Читать книгу Option Färöer - Ein Färöer-Krimi - Jógvan Isaksen - Страница 12
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ОглавлениеDie Tróndargøta ist eine echte Tórshavnstraße. Die vom Alter gezeichneten Häuser ähneln einander und sind dennoch ganz unterschiedlich. Das erzeugt einen speziellen Charme, der von den vielen alten Gärten noch verstärkt wird. Vor allem von dem großen, gepflegten Garten der alten Realschule, die heute Teil der Kommunalschule ist. Diese große gelbe, dreiflügelige Betonburg an der Tróndargøta war sieben Jahre lang ein bedeutender Teil meiner Welt gewesen. Jeden Morgen die Straße hoch, in der Mittagspause runter und wieder hoch, und nach der Schule wieder hinunter und nach Hause.
Mein Gefühl für diese Straße ist natürlich von Kindheitserinnerungen geprägt, aber die gute Laune, die ich an diesem Dienstagabend hatte, hatte ihren Grund nicht nur in den Straßen einer vergangenen Zeit oder dem ruhigen Oktoberwetter, sondern auch im Ziel meines Spaziergangs.
Mein alter Freund, der Bierclub Eyskarið, war zu Staub und Asche zerfallen, und die vorübergehenden Räume bei Strond erinnerten mich an eine drittklassige Kaschemme aus der amerikanischen Prohibitionszeit. Jeden Augenblick konnte man damit rechnen, dass die Türen aufgetreten wurden und Männer einer Schmugglerbande einen mit ihren Maschinengewehren durchlöcherten.
Mit anderen Worten: Ich war auf dem Weg zum Bacchus, um mich dort zu amüsieren und zu sehen, ob ich Christian, den Journalisten, antreffen würde. Der Bacchus war nämlich Treffpunkt für Journalisten und Setzer, und wenn der Club einmal Reklame machen wollte, dann wäre der Slogan ›Journalisten und Setzer trinken im Bacchus‹ nicht aus der Luft gegriffen.
Rundfunk und Fernsehen hatten die Neuigkeit gebracht, dass der junge Mann, den die Polizei beschuldigte, den Banküberfall von Streym begangen zu haben, tot in seiner Zelle aufgefunden worden war. Laut eben dieser Polizei würde es jetzt schwierig sein, den Fall aufzuklären.
Das war alles. Kein Wort darüber, warum er sich erhängt hatte oder wie es sein konnte, dass er seinen Gürtel behalten durfte. Und absolut nichts darüber, dass der Wachhabende versicherte, er hätte ihm den Gürtel abgenommen, was ja bedeuten würde, dass irgendjemand in der Zelle nachgeholfen haben musste.
Jetzt hatte ich zwei Todesfälle, über die ich schreiben konnte: der eine Mann bei eingeschaltetem Mikrofon während einer Rundfunksendung ermordet, der andere in einer dunklen Nacht in der Polizeizelle erhängt. Im Augenblick waren der Bankraub und Petur Kári Magnussen die Spur, die ich verfolgte, deshalb wollte ich mit dem Journalisten Christian Joensen sprechen.
Um halb elf Uhr abends an einem ganz gewöhnlichen Wochentag kann man keine großen Erlebnisse in einem Bierclub erwarten. Dementsprechend gab es auch nicht mehr als zehn, zwölf Gäste in der großen Bar. Ausschließlich Männer. Ganz hinten an der lederbezogenen Theke stand Christian und unterhielt sich mit dem Barkeeper.
Als ich näher kam, hörte ich, wie er mit reichlich belegter Stimme über den Verkehr in Tórshavn redete und darüber schimpfte, dass die Kommunalpolitiker keine Ahnung hatten, wie sie ihn lenken sollten, weil sie ausschließlich an sich dachten. Der ganze Verkehr in der Innenstadt sollte verboten werden. Ich bestellte mir ein Bier und einen doppelten Aalborg – seit vorgestern war ich fast abstinent gewesen – und Christian drehte mir sein Gesicht zu.
»Na, haben die Schlauen heute Ausgang?« Seine Augen waren halb geschlossen. Das schmale Gesicht mit dem scharfen Profil war blass und die Hand, die die Zigarette hielt, zitterte leicht.
»Das ist so ’ne Sache mit dem Schlausein. Ich weiß nicht, ob ich zu den Schlauen gehöre, aber unterwegs bin ich, ja.«
Meine Antwort war nicht viel besser als seine Frage, aber an diesem Abend hatte ich keine Lust, mich mit ihm anzulegen.
