Читать книгу Option Färöer - Ein Färöer-Krimi - Jógvan Isaksen - Страница 13

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Es war nach acht Uhr, als das Telefon mich weckte. Karl war dran.

»Komm zum Krankenhaus, Hannis. Wir treffen uns in einer halben Stunde in der Eingangshalle.«

Ich versuchte zu tun, als wäre ich wach, aber mein Hals war rau wie Sandpapier, deshalb war das Einzige, was ich hervorbrachte, ein heiseres Brummen.

»Gestern Abend wieder im Bierclub gewesen? Das letzte Mal im Polizeirevier hast du doch strahlend gesund ausgesehen, aber ich hätte es besser wissen sollen.«

»Warum soll ich zum Krankenhaus kommen?« Karls Äußerungen über meine Lebensführung kommentierte ich lieber nicht, an sie war ich schon gewöhnt.

»Sieh zu, dass du in einer halben Stunde da bist.« Er legte auf.

Ich lag noch eine Weile mit geschlossenen Augen und dem Hörer in der Hand da. Fast wäre ich wieder eingeschlafen, aber das Tuten des Telefons hinderte mich daran. Schließlich riss ich mich zusammen und stand auf – und ich dachte sogar daran, den Telefonhörer aufzulegen.

Ich zog die Vorhänge zurück und schaute in dem Lichtschacht einen Meter vom Fenster entfernt auf eine Betonmauer, dort, wo der Fußweg der Jóannes Paturssonargøta anfängt.

Auf dieser Seite schien man fast unter der Erde zu wohnen. Aber wenn ich den Kopf schräg legte, konnte ich über den Rand sehen, in den Himmel. Nun ja, Himmel war wohl etwas übertrieben, denn ich schaute in eine dichte, graue Daunendecke. Südwind im Oktober bedeutete oft so dichten Nebel, wie ich ihn auch in meinem Kopf verspürte.

Der Kaffee bereitete sich selbst zu, während ich im Bad war, und ich trank ihn, während ich mich anzog. Ich warf meinen Mantel über und ging los.

Karl wanderte in der großen Eingangshalle bereits auf und ab, als ich ankam. Der Kiosk war noch nicht geöffnet und die Halle wirkte wie ausgestorben. Zwei bleiche Patienten saßen an einem Tisch und sprachen miteinander, aber dieses Zeichen zerbrechlichen Lebens unterstrich nur noch die Leere. Wenn da nicht der ungeduldige Karl gewesen wäre, könnte ein Fremder das Entree als Vorhof der Hölle und nicht als geschäftige Landesinstitution ansehen. Obwohl diese Auffassung vielleicht gar nicht so falsch war.

»Da bist du ja. Ich warte schon seit einer Viertelstunde.« Karl sprach laut und seine Worte wurden zwischen den Wänden und dem Steinfußboden hin und her geworfen. Die Patienten drehten sich um und schauten vorwurfsvoll zur Glastür, als würden sie uns anklagen, die Stille zu stören, die auf der Schwelle zur letzten Ungewissheit gefordert wird.

Karl bemerkte es und flüsterte nur noch: »Komm mit!« Schnell ging er zu einer Schwingtür und ich folgte ihm. Wir kamen in einen langen, weißen Flur, auf dem die Wagen mit Krankenhausutensilien an den Wänden standen und wo kein Mensch zu sehen war.

»Was willst du von mir?«, fragte ich ungeduldig. Jetzt hatte ich ernsthaft das Gefühl, dass das Ganze unangenehm enden würde.

»Warte noch ein bisschen. Du wirst es schon noch erfahren.«

Wir gingen weiter. Durch Schwingtüren und über andere Flure. Ich spürte ein würgendes Unbehagen. Weißes Metall und dann dieser Krankenhausgeruch. Man braucht eine überdurchschnittliche Kondition, um sich in diesem Milieu wohlzufühlen.

