keine Anstalten, seinen Fluchtort zu verlassen. Seufzend erhob ich mich und ging zurück zum Schreibtisch. Im gleichen Moment ertönte im oberen Stockwerk ein leises Klappern, gefolgt von einem dumpfen Schlag.
»Habe ich die Schlafzimmertür nicht zugemacht?«, fragte ich den Kater verwirrt, der gerade die Nase unter dem Sofa hervorgestreckt hatte und nun wieder darunter verschwand. Ich erhob mich und stieg die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf. Im Flur sah ich mich um. Die Türen zum Schlafzimmer und Bad waren geschlossen, trotzdem warf ich einen kurzen Blick in beide, entdeckte aber nichts Außergewöhnliches. Die Tür des Gästezimmers stand einen Spaltbreit offen. Ich trat hinein, aber auch hier war alles an seinem Platz.
Über mir polterte es erneut. Der Dachboden!
Die Dachluke kam mir in den Sinn. Hatte der Wind sie geöffnet, weil ich den Riegel nicht richtig geschlossen hatte? Unbehaglich blickte ich nach oben. Auf dem Dachboden befanden sich all die Sachen, die ich momentan nicht benutzte oder allgemein nur selten brauchte. Außerdem gab es dort noch eine uralte, verschlossene Truhe, die von den Vorbesitzern stammte. Bis jetzt hatte ich mich nicht getraut, sie zu öffnen, denn ich vermutete, dass sich so manches mehrbeinige Getier darin häuslich eingerichtet hatte. Da auf dem Dachboden genügend Platz war, ignorierte ich das verstaubte, mit Spinnweben behangene Relikt aus früheren Zeiten geflissentlich. Das Getier, und allen voran die Spinnen, war auch der Grund, warum ich nicht gerne nach oben stieg. Gegen die kleineren Vertreter der Achtbeiner hatte ich nichts, aber auf dem Dachboden schmissen Riesenspinnen ab und an eine Party. Selbst Mister Muh ging ihnen lieber aus dem Weg.
Ich seufzte und holte den Stock mit dem Haken, den ich benötigte, um die Einschubtreppe nach unten zu befördern. Als ich damit unter der Klappe stand, kam mir kurz in den Sinn, Hamish später zu bitten, nach dem Rechten zu sehen, doch ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Ich hatte mein Leben bis jetzt alleine gemeistert und nur, weil ich dreimal guten Sex gehabt hatte, würde sich daran nichts ändern.
Okay, hervorragenden Sex. Unglaublichen Sex.
Ich grinste, schob den Haken in den Ring an der Klappe, und zog die Treppe vorsichtig zu mir herunter.
Die Kälte, die mir aus dem Dachboden entgegenschlug, war nicht annähernd so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Ob die Luke vielleicht gar nicht offen war? Es half nichts, ich musste nachsehen. Bei dem heutigen Wetter stand sonst schnell der gesamte Dachboden unter Wasser. Wenigstens funktionierte das Licht. Es schaltete sich automatisch ein, sobald sich die Klappe öffnete. Inzwischen hatte sich Mister Muh zu mir gesellt und schaute gespannt nach oben. Zumindest war es kein Tier gewesen, das etwas umgeworfen hatte, ansonsten wäre der Kater bereits auf der Leiter. Vorsichtig stieg ich die Stufen hinauf und griff, oben angekommen, nach dem Geländer, das ich neben der Bodenöffnung hatte errichten lassen. Aus dem Alter, mit den Knien zuerst auf den Dachboden zu krabbeln, war ich raus.
Oben schien alles wie immer zu sein. Ich warf einen prüfenden Blick in die Runde, bereit sofort den Rückzug anzutreten und die Klappe zu schließen, sollte ich eine große Spinne entdecken, doch zu meiner immensen Erleichterung war das nicht der Fall. Aufmerksam ging ich hinüber zur Dachluke, wobei ich Koffer umrundete und einen Sicherheitsabstand zu den momentan leeren Kisten hielt, in denen sich sonst die Weihnachtsdekoration befand. Wer wusste, was sich jetzt darin aufhielt. Bei der Dachluke angekommen bemerkte ich zwei Dinge gleichzeitig. Die Luke war geschlossen, aber die uralte Truhe stand sperrangelweit offen. Der Schlag, den Mister Muh und ich unten im Wohnzimmer gehört hatten, musste von dem Deckel verursacht worden sein, als dieser gegen die Wand des Dachbodens geknallt war. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Wie konnte das sein? Die Truhe war mit einem Riegel verschlossen gewesen, den ich nie bewegt hatte. Unsicher trat ich näher, bereit, sofort zurückzuspringen, sollte sich das befürchtete Krabbelgetier darin befinden und warf einen Blick hinein. Die Truhe war bis auf einen alten Zettel leer. Ich bückte mich, nahm ihn heraus und faltete ihn mit äußerster Vorsicht auseinander, um das bröckelige Papier nicht zu zerstören.
