Читать книгу Option Färöer - Ein Färöer-Krimi - Jógvan Isaksen - Страница 15

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Als im Radio die Mittagsmusik begann, saß ich im überfüllten Kaffivognur auf der Østre Brygge und genoss die Zeitung der Konservativen und einen Becher Kaffee. Ich war wegen Christian Joensen immer noch zu aufgewühlt, um etwas Festes zu mir zu nehmen. Der Inhalt der Zeitung war wie üblich vorhersehbar und trotz heftiger Angriffe auf Personen und Institutionen herrlich beruhigend. Also gab es immer noch etwas, was beständig war.

Im Übrigen hatten mich die letzten Tage in Bezug auf die Zustände in unserem Land unsicher werden lassen. Irgendetwas lief hier verdammt falsch, und hinter dem Ganzen gärte eine Krämermentalität und noch etwas anderes, das ich kaum erahnte. Es war meine Aufgabe als Journalist, die Zusammenhänge herauszufinden. Von dieser Aufgabe war ich nicht gerade begeistert.

»Verflucht! Wenn das nicht Hannis ist!«

Jeansstoff beugte sich zu mir herunter und erstickte mich fast in Schnapsgeruch. Er lehnte sich schwer gegen mich, sodass der halb volle Kaffeebecher umfiel. Ich stand auf und konnte das Stoffbündel so weit zur Seite schieben, dass ich dem Kaffee entging und sehen konnte, um wen es sich da handelte.

Eine Folge von Erinnerungen kam mir in den Sinn. Das Gymnasium in Hoydalur, der weitgestreckte Rasen, der Bach, auf dem wir im Winter Schlittschuh liefen, die Lehrer, die ersten Feten, Schüler, die auf dem Boden lagen und ihren Rausch ausschliefen.

»Na, erkennst du mich wieder?« Die Stimme war etwas belegt, aber gut zu verstehen. Ihr Besitzer hatte Übung darin, angetrunken zu sein. Das war sein alltäglicher Zustand.

Natürlich erkannte ich ihn wieder, aber einen kurzen Moment lang kämpfte ich mit meinen Gefühlen. Mit der Borniertheit, die mit dieser Sorte Menschen nichts zu tun haben möchte, weil deren Unglück ja ansteckend sein könnte, und außerdem machten sie nur Ärger. Am besten, sie blieben im Verborgenen und kamen gar nicht hervor. Aber gleichzeitig war da das Gefühl, dass es nicht in Ordnung wäre, alte Schulfreunde zu verleugnen – was ich am liebsten getan hätte –, und dass ich mit dem Mann reden müsste.

»Natürlich erkenne ich dich wieder, Birgir. Setz dich doch.« Ich deutete auf einen Stuhl mir gegenüber.

Die junge Frau am Tresen kam zu uns herüber und wischte wütend den Kaffee vom Tisch.

»Solche Leute haben hier keinen Zutritt. Unser Direktor will das nicht. Mit denen hat man nur Ärger.« Ihre Stimme zitterte vor Wut und sie sprach, als säße ich allein am Tisch. »Soll ich ihn rausschmeißen?«

»Nein, schon gut. Bring uns lieber zwei Becher Kaffee.«

Sie ging.

Inzwischen betrachtete ich Birgir, der sich mit dem Kinn auf der Brust und geschlossenen Augen gesetzt hatte. Die Worte der Kellnerin hatte er gar nicht zur Kenntnis genommen. Sicher war er so etwas gewohnt.

Wie er so dasaß, schmutzig, nach Schnaps und altem Schweiß stinkend, verstand ich die junge Frau. Er war wirklich kein appetitlicher Anblick. Was von seinem Haar noch übrig war, war blond und hing klebrig bis in Ellbogenhöhe herunter. Auf dem Schädel, auf der Stirn und auf einer Wange hatte er verschorfte Wunden. Entweder war er im Suff hingefallen oder er hatte sich geprügelt. Wahrscheinlich traf beides zu.