Karl blieb vor einer Tür mit einem runden Fenster stehen. Dahinter waren mehrere grün gekleidete Menschen zu sehen.

»Es ist kein erhebender Anblick, deshalb hoffe ich, dass du nicht zu gut gefrühstückt hast.« Er öffnete die Tür und machte mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Plötzlich fiel mir auf, wie erschöpft er aussah, dass er dunkle Schatten unter den Augen und Müdigkeitsfalten im Gesicht hatte.

Ein dünner, nackter Körper lag in der Mitte des Raums auf einem Metalltisch, der Rinnen wie ein Tranchierbrett hatte. Und genau das war der Tisch auch: ein Tranchierbrett. Ich erkannte den Toten sofort, auch wenn er einer der Wachsfiguren in Madame Tussauds Kabinett ähnelte und viel kleiner wirkte als zu Lebzeiten.

Christian würde nie wieder Pól F.s Gedichte rezitieren oder in Bierclubs sitzen und herumtönen und über die Politiker unseres Landes herziehen. Er lag auf dem Bauch, und aus seinem Nacken ragte der schwarze, geriffelte Griff eines Messers.

Einer der grün gekleideten Pathologen – ich war mir nur zu klar darüber, dass es sich hier um die pathologische Abteilung handelte – schob eine Hand unter Christians Gesicht und hob seinen Kopf vom Tisch. Die Spitze des Messers ragte vorn aus seinem Hals hervor. Die Hand des Pathologen in dem milchweißen Gummihandschuh, die den dunkel gelockten Jünglingskopf über dem glänzenden Metalltisch hochhielt, ließ mich an eine perverse Inszenierung des Hamlet denken. Das Landeskrankenhaus führt Hamlet im Sezierraum auf Die Hauptrolle wird gespielt von dem bekannten Pathologen und Geißelungsspezialisten ...!

»Hannis!« Karl packte mich am Arm. »Komm mit raus auf den Flur.«

Ich kam zu mir und sah, dass Hamlet und ein weiterer Arzt sich bereit machten zu sezieren. Sie hatten beide weiße Gummischürzen umgebunden, trugen Operationshauben und einen Mundschutz. Zwei Krankenschwestern in der gleichen grünen Montur standen bereit, um zu assistieren. Eine von ihnen war dabei, ein Mikrofon anzuschließen, das über dem Seziertisch hing. So konnten die Ärzte ihre unappetitlichen Geschichten erzählen, während sie arbeiteten.

An der Tür stand ein uniformierter Polizeibeamter und versuchte, an die Decke zu starren, um den Vorgängen am Metalltisch zu entgehen. Aber nach seiner Gesichtsfarbe zu urteilen, gelang es ihm nicht so recht. Ich fühlte mich auch reichlich flau und war froh, noch nichts gegessen zu haben.

Und dann war da noch jemand, der hier eigentlich nicht hingehörte. Das war Haraldur. Er trug wie gewöhnlich seinen blauen Overall, aber sein Gesicht war nicht so rosig wie üblich. Oder aber die Beleuchtung war so stark, dass alle Farben verblassten.

Auf dem Flur eilte der junge Polizist von dannen. Zweifellos auf der Suche nach einer Toilette. Wir drei blieben einen Moment stehen, um uns zu sammeln, wobei wir darauf achteten, dem Fenster in der Tür den Rücken zuzukehren.

»Haraldur hat ihn heute Morgen gegen halb sieben gefunden. Er schwamm in dem dreckigen Wasser von Skítivík.« Karl sprach gedämpft und starrte auf die weiße Wand direkt vor uns.

Skítivík ist eine kleine Bucht auf der Westseite von Tinganes. Den Namen findet man wahrscheinlich nirgends gedruckt, aber so nannten wir die Bucht als Kinder. Damals dachte ich, dass sie nach allem, was da herumlag und -schwamm, genannt wurde, aber später erfuhr ich, dass ursprünglich der Name wörtlich zu verstehen war.