»Das Spiel der Reisenden, Die-Reisenden-starten.net«, entzifferte ich mühsam und zuckte zusammen. Die Reisenden, das war doch kein Zufall! Außerdem, der Zettel war mindestens so alt wie die Truhe. Wie konnte darauf ein Web Link stehen? Und wieso stand die Truhe plötzlich offen? Mit klopfendem Herzen sah ich mich um, doch auf dem Dachboden war nichts außer meinen Sachen. Ich faltete den Zettel und betrachtete die Truhe näher. Der Klappverschluss war total verrostet und zerbrochen. Wahrscheinlich war der Deckel deshalb hochgeklappt. Doch das erklärte weder den Link noch das Auftauchen `der Reisenden´ außerhalb des Nets. Den Zettel vor mich haltend machte ich mich auf den Rückweg. Auf halber Strecke kam mir Mister Muh entgegen, der sich entschieden hatte, den Dachboden in Augenschein zu nehmen.
»Na, Katerchen, meinst du, du kommst die Stufen diesmal alleine wieder runter?«, fragte ich und schob ihn zur Leiter. Mister Muh maunzte und bremste kurz davor ab.
»Habe ich es doch geahnt. Ich bringe den Zettel nach unten und dann hole ich dich ab.« Mister Muh maunzte und verschwand wieder in den Tiefen des Dachbodens.
»Mach keinen Blödsinn da oben!«, befahl ich und stieg die Leiter hinunter. Ich ging nach unten ins Wohnzimmer, zog eine Plastikhülle aus der Schublade des Schreibtisches und schob den auseinandergefalteten Zettel vorsichtig hinein. Dann legte ich die Hülle auf die Tischplatte und kehrte auf den Dachboden zurück. Mister Muh war verschwunden, verriet sich aber durch Geraschel. Ich ging hinüber zu den Kisten mit der Gartendekoration und zog den Kater unter den Auflagen für die Gartenstühle hervor, wobei mich eine Gänsehaut nach der anderen überlief, da meine Fantasie mir ganz böse Filme vorspielte, in denen dicke Spinnen mir die Arme hinaufkrochen. Nachdem ich Mister Muh von Spinnweben und Staubflusen befreit hatte, stieg ich mit dem zappelnden Fellknäuel auf dem Arm die Treppe hinunter. Unten angekommen schloss ich die Klappe und verhinderte damit, dass der Kater, der die erste Stufe bereits angepeilt hatte, wieder nach oben kletterte.
»Vergiss es, Kleinster. Das Dachbodenabenteuer ist für heute beendet. Ich mache mir jetzt einen Tee.« Ich kehrte in den Wohnraum zurück und Mister Muh folgte mir auf dem Fuße. Während ich darauf wartete, dass mein geliebter, altmodischer Wasserkessel anfing zu pfeifen, betrachtete ich die Lampe neben dem Computer nachdenklich. Die Birne brannte, als wäre nichts geschehen. Wahrscheinlich war es trotzdem besser, eine neue zu kaufen. Ich nahm einen Zettel vom Stapel mit dem Schmierpapier, der sich auf der Küchenzeile befand, notierte `Birne für Lampe neben PC´ und nahm den inzwischen pfeifenden Kessel vom Herd. Erst als ich meinen Tee überbrühte, fiel mir ein, dass ich nicht herausgefunden hatte, wodurch das Klappern verursacht worden war, das ich kurz vor dem Poltern zu hören geglaubt hatte. Nachdenklich sah ich zur Decke, zuckte dann mit den Schultern, nahm den Tee mit zum Schreibtisch, griff nach der Plastikhülle mit meinem Fund und betrachtete den merkwürdigen Zettel genauer.