»Doch, du bist schlau, nein wirklich.« Er holte weit mit seiner Zigarettenhand aus. »Denkst du, ich wüsste nicht, wo du gewesen bist, nachdem Jákup und ich gegangen sind?«
»Schon möglich.«
»Und wie möglich das ist!« Letzteres rief er wütend aus und dann fing er an zu lachen. Er war betrunkener, als ich gedacht hatte, war jedoch ein erfahrener Experte darin, sich auf den Beinen zu halten und ein Blackout zu vermeiden.
»Du warst bei Karl, hast aber nur das mit dem Gürtel erfahren.«
»Was für ein Gürtel?«, fragte ich ganz unschuldig.
»Du brauchst nicht den Dummen zu spielen, wenn ich mit dir rede. So blau bin ich nun auch wieder nicht und ich weiß, was Karl dir erzählt hat. Komm, lass uns da rübergehen.«
Wir setzten uns an einen der leeren Tische. Christian zündete sich eine neue Zigarette an und trank von seinem Bier. Ich trank meinen Schnaps und wir schauten ein wenig in die Runde.
Am Tisch direkt neben der Schwingtür saßen ein paar typische, wohlgenährte färöische Akademiker. Graues Haar, Nickelbrille, grauer Anzug und passender Schlips. Die Stimmung bei ihnen war gut, und warum auch nicht? Den Akademikern auf den Färöern ging es ökonomisch blendend, sie arbeiteten in der Regel, wo und wann sie gerade Lust hatten, und wenn sie eine Reise machen wollten, dann war der Staat immer mit einer helfenden Hand zur Stelle. Mit dem sexuellen Teil des Daseins lief es vielleicht nicht so gut, die meisten Frauen hielten sie nicht für ein Gottesgeschenk, aber an einem Dienstagabend, an dem keine Frauen anwesend waren, konnte man das, was unter ihren Begierden schmorte, gut vergessen.
Professoren-, Ehren- und Doktortitel
sind, wenn es drauf ankommt,
nicht mehr wert als der Titel eines Katzenkönigs
an des Teufels Geburtstag.
Christian leierte die Zeilen herunter und schaute dabei auf den Tisch. Dann schielte er zu mir, seine tief liegenden Augen waren von Stirn und Augenbrauen fast verdeckt: »Ich kenne meinen Pól F. und könnte ohne Weiteres diesen Polizeiarsch in Gedichten ertränken, aber das hieß Perlen vor die Säue zu werfen. Der würde nichts kapieren und nur vor Wut Umfallen.« Er nahm einen großen Schluck Bier und zeigte mit dem Daumen zum Tisch an der Schwingtür: »Aber wenn ich Leute wie diese sehe – ganz zu schweigen davon, sie zu hören –, dann ist es kein Problem, die richtigen Verse für sie zu finden.«
Er drückte seine Zigarette hart und nachdrücklich im Aschenbecher aus.
»Du wolltest mir was erzählen, Christian?« Ich versuchte, das Gespräch wieder aufs richtige Gleis zu bringen.
»Ja, ja, aber hör erst mal, ehe du deine Nase zu hoch trägst:
Wenn die Lehrer Papageientaucher sind, die Studenten
Junge,
die auf den Färöern ausgebrütet wurden und hier wohnen –
dann werden in Dänemark speiende Eissturmvögel gezüchtet,
voller Teufeleien und Unzucht.«
»Wie kannst du deine Arbeit bei einer christlichen Zeitung und Pól F. unter einen Hut bringen?«
»Was die Zeitung meint und was ich meine, das hat nicht viel miteinander zu tun. Ich bin Profi.« Er klopfte seine Taschen auf der Suche nach Zigaretten ab. »Aber wir wollten doch über den Vorfall auf der Polizeiwache reden.«
Ich bot ihm eine von meinen Prince an, die ich fast immer in der Tasche habe, aber selten selbst rauche. Christian nahm sich Feuer und blies den Rauch aus.