»Bitte schön!« Sie stellte die Becher so hart auf den Tisch, dass der Kaffee überschwappte und sich auf dem Tisch ergoss. Ich tat, als wenn nichts wäre, und sie ging zurück zum Tresen, auf dem trockenes Gebäck unter einer Glashaube auf Liebhaber wartete.

»Alles nur vom Feinsten. Unser Direktor! Fehlt nur noch, dass der Kaffivognur einen in Leder gebundenen Jubiläumsband herausbringt.« Birgir lachte vor sich hin. »Oder was meinst du, Hannis?« Er versuchte, mich anzusehen, hatte aber nicht die Kraft, seine Augen ganz zu öffnen. »Oder habe ich etwa nicht recht?« Letzteres flüsterte er in sein schmutziges Hemd.

»Spendierst du ein Bier?« Jetzt waren seine Augen weit aufgerissen. Sie waren blutunterlaufen, nur in der Mitte war ein bisschen Blau zu sehen. Aber das ironische Grinsen war unverwechselbar. Das hatte sich seit der Schulzeit nicht geändert. »For old time’s sake«, fügte er hinzu. Auch seine Angewohnheit, englische Phrasen zu benutzen, hatte er beibehalten.

Als ich mit zwei Restorff zurückkam, nahm Birgir sofort einen großen Schluck. Dann klemmte er sich die Flasche zwischen die Knie und holte aus seiner Brusttasche ein Fläschchen Aqua Velva, dessen Inhalt er in die Bierflasche füllte. Er schüttelte sie ein paarmal, setzte sie an den Mund und trank die Hälfte aus.

»Ah, das tat gut.« Er schaute den leeren Flachmann an und ließ ihn auf den Boden fallen. Die Musik aus dem Radio und die Gespräche an den anderen Tischen sorgten dafür, dass niemand etwas merkte. Birgir trank noch ein wenig und es schien, als würde er etwas wacher.

»Möchtest du probieren?« Er reichte mir die Flasche.

»Nein danke. Ein andermal vielleicht.«

Vor mehr als zwanzig Jahren hatte ich einmal aus Versehen einen Schluck von dieser Mischung aus Bier und Aqua Velva getrunken und konnte den ekligen Geschmack immer noch spüren.

»Habe ich auch gar nicht erwartet.« Er lächelte. »Als Dank dafür, dass du das hier nicht probieren musst, kannst du mir eigentlich dein Bier geben. Du trinkst es ja sowieso nicht.«

Ich schob ihm die Restorff-Flasche hinüber. Er hatte recht. Das färöische Piss-Bier ist nicht gerade das Getränk, das ich im Paradies trinken möchte.

Wir saßen eine Weile da und lauschten den Lokalnachrichten. Diese Minute verging schnell. Die Fischzuchtbetriebe forderten Unterstützung, sie sagten, dass es nicht angehen könnte, dass ein freies Unternehmen allein zurechtkommen sollte. Die Landesregierung wollte die Sache überdenken.

Nicht ein einziges Wort über einen Toten in Skítivík.

Birgir brummte vor sich hin, während er etwas von meinem Bier in seine Flasche goss. Das Getränk war jetzt sicher reichlich dünn geworden, aber vielleicht genügte es ja schon, wenn nur etwas von dem Geschmack übrig war?

»Kanntest du Petur Kári Magnussen?« Ich konnte ebenso gut die Gelegenheit gleich nutzen, auch wenn ich Birgir für zu intelligent hielt, um sich mit einem Typen wie Petur Kári abzugeben. Aber in der Gemeinschaft Durstiger gab es viele sonderbare Mitglieder.

»Petur Kári Magnussen?« Er sah mich fragend an. »Ach, du meinst Paki, den Typen, der sich im Polizeirevier aufgehängt hat?«

»Ja.«

»Nein, den kannte ich nicht besonders gut. Habe ihn häufiger gesehen, aber er war immer zugedröhnt, sodass man gar nicht mit ihm reden konnte.«

Umso erstaunlicher, dass er eine Bank ausrauben konnte, dachte ich.

»Warum fragst du?« Birgir war nicht schöner geworden, aber in seinen blau-roten Augen blitzte es auf.