Dem Aussehen nach zu urteilen war er uralt. Er schien aus einer Zeit zu stammen, in der es kein Internet gegeben hatte und trotzdem stand ein Web Link darauf. Warum? Alles, was in der letzten halben Stunde geschehen war, ergab überhaupt keinen Sinn. Ich drehte und wendete den Zettel im Licht der Schreibtischlampe. Das Papier war so vergilbt, dass man nicht mehr genau erkennen konnte, ob es liniert oder kariert war. Auf der Rückseite stand etwas. Es schien eine Einkaufsliste zu sein. Ich meinte, ein paar Zahlen zu erkennen. Mengenangaben? Ich starrte den Link an. Die Reisenden. Auch das war mehr als merkwürdig. Obwohl ich nicht erwartete, damit Erfolg zu haben, öffnete ich den Internetbrowser und gab den Link ein. Kurz darauf starrte ich mit offenem Mund auf den Bildschirm.
Vor mir hatte sich eine Seite geöffnet, die mir das Gefühl vermittelte, durch ein Fenster ins Weltall zu schauen. In der Mitte des Bildschirms befand sich eine Art leuchtender, runder Nebel, um den herum Sterne blinkten. Ab und zu bewegte sich ein heller Punkt blitzschnell über den Bildschirm und verschwand. Die Internetseite war so gut gemacht, dass ich mich ins Planetarium in Hamburg versetzt fühlte, wo ich im letzten Jahr den Nachthimmel betrachtet hatte. Fasziniert setzte ich mich, bewegte den Cursor über den Bildschirm und klickte dann auf einen der Sterne. Eine phosphoreszierende Schrift erschien, die nach und nach immer dunkler wurde und schließlich wieder verschwand.
»Wir, die Reisenden, begrüßen all diejenigen, die den Weg zu uns gefunden haben«, las ich halblaut. Sobald die ersten Zeilen verschwunden waren, erschienen die nächsten.
»Dies ist der Beginn einer Schatzsuche durch Raum und Zeit. Dem Gewinner, der alle Stufen des Spiels übersteht und dabei die höchste Punktzahl erreicht, winkt ein Treffen mit einem in der Zeit Gereisten. Du startest, wenn du dich traust, mit einem Doppelklick.«
»Na dann. Ein Treffen mit einem echten Zeitreisenden kann mein Buch nur bereichern«, sagte ich zu Mister Muh und grinste. Obwohl ich versuchte, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen, lief mir ein Schauer über den Rücken, als ich auf den erstbesten Stern klickte.
Stunden später schaute ich verwirrt auf den Bildschirm. Das Spiel hatte mich vollkommen in den Bann gezogen. Ich war versteckten Hinweisen nachgegangen, um Vermisste zu finden, hatte geschichtliche Fragen beantwortet und gegen Drachen gekämpft, fremde Planeten besiedelt, merkwürdige Pflanzen gezüchtet und gepflegt und zum Schluss sogar mich und meine Mitmenschen vor dem Aussterben gerettet. Jede Stufe des Spiels hatte an einem anderen Schauplatz stattgefunden. Sie waren so real gewesen, dass ich mehr als einmal das Gefühl gehabt hatte, wirklich dort zu sein. Und das, obwohl ich keine Virtual-Reality-Brille trug. Wer immer das Spiel entwickelt hatte, war ein Meister seines Fachs. Und dann, mit einem Schlag, war es vorbei gewesen. Das Ende war so abrupt gekommen, dass ich mich fast ein wenig schwindelig fühlte.
Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Es war bereits dunkel. Ich hatte den ganzen Tag gespielt und dabei jegliches Zeitgefühl verloren. Doch was war der nächste Schritt? Wie fand ich heraus, ob ich gewonnen hatte? Ich blickte auf den Bildschirm, auf dem wieder das Weltall zu sehen war und klickte erneut auf einen der Sterne. Die phosphoreszierende Schrift kehrte zurück.