»Ich bin heute Morgen früh aufgestanden«, berichtete Haraldur. »Das Wetter war gut, die Strömung auch. Es war noch nicht so eine undurchdringliche Suppe wie jetzt. Ich wünschte, ich wäre nicht rausgefahren.« Kurz schien es, als würde Haraldur ganz in seine eigenen Gedanken versinken, doch im nächsten Augenblick war er wieder bei uns. »Bevor ich an Bord gegangen bin, bin ich noch mal ans Ufer, um zu pinkeln. Er lag direkt am Ufer, vor meinen Füßen. Erst als ich ihn aus dem Wasser geholt hatte, habe ich gesehen, dass es Christian war.«

Jetzt ergriff Karl das Wort: »Wir sind nicht auf den Kopf gefallen, Hannis. Wir wissen bereits, dass du und Christian nach Mitternacht gemeinsam das Bacchus verlassen habt. Und nach allem, was wir bis jetzt herausgekriegt haben, bist du der Letzte, der ihn lebend gesehen hat ...«

Karls Worte hingen in der Luft, hätten aber ebenso gut in Granit gehauen sein können. Das war also der Grund, warum ich an einem nebelverhangenen Mittwochmorgen im Landeskrankenhaus auftauchen sollte.

»Wir haben uns am Haus der Pfingstgemeinde getrennt, und das Letzte, was ich von ihm gesehen habe, war, wie er in die Tórsgøta abgebogen ist.«

»Wohin wollte er?«

»Nach Hause, nehme ich mal an. Etwas anderes hatte er bestimmt nicht im Sinn.«

»Er ist nicht zu Hause gewesen.« Karl wanderte auf und ab, die Hände auf dem Rücken. »Er hat bei einer Frau in Djóni í Geilsgøta ein Zimmer gemietet, aber sie sagt, er sei in dieser Nacht nicht nach Hause gekommen. Hat er dir erzählt, woran er arbeitet?«

»Wir haben über Petur Kári Magnussen geredet. Christian war sich sicher, dass es kein Selbstmord war, sondern dass jemand nachgeholfen hat. Er hat auch behauptet, dass ihr einen Hinweis bekommen hättet, Petur Kári zu verhaften.«

»Hat er das gesagt?« Karls Stimme klang müde, aber man konnte die Wut in ihr hören. »Das Revier leckt wie ein Sieb. Wir könnten ebenso gut Lautsprecher auf der Straße installieren oder einen heißen Draht zu den Zeitungen.«

»Es stimmt also?«

»Du kannst dir deine Frage sparen, Hannis. Ich darf nichts sagen, und schon gar nicht zu dir. Wenn du etwas wissen willst, musst du zu Piddi gehen.« Er drehte sich um und schaute durch die Scheibe in der Tür.

Wie er so dastand, in zerknittertem hellem Mantel und schmutzigen Schuhen, gebeugt und mit dem Ansatz einer Glatze, war er die Müdigkeit in Person.

Drei Morde in vierzehn Tagen, das steckt man nicht so einfach weg. Und einer davon auch noch im Polizeirevier begangen. Deshalb kommentierte ich seinen Vorschlag, mit Piddi zu sprechen, lieber nicht. Er war wohl auch nicht ganz ernst gemeint.

»Es sieht so aus, als würde es nicht mehr lange dauern. Ihr könnt jetzt verschwinden, ich bleibe hier, bis sie fertig sind mit der Obduktion.« Er machte eine Pause. »Und, Hannis, du weißt, wie viel du darüber schreiben darfst.«

Das wusste ich nur zu gut. Unter diesen Umständen konnte ich eigentlich gleich meinen Job als Journalist an den Nagel hängen.

Haraldur, der ein wenig von seiner normalen Gesichtsfarbe zurückerlangt hatte, ging langsam den Flur entlang und ich folgte ihm.

Option Färöer - Ein Färöer-Krimi

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