»Nur so. Vielleicht schreibe ich einen Artikel über menschliche Wracks in Tórshavn.« In dem Moment, als ich die Worte aussprach, wurde mir bewusst, was ich gesagt hatte.

»Und deshalb möchtest du erst mal mit mir reden.« Birgir sah mich ironisch an. »Du hältst mich wohl für einen Spezialisten auf diesem Gebiet?«

»So habe ich das nicht gemeint. Ich dachte nur ...« Ich wusste nicht, wie ich fortfahren sollte.

Birgir lachte. »Mach dir nichts draus. Ich weiß, wer ich bin. Und das ist mehr, als man von vielen sagen kann, die ganz nach oben gekommen sind.«

Er wühlte in seinen Taschen, suchte sicher nach Zigaretten. Ich bot ihm eine von meinen Prince an und zündete sie ihm auch an. Er inhalierte ein paarmal.

»Der Grund, weshalb du dich mit Paki beschäftigen willst, geht mich auch gar nichts an. Aber ich kann dir leider nicht helfen.«

»Kennst du die Leute, die mit ihm rumhingen?«

»Vielleicht den einen oder anderen.« Er trank einen ordentlichen Schluck.

»Auch wenn ich mich um Grund und Boden gesoffen habe und ein Alki bin, wie man so schön sagt, habe ich immer noch einen gewissen Stolz. Und der besteht zum Teil darin, dass ich nicht mit Petur Kári und seinesgleichen verkehre. Ich will mich mit Anstand zu Tode saufen.«

Er machte mit der rechten Hand eine vornehme Handbewegung. Ich saß einem ramponierten Aristokraten gegenüber. Aber trotz allem einem Aristokraten.

»Ich gebe dir einen guten Rat: Geh zur Quelle, das ist der richtige Ort, wenn du Informationen über die Penner von Tórshavn haben willst.«

Ich hatte schon von der Quelle gehört, allerdings nichts Gutes. Es war eine Kneipe ohne Lizenz und noch illegaler als die üblichen Bierclubs. Wenn nur ein Bruchteil der Geschichten, die über den Laden kursierten, stimmen, waren Sodom und Gomorrha dagegen eine Sonntagsschule. Ich hatte bisher nie Lust verspürt, diesen Ort aufzusuchen, aber vielleicht jetzt?

»Wie kommt man rein? Ich bin nicht Mitglied.«

»Ich glaube nicht, dass die Mitglieder haben, aber wenn du nicht bezahlen kannst, kommst du nicht so ohne Weiteres rein. Warte mal, ich muss nachdenken. Und das bin ich nicht gewohnt.« Birgir lächelte sein halbes Lächeln, aber dann verschwand es wieder. »Jetzt erinnere ich mich. Das einzige Mal, dass ich da war, musste man dem Türsteher sagen, man kenne Heindrik, und dann kam man rein.«

»Wer ist Heindrik?«

»Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob das heute noch funktioniert. Ist schon ’n halbes Jahr her, seit ich da war.«

»Kannst du nicht mitkommen?« Auch wenn Birgir runtergekommen war, war er immer noch ziemlich clever.

»Ich komme nicht rein. Ich habe denen ein paar Wahrheiten gesagt und da haben sie mich rausgeschmissen. Aber wenn du mich unbedingt bei dir haben möchtest, kann ich dich gern besuchen. Ich gehe davon aus, dass du was zu trinken im Haus hast.«

Zuerst konnte ich mit mir selbst nicht ins Reine kommen, ob ich wirklich Lust hatte, von Birgir besucht zu werden.

»Machst du mir auf, wenn ich komme?« Er sah mich spöttisch an.

»Kommt drauf an.«

»Worauf?«

»Ob ich allein zu Hause bin oder Gesellschaft im Bett habe.«

Wir grinsten einander an. Es waren viele Jahre vergangen, aber wir kannten uns.

»Natürlich mache ich dir auf, Birgir.« Und als ich das sagte, meinte ich es auch so.

Option Färöer - Ein Färöer-Krimi

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