»Herzlichen Glückwunsch!«, las ich. »Du hast es unter die ersten drei geschafft. Bitte hinterlasse deine E-Mail Adresse in dem gleich erscheinenden Feld und wir werden dich wissen lassen, welche letzte Aufgabe es zu erfüllen gilt.«
Ein Gefühl von Leere überkam mich, das vollkommen irrational war. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. Es schien fast so, als wäre das Spiel nur eine gut aufgebaute Werbung. Wahrscheinlich würde ich eine Menge Spam und vielleicht sogar einen Computervirus zugesandt bekommen, wenn ich meine Adresse hinterließ. Unschlüssig betrachtete ich die flackernden Sterne und überlegte. Das Spiel war hochmodern und unglaublich gut gemacht, während der Zettel mit dem Link uralt war. Das Ganze war spannend und mysteriös und die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand so viel Arbeit machte, nur um einen Virus zu verbreiten, verschwindend gering. Außerdem: Wenn ich meine E-Mail Adresse nicht hinterließ, würde ich mich immer fragen, ob es nicht doch ein Ergebnis, einen Gewinner gab. Was die Erschaffer des Spiels auch bezweckten, sie hatten es intelligent angestellt. Die menschliche Neugier würde mal wieder der Auslöser für alles Weitere sein.
»Ich will wissen, ob ich gewonnen habe«, sagte ich, gab meine E-Mail Adresse in das blinkende Feld ein und drückte auf Enter. Die Frage, wie der Zettel überhaupt in die Truhe und auf meinen Dachboden gelangt war, schob ich weit von mir. Gespannt starrte ich auf den Bildschirm. Er wurde kurz dunkel und dann befand ich mich wieder auf der Webseite der Suchmaschine. Das war ja abgefahren. Mal sehen, was geschah, wenn ich den Link nochmal eingab.
Es dauerte einen Moment, dann erschien: »Keine Einträge vorhanden.«
Ich versuchte es erneut, mit dem gleichen Ergebnis und lehnte mich zurück. Wahrscheinlich erkannte das System, dass ich schon gespielt hatte, und ließ mich deshalb nicht mehr zu. Aber ging das überhaupt? Ich verwünschte meine wenigen Computerkenntnisse. Jetzt hieß es abzuwarten, was als Nächstes geschah. Nicht gerade eine meiner Stärken. Ich stand auf und streckte meine verspannten Glieder, dabei fiel mein Blick auf die Uhr. Es war fast sechs. Hamish!
Wenn ich Gas gab, konnte ich es schaffen, rechtzeitig mit Stylen fertig zu werden und irgendwas zu kochen, aber dann würde ich die Verbindung zu dem Buch verlieren. Ich wusste nämlich endlich, was ich schreiben wollte. Das Spiel hatte mich darauf gebracht. Meine eigene Geschichte. Die Suche einer Autorin nach der Möglichkeit, eine Zeitreise zu machen und die schrägen Gestalten, die sie auf ihrem Weg kennenlernte. Die ersten Sätze waren bereits da. Schnell nahm ich Zettel und Bleistift und schrieb. Als ich alles, was herauswollte, zu Papier gebracht hatte, griff ich zum Telefon.
Hamish nahm nach dem zweiten Klingeln ab.
»Ich bin fast auf dem Weg«, sagte er zur Begrüßung.
»Und ich froh, dass du fast gesagt hast. Ich habe seit heute Morgen recherchiert und eben angefangen zu schreiben. Ich habe die Zeit total vergessen. Ich war nicht einmal einkaufen und gehe davon aus, dass ich die Nacht durchschreiben werde«, sagte ich und fuhrt fort, bevor Hamish etwas sagen konnte. »Es tut mir echt leid. Wollen wir es morgen Abend nachholen?«
Hamish schwieg einen Moment, dann sagte er: »Ich nehme an, das ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man mit einer Schriftstellerin zusammen ist. Kann ich dich wirklich nicht umstimmen?«
Mir wurde heiß. Hatte er eben `zusammen ist´ gesagt?
»Doch, das könntest du«, gab ich zu, während mein Magen Achterbahn fuhr. »Aber dann wäre ich nicht bei der Sache und außerdem sauer auf mich selbst, weil ich mich habe umstimmen lassen. Keine gute Voraussetzung für einen schönen Abend.«
»Dann lasse ich dich schweren Herzens arbeiten«, sagte Hamish resigniert. »Rufst du mich an, wenn du fertig bist?«
»Klar«, versprach ich. »Und bitte glaube mir, dass ich jetzt am liebsten mit dem Kopf auf die Tischplatte hauen möchte, weil ich dich auslade.«
Hamish lachte. »Besser nicht. Ich mag deinen Kopf und aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben! Viel Erfolg beim Schreiben!«
»Bis morgen Abend«, sagte ich und legte auf.