»Ich bin in Tórshavn schon länger als du Journalist, deshalb habe ich gute Verbindungen zur Polizei. Zuverlässig unzuverlässige Leute, wenn du verstehst, was ich meine. Also nicht solche Leute wie Karl.« Er lachte kurz. »Und diese Kontakte erzählen mir, dass Petur Kári Magnussen reichlich ängstlich wirkte und dass er nichts sagen wollte. Was ihm gar nicht ähnlich sieht, denn normalerweise verwickelt er sich in Widersprüche, noch ehe fünf Minuten vergangen sind, um dann alles zu beantworten, was man ihn fragt. Aber dem war diesmal nicht so.«
Christian betrachtete sein leeres Glas und bat mich, Nachschub zu holen. Als ich zurückkam, fuhr er fort: »Er hat gar nichts gesagt. Hat immer nur wiederholt, dass er überhaupt nichts wüsste und dass sie ihm etwas zu trinken geben sollten. Das haben sie natürlich nicht getan, aber obwohl er ganz fürchterlich unter dem Entzug litt, haben sie nichts aus ihm rausgekriegt. Gar nichts.«
Christian schwieg eine Weile und ich schaute mich im Lokal um. Es gab inzwischen weitere männliche Gäste, aber es war immer noch ein ruhiger Abend.
»Die Verschwiegenheit des armen Petur Kári ist nicht das einzige Merkwürdige ...«
»Auch die Frage, wer ihn erhängt hat«, warf ich ein.
»Das auch«, bestätigte Christian, ging aber nicht weiter darauf ein.
»First thing first. Warum haben sie ihn überhaupt festgenommen? Ich meine, er war zwar ein Krimineller, aber sicher nicht der erste, auf den die Polizei gekommen ist, als sie nach einem Meisterdieb gesucht haben.« Jetzt sah er mich triumphierend an. »Daran hast du nicht gedacht, was?«
»Nein, habe ich nicht.«
Ich hatte zwar gedacht, dass es für einen neunzehnjährigen Säufer eine stolze Leistung war – wenn er es denn gewesen war –, aber ich war nicht auf die Idee gekommen, zu fragen, wie die Polizei ihn so schnell hatte schnappen können. Und warum.
»Guck mal.« Christian beugte sich über den Tisch vor. »Meine Quelle erzählt, dass irgendjemand die Polizei angerufen und ihr den Tipp gegeben hat, mal mit Petur Kári zu reden. Das war alles. Das war alles. Sie haben keine Ahnung, wer es war, nur dass es eine Männerstimme war.«
»Vielleicht einer seiner feuchtfröhlichen Freunde, der sich für irgendwas rächen wollte?«
»Ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich.« Christian war jetzt Herr über seinen Rausch und sprach klar und deutlich: »Der Anrufer muss irgendwas mit Peturs Tod zu tun haben, aber einen Menschen in einer Zelle im Polizeipräsidium aufzuhängen, dazu sind die Kerle, mit denen Petur Kári sich herumtrieb, nicht in der Lage.«
»Wieso bist du so sicher, dass er sich nicht selbst aufgehängt hat?«
»Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, dass ihm sein Gürtel abgenommen worden ist. Im Laufe der Nacht hat sich also irgendjemand in seine Zelle geschlichen und ihn erhängt.«
Wir dachten darüber eine Weile schweigend nach.
»Der Kerl, der angerufen hat«, sagte ich langsam, »der wollte Schaden anrichten. Jedenfalls hat er die Polizei auf die richtige Spur gebracht.«
»Wie kann Petur Kári die richtige Spur gewesen sein? Wir waren uns doch grade einig, dass er gar nicht in der Lage war, etwas, was auch nur annähernd wie ein Bankraub aussieht, zu begehen?«, widersprach Christian mir ungeduldig.
»Das schon, aber es passt zusammen und gleichzeitig nicht.« Ich ließ mir reichlich Zeit. »Die Polizei nimmt Petur Kári fest, der bestimmt nicht den Bankraub begangen hat, aber – und das ist der entscheidende Punkt – er will nichts sagen. Das widerspricht den Erfahrungen, die die Polizei sonst mit ihm gemacht hat. Kurz darauf wird er umgebracht. Summa summarum: Die Person, die die Polizei auf Petur Kári hetzt, weiß, dass Petur Kári etwas weiß. Aber warum ruft er die Polizei an? Und wer hat den armen Tropf unschädlich gemacht?«
In diesem Moment klingelte der Barkeeper, um uns mitzuteilen, dass die Bar in einer Viertelstunde schließen würde. Christian und ich hamsterten Vorräte und unterhielten uns nunmehr über die färöische Fußballmannschaft. Wir fragten uns, ob es wohl klug sei, an den internationalen Meisterschaftskämpfen teilzunehmen. Keiner von uns beiden hatte viel Ahnung vom Fußball, deshalb amüsierten wir uns prächtig.
Gegen ein Uhr trennten wir uns an der Kreuzung von Tróndargøta und Niels Winterhsgøta. Christian war nicht ganz sicher auf den Beinen, als er langsam zum Haus der Heilsarmee ging.