»Da haben wir den Salat, Mister Muh«, wandte ich mich an den Kater, der sich prompt erhob und zu mir herüberkam. »Er hat gesagt, dass er mit mir zusammen ist. Ich mag Hamish«, erklärte ich ihm und streichelte sein Köpfchen. »Wirklich. Aber zusammen sein? Ich glaube nicht, dass ich dafür bereit bin.«
Ich stand auf. Der Kater schoss sofort in die Küche und ich folgte ihm, um seinen Napf neu zu füllen und mir selbst ein Stück Brot zu machen.
Während ich Wasser für ein Ei aufsetzte, wanderten meine Gedanken zu Hamish. Was er jetzt wohl aß? Schließlich hatte er damit gerechnet, hier zu essen. Wahrscheinlich bestellte er sich etwas beim Roomservice oder ließ sich von seiner Mutter bekochen, die, ebenso wie er, in einem Seitenflügel des Castle Hotels lebte. Diese Information hatte ich aus dem Tea Room, in dem gerne über den attraktivsten Junggesellen des Ortes getratscht wurde. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass Hamish sich von seiner Mutter bekochen ließ. Ich hielt es eher für möglich, dass er jetzt nur mit Jeans bekleidet am Herd stand und Spiegeleier briet. Bei der Erinnerung an Hamishs muskulösen Oberkörper spürte ich ein leichtes Ziehen im Unterleib. Energisch schob ich die Gedanken an ihn beiseite, um nicht von dem Buch abgelenkt zu werden, goss mir ein Glas Wasser ein und kehrte mit Teller und Glas zum Computer zurück.
Bevor ich mich setzte, zündete ich die Teelichter an, die in vielen Gläsern mit weihnachtlichen Motiven überall im Raum verteilt waren, und legte einen dicken Scheit Holz in den Kamin.
»Weiter geht es«, sagte ich zu mir selbst, las mir durch, was ich als Letztes geschrieben hatte, und machte mich wieder ans Werk.
Als ich das nächste Mal aufsah, war es zwei Uhr morgens. Ich fröstelte. Alle Kerzen und auch das Feuer im Kamin waren ausgegangen. Ich erhob mich, dehnte die verspannten Glieder und sah aus dem Fenster. Die Wolken hatten sich verzogen. Der Himmel war von Sternen übersät und sie funkelten wie an keinem anderen Ort, den ich kannte. Meine Gedanken wanderten zu den ersten Wochen meines Cottagelebens. Alleine in der stillen, vollkommenen Dunkelheit zu sein, hatte mir Angst gemacht. Ich war sogar drauf und dran gewesen, Bewegungsmelder rund um das Anwesen installieren zu lassen, doch Douglas, mein Nachbar, den ich zu Rate gezogen hatte, hatte entsetzt abgewunken.
»Dann können wir hier kein Auge mehr zumachen, bei dem ganzen Viehzeug, das nachts in den Highlands unterwegs ist. Außerdem gibt es hier nichts, vor dem du dich fürchten musst. Hier schließt niemand seine Türen ab.«
Ich hatte mich geschlagen gegeben, aber mein Cottage zusätzlich mit einer Alarmanlage ausstatten lassen, die ich inzwischen nur noch scharf schaltete, wenn ich mit Mister Muh für längere Zeit verreiste. Meine Haus- und Gartentür blieben trotzdem nie unverschlossen. Bei Douglas mochte es nicht notwendig sein, die Türen abzuschließen, was an dem mit Strom geladenen Schafzaun, der sein Grundstück umgab, ebenso liegen konnte wie an seinen Hunden, doch ich ging lieber auf Nummer sicher. Ich warf einen letzten Blick auf den funkelnden Nachthimmel. Wie viele unentdeckte Welten und Lebensformen mochte es dort oben geben und wie viele von diesen betrachteten wohl gerade die Sterne und dachten das Gleiche? Ich gähnte, streichelte Mister Muh und ging schlafen.